TE OGH 1987/1/22 8Ob84/86

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Veröffentlicht am 22.01.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann Z***, Angestellter, 4501 Neuhofen, Steyrerstraße 45, vertreten durch Dr.Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien 1.) Helmut W***, Angestellter, 4501 Piberbach, Weifersdorf 34, 2.) E*** A*** Versicherungsanstalt, 4020 Linz, Zollamtsstraße 1, beide vertreten durch Dr.Kurt Keiler, Rechtsanwalt in Steyr, wegen S 455.400,-- s.A. und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 11.September 1986, GZ. 3 R 160/86-25, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 4.April 1986, GZ. 4 Cg 77/84-19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 11.401,18 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin die Barauslagen von S 320,-- und die Umsatzsteuer von S 1.007,38) sowie die mit S 3.352,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 240,-- und die Umsatzsteuer von S 283,--) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 24.Mai 1982 ereignete sich auf der Nettingsdorfer Bezirksstraße bei Straßenkilometer 4,8 ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger mit dem Fahrzeug seiner Dienstgeberfirma und der Erstbeklagte mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW, pol.KZ O 906.711, beteiligt waren. Der Kläger wurde dabei schwer verletzt. Den Erstbeklagten trifft das Alleinverschulden am Unfall; er wurde deswegen auch strafgerichtlich verurteilt. Zur Abgeltung seiner Schadenersatzansprüche begehrte der Kläger den Zuspruch von S 455.400,-- s.A., welchen Betrag er wie folgt errechnete:

Schmerzengeld                         S 450.000,-

täglich anfallende Arbeiten im Haus

für 1984                              S  15.200,--

für 1985                              S  15.200,--

Umbau- und Fertigstellungsarbeiten

am Haus                               S  30.000,--

Verunstaltungsentschädigung für Ver-

hinderung besseren Fortkommens durch

Beinverkürzung und Stimmbeeinträch-

tigung .............................. S  40.000,--

abzüglich Teilzahlung                 S  95.000,--

insgesamt                             S 455.400,--.

Außerdem stellte er ein entsprechendes Feststellungsbegehren. Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendeten unter anderem ein, daß dem Kläger eine Verunstaltungsentschädigung nicht zustehe, weil er am besseren Fortkommen nicht behindert sei.

Das Erstgericht sprach dem Kläger den Betrag von S 405.400,-- s. A. zu und gab dem Feststellungsbegehren statt. Das Mehrbegehren von S 50.000,-- s.A. wurde abgewiesen.

Zu der im Revisionsverfahren allein noch strittigen Ersatzpost der Verunstaltungsentschädigung traf das Erstgericht folgende Feststellungen:

An Dauerfolgen der erlittenen Verletzungen findet sich im Bereiche des Halses des Klägers eine Verschiebung des Kehlkopfgerüstes; es besteht eine Stimmbandschwäche durch mangelhaften Glottisschluß. Bei längerem Sprechen, besonders beim lauten Ausrufen bei Versteigerungen hat der Kläger Beschwerden. Wenn der Kläger längere Zeit laut reden muß, tritt eine Ermüdung ein. Er hat eine leicht heisere Stimme und es wird sich dies kaum ändern. Im Herbst und Winter verschlechtert sich dies noch mehr. Im Bereich des linken Beines besteht eine Verkürzung, die allerdings etwas unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob man vom Nabel oder vom Darmbeinstachel aus mißt und die mehr als einen halben Zentimeter und weniger als zwei Zentimeter beträgt. Die Beinverkürzung begründet ein Verkürzungshinken. Das Bein ist etwas außen rotiert und es besteht eine verminderte Gangleistung. Durch diese Verkürzung und Verdrehung des Beines kommt es zu einer leichten Verschiebung im Becken und zu statischen Beschwerden, die sich dann in der Regel in der Rückengegend bemerkbar machen, wodurch es zu einer Verspannung in der Rückenmuskulatur kommt, die als Kreuzschmerzen empfunden wird, sodaß das Gehen mit einem Stock zweckmäßig und bei größeren Strecken auch notwendig ist. Dieser Zustand ist als Dauerzustand zu bezeichnen. Gehen auf unebenem Boden ohne Stockhilfe ist nicht möglich, sodaß der Kläger bestimmte Tätigkeiten, wie z.B. Rasenmähen, Holzhacken, Arbeiten, die eine besondere Standfestigkeit erfordern, schwerere Arbeiten, bei denen es zu einer Beinbelastung kommt, nicht ausführen kann. Die verschiedenen Narben, die Beinbeweglichkeitseinschränkung und der Verlsut der Kniescheibe, besonders im Bereich des rechten Kniegelenkes, sind entscheidend und damit die Belastbarkeit der Beine beeinträchtigt und ein leicht hinkender Gang gegeben. Die heisere Stimme des Klägers wirkt sich besonders beim Singen sehr unangenehm aus. Sein dunkelblondes Haar wurde durch den Unfall grau-weiß.

