TE OGH 1987/3/10 14ObA30/87

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Veröffentlicht am 10.03.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches und Dr. Friedrich Neuwirth als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*** U***, Salzburg, Dr. Franz

Rehrl-Platz 5, vertreten durch Dr. Anna Jahn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei E*** A***

V***-A***, Wien 1., Brandstätte 7-9,

vertreten durch Dr. Leonhard Lindner, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 426.979 S sA und Feststellung (Gesamtstreitwert 526.979 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 9.Dezember 1986, GZ Cga 42/86-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Arbeitsgerichtes Feldkirch vom 15. September 1986, GZ Cr 563/83-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 17.148,90 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind 1.200 S an Barauslagen und 1.449,22 S an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21. Jänner 1980 ereignete sich auf der Autobahnbaustelle A 14 in Lochau ein Unfall, bei welchem Omer H*** von einem von Hans Peter H*** gelenkten, rückwärts fahrenden LKW überrollt und schwer verletzt wurde. Beide Personen waren Arbeitnehmer der Firma Guntram M***, welche Halterin des Unfallfahrzeuges war. Omer H*** war bei der Klägerin pflichtversichert, das Unfallfahrzeug war bei der Beklagten haftpflichtversichert. Der Lenker wurde vom Strafgericht gemäß dem § 259 Z 3 StPO von der wegen dieses Unfalles gegen ihn erhobenen Anklage der fahrlässigen Körperverletzung rechtskräftig freigesprochen.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 426.979 S sA; sie begehrt der beklagten Partei gegenüber ferner die Feststellung, daß diese bis zur Höhe der von ihr zur Verfügung zu stellenden Versicherungssumme schuldig sei, der Klägerin die aus Anlaß des Unfalles vom 21.Jänner 1980 vorgenommenen Aufwendungen insoweit zu ersetzen, als diese Leistungen in dem Schaden Deckung finden, dessen Ersatz der Verletzte Omer H*** selbst aus Anlaß des Unfalles fordern könne. Sie behauptet, Hans Peter H*** habe den Unfall dadurch verschuldet, daß er mit dem LKW rückwärts gefahren sei, ohne sich eines Einweisers zu bedienen oder sich zumindest vor dem Beginn des Rückwärtsfahrens davon zu vergewissern, daß die Fahrbahn hinter dem Fahrzeug frei war. Das Mitverschulden des Lenkers betrage 50 %. Die Klägerin stütze ihr Begehren auf den § 332 ASVG; die Beklagte hafte der Klägerin nach den Bestimmungen des ABGB, des EKHG "sowie überhaupt nach dem Gesetz" für die von ihr für Omer H*** erbrachten Leistungen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Hans Peter H*** sei gegenüber Omer H*** weisungsbefugt gewesen und habe daher die Stellung eines Aufsehers im Betrieb innegehabt. Im übrigen treffe ihn kein Verschulden an dem Unfall, weil sich im Bereich der immer gleichbleibenden Fahrtstrecke des LKW keine andere Person aufgehalten habe und er das gleiche Fahrmanöver vor den Augen des Omer H*** schon ca. 100 mal durchgeführt habe.

Die Parteien stellten die Höhe der Klageforderung mit dem Betrag von 1 S außer Streit.

Das Erstgericht stellte mit Zwischenurteil fest, daß das Klagebegehren (gemeint: das Zahlungsbegehren) dem Grunde nach zu Recht bestehe und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß beide in den Unfall verwickelten Personen ein gleichteiliges Verschulden treffe. Das Mitverschulden des Lenkers bestehe darin, daß er sich nicht eines Einweisers bedient und den LKW vor Beginn des Zurücksetzens nicht verlassen habe, um den "toten Winkel" zu kontrollieren.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es das gesamte Klagebegehren mit Endurteil abwies. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf folgende wesentliche Feststellungen:

