TE OGH 1987/1/29 7Ob3/87

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Veröffentlicht am 29.01.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Hule, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*** Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Schottenring 15, vertreten durch Dr. Otto Philp und Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Heinrich B***, Gesellschaft mbH, Wien 16., Gansterergasse 4, 2.) Michael B***, Angestellter, ebendort, und 3.) Ronald B***, Angestellter, Wien 10., Alxingergasse 72/4, alle vertreten durch Dr. Elisabeth Fechter-Petter, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 121.350,-- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 17. September 1986, GZ. 16 R 193/86-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der erstbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 22. April 1986, GZ. 20 Cg 722/85-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird im Umfange der Bestätigung des abweisenden Teiles des Ersturteils und in dem diesen Teil betreffenden Kostenausspruch aufgehoben. Die Rechtssache wird im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende Partei ist der Kaskoversicherer des PKW Peugeot 504, polizeiliches Kennzeichen S 638.192. Versicherungsnehmer ist die erstbeklagte Partei. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfallversicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) zugrunde, nach deren Art. 6 Abs 1 lit b unter anderem als Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs 2 VersVG vereinbart wurde, daß der Lenker eine Lenkerberechtigung für die Gruppe besitzt, in die das Fahrzeug fällt.

Bei einem Unfall am 29. April 1978 trat an dem versicherten PKW Totalschaden ein. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Horn vom 14. August 1979, GZ U 217/79-21, wurde der Drittbeklagte wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB und wegen des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 StGB verurteilt. Dem Urteilsspruch liegt zugrunde, daß der Drittbeklagte am 29. April 1978 als Lenker des vorgenannten PKW infolge überhöhter Geschwindigkeit in einer Linkskurve gegen einen Baum stieß, wodurch sein Beifahrer, der Zweitbeklagte, leicht verletzt wurde sowie daß der Drittbeklagte am 21. Juli 1978 einem Polizeibeamten gegenüber die Behauptung aufgestellt hatte, ein unbekannter Dritter habe bei dem Unfall den PKW gelenkt.

Die klagende Partei zahlte der erstbeklagten Partei zur Schadensliquidierung S 121.350,--. Mit der am 20. März 1985 eingebrachten Klage begehrt sie den Ersatz dieses Betrages samt Anhang von allen Beklagten zur ungeteilten Hand. Der Drittbeklagte sei im Unfallszeitpunkt nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung und überdies alkoholisiert gewesen. In der der Schadensliquidierung zugrunde gelegten Schadensmeldung sei ebenso wie vor der Polizei fälschlich angegeben worden, daß im Unfallszeitpunkt ein nicht näher bekannter Dritter mit Lenkerberechtigung den PKW gelenkt habe. Die beklagten Parteien seien dolos vorgegangen und daher solidarisch zur Rückzahlung verpflichtet.

Die beklagten Parteien bestritten ein doloses Vorgehen und wendeten Verjährung ein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegen die erstbeklagte Partei statt und wies es in Ansehung des Zweit- und Drittbeklagten ab. Nach seinen Feststellungen waren der Zweit- und Drittbeklagte im Unfallszeitpunkt nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung. Sie nahmen am Abend des 29. April 1978 an einer Geburtstagsparty teil. Infolge des dabei konsumierten Alkoholes waren beide bei Antritt der Heimfahrt gegen 20,30 Uhr nicht mehr fahrtüchtig. Die Alkoholbeeinträchtigung war jedoch nicht derart, daß sich beide nicht mehr an die Vorgänge erinnern könnten. Der Zweitbeklagte hatte im Unfallszeitpunkt einen Blutalkoholgehalt von 1,15 %o. Beim Drittbeklagten fand eine Blutabnahme nicht statt. Die klinische Untersuchung ergab jedoch auch bei ihm eine leichte Alkoholisierung. Der Außenmitarbeiter der klagenden Partei, Walter G***, besuchte den Drittbeklagten im Krankenhaus Horn und verfaßte nach dessen Angaben den Bericht über den Unfallshergang Beilage C. Danach habe Michael N*** den Zweit- und Drittbeklagten nach Autendorf zur Geburtstagsfeier gefahren. Michael N*** sei jedoch nicht mehr bereit gewesen, beide zurückzubringen, worauf ein anderer Gast unter Vorweisung seines Führerscheines sich bereiterklärt habe, die beiden zurückzufahren. Während der Heimfahrt sei der Lenker aus unbekannter Ursache von der Fahrbahn abgekommen. Der PKW sei in den Straßengraben gestürzt. Der Zweit- und der Drittbeklagte seien bei dem Unfall verletzt worden und zunächst bewußtlos gewesen. Der unbekannte Lenker habe sich nach dem Unfall entfernt. Seine Ausforschung sei bisher nicht gelungen.

