TE OGH 1987/2/18 1Ob712/86

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Veröffentlicht am 18.02.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*** mit dem Sitz in Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei Michael P. S***, Kaufmann, Wien 12., Schröttergasse 3, vertreten durch Dr. Rudolf Lischka, Rechtsanwalt in Wien, und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. Gerhard E***-D***, Rechtsanwalt in Wien, wegen 262.077,54 S sA und Räumung sowie Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 5. September 1986, GZ 48 R 303/86-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 14.März 1986, GZ 48 C 174/85-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Zwischenurteil zu lauten hat:

"Der Zwischenantrag der beklagten Partei, es werde festgestellt, daß die beklagte Partei auf Grund des Mietvertrages vom 24.4.1973 samt Ergänzungen, insbesondere vom 3.4.1978 und vom Mai 1979, Hauptmieter der im Hause Wien 1., Judenplatz 6, gelegenen Dachbodenräume mit dem Recht, diese Räume auszubauen, als Fremdenpension zu nutzen, und der Befugnis zur Namhaftmachung eines Mietrechtsnachfolgers innerhalb von 30 Jahren ist, wird abgewiesen."

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 558 Grundbuch Innere Stadt Wien mit dem Haus Wien 1., Judenplatz 6. Auf Grund einer letztwilligen Anordnung des vormaligen Eigentümers stand der im Jahre 1979 verstorbenen Dr. Erika H***-H*** ein Fruchtgenuß am Hause zu. Mit Vertrag vom 24.April 1973 gab die Fruchtgenußberechtigte dem Beklagten im 5. Stock gelegenen Räume (Tür 6 a) "samt einem Teil des Dachbodens" in Bestand. Die Streitteile gehen übereinstimmend davon aus, daß es sich (auch) bei dem im Bestandvertrag mit Nr. 6 a bezeichneten Bestandobjekt um Dachbodenräume handelt (ON 4). Dem Beklagten wurde das Recht eingeräumt, diese Räume "unter Einhaltung der baubehördlichen Vorschriften und nur durch befugte Gewerbetreibende" für Wohnzwecke umzugestalten. In § 11 Z 2 des Bestandvertrages wurde dem Beklagten das Recht eingeräumt, innerhalb von 15 Jahren ab Abschluß des Bestandvertrages einen Mietrechtsnachfolger namhaft zu machen, den der Vermieter zu den im Vertrag vereinbarten Bedingungen zu akzeptieren hat, sofern gegen seine Person keine begründeten Bedenken obwalten. Mit Schreiben vom 26.Juli 1974 erklärte sich die Fruchtgenußberechtigte damit einverstanden, daß der Beklagte die Räume auch als Büro oder Atelier verwendet. Mit der Ergänzung zum Mietvertrag vom 3.April 1978 wurde die Erweiterung des Bestandgegenstandes um die angrenzenden restlichen Dachbodenräume vereinbart; gleichzeitig wurde das dem Bestandnehmer zustehende Präsentationsrecht auf 30 Jahre ab dem Abschluß des Mietvertrages verlängert. Mit der am 3.April 1978 zwischen der Fruchtgenußberechtigten und dem Beklagten abgeschlossenen Vereinbarung verpflichtete sich der Beklagte, auf eigene Kosten, soweit notwendig, das Dach des Hauses neu einzudecken und vollständig instandzusetzen sowie, soweit dies nach den bestehenden Vorschriften erforderlich ist, mit dem erforderlichen Anstrich zu versehen bzw. versehen zu lassen. Der Beklagte verpflichtete sich weiters, einen behördlich genehmigten Personenaufzug im Haus einzubauen. Am 4.Mai 1979 bestätigte der Gatte der Fruchtgenußberechtigten in deren Namen eine Vereinbarung, wonach der Beklagte das Dachgeschoß zum Betrieb einer Fremdenpension ausbauen darf. Der hierüber aufgenommene Vermerk trägt den Hinweis "Inwieweit allfällige Genehmigungen der Stiftungsbehörde einzuholen sind, ist es Sache der Bauwerber bzw. des Herrn S***, der die Errichtung der Pension auch in Form einer Gesellschaft beantragen kann". Mit Schreiben vom 7.Mai 1979 erklärte Rechtsanwalt Dr. Viktor S*** namens der Fruchtgenußberechtigten, daß diese ihre Zustimmung zur Errichtung und Führung der Pension im Dachgeschoß erteilt hat. Die klagende Partei begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, den Betrag von 262.077,54 S sA als rückständigen Bestandzins, in eventu als Nutzungsentgelt, zu bezahlen und die im Hause Wien 1., Judenplatz 6, 5. Stock, gelegene Wohnung Nr. 6 a sowie sämtliche benützten Dachbodenräume zu räumen. Die Fruchtgenußberechtigte sei zur Gestattung des Dachbodenausbaus und zur Vermietung der so geschaffenen Räume, insbesondere zum Zwecke des Betriebes einer Fremdenpension und unter Einräumung eines Weitergaberechtes für 30 Jahre, nicht berechtigt gewesen.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und stellte einen Zwischenantrag auf Feststellung mit dem aus dem Spruch ersichtlichen Inhalt. Die Fruchtgenußberechtigte sei zum Abschluß des Bestandvertrages berechtigt gewesen. Er habe mit dem Ausbau des Dachbodens begonnen, der weitere Ausbau sei am Verhalten des Hausverwalters gescheitert. Demzufolge sei er zur Bezahlung des bedungenen Zinses nicht verpflichtet.

