TE OGH 1986/9/16 14Ob134/86

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Veröffentlicht am 16.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Kuderna, Dr. Gamerith und Dr. Riedler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Susanne L***, Angestellte,

St. Pölten-Spratzern, Völtendorfer Straße 8, vertreten durch Dr. Peter Panovsky, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1.) Fa. P*** & R***, 2.) Maria R***-P***,

3.) Leopold R***, 4.) Brigitte R***,

2.)-4.) Gesellschafter, alle St. Pölten, Riemerplatz 1 und vertreten durch Dr. Herbert Hofbauer und Dr. Peter Krömer, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 101.603 brutto sA (Streitwert im Rekursverfahren S 95.095), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Kreisgerichtes St. Pölten als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 17. Dezember 1985, GZ. 7 Cg 11/86-37, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes St. Pölten vom 14. Mai 1985, GZ. Cr 79/84-32, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Zurückweisungsbeschluß des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und diesem die sachliche Erledigung der Berufung aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, soweit es auf Bezahlung von S 95.095.-- brutto sA an Überstundenentlohnung gerichtet war, mit der Begründung ab, die Klägerin habe sämtliche geleisteten Überstunden bezahlt erhalten. Zudem wäre ein Anspruch auf Überstundenentlohnung mangels Geltendmachung innerhalb von vier Monaten nach dem Tage der Überstundenleistung gemäß § 5 Z 11 des Kollektivvertrages für Angestellte bei Fleischern (im folgenden kurz: KV) erloschen.

Die Klägerin erhob gegen den abweisenden Teil des Ersturteils Berufung mit dem Antrag, ihrem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben, machte als Berufungsgründe unrichtige rechtliche Beurteilung und unrichtige Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung geltend und kündigte an, diese Berufungsgründe bei der mündlichen Berufungsverhandlung auszuführen. Dabei werde sie unter anderem die Rechtsansicht vertreten, daß ihr die im angefochtenen Urteil erwähnte kollektivvertragliche Verfallsklausel schon allein deshalb nicht schaden könne, weil diese zu einer krassen Benachteiligung von Arbeitnehmern führen könne und damit wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei.

Nach dem Inhalt des Protokolls der mündlichen Berufungsverhandlung erklärte dort der Klagevertreter, mangels Information nicht mehr vorbringen zu können, als in der Berufung stehe; jedenfalls spreche er sich gegen die Verlesung der Protokolle über die in erster Instanz aufgenommenen Beweise aus. In einem Widerspruch gegen dieses Protokoll brachte der Klagevertreter vor, daß er formell nicht zum Vortrag der Berufung aufgefordert worden sei und erklärt habe, daß er "nicht viel mehr wisse", als in der Berufung stehe.

Das Berufungsgericht wies die Berufung der Klägerin zurück. Der Anführung von Berufungsgründen sowie des tatsächlichen Vorbringens und der Beweismittel hiefür habe es in der Berufungsschrift zwar nicht bedurft. In einem solchen Falle müßte aber der Berufungswerber in der über die Berufung anzuordnenden Berufungsverhandlung einen Beschwerdegrund geltend machen, wenn die Berufung überhaupt Erfolg haben solle. Denn dort, wo sich der Rechtsmittelwerber durch keinen Verstoß oder Fehler des Erstgerichtes beschwert erachte, sei ihm auch im Berufungsverfahren arbeitsrechtlicher Streitigkeiten kein Beschwerdeinteresse zuzuerkennen (Arb. 6.616).

Die Klägerin habe weder in der Berufungsschrift, noch in der mündlichen Berufungsverhandlung ausgeführt, welche Feststellungen des Erstgerichtes sie als unrichtig bekämpfe, sondern sich mit der inhaltsleeren Bezeichnung der Beschwerdepunkte begnügt. Mit dem Vorbringen, daß die kollektivvertragliche Verfallsklausel sittenwidrig sei und ihr deshalb nicht schaden könne, habe die Klägerin den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil das Erstgericht als erwiesen angenommen habe, daß die Klägerin sämtliche von ihr geleisteten Überstunden auch bezahlt erhalten habe. Der in der Berufung geltend gemachten Rechtsfrage (Sittenwidrigkeit des § 5 Z 11 KV) komme somit keine Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs der Klägerin (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO iVm § 23 ArbGG) ist im Ergebnis berechtigt.