Der nun 42jährige Kläger besuchte nach 8 Klassen Volksschule und zwei Jahren Landwirtschaftsschule einen Ausbildungslehrgang für Kontrollassistenten; er ist als Zuchtwart beim Fleckvieh-Zuchtverband in Wels beschäftigt. Seine Aufgabe ist die Zuchtberatung. Er war vor dem Unfall im Außendienst eingesetzt und mit den Sprengeln Linz, Wels und Steyr befaßt, in denen er mindestens einmal jährlich sämtliche Mitglieder aufsuchen mußte. Dabei mußte er die teils in bergigem und unebenem Gelände gelegenen Viehweiden begehen oder Viehställe aufsuchen. Mehrere Male war er mit der Durchführung von Viehversteigerungen befaßt. Er war nach Pensionierung des hauptamtlich eingesetzten Versteigerers für diesen Posten vorgesehen; der Versteigerer bekommt pro versteigertes Rind eine Prämie.

Nachdem der Kläger nach dem Unfall ab 28.Februar 1983 wieder seine Arbeit aufgenommen hatte, wurde er zunächst nur im Innendienst mit Büroarbeiten befaßt. In der Folge wurde er nur noch höchstens zwei Tage pro Woche im von ihm auch aus finanziellen Gründen bevorzugten Außendienst eingesetzt. Er ist jetzt nur noch mit den Bezirken Linz und Steyr betraut. Das Begehen der Weiden und Ställe im Rahmen seines Außendienstes bereitet ihm wegen der Gehbehinderung erhebliche Beschwerden. Die Durchführung von Versteigerungen und der angestrebte Posten des Versteigerers sind für den Kläger wegen seiner stimmlichen Unfallsfolgen ausgeschlossen. Insgesamt ist der Kläger wegen dieses Unfalles und der verbliebenen Unfallsfolgen in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigt und behindert. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß dem Kläger neben anderen Ersatzposten auch eine Entschädigung nach § 1326 ABGB zustehe. Der in Aussicht gestellte berufliche Aufstieg zum Versteigerer sei durch die Unfallsfolgen zunichte gemacht worden. Der Kläger müsse nun hauptsächlich im Innendienst seine Arbeiten verrichten, wodurch ihm erfahrungsgemäß Gebühren und Zulagen entgingen, und damit ein Vermögensschade entstehe. Bei seiner eingeschränkten Außendienstarbeit sei er durch die Verletzungsfolgen stark behindert und müsse daher noch immer Schmerzen in Kauf nehmen. Die Abgeltung seiner gegebenen Verhinderung im besseren Fortkommen sei daher mit S 40.000,-- angemessen und werde nicht dadurch ausgeschlossen, daß auch bei der Schmerzengeldbemessung seine psychische Beinträchtigung berücksichtigt wurde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es den für die Verunstaltungsentschädigung angesprochenen und vom Erstgericht auch zuerkannten Betrag von S 40.000,-- s.A. abwies. Die Revision ließ es hinsichtlich dieses abändernden Teiles seiner Entscheidung zu. Das Gericht zweiter Instanz stellte in der Berufungsverhandlung fest, daß der Kläger noch eine heisere Stimme hat und daß sein Gang noch etwas hinkend ist. Er benützt einen Stock als Gehhilfe. Rechtlich führte es aus:

Primäre Voraussetzung für den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB sei eine Verunstaltung, durch die das bessere Fortkommen des Verletzten verhindert werden kann. Unter "Verunstaltung" sei jede nach der Lebensanschauung wesentliche nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung eines Menschen unter Zugrundelegung eines ästhetischen Maßstabes zu verstehen. Die Rechtsprechung stelle somit auf das äußere Erscheinungsbild ab. Darunter falle nicht nur eine äußerlich sichtbare Veränderung der Körpersubstanz, sondern auch durch äußerlich nicht sichtbare Veränderungen hervorgerufene Beeinträchtigungen der äußerlichen Erscheinung, wie etwa eine Sprachstörung, eine Ungeschicklichkeit oder ein Zittern der Hände als Folge einer Hirnschädigung, Taubheit usw. Es treffe zwar zu, daß der Kläger nach dem festgestellten Sachverhalt durch die unfallskausalen Verletzungen und Dauerfolgen an seinem besseren Fortkommen in beruflicher Hinsicht behindert ist; es liege jedoch die primäre Voraussetzung für einen Zuspruch nach § 1326 ABGB, nämlich eine Verunstaltung, die unter Berücksichtigung eines ästhetischen Maßstabes nach der Lebensanschauung das äußere Erscheinungsbild des Klägers wesentlich beeinträchtigen würde, nicht vor. Der nur etwas hinkende Gang behindere dessen äußeres Erscheinungsbild nicht. Auch seine heisere Stimme könne noch nicht als "verunstaltend", demnach das äußere Erscheinungsbild beeinträchtigend bezeichnet werden. Diesbezüglich sei doch ein wesentlicher Unterschied zu echten Sprachstörungen, wie Stottern oder Gestikulieren infolge Taubheit, oder anderen Ungeschicklichkeiten bei der Bewegung gegeben.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die erstgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt werde.

Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Eine Entschädigung nach § 1326 ABGB gebührt dann, wenn der Verletzte durch die Verunstaltung, also durch eine erheblich nachteilige Veränderung seiner Erscheinung, in seinem besseren Fortkommen behindert werden kann. Unter einer Verunstaltung im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede wesentlich nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung des Verletzten zu verstehen (ZVR 1974/56; 8 Ob 188/82; 8 Ob 259/82; 8 Ob 209/83 uva), wobei es weder erforderlich ist, daß eine solche nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung besonders abstoßend wirkt noch daß sie bei einem normal bekleideten Menschen sichtbar ist (ZVR 1980/84; 8 Ob 198/81;

8 Ob 259/82; 8 Ob 209/83 uva). Wesentlich für die Annahme einer

Verunstaltung des Verletzten im Sinne dieser Gesetzesstelle ist die

nachteilige Veränderung seiner Gesamterscheinung, die

Beeinträchtigung seines äußeren Aussehens für den Beschauer, und

zwar nicht nach medizinischen Begriffen, sondern unter

Zugrundelegung eines ästhetischen Maßstabes nach allgemeiner

Lebensanschauung (8 Ob 319/81; 8 Ob 273/82; 8 Ob 209/83;

8 Ob 80/85 ua).

Unter diesen Gesichtspunkten kann der Ansicht des

Berufungsgerichtes, daß der hinkende Gang des Klägers unter

Zuhilfenahme eines Stockes und die auffallende Heiserkeit seiner

Stimme keine Verunstaltung im Sinne der dargestellten Grundsätze

darstellten, nicht gefolgt werden. In beiden Fällen zeigt sich eine

gegenüber anderen auffallende Unbeholfenheit der dadurch verunstalteten Person, die sowohl optischer als auch akustischer Natur und gerade dadurch besonders geeignet ist, das gesamte Erscheinungsbild des Klägers erheblich zu beeinträchtigen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß der Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB wegen Behinderung des besseren Fortkommens dann nicht in Betracht kommt, wenn die Verletzung zur Aufhebung bzw. Verminderung (ZVR 1978/176 ua) der Erwerbsfähigkeit geführt hat, weil dann eben die Behinderung des besseren Fortkommens nur auf die eingetretene Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit, nicht aber auf die erlittene Verunstaltung zurückgeführt werden kann (ZVR 1974/141; ZVR 1981/98; ZVR 1984/322; 8 Ob 259/82 ua). Dieser Grundsatz kommt im vorliegenden Fall aber nicht zum Tragen. Aus den Behauptungen des Klägers ergibt sich eindeutig, daß er nicht nur in bestimmten Belangen wie bei Viehversteigerungen udgl. durch die Verletzungsfolgen beeinträchtigt ist, sondern auch, daß er infolge seiner Verunstaltung an seinem besseren Fortkommen im gesamten Berufsleben mit Benachteiligungen zu rechnen hat. Nach der Rechtsprechung genügt für die Zuerkennung einer Entschädigung nach § 1326 ABGB aber bereits die bloße Möglichkeit der Behinderung des besseren Fortkommens des Beschädigten durch die Verunstaltung und reicht bereits eine auch nur geringe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes aus (ZVR 1978/176; ZVR 1984/236 ua). Diese Wahrscheinlichkeit ist im vorliegenden Fall aber eindeutig gegeben.

Zutreffend hat das Erstgericht daher dem Kläger auch die geltend gemachte Verunstaltungsentschädigung zuerkannt. Gegen dessen Höhe bestehen unter den gegbenen Umständen keine Bedenken. Demgemäß war der Revision des Klägers Folge zu geben und die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzustellen.

Die Kostenaussprüche beruhen auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E10428

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00084.86.0122.000

Dokumentnummer

JJT_19870122_OGH0002_0080OB00084_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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