Der Erstrichter gab dem Zwischenantrag auf Feststellung statt. Die dem Beklagten von der Fruchtgenußberechtigten eingeräumten Rechte stellten keinen solchen Eingriff in die Substanz des Hauses dar, daß die Fruchtnießerin zur Einräumung dieser Rechte nicht berechtigt gewesen wäre. Die klagende Partei müsse daher diese Vereinbarung gegen sich gelten lassen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge. Es sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteigt. Der Fruchtnießer sei berechtigt, die Sache ohne alle Einschränkung zu genießen. Es stünden ihm daher die Rechte eines mit der Verwaltung des Hauses Beauftragten zu. Zu den Befugnissen des Hausverwalters gehöre es auch, die Umwidmung des Bestandobjektes zu gestatten und bei Bestandverträgen ein Weitergaberecht einzuräumen. Die Pflicht zur Schonung der Substanz dürfe nicht dahin verstanden werden, daß der Fruchtnießer überhaupt keine Eingriffe in die Substanz vornehmen dürfe, habe er doch die Verpflichtung, Verbesserungen, Ergänzungen und Herstellungen zu besorgen. Er sei nur nicht berechtigt, eine Umgestaltung vorzunehmen, die das Wesen der dienstbaren Sache, insbesondere ihre wirtschaftliche Zweckbestimmung, ändere. Dies treffe hier nicht zu. Die Zweckbestimmung eines Miethauses sei die Erzielung von Einnahmen. Die Fruchtnießerin habe demnach mit dem mit dem Beklagten abgeschlossenen Bestandvertrag die ihr zustehenden Rechte nicht überschritten.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision der klagenden Partei kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 509 ABGB ist der Fruchtgenuß das dingliche Recht auf volle Nutzung einer fremden Sache unter Schonung der Substanz. Dem Fruchtnießer stehen als Rechtsbesitzer alle Nutzungs- und Verwaltungsbefugnisse (MietSlg. 28.044; SZ 25/233; Petrasch in Rummel, ABGB, Rdz 3 zu § 509) und damit auch das Recht zur Vermietung und Verpachtung der Sache zu (RZ 1981/17; Petrasch aaO;

Koziol-Welser, Grundriß 7 II 144;

Gschnitzer-Faistenberger-Barta-Call-Eccher, Österreichisches Sachenrecht 2 167; Klang in seinem Komm 2 II 584). Nach nunmehr überwiegender Ansicht erlöschen solche Bestandverträge nicht mit dem Fruchtgenußrecht, der Eigentümer tritt vielmehr in diese Verträge ein und kann sie nur analog § 1120 ABGB und unter Bedachtnahme auf Kündigungsschutzbestimmungen kündigen (MietSlg. 29.056;

