TE OGH 1986/6/30 10Os88/86 (10Os89/86)

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Veröffentlicht am 30.06.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Juni 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gumpinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Martin B*** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 35 Vr 1185/85 des Landesgerichtes Innsbruck, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes 1.) gegen das Urteil vom 5.Juni 1985, ON 67, und 2.) gegen den Beschluß vom selben Tag, ON 66, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Scheibenpflug als Vertreter der Generalprokuratur, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ 35 Vr 1185/85 des Landesgerichtes Innsbruck wurde das Gesetz verletzt, und zwar

I. mit dem Urteil vom 5.Juni 1985 (ON 67)

1. durch die Nichtberücksichtigung des Beschlusses Nr. 232 des siebengliedrigen Berufungsgerichtes Athen vom 18.Juli 1984,

2. durch den Ausspruch über die Anrechnung einer "erlittenen Vorhaft" gemäß §§ 38, 66 StGB mit Bezug auf das Absehen von der Verhängung einer Zusatzstrafe und

3. durch die Nichtanrechnung der Verwahrungs- und Untersuchungshaft vom 22.März 1985, 17,45 Uhr bis zum 5.Juni 1985, 10,45 Uhr, gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB sowie der vom Angeklagten Martin B*** auf Grund des Urteils des Strafgerichtes Basel-Stadt vom 26.Jänner 1982 in der Zeit vom 10.September 1981, 14,10 Uhr bis zum 15.August 1982, 18,00 Uhr, in der Schweiz verbüßten Freiheitsstrafe gemäß § 66 StGB auf die nach § 12 Abs. 4 SuchtgiftG verhängte (Verfallsersatz-) Geldstrafe in der Höhe von 72.000 S samt der für den Fall der Uneinbringlichkeit bestimmten Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten - zu 1. in der Bestimmung des § 40 StGB sowie zu 2. und zu 3. jeweils in den Bestimmungen des § 38 Abs. 1 Z 1 StGB gleichwie des § 66 StGB; und ferner

II. mit dem Beschluß vom 5.Juni 1985, Martin B*** unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von zwei Jahren gemäß § 265 StPO bedingt aus der Haft zu entlassen (und ihm nach § 50 StGB einen Bewährungshelfer zu bestellen)

- in der Bestimmung des § 265 StPO.

Das (im übrigen unberührt bleibende) Urteil in dem unter Punkt I.2. bezeichneten Ausspruch und der unter Punkt II. bezeichnete Beschluß sowie alle darauf beruhenden weiteren Beschlüsse und Verfügungen, insbesondere die Bestellung eines Bewährungshelfers (ON 74), werden aufgehoben.

In Ansehung der aufgehobenen Haftanrechnung wird nach §§ 292 letzter Satz, 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Auf die nach § 12 Abs. 4 SuchtgiftG über Martin B*** verhängte (Verfallsersatz-) Geldstrafe in der Höhe von 72.000 S, im Fall der Uneinbringlichkeit drei Monate Ersatzfreiheitsstrafe, werden gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB die von ihm erlittene Verwahrungs- und Untersuchungshaft vom 22.März 1985, 17,45 Uhr, bis zum 5.Juni 1985, 10,45 Uhr, sowie nach § 66 StGB die auf Grund des Urteils des Strafgerichtes Basel-Stadt vom 26.Jänner 1982 in der Zeit vom 10.September 1981, 14,10 Uhr, bis zum 15.August 1982, 18,00 Uhr, von ihm verbüßte Freiheitsstrafe angerechnet.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 5.Juni 1985, GZ 35 Vr 1185/85-67, wurde Martin B*** (I.) des Verbrechens nach § 12 (zu ergänzen: Abs. 1) SuchtgiftG sowie der Vergehen (II.) des versuchten schweren Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1, 128 Abs. 1 Z 4 StGB, (III.) der versuchten schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1 StGB, (IV.) des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs. 1 StGB, (V.) der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB, (VI.) des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 und Abs. 3 zweiter Fall StGB, und (VII.) der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Unter Bedachtnahme auf ein Urteil des Oberlandesgerichtes Athen vom 20.Jänner 1984, Nr. 47-48, wurde gemäß §§ 31, 40 StGB von der Verhängung einer Zusatzstrafe über ihn abgesehen; gemäß §§ 38, 66 StGB wurde ihm die Vorhaft vom 10.September 1981, 14,10 Uhr, bis zum 15. August 1982, 18,00 Uhr, und vom 19.März 1983, 12,00 Uhr, bis zum 5. Juni 1985, 11,00 Uhr, angerechnet. Ferner wurde B*** gemäß § 12 Abs. 4 SuchtgiftG zu einer - gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von zwei Jahren bedingt nachgesehenen - (Verfallsersatz-) Geldstrafe in der Höhe von 72.000 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit drei Monate Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Unmittelbar nach der Verkündung dieses Urteils machte der Vorsitzende überdies den Beschluß bekannt, Martin B*** im Fall der Rechtskraft dieser Entscheidung gemäß § 265 StPO unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt "aus der Haft zu entlassen" und ihm gemäß § 50 StGB einen Bewährungshelfer zu bestellen (ON 66, 67); bei der Begründung dieses (in die Urteilsausfertigung aufgenommenen) Beschlusses stellte das Schöffengericht bezüglich der zeitlichen Voraussetzungen für die bedingte Entlassung (§ 46 StGB) auf die Dauer der im Ausland verhängten Strafen und auf die dort verbüßten Haftzeiten ab (US 11). Beide Entscheidungen sind mit dem Ablauf des 10.Juni 1985 in Rechtskraft erwachsen.

