TE OGH 1987/3/12 8Ob85/86

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Veröffentlicht am 12.03.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas B***, Pensionist, Brentenmaisstraße 2 b, 3021 Preßbaum, vertreten durch Dr.Peter Windhopp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Verlassenschaft nach Friedrich W***, Pensionist, Tullnerbachstraße 81, 3011 Purkersdorf, und 2.) I*** Internationale Unfall- und Schadenversicherungs-AG, Tegetthoffstraße 7, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr.Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 686.759,40 und Feststellung infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 28.August 1986, GZ 15 R 49/86-17, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 4. Dezember 1985, GZ 3 Cg 755/84-14, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Zuspruch eines Betrages von S 126.579,50 s.A. und in der Feststellung betreffend die Haftung der Beklagten zu 50 % für sämtliche in Hinkunft aus dem Verkehrsunfall vom 11.Juni 1981 auftretenden Schäden sowie in der Abweisung eines Betrages von S 100.000,-- s.A. als unangefochten unberührt bleiben, werden im übrigen aufgehoben; die Rechtssache wird an das Gericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 11.Juni 1981 ereignete sich auf der Hauptstraße B 44 in Preßbaum ein Unfall, an dem der Kläger mit seinem Motorfahrrad Sachs Optima 1 D und Friedrich W*** als Lenker des PKW VW 1303 mit dem pol. Kennzeichen N 36.043, der bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert war, beteiligt waren. Friedrich W*** wurde wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall, StGB verurteilt, weil er den Kläger trotz dessen Linksabbiegemanövers zu überholen versucht und das Moped gestreift habe, was zu dessen Verletzung führte. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Bezahlung des Betrages von S 686.759,40 s.A., der sich aus S 500.000,-- Schmerzengeld, S 2.149,40 für die Mopedreparatur, S 1.010,-- für Taxifahrten zu Gericht und ins Spital, sowie aus S 54.000,-- und S 129.600,-- für Pflegekosten zusammensetzte. Gleichzeitig stellte er ein entsprechendes Feststellungsbegehren.

Die Beklagten stellten die begehrten Ersatzposten von S 2.149,40 und S 1.010,-- der Höhe nach außer Streit, bestritten im übrigen das Klagevorbringen und beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Den Kläger treffe zumindest ein Mitverschulden von 50 %, weil er die Kurve beim Einbiegen geschnitten und sich nicht für den Nachfolgeverkehr erkennbar eingeordnet habe. Darüber hinaus stehe nicht fest, ob es zu einer Kontaktierung der Fahrzeuge kam. Was das Schmerzengeld anlange, habe der Kläger bereits vor dem Unfall an einer schweren verengenden Beingefäßverkalkung gelitten, so daß er auch ohne den Verkehrsunfall in naher Zukunft das Bein verloren hätte.

Das Erstgericht sprach dem Kläger mit Teilurteil einen Betrag von S 403.159,40 s.A. zu, wies ein Mehrbegehren von S 100.000,-- s.A. ab und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es traf nachstehende Feststellungen:

Der Kläger beabsichtigte, auf der Höhe des Hauses Nr.54 der Preßbaumer Hauptstraße nach links zu einer Aral-Tankstelle zuzufahren. Er schaltete den linken Blinker seines Mopeds ein, schaute in den Rückspiegel, drehte sich sogar um und fuhr dann in einem Bogen nach links weiter. Zur gleichen Zeit kam der Erstbeklagte mit einer Geschwindigkeit von etwa 43 km/h aus der gleichen Richtung, übersah jedoch den vom Kläger betätigten Blinker und setzte zu einem Überholmanöver an. Etwa 20 m vor der Zusammenstoßstelle erkannte er das Linksabbiegemanöver des Klägers, konnte jedoch den Zusammenstoß trotz Bremsung nicht mehr verhindern. Er stieß mit einer Geschwindigkeit von etwa 25 km/h mit seinem PKW gegen das Moped des Klägers, wodurch dieser stürzte und einen Bruch im Bereiche des rechten inneren und äußeren Schienbeinkopfes mit Ausrenkung im proximalen Kniegelenk und Ausriß des inneren Knieseitenbandes erlitt. Durch diesen Unfall wurden bereits bestehende Gefäßinnenwandveränderungen am rechten Bein so weit traumatisiert, daß es zum Absterben des Unterschenkels und des Fußes kam. In der Folge mußte das rechte Knie oberhalb des Kniegelenkes amputiert werden. Der Kläger befand sich bis zum 21.August 1981 in stationärer Behandlung im Wilhelminenspital und sodann vom 1.Oktober bis zum 28.Oktober 1981 in der Sonderheilanstalt Zicksee. Auf Grund der beim Unfall erlittenen Verletzungen erduldete er anhaltend und zusammengerafft 24 Tage sarke, 35 Tage mittlere und über einen Zeitraum von 150 Tagen leichte Schmerzen. Er kann derzeit nur kleinere Strecken mittels zweier Stützkrücken ohne fremde Hilfe zurücklegen.

