TE OGH 1986/10/23 8Ob650/86

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Veröffentlicht am 23.10.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Ernest Joseph P***, Röntgenarzt, 1160 Beach Road, Rosemont, Pa. 19010 USA, vertreten durch Dr.Eduard Stoff, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gertrude P***, Pensionistin, 1200 Wien, Klosterneuburgerstraße 11/19, vertreten durch Dr.Konrad Kuderna, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zahlung von 481,88 S s.A. und Räumung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 7.Mai 1986, GZ 41 R 160/86-24, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 18.Dezember 1985, GZ 49 C 685/84-17, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Bezahlung eines Betrages von 481,88 S s.A. an rückständigen Betriebskosten sowie zur Räumung der von ihr gemieteten Wohnung top.Nr. 19 im Hause 1200 Wien, Klosterneuburgerstraße 11. Der Beklagten sei die Betriebskostennachzahlung für 1983 in der Höhe von 481,88 S ordnungsgemäß vorgeschrieben, von ihr jedoch nicht bezahlt worden. Anläßlich exekutiver Schritte gegen die Beklagte am 8.Oktober 1984 sei die gegenständliche Wohnung über Veranlassung des Gerichtes aufgesperrt worden und die Wohnung in einem katastrophalen Zustand, völlig vernachlässigt und so verschmutzt und verunreinigt vorgefunden worden, daß zum Schutz der übrigen Mieter die Gesundheitsbehörde einschreiten hatte müssen. Die Beklagte habe weiters oft nächtlichen Lärm verursacht, der andere Mieter des Hauses gestört habe.

Die Beklagte wendete ein, die Betriebskostennachforderung für 1983 sei nicht ordnungsgemäß vorgeschrieben worden. Die Wohnung sei weder vernachlässigt noch verunreinigt, Risse in der Wohnung seien dadurch entstanden, daß die Stützmauer in dem Geschäftslokal "Bastlerecke" weggerissen worden sei, und diese Risse trotz Verputzung immer wieder auftreten. Im übrigen sei die der Beklagten vorgeworfene Ruhestörung nicht als ursprünglicher Auflösungsgrund in der Klage geltend gemacht worden.