Zum Unfallszeitpunkt befanden sich neben den Unfallbeteiligten H*** und H*** auch der Baustellenleiter M***, ferner der Polier T*** und der Baggerfahrer L*** auf der Baustelle. H*** war als LKW-Fahrer eingesetzt, H*** war für verschiedene Hilfsleistungen eingeteilt. Zwei weitere Hilfsarbeiter waren ausschließlich mit dem Aufstellen eines Krans außerhalb des Unfallbereiches befaßt. Am Unfallstag wurden, wie schon an den vorangegangenen Tagen, auf der Baustelle von zwei LKW Erdtransporte durchgeführt. Die LKW fuhren zu diesem Zweck im Rückwärtsgang zum Bagger, wurden dort beladen und fuhren im Vorwärtsgang wieder weg. Dieses über eine stets gleichbleibende Strecke von ca. 50 bis 60 m führende Fahrmanöver wiederholte sich bis zu 70 mal am Tag. Die von den LKW benützte Fläche bildete einen nach außen erkennbaren, abgegrenzten Bereich, der ein fahrbahnähnliches Erscheinungsbild bot. Die LKW benützten ausschließlich diesen Fahrbereich. Omer H*** war auf der Baustelle zu verschiedenen

Hilfsdiensten eingeteilt, z.B. für das Be- und Entladen von Fahrzeugen und für Schalungsarbeiten. Er war ein erfahrener Baustellenarbeiter, kannte die Fahrtstrecke der LKW und stand für allgemeine Hilfsdienste zur Verfügung. Er erhielt die erforderlichen Weisungen vom Baustellenleiter oder vom Polier. H*** hatte im Unfallszeitpunkt gegenüber H*** keine Weisungsbefugnis. Die Tätigkeit dieser beiden Arbeiter hatten am Unfallstag "nichts miteinander zu tun"; ihre Arbeitsbereiche waren getrennt. Hätte H*** die Hilfe des H*** benötigt, dann hätte er sich an den Polier wenden müssen, der ihm unter Umständen H*** für eine Hilfsleistung zugeteilt hätte. H*** hätte seinen Arbeitskollegen H*** um kurze Hilfeleistungen bitten können (etwa Einweiserdienste); H*** wäre einer solchen Bitte wahrscheinlich aus kollegialen Gründen nachgekommen.

Am Unfallstag überquerten der Baustellenleiter und H*** die Baustelle. Als der Erstgenannte bemerkte, daß von einem direkt neben der Fahrlinie des LKW befindlichen Holzstoß zwei Holzbalken herabgefallen waren, erteilte er dem H*** den Auftrag, die Balken wieder auf den Stoß zu legen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich H*** mit dem von ihm gelenkten LKW schon in der Position, aus welcher er immer im Rückwärtsgang zum Bagger fuhr; der Motor lief mit Standgas. Von dieser Position aus hatte H*** ca. 50 bis 60 m zurückzulegen. Er fuhr sodann mit Standgas und wesentlich langsamer als mit Schrittgeschwindigkeit im Geländerückwärtsgang auf den Bagger zu. Vor dem Anfahren hatte er zuerst in den rechten und dann in den linken Außenspiegel geblickt. Während des Rückwärtsfahrens blickte er abwechselnd in beide Spiegel, ohne dabei ein Hindernis zu bemerken. Bei dieser Fahrt bediente er sich keines Einweisers; er hatte auch nicht vor dem Anfahren den LKW verlassen, um sich zu vergewissern, ob die hinter dem LKW liegende Fahrtstrecke frei ist. Vom Führerhaus aus konnte H*** aus bauartbedingten Gründen die Fahrtstrecke nicht in ihrer Gesamtheit einsehen; eine Strecke von 15 bis 40 m befand sich im "toten Winkel".