EvBl. 1963/373; Petrasch aaO Rdz 2 zu § 519; Klang aaO 596). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, daß der Fruchtnießer berechtigt wäre, Bestandverträge über Räume abzuschließen, die erst durch Umbauten für den angestrebten Zweck gebrauchstauglich gemacht werden sollen. Der Fruchtnießer hat als bloßer Rechtsbesitzer die Substanz zu schonen (Petrasch aaO Rdz 3 zu § 509). Dies bedeutet nicht, daß ihm jeder Eingriff in die Substanz der dienstbaren Sache untersagt wäre. Gemäß § 513 ABGB obliegt ihm die Erhaltung der dienstbaren Sache, er hat zu diesem Zweck auch die erforderlichen "Ausbesserungen, Ergänzungen und Herstellungen" vorzunehmen. In diesem Rahmen ist er befugt, Veränderungen durchzuführen, die unter Schonung der Substanz und ohne Änderung der Bewirtschaftungsart möglich sind (MietSlg. 30.057; Petrasch aaO Rdz 1 zu § 513). Über die gewöhnlichen Ausbesserungen hinausgehende, also nicht vom Fruchtnießer zu bestreitende Bauführungen obliegen dem Eigentümer (§§ 514 ff ABGB). Notwendige Bauführungen hat primär der Eigentümer zu bestreiten (§ 514 ABGB); nimmt er sie nicht vor, ist der Fruchtnießer zur Bauführung berechtigt, der nur nach beendetem Fruchtgenuß gleich einem redlichen Besitzer Ersatz fordern kann (§ 515 ABGB). Nicht notwendige Bauführungen, die nur "zur Vermehrung des Ertrages gedeihlich sind" (§ 516 ABGB), können nur Sache des Eigentümers sein, der den Fruchtnießer gegebenenfalls für einen Nutzungsentgang zu entschädigen hat. Hat der Fruchtnießer ohne Einwilligung des Eigentümers solche Aufwendungen getätigt, steht ihm ein Rücknahmerecht zu, Vergütung kann er nur als Geschäftsführer ohne Auftrag fordern. Daraus wird abgeleitet, daß der Fruchtnießer die Sache auch nicht durch Ameliorationen verändern darf. Tut er es dennoch, muß er auf Verlangen des Eigentümers den früheren Zustand wieder herstellen (Klang aaO 594; Gschnitzer aaO 169). Die Rechtslage entspricht damit jener gemäß § 1037 Abs. 1 BGB, wonach der Nießbraucher nicht berechtigt ist, die Sache umzugestalten oder wesentlich zu verändern. Dazu wird die Ansicht vertreten, daß solche Veränderungen auch dann unzulässig sind, wenn sie die Sache wertvoller und einträglicher machen, selbst wenn die wirtschaftliche Bestimmung der Sache dadurch nicht beeinträchtigt wird (Quack in Münchener Komm 2 IV Rz 2 zu § 1037; Promberger in Staudinger Komm 12 Rz 1 zu § 1037). Der Bundesgerichtshof hat demgemäß den Fruchtnießer nicht als berechtigt angesehen, eine größere Wohnung in drei kleinere umzugestalten, wenn damit nicht unbedeutende Eingriffe in die bauliche Substanz des Hauses verbunden sind (NJW 1983, 932). Im vorliegenden Fall räumte die Fruchtgenußberechtigte dem Beklagten das Recht ein, den Dachboden auszubauen und die dadurch gewonnenen Räume als Wohnung, Büro, Atelier, oder zum Betrieb einer Fremdenpension zu benützen. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß der Dachbodenausbau einen weitgehenden Eingriff in die Substanz des Hauses bedeutet, sind doch damit Bauführungen in größerem Ausmaß verbunden. Darüber hinaus wird ein Teil des Hauses seiner bisherigen Zweckbestimmung entzogen und zugleich dem Eigentümer eine Disposition über diese Räume, z.B. durch Einräumung von Wohnungseigentum, Aufstockung des Hauses nach beendetem Fruchtgenuß, unmöglich gemacht. Ein solcher weitgehender Eingriff des Fruchtnießers in die Rechtsstellung des Eigentümers der dienenden Sache kann aus der dem Fruchtnießer zustehenden Verwaltungsbefugnis nicht abgeleitet werden. An einen vom Fruchtnießer unter Überschreitung der ihm zustehenden Nutzungsrechte abgeschlossenen Bestandvertrag ist der Eigentümer nach beendetem Fruchtgenuß nicht gebunden. An einem Vertrag ohne alle damit verbundenen Rechte ist der Beklagte, wie sich schon aus der Formulierung des Zwischenantrages auf Feststellung ergibt, nicht interessiert. Der gestellte Zwischenantrag erweist sich als nicht gerechtfertigt, so daß spruchgemäß zu entscheiden ist.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf die §§ 52 Abs. 2, 393 Abs. 4 ZPO.

Anmerkung

E10295

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0010OB00712.86.0218.000

Dokumentnummer

JJT_19870218_OGH0002_0010OB00712_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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