Das Erstgericht gab der Klage statt, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Der Kläger ist Alleineigentümer des Hauses Klosterneuburgerstraße 11-13, 1200 Wien, die Beklagte Hauptmieterin der Wohnung top.Nr. 19 in diesem Haus und bewohnt die Wohnung derzeit allein. Die Betriebskostennachzahlung für 1983 wurde der Beklagten ordnungsgemäß von der Hausverwaltung vorgeschrieben, sie haftet jedoch nach wie vor unberichtigt aus. Die Beklagte bzw. deren Sohn empfingen oft Besucher, die bis spät in die Nacht blieben, weshalb aus der Wohnung der Beklagten in der Nacht, manchmal auch mehrmals in der Woche Lärm drang, der die anderen Mieter, besonders die unmittelbare Nachbarin Leopoldine S*** in der Nachtruhe störte. Besonders störend empfand die Nachbarin einen Vorfall in der ersten Hälfte des Jahres 1985, als sie um ca 2 Uhr nachts durch Lärm geweckt wurde, als ein Mann in die Wohnung der Beklagten nicht eingelassen wurde. Kurz danach wurde an der Türe der Zeugin S*** "Sturm geläutet". Auf Grund dieses Vorfalles verfaßte die Zeugin S*** ein Schreiben an die Beklagte, in dem sie diese nachdrücklich aufforderte, ihr wiederholtes ruhestörendes Verhalten einzustellen und ihr die Intervention der Funkstreife in Aussicht stellt. Die Wohnung der Beklagten ist seit geraumer Zeit in einem verwahrlosten und abgenützten Zustand. Die Risse in den Wänden im Schlaf- und Wohnzimmer sind jedoch nicht auf das Verschulden der Beklagten, sondern auf Bauarbeiten im darunterliegenden Geschäftslokal zurückzuführen. Die Tapeten im Schlaf- und Wohnzimmer sind jedoch teilweise heruntergerissen und stark fleckig. Die Flügeltüre zum Schlafzimmer ist an beiden Seiten stark abgeschlagen und lange nicht gestrichen worden. Ein Türflügel ist infolge Bautätigkeit in der "Bastlerecke" um ca. 5 cm abgesenkt. Auch die Flügeltüre zwischen Wohn- und Vorzimmer ist stark abgekratzt und weist zahlreiche Flecken auf. Der Nadelfilzboden in Wohn- und Schlafzimmer ist stark abgenützt, weist zahlreiche dunkle Flecken auf, die von einer undefinierbaren Flüssigkeit, möglicherweise Alkohol oder Urin, herrühren. Die Beklagte bezieht seit längerer Zeit keinen Strom mehr und verwendet daher Kerzen als Beleuchtung. Eine Wasserentnahme ist nicht mehr möglich, da beim Waschbecken, das sich im Vorzimmer befindet, weder Wasserzufluß noch Wasserabfluß mehr vorhanden sind. Die Armaturen und der Siphon wurden bereits vor längerer Zeit im Anschluß an einen Wasserrohrbruch entfernt. Der gesamte Fußboden wird als Ablagerungsplatz für Schachteln, Kisten, Kleidungsstücke und andere Gebrauchsgegenstände benützt. Die Wohnung war infolge mangelnder Pflege und schlechter Reinigung durch Jahre hindurch verschmutzt. Im Zeitpunkt des Lokalaugenscheins war die Wohnung zwar teilweise gereinigt, sie zeigte aber deutlich die Spuren jahrelanger Vernachlässigung. Insgesamt hinterläßt sie den Eindruck einer Wohnung, in der es unvorstellbar ist, daß sich eine Person mit durchschnittlichen Wohnbedürfnissen in ihr wohl fühlen kann.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, die Beklagte sei zur Zahlung der noch offenen Betriebskostennachzahlung verpflichtet und es bestünde auch der gemäß § 1118 ABGB geltend gemachte Auflösungsgrund zu Recht. Sowohl die Nichtzahlung der Betriebskosten wie auch das Vorliegen eines sanitären Übelstandes und des unleidlichen Verhaltens der Beklagten rechtfertigten die Auflösung des Bestandvertrages.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten Folge, änderte das Urteil des Erstgerichtes mit Teilurteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens auf Zahlung von 481,88 S s.A. ab und hob es im übrigen unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf. Es sprach aus, daß der von der Aufhebung betroffene Wert des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht jedoch 300.000 S übersteigt. Die zweite Instanz führte aus, der Kläger habe einen Zahlungsrückstand der Beklagten an Betriebskosten nicht nachweisen können, sodaß das diesbezügliche Zahlungsbegehren abzuweisen gewesen sei. Die Auflösungsgründe nach § 1118 zweiter Fall ABGB und des nachteiligen Gebrauches seien vom Kläger nicht hinreichend dargetan worden. Hinsichtlich des Auflösungsgrundes nach § 1118, erster Fall, ABGB, soweit er ein unleidliches Verhalten der Beklagten betreffe, könne die Sache noch nicht abschließend beurteilt werden. Der in § 1118 ABGB als Auflösungsgrund geltend gemachte erhebliche nachteilige Gebrauch könne nach der Rechtsprechung auch in einem unleidlichen Verhalten liegen. Da der Kläger auch unleidliches Verhalten behauptet habe, bewegten sich die diesbezüglichen Feststellungen im Rahmen seines Vorbringens. Diese Feststellungen seien aber noch nicht ausreichend. Das Erstgericht unterlasse es nämlich, die Intensität der einzelnen Lärmbelästigungen, sowie die Zeitpunkte und die Ursachen festzustellen. Es könne daher noch nicht abschließend gesagt werden, ob das Gesamtverhalten der Beklagten auch unter Berücksichtigung des einzelnen Vorfalls in der ersten Hälfte des Jahres 1985 objektiv so schwerwiegende Störungen des Zusammenlebens verursacht habe, daß diese die sofortige Auflösung des Mietverhältnisses rechtfertigten.

