TE OGH 1987/3/12 8Ob531/87

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Veröffentlicht am 12.03.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Renü V***, geboren am 17. März 1981, infolge Revisionsrekurses der Mutter Sabine V***, dzt. ohne Beschäftigung, Nordwestbahnstraße 27/2/8, 1020 Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 30. Oktober 1986, GZ. 43 R 650/86-34, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 13. August 1986, GZ. 10 P 285/84-31, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 21.6.1983, 10 Sch 64/83, gemäß § 55 a EheG rechtskräftig geschieden. Im Punkt I des im Scheidungsverfahren abgeschlossenen Vergleiches wurde von den Eltern des Minderjährigen vereinbart, daß das Recht, den Minderjährigen zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und ihn zu vertreten, der Mutter zusteht. Zur Zeit des Abschlusses dieses Scheidungsvergleiches hatte Sabine V*** einen Hausbesorgerposten inne, mit dem das Recht zur Benützung einer Dienstwohnung in Wien 5., Siebenbrunnenfeldgasse 24/1 b, verbunden war. Wegen hausinterner Schwierigkeiten wurde dieses Dienstverhältnis gelöst und der Mutter des Minderjährigen die Delogierung angedroht. Als Ersatzwohnung wurde ihr eine Wohnung in Wien 9., Lazarettgasse 17, namhaft gemacht. In dieser, durch Verlust des Arbeitsplatzes und der Dienstwohnung sowie hoher Schulden bei den Wiener Stadtwerken prekären Situation wurde der Mutter von seiten ihrer Eltern Unterstützung zuteil. Tatsächlich war Sabine V*** mit dem Minderjährigen seit Dezember 1984 in der Wohnung ihrer Mutter aufrecht gemeldet. Es war der Mutter auch bisher nicht möglich, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Nach Weihnachten 1984 nahm sie mit dem ebenfalls arbeitslosen Harald G*** Beziehungen auf und bezog mit dem Minderjährigen G*** Wohnung in Wien 9., Mariannengasse 15/2. Sabine V*** bestritt zwar anläßlich ihrer Vernehmung vom 9.4.1985, Alkoholprobleme zu haben, sie befand sich jedoch in der Zeit vom 9.8. bis 17.9.1985 in stationärer Behandlung des Anton Proksch-Institutes in Kalksburg und unterzog sich dort eier Alkoholentwöhnungskur. Die ambulante Nachbetreuung nahm sie nicht mehr in Anspruch. Seit Ende Jänner 1986 lebt sie gemeinsam mit dem Minderjährigen in der Wohnung ihres neuen Lebensgefährten Friedrich D*** in Wien 2., Nordwestbahnstraße 27/2/8. Derzeit kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Mutter weiterhin zu übermäßigem Alkoholkonsum neigt.

Der Minderjährige Renü V*** ist ein körperlich altersentsprechend entwickelter Knabe, der im Kontakt gehemmt reagiert, introvertiert ist und bei dem eine geringe Spontaneität auffallend ist. In der Sprachentwicklung erscheint er verzögert. Gerhard V*** ist seit Oktober 1983 wieder verheiratet; dieser Ehe entstammt die am 25.Oktober 1984 geborene Alexandra. Die nunmehrige Frau Gerhard V***'S ist mit einer Übernahme des minderjährigen Renü einverstanden.

Am 2.Oktober 1984 beantragte Gerhard V***, ihm die

elterlichen Rechte hinsichtlich des mj.Renü zuzuerkennen, weil sich die Verhältnisse bei seiner geschiedenen Frau seit Weihnachten 1983 wegen Alkoholproblemen dramatisch verschlechtert hätten, sie ihren Hausbesorgerposten verloren habe, er wieder verheiratet sei und der Minderjährige nun zu ihm wolle.

Sabine V*** sprach sich gegen diesen Antrag aus, weil sie keine Alkoholprobleme habe und den Minderjährigen bei sich behalten möchte.