Als nicht erwiesen nahm das Erstgericht an, daß die beklagten Parteien jede für sich oder alle zusammen in gewolltem und bewußtem Zusammenwirken durch die Täuschung über die Person des Lenkers die klagende Partei zur ungerechtfertigten Zahlung des Entschädigungsbetrages zu veranlassen gesucht hätten. Nach der Auffassung des Erstgerichtes sei die klagende Partei wegen Verletzung der Obliegenheit nach Art. 6 Abs 1 lit b AKIB leistungsfrei, die erstbeklagte Partei daher zur Rückzahlung des ihr irrtümlich bezahlten Entschädigungsbetrages verpflichtet. Dieser Rückforderungsanspruch unterliege der 30-jährigen Verjährung und sei daher noch nicht verjährt. Gegen den Zweit- und Drittbeklagten könnte die klagende Partei aber nur einen schadenersatzrechtlichen Anspruch geltend machen. Ein solcher unterliege, ausgenommen den hier nicht gegebenen Fall, daß der Schaden durch eine gerichtlich strafbare Handlung entstanden sei, die nur vorsätzlich begangen werden könne und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sei, der dreijährigen Verjährung und sei daher verjährt. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und erklärte die Revision gegen den die Klagsabweisung bestätigenden Teil seiner Entscheidung für zulässig. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme der negativen Feststellung, es sei nicht erwiesen, daß die beklagten Parteien durch Täuschung über die Person des Lenkers die klagende Partei zur ungerechtfertigten Zahlung des Entschädigungsbetrages veranlaßt hätten. Eine Erledigung der diese Feststellung betreffenden Beweisrüge der klagenden Partei hielt das Berufungsgericht aus rechtlichen Erwägungen für entbehrlich. Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes habe die klagende Partei noch keinen Schaden erlitten, weil sie einen Rückforderungsanspruch gegen die erstbeklagte Partei habe. Erst wenn die Durchsetzung des Kondiktionsanspruches auf Schwierigkeiten stoße, könne der klagenden Partei ein Schaden erwachsen, dessen Höhe sich überdies nicht mit dem Kondiktionsanspruch decken müsse. Auf dieser Rechtsansicht beruht auch der Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichtes. Zur Frage des Schadenseintrittes bei bestehendem Rückersatzanspruch des Geschädigten gegen den Leistungsempfänger sei die Rechtsprechung nicht einheitlich.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der klagenden Partei ist im Sinne des primär gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

In der Entscheidung GlU 15.751, betreffend die Schadenersatzpflicht eines Notars wegen unrichtiger Auskunftserteilung bei einem Vertragsabschluß, vertrat der Oberste Gerichtshof die Auffassung, daß die Schadenersatzpflicht des Notars nicht dadurch beschränkt sei, daß die geschädigte Partei zur Schadloshaltung durch ihren Vertragspartner gelangen könne. Auf dieser Linie liegt auch die bereits vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung SZ 11/201, die eine Schadenersatzklage wegen Ausfolgung einer Ware an den Käufer durch den Spediteur ohne vorherige Einziehung des Kaufpreises betraf. Der Oberste Gerichtshof führte dort aus, daß die Vermögensminderung des Verkäufers bereits durch die Ausfolgung der Ware durch den Spediteur eingetreten sei. Der Geschädigte sei nicht verpflichtet, zunächst seine Forderung gegen den Empfänger der Ware geltend zu machen. Ein solcher Vorgang stellte nur eine Maßnahme zur Schadensbehebung dar. Ein im Ergebnis ähnlicher Standpunkt wurde auch in der Entscheidung SZ 7/96 vertreten.

Die Entscheidung SZ 7/197, der das Berufungsgericht folgte, sprach dagegen - ohne nähere Begründung - aus, daß kein Anspruch auf Schadenersatz bestehe, solange nicht klargestellt sei, ob der Geschädigte nicht Ersatz (Rückerhalt der Ware) vom Kondiktionsschuldner erlangen könne.

