TE OGH 1986/7/30 7Ob624/86

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Veröffentlicht am 30.07.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Klinger, Dr. Egermann und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Christian W***, geboren am 14. Oktober 1983, in Pflege der Mutter Erika W***, Wien 12., Wienerbergstraße 16-20/32/2, vertreten durch das Bezirksjugendamt für den 4. und 5. Bezirk, Wien 4., Favoritenstraße 18, dieses vertreten durch Dr. Walter Schuppich, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Erwin R***, Wien 17., Rokitanskygasse 11/12, vertreten durch Dr. Elisabeth Stanek-Noverka, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung der unehelichen Vaterschaft, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 10. April 1986, GZ 43 R 2027/86-76, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 12. Dezember 1985, GZ 10 C 64/83-67, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil und das Urteil des Erstgerichtes ON 67 werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens wird gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen sein.

Text

Begründung:

Der am 14. Oktober 1983 von Erika W*** unehelich geborene Kläger begehrt die Feststellung der Vaterschaft des Beklagten, da dieser seiner Mutter in der kritischen Zeit (16. Dezember 1982 bis 16. April 1983) beigewohnt habe.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Er wendet ein, er habe Erika W*** erst Ende Februar 1983 kennengelernt und habe ihr in der kritischen Zeit nicht beigewohnt.

Das Erstgericht gab der Klage statt und traf folgende

Feststellungen:

Der Beklagte lernte Erika W*** am 15. Februar 1983

kennen. Beide besuchten noch am selben Abend gemeinsam ein Faschingsfest. Nach Ende dieses Festes suchten sie gemeinsam die Wohnung des Beklagten auf. Dort kam es zum Geschlechtsverkehr, wobei keinerlei Verhütungsmittel verwendet wurden.

In der Folge trafen Erika W*** und der Beklagte einander mehrere Male, wobei sie auch mehrmals miteinander geschlechtlich verkehrten. Mit anderen Männern hatte die Kindesmutter dagegen zwischen dem 16. Dezember 1982 und dem 16. April 1983 keinen Geschlechtsverkehr. Als die Regelblutung Erika W***

ausblieb - die letzte hatte sie zwischen 21. Jänner und 27. Jänner 1983 -, konsultierte sie eine Ärztin, die sie zu einem Schwangerschaftstest verwies. Erika W*** besuchte ihre Ärztin Dr. Eva S*** am 11. März 1983. Die Schwangerschaft wurde am 17. März 1983 festgestellt. als Geburtstermin wurde zunächst der 2. November 1983 errechnet. Am 17. März 1983 endeten auch die Beziehungen zwischen der Kindesmutter und dem Beklagten.

Am 19. Juli 1983 suchte Erika W*** die Zweite Frauenklinik im AKH auf, der behandelnde Arzt war Dr. Peter C***. Auf Grund einer Ultraschalluntersuchung wurde die 23.

oder 24. Schwangerschaftswoche eruiert, gerechnet ab dem 1. Tag der letzten Regelblutung. Der Geburtstermin wurde daraufhin auf den 28. Oktober 1983 berichtigt. Wegen einer drohenden Frühgeburt erfolgte am 26. September 1983 eine neuerliche Aufnahme.

Am 14. Oktober 1983 wurde der Kläger geboren, er war 3000 g schwer und 48 cm groß, sohin reif und gesund. Auf Grund der klassischen Blutgruppen (Erika W*** B, Kläger O, Beklagter A 1), der Rhesusfaktoren, der übrigen Blutfaktoren, der Serumeigenschaften, der Enzymsysteme, der Serumeigenschaft Bf der iso-elektrischen Fokussierung des Enzym-Systems der Phosphoglukomutase, des Serum-Systems Gc und nach der HLA-Merkmalsverteilung kann der Beklagte von der Vaterschaft nicht ausgeschlossen werden. Nach den vorliegenden serologischen Gutachten (ON 17 und ON 61) ist für Nicht-Väter eine Ausschlußmöglichkeit von 99,9 % gegeben. Die Vaterschaftswahrscheinlichkeit beträgt nach der Methode Essen-Möller und Hummel 99,99 %. Dies ergibt eine Beurteilung "Vaterschaft, praktisch erwiesen".

