TE OGH 1986/9/15 11Os83/86

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Veröffentlicht am 15.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.September 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kastner als Schriftführer in der Strafsache gegen Christian P*** wegen des Vergehens der versuchten Täuschung nach den §§ 15, 108 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 2. April 1986, GZ 5 a Vr 22/86-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Bassler, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Baumgärtel zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin Folge gegeben, daß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wird. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 21.Dezember 1968 geborene (Jugendliche) Christian P*** des Vergehens der versuchten Täuschung nach den §§ 15, 108 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt (nach dem Inhalt des Schuldspruches) zur Last, am 2. Dezember 1985 in Wien dadurch versucht zu haben, dem Staat in seinem Recht, Fahrzeuge, welche die materiellen Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllen und nicht ordnungsgemäß haftpflichtversichert sind, vom öffentlichen Straßenverkehr auszuschließen, absichtlich einen Schaden zuzufügen, daß er Organe der öffentlichen Straßenverkehrsaufsicht durch Täuschung über Tatsachen, nämlich über die Zulassungsverhältnisse seines Fahrzeuges, zu einer Unterlassung, und zwar zur Unterlassung des Einschreitens, zu verleiten trachtete, indem er an seinem lediglich als Motorfahrrad zugelassenen und haftpflichtversicherten Fahrzeug "Vespa 50" die Auspuffanlage veränderte, einen größeren Vergaser einbaute und mit diesem Fahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilnahm.

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil im Schuldspruch mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 9 lit. a und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt teilweise Berechtigung zu.

Der Beschwerdeführer macht nämlich im Ergebnis zu Recht geltend, daß die in erster Instanz getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht zu tragen vermögen.

Der Gesamtheit der (mit dem Urteilsspruch nicht völlig übereinstimmenden) Urteilsgründe ist zu entnehmen, daß der Angeklagte an seinem als Moped (Motorfahrrad) ordnungsgemäß zugelassenen Fahrzeug nachträglich durch Einbau eines nicht typengemäßen Vergasers und Auspuffs technische Veränderungen vornahm, die es ihm erlaubten, mit dem Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 60 km/h zu erreichen. Noch vor dem 2.Dezember 1985 (Tattag) wurde ihm bewußt, daß er für die Lenkung dieses Kraftrades einen Führerschein benötigt und das Fahrzeug die Zulassungsvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt, weil die Handbremse nicht funktionierte (siehe S 47 und 48 dA). Er nahm trotz dieser ihm bekannten Umstände am Straßenverkehr in Wien teil, wollte die Straßenaufsichtsorgane über die Fahrzeugbeschaffenheit täuschen und versuchte, sich der polizeilichen Überprüfung - Polizeibeamte waren auf ihn wegen Mißachtung von Verkehrsvorschriften aufmerksam geworden - durch Flucht zu entziehen (S 48 unten dA). Der Angeklagte wollte dem Staat in seinem Recht, solche Fahrzeuge vom öffentlichen Verkehr auszuschließen, dadurch einen Schaden zufügen, "daß er sie (gemeint offensichtlich: die Polizeiorgane) zur Unterlassung des Einschreitens zu verleiten suchte" (S 49 oben dA).

Wer mit einem auf Grund des angebrachten Kennzeichens (§ 49 Abs. 4 KFG) sichtbar als Moped zugelassenen Fahrzeug am öffentlichen Verkehr teilnimmt, erweckt den Eindruck, daß das Kraftrad (§ 2 Z 4 KFG) tatsächlich den technischen Eigenschaften eines Motorfahrrades (§ 2 Z 14 KFG) - und nicht etwa eines Motorrades (§ 2 Z 15 KFG) oder eines Kleinmotorrades (§ 2 Z 15 a KFG) - entspricht, zu dessen Lenkung es einer (beschränkten) Lenkerberechtigung nicht bedarf (§§ 64 Abs. 1 und 4, 65 Abs. 1 KFG). Die Benützung eines infolge technischer Veränderungen den ursprünglichen Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr entsprechenden Motorfahrrades im Verkehr ist daher grundsätzlich objektiv zur Täuschung von Straßenaufsichtsorganen geeignet.

Entscheidend ist aber, ob der Angeklagte dabei in der Absicht handelte, den Staat in einem konkreten - hier aus den Bestimmungen der §§ 44 Abs. 1 lit. a, 58 Abs. 1 iVm 57 Abs. 8 KFG (wegen mangelnder Verkehrs- und Betriebssicherheit) oder des § 102 Abs. 12 lit. f KFG (wegen Fehlens der Lenkerberechtigung)

ableitbaren - Recht zu schädigen. Dazu finden sich im angefochtenen Urteil keine hinreichenden Feststellungen, zumal auch die Annahme des Jugendschöffengerichtes, der Angeklagte habe sich durch den erwähnten Fluchtversuch "einer Überprüfung seines Fahrzeuges, wohl wissend, daß dadurch die Manipulationen am Fahrzeug entdeckt würden, entziehen wollen" (S 48 unten dA), nicht eindeutig so zu interpretieren ist. Sie sagt nämlich nichts darüber aus, ob es dem Angeklagten über das - an sich naheliegende - Bestreben hinaus, einer zu erwartenden Bestrafung zu entgehen, gerade darauf ankam (§ 5 Abs. 2 StGB), etwa die sofortige Maßnahme des Verbotes der Weiterfahrt und der Abnahme der Kennzeichentafeln zu verhindern (ZVR 1984/343, 11 Os 39/85). Wäre es aber dem Angeklagten nur darum zu tun gewesen, den Staat an der Ausübung seiner Strafgewalt zu hindern, käme eine Subsumtion seines Verhaltens unter den Tatbestand des § 108 StGB nicht in Betracht (vgl. ZVR 1986, Nr. 100 und 101 sowie die in diesen Entscheidungen zitierte weitere Judikatur und Literatur). Eine solche rechtliche Einordnung hätte vielmehr zur Voraussetzung, daß der Angeklagte über das ius puniendi hinausgreifende konkrete Rechte des Staates zu schädigen beabsichtigte.

Aus all dem ergibt sich, daß das Urteil mit einem Feststellungsmangel behaftet ist, der - entgegen der Auffassung der Generalprokuratur - seine Nichtigkeit nach der Z 9 lit. a des § 291 Abs. 1 StPO bewirkt.

Dagegen unterlief dem Erstgericht in der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 42 StGB vorliegen, kein Fehler. Berücksichtigt man nämlich die Gefahren, die mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen ohne die hiezu erforderliche, den Nachweis entsprechender theoretischer und praktischer Kenntnisse voraussetzende Lenkerberechtigung im Straßenverkehr für andere - vor allem in gesundheitlicher Hinsicht - verbunden sind, so kann bei der bestehenden Verdachtslage von einem erheblichen Zurückbleiben des Unrechts- und Schuldgehaltes der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat gegenüber dem von der Strafnorm des § 108 StGB üblicherweise erfaßten und damit von einer nur geringen Schuld iS des § 42 Abs. 1 Z 1 StGB nicht mehr die Rede sein (siehe ZVR 1984/343 ua). Da die Voraussetzungen des § 42 StGB kumulativ vorliegen müssen, braucht demnach auf die - vom Erstgericht bejahte - Frage, ob nach Lage des Falles eine Bestrafung auch aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen geboten war (§ 42 Abs. 1 Z 3 StGB), nicht mehr eingegangen zu werden.

Insgesamt war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 3 letzter Satz StPO wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Mit seiner durch die Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E09464

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0110OS00083.86.0915.000

Dokumentnummer

JJT_19860915_OGH0002_0110OS00083_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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