Die von den zuerst angeführten vier Schuldsprüchen (I. bis IV.) erfaßten (Auslands-) Straftaten waren bereits Gegenstand eines (vom Appelationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 30.Juni 1982 bestätigten) verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichtes Basel-Stadt vom 26.Jänner 1982, 828/81, gewesen, mit dem B***, auch wegen des Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs (Art. 93 Z 2 Abs. 1 des schweizerischen Straßenverkehrsgesetzes), rechtskräftig zu 2 1/2 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Der gänzlichen Vollziehung dieser Freiheitsstrafe, in welche die Sicherheitshaft ab dem 10.September 1981, 14,10 Uhr, eingerechnet worden war, hat sich der Verurteilte am 15.August 1982 durch Flucht entzogen (ON 12, 13, 15, 28).

In der Zeit vom 19.März 1983 bis zum 22.März 1985 befand sich B*** in Griechenland in Haft, wo er mit dem zuvor angeführten Urteil des Oberlandesgerichtes Athen wegen des Erwerbs von 122 g Haschisch und wegen des Mit-sich-Tragens einer verbotenen Waffe zu 4 1/2 Jahren Gefängnis und zu 50.000 Drachmen Geldstrafe verurteilt wurde; die Untersuchungshaft vom 19.März 1983 bis zum 20.Jänner 1984 wurde ihm dabei angerechnet (ON 47). Aus einer Note der Staatsanwaltschaft des Berufungsgerichtes Athen ergibt sich, daß die am 20.Jänner 1984 in Vollzug gesetzte Freiheitsstrafe mit dem (unübersetzt im Akt erliegenden) Beschluß des Berufungsgerichtes Athen vom 18.Juli 1984, Nr. 232, auf drei Jahre verkürzt wurde (ON 41, S 3 m). Am 22.März 1985 wurde Martin B*** von den griechischen Behörden nach Österreich überstellt und hier unmittelbar nach seinem Eintreffen um 17,45 Uhr zum Verfahren 35 Vr 1185/85 des Landesgerichtes Innsbruck in Verwahrungs- sowie in der Folge in Untersuchungshaft genommen (ON 50, 52, 55). Ein Verfolgungsantrag gegen ihn wegen der in Griechenland begangenen Straftaten wurde in diesem Verfahren nicht gestellt (S 1 i und s). Das eingangs bezeichnete Urteil des Landesgerichtes Innsbruck steht in mehrfacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Zu I.1.: Bei der Bedachtnahme auf das Urteil des Oberlandesgerichtes Athen vom 20.Jänner 1984 gemäß § 31 StGB hätte im Rahmen des § 40 StGB die Strafherabsetzung mit dem Beschluß des Berufungsgerichtes Athen Nr. 232 vom 18.Juli 1984 von viereinhalb auf drei Jahre berücksichtigt werden müssen.