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, dem Beklagten sei eine Entkräftung der Vermutung des § 163 Abs 1 ABGB nicht gelungen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Die vom Beklagten gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die nach Meinung des Beklagten deshalb gegeben sei, weil das Erstgericht die in der Tagsatzung vom 23. Oktober 1985

gestellten Beweisanträge auf Einholung eines Tragzeitgutachtens (zum Beweis dafür, daß der Beklagte auf Grund der Schwangerschaftsdauer und der Angaben des Zeugen Dr. Peter C*** als Vater auszuschließen sei) und eines Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. H*** (zum Beweis dafür, daß der Beklagte die Blutgruppe O nicht vererben könne) zurückgewiesen habe, liege nicht vor. Ergebe das serologische Gutachten eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,99 %, sei die Ablehnung weiterer Beweisanbote durch das Erstgericht ohne Verletzung des das Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes gerechtfertigt.

Einem Tragzeitgutachten komme gegenüber einem serologischen Gutachten die geringere Aussage- und Beweiskraft zu. Bei der vorliegenden hohen Wahrscheinlichkeit von 99,99 % nach dem serologischen Gutachten hätte die Vaterschaft des Beklagten durch die Einholung eines Tragzeitgutachtens nicht widerlegt werden können. Der Beklagte führe nicht näher aus, weshalb er die Blutgruppe O nicht vererben könne. Es sei nicht erfindlich, aus welchen Gründen der Beklagte diese Behauptung aufstelle und aufrecht erhalte. Der Vorwurf der unrichtigen Beweiswürdigung und unrichtigen Tatsachenfeststellung sei unbegründet.

Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes aus den Revisionsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, es aufzuheben und die Rechtssache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

Nicht gerechtfertigt sind allerdings die Revisionsausführungen, soweit sie sich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen und den von diesen als erwiesen angenommenen Sachverhalt wenden; denn die Beweiswürdigung der Vorinstanzen ist auch auch im Verfahren auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft nicht revisibel (EFSlg. 46.702). Es gehört auch zur Beweiswürdigung, wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, das vorliegende serologische Gutachten könne mit Rücksicht auf sein Ergebnis durch ein Tragzeitgutachten nicht widerlegt werden (vgl. EFSlg. 44.108), zumal dem Berufungsgericht darin beizupflichten ist, daß dem Tragzeitgutachten gegenüber dem serologischen Gutachten nur ein beschränkter Beweiswert zukommt (EFSlg. 43.305).

Bemerkt sei in diesem Zusammenhang, daß Dr. Peter C*** bei seiner Vernehmung als Zeuge AS 174 angegeben hat, er könne auf Grund der Reife des klagenden Kindes sagen, daß die Schwangerschaft länger als 37 Wochen gedauert hat (und das Kind ausgetragen wurde), errechnet ab dem 1. Tag der letzten Regel. Da sich danach ein Geburtstermin nach dem 7. Oktober 1983 ergäbe und die Geburt des Klägers tatsächlich am 14. Oktober 1983 erfolgte, ist nicht zu erkennen, wies die vom Berufungsgericht auf Seite 4/5 seiner Entscheidung angestellten Berechnungen mit der Aussage des Zeugen Dr. Peter C*** nicht in Einklang zu bringen sein sollen.

Berechtigt dagegen ist der Vorwurf, das Verfahren der Vorinstanzen sei mangelhaft geblieben, weil sie eine Ergänzung des serologischen Gutachtens abgelehnt hätten.

Der Beklagte führt hiezu aus, er könne wenn seine Blutgruppe (deren Phänotyp) A1, die der Mutter B und jene des klagenden Kindes O sei, nur dann der Vater des Klägers sein, wenn der Genotyp sowohl bei ihm als auch bei der Mutter gemischt sei und jeweils auch ein Allel O aufweise. Auf Grund der Zusammensetzung der Blutgruppen in seiner Familie wisse der Beklagte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, daß in seiner Konstellation kein gemischter Genotypus mit der Blutgruppe O vorhanden sein könne. Es sei daher überaus unwahrscheinlich, daß er der Vater des minderjährigen Klägers sein könne.