Inzwischen wollte H*** auftragsgemäß die beiden Holzbalken auf den Holzstoß legen; dabei trat er in den Bereich des "toten Winkels". Das Aufheben der beiden je 20 kg wiegenden Holzbalken nimmt nur wenige Sekunden in Anspruch. Als H*** mit seiner Tätigkeit begann, befand sich der LKW bereits in Bewegung. H*** trat dabei in die Fahrlinie des sich annähernden LKWs, ohne dessen Näherkommen wahrzunehmen. Er wurde vom LKW erfaßt, zum Teil überrollt und schwer verletzt.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, das Haftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG komme hier nicht zum Tragen, weil H*** seinem Arbeitskollegen H*** gegenüber nicht Aufseher im Betrieb im Sinne der zitierten Gesetzesstelle gewesen sei. Da der Halter des LKW zugleich Arbeitgeber des Verletzten H*** gewesen sei, müsse bei der Beurteilung der Halterhaftung auf die Bestimmung des § 333 ASVG abgestellt werden, der das EKHG nicht derogiert habe. Die Halterhaftung des EKHG komme daher nicht zur Anwendung. Eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr im Sinne des § 333 Abs 3 ASVG liege hier nicht vor, so daß die Bestimmung des § 333 Abs 1 ASVG anzuwenden sei. Ein Verschulden des H*** sei zu verneinen, weil er nicht damit habe rechnen müssen, daß sich seine Arbeitskameraden in den unmittelbaren Gefahrenbereich des LKW begeben würden. Da H*** das seit Tagen gleichgebliebene Fahrmanöver genau gekannt habe, sei H*** nicht verpflichtet gewesen, sich eines Einweisers zu bedienen. Ein Verlassen des LKW zur Besichtigung der Fahrtstrecke sowie das Besteigen des Führerhauses und das Anfahren hätten so viel Zeit in Anspruch genommen, daß das Betreten der Fahrtstrecke durch eine andere Person auch noch später möglich gewesen wäre und von H*** nicht hätte verhindert werden können.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der klagenden Partei mit einem auf die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zwischenurteils abzielenden Antrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Auffassung der klagenden Partei, die beklagte Partei hafte ihr nach dem EKHG, weil sie einen Haftungsausschluß nach dem § 333 ASVG nicht eingewendet und ein Vorbringen bezüglich des Fahrzeughalters nicht erstattet habe, kann nicht zugestimmt werden. Gegenstand des Rechtsstreits ist ein nach den Behauptungen der klagenden Partei gemäß dem § 332 ASVG auf sie übergegangener Schadenersatzanspruch aus einem Arbeitsunfall. Ob die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Halters des LKW haftet, richtet sich nach den Bestimmungen des § 333 ASVG, weil Halter der Arbeitgeber des Unfallverletzten ist. Daß die Sonderregelung des § 333 ASVG alle anderen Haftungsgründe für Schadenersatzansprüche, soweit sie Personenschäden betreffen und sich gegen den Arbeitgeber oder die ihm gleichgestellten Personen richten, insbesondere die Bestimmungen des ABGB und des EKHG ausschließt, wurde bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht (Arb. 7422, 8723, 8798, 9115; SZ 54/118 ua). Eine Haftung der Arbeitgeberin und damit auch der Beklagten kommt aber, da mangels jeglichen Verschuldens an dem Unfall die Haftungsbeschränkung des § 333 Abs 1 ASVG auf sie anzuwenden ist, nicht in Betracht. Eine solche Haftungsbeschränkung hat die Beklagte im Rahmen ihres Sachverhaltsvorbringens jedenfalls implicite eingewendet, sodaß sie zu berücksichtigen ist.

