TE OGH 1986/9/10 9Os121/86

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Veröffentlicht am 10.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.September 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Hörburger, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Weitzenböck als Schriftführer in der Strafsache gegen Johann Z*** wegen des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 21. Oktober 1985, GZ 21 a Vr 100/85-59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 20jährige Johann Z*** des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB schuldig erkannt, weil er am 9.Jänner 1985 in Böckstein sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu habe hinreißen lassen, seinen Vater Johann Z*** sen. durch ein aus einem Gewehr abgefeuertes Teilmantelprojektil zu töten.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus den Z 5 und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist im Ergebnis begründet.

Auszugehen ist vorliegend davon, daß die Tatrichter, obwohl sie von einem rechtswidrigen Angriff des Johann Z*** sen. sowohl gegen seine Frau als auch gegen den Angeklagten ausgingen (vgl. US 43 und 45) und in Ansehung der Marianne Z***, der Gattin des Opfers, sogar konzedierten, der Angriff habe sich gegen ein notwehrfähiges Rechtsgut, nämlich die Gesundheit bzw. körperliche Unversehrtheit der Genannten gerichtet (vgl. US 45), verabsäumten, zusätzlich jene durch die genannten Feststellungen und die Ergebnisse des Beweisverfahrens (zwangsläufig) indizierten (weiteren) Konstatierungen zu treffen, die es ermöglichten, die durch die gegebene Fallkonstellation eröffneten Rechtsfragen - Notwehr bzw. Nothilfe? Notwehrüberschreitung? Affektlage bei dieser? - mit Sicherheit zu beantworten und damit das Tatgeschehen abschließend zu beurteilen. Insbesondere läßt das Urteil substantielle Ausführungen über Art und Intensität der gegen den Beschwerdeführer und dessen Mutter geführten Angriffe sowie auch darüber vermissen, wie diese vom Beschwerdeführer eingeschätzt wurden, welche Nachteile der Mutter und ihm drohten und welcher Art der "Affektzustand" (US 9 unten) im Zeitpunkt der Schußabgabe war. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang auch, was das Erstgericht mit seinen die "Angst" des Beschwerdeführers betreffenden Konstatierungen (vgl. US 8 und 40) in tatsächlicher Hinsicht zum Ausdruck bringen wollte, das heißt also insbesondere, welcher Zusammenhang seiner Ansicht nach zwischen diesem Affekt und dem Tatverhalten bestand.

Da alle diese eine erschöpfende Beantwortung der gegebenen Rechtsfragen hindernden Mängel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden können, die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung mithin unumgänglich ist, war bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung mit einer Kassierung des Schuldspruchs vorzugehen (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Aus Anlaß der im Ersturteil enthaltenen Rechtsausführungen - die im übrigen zum Teil am Kern dessen vorbeigehen, was für die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts entscheidend ist - erscheint für das fortgesetzte Verfahren der Hinweis angebracht, daß bei der Notwehr (Nothilfe) Verhältnismäßigkeit zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und dem durch die Gegenwehr verletzten Rechtsgut grundsätzlich nicht gefordert wird, sofern es nicht offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist (§ 3 Abs. 1 zweiter Satz StGB). Hiebei wird aber auf Nachteile mit typischem Bagatellcharakter abgestellt, wogegen dann, wenn ein Angriff Verletzungsfolgen im Sinne des § 83 StGB, also Körperverletzung oder Gesundheitsschädigungen, besorgen läßt, der Angegriffene zur Notwehr berechtigt ist (vgl. Leukauf-Steininger Komm. 2 § 3 RN 78, 88 und 89). Andererseits darf die Abwehr nach dem Gesetz nur in der notwendigen Verteidigung bestehen, ein Rechtsgut des Angreifers grundsätzlich also nur insoweit verletzt werden, als dies im konkreten Fall zur Abwehr des Angriffs erforderlich ist. Das Maß der Abwehr bestimmt sich hiebei regelmäßig nach der Art und Intensität des abzuwehrenden Angriffs, nach der Gefährlichkeit des Angreifers und nach den zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mitteln, wobei unter Umständen auch gegen den händisch geführten Angriff eines physisch überlegenen Gegners Waffengebrauch dem Grundsatz der Angemessenheit entsprechen kann (vgl. abermals Leukauf-Steininger aaO RN 81 ff).

Sollte das Gericht zur Ansicht gelangen, daß sich der Angeklagte zwar in einer Notwehrsituation befand, er das Maß der gerechtfertigten Verteidigung aber überschritt oder er sich überhaupt einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bediente, somit ein Fall von Notwehrüberschreitung vorliegt, wird - worauf bereits einleitend hingewiesen wurde - zu klären sein, welcher psychische Zustand des Beschwerdeführers zu dieser Überschreitung führte, ob also ein sthenischer oder asthenischer Effekt vorlag (vgl. Leukauf-Steininger aaO RN 90 ff).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Kassierung des Schuldspruchs zu verweisen.

Anmerkung

E09075

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0090OS00121.86.0910.000

Dokumentnummer

JJT_19860910_OGH0002_0090OS00121_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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