Das Erstgericht übertrug in Abänderung des Scheidungsvergleiches das Recht, den minderjährigen Renü zu pflegen und zu erziehen, ihn zu vertreten und sein Vermögen zu verwalten, dem ehelichen Vater. Es traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus aufgrund des Befundes und Gutachtens des psychologischen Dienstes des Magistrates der Stadt Wien, MA 11-Jugendamt, im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Der Minderjährige ist nicht gewohnt, bei Erwachsenen Anregungen bzw. Anerkennung zu suchen. Er hat zu beiden Elternteilen eine gute Bindung. Obwohl die wichtigste Bezugsperson des Minderjährigen dessen Mutter ist, erscheint aus psychologischer Sicht die Übernahme des Minderjährigen durch den Vater angezeigt, weil die Mutter wegen ihrer persönlichen Probleme so belastet ist, daß sie nur im beschränkten Maße auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen kann, was zu einer defizitären Entwicklung des Minderjährigen führen kann. Die besseren Sozialisierungsbedingungen bestehen im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei Sabine V*** beim Vater des Minderjährigen. Bei der rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, daß der Minderjährige im Mittelpunkt stehe und dieser ein Recht habe, sich in der Restfamilie möglichst konfliktfrei und adäquat zu entwickeln. Dieses Recht scheine der Minderjährige derzeit aber am ehesten beim Vater realisieren zu können.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs der ehelichen Mutter nicht Folge. Entgegen ihrer Darstellung biete auch ihre nunmehrige Lebensgemeinschaft mit Friedrich D*** keine Gewähr für eine nunmehr eingetretene Stabilisierung des Umfelds des Minderjährigen. Die Mutter des Minderjährigen habe sich in den bei ihr bestehenden schwierigen Verhältnissen noch nicht ausreichend zurechtgefunden, um dem Minderjährigen die für eine gedeihliche Entwicklung notwendige Kontinuität in Erziehung und Umwelt bieten zu können. Darüber hinaus sei auch zweifelhaft, ob die Mutter derzeit eine zu ihrer objektiven Beurteilung ihrer gesundheitlichen Lage ausreichende Kritikfähigkeit sich selbst gegenüber besitze. Nach den Ergebnissen des Verfahrens könne jedenfalls derzeit nicht ausgeschlossen werden, daß sie ihr Alkoholproblem noch nicht zur Gänze überwunden habe; in diesem Zusammenhang erweise sich auch als möglicherweise symptomatisch, daß sie selbst eine ambulante Nachbetreuung durch die hiefür vorgesehenen Stellen ablehne. Eine Änderung der Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten sei aber auch dann zu bejahen, wenn sie dem Kind zum überwiegenden Wohle gereiche, ohne daß dem bisher Erziehungsberechtigten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden könne; denn das ausschließliche Kriterium für die Zuteilung oder Änderung der elterlichen Rechte sei das Wohl des betroffenen Kindes. Eine wesentliche Verbesserung der Unterbringungs-, Pflege- und Erziehungsverhältnisse könnten daher bereits eine Übertragung der Elternrechte rechtfertigen. Wie bereits das Erstgericht völlig zutreffend ausgeführt habe, seien die sich aus der Trennung und ihrer Verarbeitung ergebenden sowie die mit der Kündigung und Delogierung verbundenen Schwierigkeiten der Mutter nicht vorwerfbar. Ein weiteres Zuwarten mit der Entscheidung wäre jedoch mit Rücksichtnahme auf das legitime Interesse des Kindes auf ehestbaldige Feststellung seiner rechtlichen Lebensverhältnisse nicht mehr vertretbar gewesen.