Hingegen trifft diese Haftungsbeschränkung auf den Lenker des LKW nicht zu, weil er, wie nunmehr unbekämpft ist und vom Berufungsgericht zutreffend begründet wurde (§ 48 ASGG), nicht Aufseher im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG war. Ein Verschulden als Lenker vorausgesetzt, wäre er daher nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts dem Unfallsverletzten gegenüber zum Schadenersatz uneingeschränkt verpflichtet (Arb. 9070 ua). Zu prüfen ist somit noch, ob den Lenker ein Verschulden an dem Unfall trifft, für das die Beklagte einzustehen hätte (§ 19 Abs 2 EKHG). Entgegen der Meinung des Revisionswerbers hat jedoch das Berufungsgericht ein Verschulden mit Recht verneint. Eine Verpflichtung des Lenkers, sich noch vor dem Beginn des Zurückstoßens davon zu überzeugen, daß die Fahrtstrecke frei war, scheidet hier schon deshalb aus, weil eine solche Maßnahme nicht geeignet gewesen wäre, den Unfall zu vermeiden. Der Lenker hätte nämlich keine Gewißheit gehabt, daß nicht innerhalb des Zeitraumes, den er nach der Kontrolle der Fahrtstrecke gebraucht hätte, um den LKW wieder zu besteigen und in Bewegung zu setzen, der Verletzte H*** in den von H*** nicht eingesehenen Fahrbereich getreten wäre; ein solches Verhalten war daher nicht geeignet, die Gefahr eines "toten Winkels" zu vermeiden.

Ebensowenig begründet die Unterlassung der Verwendung eines Einweisers ein Verschulden des Klägers. Wohl velangt das Rückwärtsfahren auch in Betrieben, also auch auf Baustellen, besondere Vorsicht und erhöhte Aufmerksamkeit (Arb. 7443; ZVR 1984/207 uva, zuletzt etwa 14 Ob 162/86). Der Lenker eines Kraftfahrzeuges ist daher vor allem verpflichtet, das Befahren einer von ihm nicht eingesehenen Fahrtstrecke zu vermeiden und sich insbesondere eines Einweisers zu bedienen; andernfalls darf er sein Fahrmanöver nur ganz langsam ausführen und muß mit besonderer Aufmerksamkeit auf jedes Zeichen achten, das ihn auf eine Gefahr aufmerksam machen kann (ZVR 1964/92; ZVR 1982/351 uva). Wenn der Lenker mit der Anwesenheit fremder Personen auf dem Werksgelände nach den gegebenen Umständen nicht rechnen muß und er annehmen kann, daß die auf dem Gelände anwesenden Personen mit den entsprechenden Vorgängen vertraut sind und diese entsprechend beachten werden, dann kann er sich mit der Kontrolle des Geländes begnügen und von einem Einweiser absehen (Arb. 7443; 4 Ob 83/75).

Im vorliegenden Fall ist der Kläger unter Benützung beider Rückspiegel mit einer Geschwindigkeit nach rückwärts gefahren, die wesentlich langsamer war als Schrittgeschwindigkeit. Er wußte, daß sich auf der Baustelle nur Personen befanden, die mit dem auf einer Strecke von 50 bis 60 m seit Tagen ständig und in nur kurzen Zeitabständen wiederholten Fahrmanöver vertraut waren. Daß sich der LKW vor dem Anfahren kurze Zeit im Stillstand befunden hatte, wurde vom Berufungsgericht ohnehin festgestellt. Dieser Umstand ist aber für die Beurteilung der Verschuldensfrage ebensowenig von Bedeutung wie die Behauptung der klagenden Partei, es seien um einige Arbeiter mehr auf der Baustelle gewesen, als festgestellt wurde. Entscheidend ist, daß die anwesenden Arbeitnehmer mit den Vorgängen auf der Baustelle vertraut waren und der Lenker damit rechnen konnte, daß sie diese Vorgänge entsprechend beachten würden. Unter diesen Umständen war die Verwendung eines Einweisers entbehrlich; sie wäre im übrigen bei Berücksichtigung des stereotypen, allen bekannten Arbeitsablaufes sowie des Umstandes, daß der Einweiser praktisch keine andere Arbeit hätte verrichten können, als den Lenker auf dessen kurzen Fahrten einzuweisen, um dann wieder mehrere Minuten ohne Beschäftigung zu sein, aus arbeitsorganisatorischen Gründen kaum zu rechtfertigen gewesen. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht ein Verschulden des LKW-Lenkers H*** verneint. Die Revision muß somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41, 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E10518

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:014OBA00030.87.0310.000

Dokumentnummer

JJT_19870310_OGH0002_014OBA00030_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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