Das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren ist (derzeit noch;

siehe aber Feitzinger-Tades, ASGG, FN 1 zu § 63) im Gegensatz zum Berufungsverfahren nach der ZPO kein bloßes Überprüfungsverfahren;

vielmehr ist in den durch die Parteianträge gezogenen Grenzen nach den Bestimmungen über das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz von neuem zu verhandeln. Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren sind also - unabhängig davon, ob die Parteien in den Berufungsschriften oder in der Berufungsverhandlung die Feststellungen des Erstgerichtes bekämpft haben, grundsätzlich alle Beweise noch einmal aufzunehmen, wobei das Gesetz freilich die Erleichterung gewährt, daß die Protokolle über die in erster Instanz aufgenommenen Beweise - ähnlich wie seit der ZVN 1983 auch im Berufungsverfahren nach der ZPO (§§ 281 a, 463 ZPO) - verlesen werden können, soweit das Berufungsgericht nicht eine Beweiswiederholung für erforderlich erachtet oder eine der Parteien Einsprache erhebt (Arb. 9784, 4 Ob 15/81; 4 Ob 6/82; JBl. 1985, 692). Die Bestimmung des § 498 Abs 1 ZPO (wonach das Berufungsgericht seiner Entscheidung unter anderem die im Urteil der ersten Instanz festgestellten, durch die geltend gemachten Berufungsgründe nicht berührten Ergebnisse der Verhandlung und Beweisführung zugrundezulegen hat, soweit sie nicht durch die Berufungsverhandlung selbst eine Berichtigung erfahren) ist somit im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren nicht anzuwenden. Außerdem bestimmt § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG, daß es der Anführung von Berufungsgründen nicht bedarf. In der Berufungsschrift im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren sind das sonst vorgeschriebene tatsächliche Vorbringen und die Beweismittel, durch die die Wahrheit der Berufungsgründe erwiesen werden kann, entbehrlich (SZ 26/10 = Arb 5600). Die Beschwerdegründe können noch in der Berufungsverhandlung vorgebracht werden (Arb 6616). Andererseits steht nach § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG selbst die Säumnis einer Partei der Neudurchführung der Verhandlung nicht im Wege. Im vorliegenden Fall hatte die Rekurswerberin in der Berufung unrichtige Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung als Berufungsgründe genannt und Rechtsausführungen erstattet. In der mündlichen Berufungsverhandlung bezog sie sich auf den Inhalt der Berufungsschrift und sprach sich gegen die Verlesung der Protokolle über die in erster Instanz aufgenommenen Beweise aus.

Damit hat sie ausreichende Beschwerdegründe ausgeführt. Wegen des Neuverhandlungsgrundsatzes, der das Berufungsgericht verpflichtete, alle Beweise unabhängig von bekämpften Feststellungen noch einmal aufzunehmen, war es nicht erforderlich, daß die Berufungswerberin die Beschwerdepunkte zum Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung im einzelnen bezeichnete. Dazu kommt, daß der Klagevertreter durch die Bezugnahme auf die Berufung auch die dort in einem Punkt ausgeführte Rechtsrüge vorgetragen hat. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß diese Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt worden sei, weil es auf die Sittenwidrigkeit der Verfallsklausel nicht ankomme und daher auch in dieser Richtung ein tauglicher Beschwerdegrund, der die sachliche Erledigung der Berufung ermögliche, nicht geltend gemacht worden sei, ist nicht zu folgen. Ob die Rechtsrüge der Klägerin, daß § 5 Z 11 KV eine sittenwidrige und daher nichtige Verfallsklausel enthalte, zu einer Abänderung der Entscheidung des Erstgerichtes führen kann, läßt sich infolge der oben dargestellten Eigenart des arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahrens erst beurteilen, wenn die zweite Instanz zu den ihr erheblich erscheinenden Tatumständen eigene Feststellungen getroffen hat. Würde sie allerdings die Feststellung wiederholen, daß die erstbeklagte Partei das Überstundenblatt der Klägerin seit dem Beginn des Dienstverhältnisses richtig geführt und ihr alle Überstunden ausbezahlt habe, müßte die Rechtsrüge scheitern. Würde das Berufungsgericht hingegen andere Feststellungen treffen, könnte eine Auseinandersetzung mit der in der Berufung geltend gemachten Frage der Sittenwidrigkeit der Verfallsklausel notwendig sein. Dem Berufungsgericht ist daher die sachliche Erledigung der Berufung aufzutragen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E09185

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00134.86.0916.000

Dokumentnummer

JJT_19860916_OGH0002_0140OB00134_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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