Zu I.2.: Die Anrechnung einer Vorhaft (§ 38 StGB) gleichwie einer im Ausland erlittenen Strafe (§ 66 StGB) setzt nach dem klaren Gesetzeswortlaut - aber auch schon logisch - die Verhängung einer Strafe (im Inland) voraus, die durch die Anrechnung verkürzt wird. Die dem Ausspruch über das Absehen von der Verhängung einer Zusatzstrafe (§ 40 letzter Satz StGB) beigefügte, offenkundig darauf gemünzte (US 5, 11) "Anrechnung" einer "Vorhaft" war daher schon deswegen insgesamt völlig verfehlt.

Darüber hinaus kam eine Anrechnung speziell der von Martin B*** in Griechenland erlittenen Strafe (einschließlich der dort eingerechneten Untersuchungshaft) gemäß § 66 StGB auch deshalb nicht in Betracht, weil die damit bestraften Auslandstaten - wodurch die Anwendung der §§ 31, 40 StGB ja überhaupt erst ermöglicht wurde - nicht Gegenstand des vorliegenden Inlandsverfahrens waren; einer Anwendung des § 38 StGB in Ansehung der in Griechenland erlittenen Vorhaft aber stand deren Anrechnung auf die teilverbüßte Auslandsstrafe entgegen.

Zu I.3.: Anstatt dieser rechtlich verfehlten und faktisch obsoleten Haftanrechnung wären vielmehr die im Inlandsverfahren erlittene Verwahrungs- und Untersuchungshaft (gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB) sowie die in der Schweiz (zum Teil durch die Anrechnung der dortigen Vorhaft) teilverbüßte Freiheitsstrafe (gemäß § 66 StGB) auf die nach § 12 Abs. 4 SuchtgiftG verhängte (bedingt nachgesehene) Verfallsersatz-Geldstrafe anzurechnen gewesen. Angesichts des Verhältnisses der zuletzt relevierten Haftdauer von mehr als 11 Monaten zur Dauer der für die Verfallsersatz-Geldstrafe bestimmten Ersatzfreiheitsstrafe von (nur) 3 Monaten hätte sich dabei eine Reduzierung des Anrechnungszeitraums nach § 66 StGB auf einen der Relation der identen Straftaten aus den Urteilen des Strafgerichtes Basel-Stadt und des Landesgerichtes Innsbruck zu dem vom Schuldspruch des Schweizer Gerichtes miterfaßten Delikt nach § 93 Z 2 Abs. 1 des schweizerischen Straßenverkehrsgesetzes entsprechenden angemessenen Teil (vgl. SSt. 49/66 ua) erübrigt.

Zu II.: Für eine bedingte Strafnachsicht nach § 265 StPO schließlich war - ebenso wie (lt. Pkt. I.2.) für eine Vorhaft- oder Strafen-Anrechnung - keinerlei Raum, weil das Schöffengericht über den Angeklagten gar keine Freiheitsstrafe verhängt hat. Da die Berechnung der zeitlichen Voraussetzungen nach § 46 StGB an Hand der im Ausland verhängten (und verbüßten) Strafen in Verbindung mit der Bestimmung einer Probezeit und der Bestellung eines Bewährungshelfers den Eindruck erweckt, daß es dabei von der Annahme eines möglichen Vollzuges der ausländischen (Rest-) Strafen im Inland im Weg eines Widerrufs der bedingten Strafnachsicht ausging, sei überdies zur Klarstellung vermerkt, daß eine Anwendung des § 265 StPO nach dem unmißverständlichen Wortlaut und Sinn des Gesetzes ausschließlich mit Bezug auf diejenigen Freiheitsstrafen in Betracht kommt, die vom jeweils erkennenden (inländischen) Gericht verhängt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren in Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wie im Spruch festzustellen und, soweit sie sich zum Nachteil des Verurteilten auswirken könnten (Pkte. I.3. und II.: mangelnde Haftanrechnung - im Fall eines Widerrufs der bedingten Nachsicht der Verfallsersatz-Geldstrafe; Beschränkungen durch die angeordnete Bewährungshilfe und durch die faktische Androhung des Vollzuges der ausländischen Rest-Strafen), nach § 292 letzter Satz StPO zu beheben; dabei war die obsolete Vorhaftanrechnung (Pkt. I.2.) anläßlich der Neuformulierung des Ausspruchs nach § 38 StGB zu eliminieren.

Anmerkung

E08669

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0100OS00088.86.0630.000

Dokumentnummer

JJT_19860630_OGH0002_0100OS00088_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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