Der Rechtskraftvorbehalt beruhe auf den §§ 479 Abs 1, 519 Abs 2 ZPO. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO seien im Hinblick darauf gegeben, daß zur Frage, ob ein unleidliches Verhalten den Auflösungsgrund des nachteiligen Gebrauches erfülle, der Oberste Gerichtshof im Geltungsbereich des MRG, soweit überblickbar, lediglich in der Entscheidung 1 Ob 649/82 vom 30.Juni 1982 (= MietSlg. 34.262) Stellung genommen habe.

Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes wendet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und in der Sache selbst im Sinne der Abweisung des Räumungsbegehrens zu erkennen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist unzulässig.

Gemäß § 519 Abs 2 ZPO darf das Berufungsgericht einen Rechtskraftvorbehalt nach Abs 1 Z 3 nur aussprechen, wenn der Rekurs nicht schon nach § 528 Abs 1 unstatthaft und es die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 ZPO für gegeben erachtet. Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht dadurch als gegeben erachtet, daß zur Frage, ob ein unleidliches Verhalten den Auflösungsgrund des nachteiligen Gebrauches erfülle, der Oberste Gerichtshof im Geltungsbereich des MRG, soweit überblickbar, lediglich in der Entscheidung 1 Ob 649/82 vom 30.Juni 1982 (= MietSlg. 34.362) Stellung genommen habe.

Ein ohne die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 und des § 519 Abs 2 ZPO ausgesprochener Rechtskraftvorbehalt bindet den Obersten Gerichtshof nur bezüglich der Höhe einer zulässigen Wertfeststellung des Berufungsgerichtes; im übrigen, somit auch hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO, ist er an den Ausspruch des Rechtskraftvorbehaltes nicht gebunden und kann den Rekurs trotz des Rechtskraftvorbehaltes wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen für diesen zurückweisen (Fasching, ZP-Recht, Rz 1982).

Der Oberste Gerichtshof hat die Frage, ob unleidliches Verhalten den Tatbestand des erheblichen nachteiligen Gebrauches im Sinne des § 1118, erster Fall, ABGB erfüllt, bereits in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1932 (4 Ob 101/32 und Gerichtshalle 1933, 8) bejaht, ebenso im Jahre 1947 (SZ 21/36) und im Jahre 1982 (MietSlg. 34.262). In der letztgenannten Entscheidung wurde ausgesprochen, daß auch unleidliches Verhalten im Sinne des § 19 Abs 2 Z 3 MG (jetzt § 30 Abs 2 Z 3 MRG), das in einem Kündigungsgrund mit erheblich nachteiligem Gebrauch zusammengefaßt und daher vom Gesetzgeber offenbar als gleichwertig angesehen wird, unter den Tatbestand des § 1118, erster Fall, ABGB zu subsumieren ist. An dieser Auffassung hat der Oberste Gerichtshof in dem nach Inkrafttreten des MRG ergangenen, noch nicht veröffentlichten Entscheidungen 3 Ob 576/85 und 2 Ob 520/86 festgehalten. Die vom Berufungsgericht zur Anwendung des § 1118 ABGB vertretene Meinung entspricht daher der langjährigen einhelligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, die auch nach dem Inkrafttreten des MRG aufrecht erhalten wurde. Soweit ersichtlich, wurde dieser Ansicht von der Lehre nicht widersprochen (vgl. etwa Klang in Klang 2 V 122; Koziol-Welser 7 I 337 und insbesondere Würth in Rummel, ABGB, Rdz 11 zu § 1118). Diese Rechtsfrage kann daher die Zulässigkeit des Rechtskraftvorbehaltes nach den §§ 510 Abs 2, 502 Abs 3 Z 1 ZPO nicht rechtfertigen. Die Beklagte hat aber auch im übrigen in ihrem Rechtsmittel keine Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO aufgezeigt, sondern lediglich die Meinung vertreten, es sei nicht ersichtlich, wie das Erstgericht zu weiteren Feststellungen kommen könnte, nach den vorliegenden Feststellungen sei aber keiner der vom Kläger geltend gemachten Auflösungsgründe nach § 1118 ABGB gegeben. Der Rekurs mußte daher als unzulässig zurückgewiesen werden.

Anmerkung

E09416

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00650.86.1023.000

Dokumentnummer

JJT_19861023_OGH0002_0080OB00650_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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