Diese Entscheidung des Rekursgerichtes wurde der ehelichen Mutter am 12.1.1987 zugestellt. Am 27.1.1987 gab sie den gegen diese Entscheidung erhobenen Revisionsrekurs beim Erstgericht zu Protokoll. Zur Begründung dieses Rechtsmittels führte Sabine V*** im wesentlichen aus, daß sich ihre Situation stabilisiert habe, weil sie keine Alkoholprobleme mehr habe, voraussichtlich im März 1987 heiraten werde, ihr Lebensgefährte berufstätig und gewillt sowie in der Lage sei, für sie und ihren Sohn zu sorgen, sie einen Hausbesorgerposten in Aussicht habe, der Minderjährige bei ihr leben möchte und ihr geschiedener Mann damit auch einverstanden sei.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Revisionsrekurs ist zurückzuweisen.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß zunächst die Zulässigkeit und dann erst die Rechtzeitigkeit eines Rekurses zu prüfen ist (EFSlg 42.229, 44.433 ua). Da das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes bestätigte, ist der Revisionsrekurs nur wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit, Aktenwidrigkeit oder Nichtigkeit zulässig (§ 16 AußStrG). Das vorliegende Rechtsmittel stützt sich jedoch auf keinen dieser Anfechtungsgründe. Der Beschwerdegrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn die zu beurteilende Frage im Gesetz so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (SZ 46/98 und die dort angeführte Rechtsprechung; EFSlg 32.616, 37.388, 47.208 uva). Wie sich aus § 177 ABGB ergibt, ist für die nach dieser Gesetzesstelle zu treffende Entscheidung darüber, welchem Elternteil die im § 144 ABGB umschriebenen Rechte und Pflichten hinsichtlich eines Kindes allein zustehen sollen, das Wohl des Kindes maßgebend. Gemäß § 178 a ABGB sind bei Beurteilung des Kindeswohles die Persönlichkeit des Kindes und seine Bedürfnisse, besonders seine Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten sowie die Lebensverhältnisse der Eltern entsprechend zu berücksichtigen. Unter Bedachtnahme auf diese Entscheidungskriterien hat das Rekursgericht im Rahmen des ihm damit eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens seine bestätigende Entscheidung hinsichtlich des Minderjährigen getroffen. Darin kann aber eine offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG nicht erblickt werden (JBl 1968, 373; SZ 44/180; EFSlg 32.640 ua). Insoweit die Revisionsrekurswerberin in ihrem Rechtsmittel darzulegen versucht, daß das Wohl des Minderjährigen auch bei einem weiteren Verbleib bei ihr gewahrt wäre, stellen sich die Ausführungen lediglich als unbeachtlicher Versuch dar, einerseits die Beweiswürdigung und Feststellungen der Vorinstanzen über ihre persönlichen Verhältnisse zu bekämpfen und anderseits, eine unrichtige rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes durch die Vorinstanzen aufzuzeigen. Im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses nach § 16 AußStrG kann nämlich weder die Beweiswürdigung bekämpft (EFSlg 44.640, 47.206 ua), noch eine allfällige unrichtige rechtliche Beurteilung (die nicht auch eine offenbare Gesetzwidrigkeit darstellt) geltend gemacht werden (SZ 39/103; EFSlg 30.557, 32.594, 44.641, 47.209 ua).

Da die Ausführungen der Revisionsrekurswerberin in ihrem Rechtsmittel auch nicht dem Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit oder Nichtigkeit unterstellt werden können, erweist sich der Revisionsrekurs als unzulässig.

Der Revisionsrekurs müßte aber auch selbst bei Annahme seiner Zulässigkeit zurückgewiesen werden, weil das Rechtsmittel der Mutter nach Ablauf der im § 11 Abs 1 AußStrG normierten 14tägigen Rechtsmittelfrist erhoben wurde. Nach § 11 Abs 2 AußStrG hat das Recht des Gerichtes, auf ein verspätetes Rechtsmittel Rücksicht zu nehmen, zur Voraussetzung, daß sich die angefochtene Entscheidung ohne Nachteil eines Dritten abändern läßt. "Dritter" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede am Verfahren beteiligte vom Rechtsmittelwerber verschiedene Person, somit im vorliegenden Fall auch der Vater des Minderjährigen und dieser selbst (EFSlg 42.230 ua). Diese haben durch die angefochtene Entscheidung Rechte erlangt (EFSlg 47.105 ua); eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung wäre somit ohne Nachteil dieser Personen nicht möglich. Der Revisionsrekurs mußte daher zurückgewiesen werden.

Anmerkung

E10583

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00531.87.0312.000

Dokumentnummer

JJT_19870312_OGH0002_0080OB00531_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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