Nach dem der Entscheidung SZ 39/186 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Rechtsanwalt die ihm aufgetragene Exekutionsführung unterlassen. Über das Vermögen des Verpflichteten wurde der Konkurs eröffnet. Der Oberste Gerichtshof verwarf die Einrede des beklagten Rechtsanwaltes, es stehe noch nicht fest, welchen Schaden der Kläger erlitten habe. Der Kläger müsse nicht abwarten, in welcher Höhe er im Konkurs des Schuldners Deckung erhalten werde (vgl. auch die ebenfalls einen Insolvenzfall betreffende Entscheidung EvBl 1960/254). Den gleichen Standpunkt bezog der Oberste Gerichtshof in der nicht veröffentlichten Entscheidung 7 Ob 25/74, die auch einen Konkursfall betraf. In der Entscheidung SZ 44/154 handelte es sich um die Haftung eines Zwangsverwalters für Abgänge, die eine von ihm aufgenommene Angestellte im zwangsverwalteten Unternehmen verschuldete. Der Oberste Gerichtshof billigte unter Hinweis auf die Entscheidung SZ 39/186 die Auffassung der Vorinstanzen, daß nicht erst abgewartet werden müsse, ob sich die Forderung gegen die Angestellte als berechtigt und einbringlich erweise.

Mit dem vorliegenden Fall am ehesten vergleichbar ist der Fall der Entscheidung SZ 42/16, der eine durch den Beklagten verschuldete irrtümliche Zahlung einer Nichtschuld betraf und in dem dem Geschädigten ein Kondiktionsanspruch gegen den Leistungsempfänger zustand. Der Oberste Gerichtshof führte hiezu aus, daß der Schaden nicht erst dann eintrete, wenn sich die Uneinbringlichkeit des Rückzahlungsanspruches herausstelle. Nur wenn der zur Rückzahlung Verpflichtete bereit und in der Lage sei, seiner Verbindlichkeit sofort nachzukommen, könne gesagt werden, es sei kein Schaden entstanden.

An dieser Rechtsansicht hielt der Oberste Gerichtshof im wesentlichen auch in den Entscheidungen 3 Ob 612/83 und 1 Ob 609/85 fest. Die Meinung, daß der Geschädigte, dem ein Anspruch aus dem Vertragsverhältnis oder ein Bereicherungsanspruch gegen einen Dritten zustehe, diese Möglichkeit der Rechtsverfolgung erst ausschöpfen müsse (vgl. Fenzl in ÖJZ 1951, 399; Wagner NO 2 87; Feil-Langer, Die Berufshaftpflicht der Rechtsanwälte und Notare nach österreichischem Recht 31), wurde in der Entscheidung 3 Ob 612/83 ausdrücklich abgelehnt.

Aus der dargestellten Übersicht ergibt sich, daß es sich bei der Entscheidung SZ 7/197, auf die sich das Berufungsgericht stützte, um eine vereinzelt gebliebene Entscheidung handelte. Aber auch der gegenteilige Standpunkt (GlU 15.751) wurde nur mit einer Einschränkung aufrecht erhalten. Bei einer neuerlichen Prüfung der aufgeworfenen Frage ist davon auszugehen, daß der Schadensbegriff des ABGB sehr weit ist. Er umfaßt jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse besteht als an dem bisherigen (Wolff in Klang 2 VI 1; VersR 1985, 894 ua). Ein Nachteil am Vermögen ist jede Vermögensveränderung, der kein entsprechendes Äquivalent gegenübersteht (Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 5 zu § 1293). Eine Geldforderung, die mit dem Einbringlichkeitsrisiko behaftet ist, ist nicht dem Besitz des Geldbetrages gleichzuhalten. Der Kondiktionsanspruch gegen den Leistungsempfänger ist nur dann der durch die irrtümliche Zahlung eingetretenen Vermögensminderung äquivalent, wenn der Kondiktionsschuldner bereit und in der Lage ist, seiner Verbindlichkeit zur Rückzahlung nachzukommen. Trifft dies nicht zu, ist der Schaden durch eine von dem Ersatzpflichtigen veranlaßte nicht geschuldete Zahlung schon durch diese Zahlung eingetreten (so schon SZ 42/16). Im vorliegenden Fall kann mit Rücksicht auf die bereits im Jahre 1979 erfolgte erstmalige Geltendmachung des Rückersatzanspruches, zu welchem Zeitpunkt der erstbeklagten Partei bereits der wahre Sachverhalt bekannt sein mußte, und den von der erstbeklagten Partei eingenommenen Prozeßstandpunkt nicht gesagt werden, daß diese zur Rückzahlung bereit und daß die klagende Partei von der erstbeklagten Partei ohne Schwierigkeiten Ersatz erhalten könnte. Der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß der klagenden Partei wegen des Kondiktionsanspruches gegen die erstbeklagte Partei noch kein Schaden entstanden sei, kann daher nicht gefolgt werden. Die Revision ist demnach im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt, weil die Beweisrüge der klagenden Partei in dem obgenannten Umfang noch einer Behandlung bedarf.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E10580

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00003.87.0129.000

Dokumentnummer

JJT_19870129_OGH0002_0070OB00003_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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