Das Berufungsgericht hat die Einholung eines Ergänzungsgutachtens in dieser Richtung abgelehnt, weil nicht erfindlich sei, aus welchen Gründen der Beklagte die Behauptung, er könne die beim klagenden Kind festgestellte Blutgruppe O nicht vererben, aufstelle. Da allerdings beim Vaterschaftsverfahren der Untersuchungsgrundsatz herrscht, wäre es dem Erstgericht oblegen gewesen, den Beklagten zu jenen Behauptungen anzuleiten, die er nunmehr in der Revision dargelegt hat. Gewiß ist die Bekämpfung einer auf der Grundlage eines eingeholten Gutachtens getroffenen Sachverhaltsfeststellung auch im Abstammungsverfahren vor dem Revisionsgericht versagt, wenn die Ablehnung eines Beweisantrages auf Einholung eines weiteren Gutachtens auf der in den Entscheidungsgründen der Tatsacheninstanzen zum Ausdruck gebrachten Überzeugung von der Richtigkeit des eingeholten Gutachtens beruht (EFSlg. 46.703). Doch liegt dieser Fall nicht vor; das Berufungsgericht hat vielmehr die (wissenschaftlichen) Grundlagen des Antrages des Beklagten, wie es selbst zum Ausdruck bringt, nicht erkannt. Geht der Untersuchungsgrundsatz aber auch nicht so weit, daß jeder erdenkliche Beweis aufgenommen werden müßte, liegt doch seine Anwendung im pflichtgemäßen richterlichen Ermessen. Werden die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens verkannt, stellt die Aufnahme weiterer Beweise einen - im Abstammungsverfahren auch vom Revisionsgericht zu beachtenden - Verfahrensmangel dar (EFSlg. 41.779, 46.703).

Die Notwendigkeit, im klassischen Blutgruppensystem - wie vom Beklagten in der Revision dargelegt - zwischen den Phänotypen (dem Sichtbild) und den Genotypen, die einen Ausschluß bedingen können, aus dem ermittelten Phänotyp aber nicht erkennbar sind, jedoch - wenn auch nur in Einzelfällen - durch eine Untersuchung der Eltern des Probanden bestimmt werden können, zu unterscheiden, wird in verschiedenen Abhandlungen (wie den vom Beklagten mit der Revision vorgelegten Beilagen ./2 und 3./) erörtert, wobei insbesondere etwa hinzuweisen ist auf die Abhandlung von Sorgo. Die Erhöhung der Vaterschaftsausschlußchance durch indirekte Genotypenbestimmung mittels Familienuntersuchung, RZ 1971, 109 ff.

Das vorliegende Sachverständigengutachten enthält zwar keinen Hinweis dafür, daß sich für den Beklagten durch Bestimmung des Genotyps mittels Familienuntersuchung die Möglichkeit eines Ausschlusses von der Vaterschaft ergebe. Mag die Wahrscheinlichkeit, aus der Elternpaarung den Genotyp zu erkennen, aber auch nur gering sein (Sorgo aaO 111), gibt sie doch die Möglichkeit, einen nicht direkt von der Vaterschaft ausgeschlossenen Mann, dessen Phänotyp bereits bekannt ist, durch Bestimmung des Genotyps mittels Familienuntersuchung ausschließen zu können. Daß der Beklagte mit der Blutgruppe (Phänotyp) A1 zu jenen Personen gehört, die bei Vorliegen bestimmter Genotypen mit Rücksicht auf die Blutgruppe der Mutter (B) und des Kindes (O) nicht als Erzeuger in Frage kommen, wird bei Sorgo aaO, 110, Tabelle 1, ausdrücklich aufgezeigt. Haben deshalb die Vorinstanzen den Antrag des Beklagten, das serologische Gutachten durch indirekte Genotypenbestimmung mittels Familienuntersuchung - im konkreten Fall (bloß) der klassischen Blutgruppen der Eltern des Beklagten - zu ergänzen, abgelehnt, geschah dies in Verkennung der hiedurch für den Beklagten sich eröffnenden Ausschlußchance und damit der Grenzen pflichtgemäßen Ermessens, sodaß das Verfahren der Vorinstanzen mangelhaft geblieben ist.

Dem Revisionsrekurs war aus diesem Grunde Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

Anmerkung

E08791

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0070OB00624.86.0730.000

Dokumentnummer

JJT_19860730_OGH0002_0070OB00624_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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