In rechtlicher Hinsicht verwies das Erstgericht darauf, daß sich der Erstbeklagte in allen Phasen seines Linksabbiegemanövers korrekt verhalten und insbesondere seine Absicht, links zuzufahren, rechtzeitig angezeigt habe. Der Kläger hätte ihn nicht überholen dürfen. Als Schmerzengeld sei ein Betrag von S 400.000,-- angemessen. Das Klagebegehren bezüglich des Ersatzes der Pflegekosten sei noch nicht spruchreif.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt. Das Gericht zweiter Instanz verwies darauf, daß sich die Bindungswirkung des gegen den Erstbeklagten ergangenen Strafurteils auch auf die den Schuldspruch begründenden Tatsachen erstreckte, also auf diejenigen vom Strafgericht festgestellten Tatumstände, die in ihrer Gesamtheit den Straftatbestand ergeben; dabei sei gleichgültig, ob sie im Spruch oder in den Gründen des Strafurteiles stehen. Die Bindung bewirke, daß der Zivilrichter, mag er auch in der Beurteilung des Mitverschuldens einer anderen Person (des Beschädigten) sonst frei sein, keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen bezüglich des Nachweises der strafbaren Handlung, ihrer Zurechnung und ihren Folgen treffen darf. Ein Mitverschulden, das mit der Annahme des vom Strafgericht seiner Verurteilung zugrunde gelegten Sachverhaltes in logischem Widerspruch stünde, könne vom Zivilgericht nicht angenommen werden. Demzufolge seien einerseits entgegen der Bindungswirkung getroffene Feststellungen wirkungslos, andererseits könne das Rechtsmittelgericht ohne weitere Verfahrensschritte von der Unterinstanz unterlassene, jedoch gemäß § 268 ZPO bindende Feststellungen seiner Entscheidung zu Grunde legen. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger allenfalls kurvenschneidend in die Tankstelle einfuhr. Einerseits könnte eine solche mit der Verurteilung des Erstbeklagten nicht in Einklang zu bringende Feststellung nicht getroffen werden, andererseits könnte selbst eine geringfügige Abweichung der Fahrlinie nicht zur Annahme einer meßbar ins Gewicht fallenden Mitverschuldenskomponente zu Lasten des Klägers führen; die Zugrundelegung einer wesentlich abweichenden Fahrlinie stünde aber im Widerspruch zur Bindungswirkung des § 268 ZPO. Die Bemessung des Schmerzengeldes durch das Berufungsgericht sei zu billigen. Zur Frage der Berücksichtigung der krankhaften Anlage des Beines des Klägers sei entscheidend, ob die krankhafte Anlage des Verletzten ab einem ganz bestimmten Zeitpunkt auch ohne den Unfall mit Sicherheit dieselben nachteiligen Folgen ergeben hätte. Von diesem Zeitpunkt an sei der Schädiger entlastet; stehe dies jedoch noch nicht fest, so ist er grundsätzlich ersatzpflichtig. Dies treffe hier zu, weil dem Kläger selbst 5 Jahre nach dem Unfall das andere (vorgeschädigte) Bein nicht amputiert wurde.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben oder dahin abzuändern, daß das Klagebegehren, soweit es den Betrag von S 126.579,50 übersteigt sowie eine Haftung von mehr als 50 % angenommen wird, abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Beklagten stellen sich in ihrem Rechtsmittel zunächst auf den Standpunkt, daß ihr Mitverschuldenseinwand, wonach der Kläger gegen die Bestimmung des § 13 Abs 1 und 2 StVO durch kurvenschneidendes Abbiegen verstoßen habe, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes berechtigt sei. Dazu war zu erwägen:

Beabsichtigt der Lenker eines Fahrzeuges nach links abzubiegen, so hat er gemäß § 12 Abs 1 StVO das Fahrzeug, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß niemand zum Überholen angesetzt hat, auf den der Fahrbahnmitte zunächst gelegenen Fahrstreifen seiner Fahrtrichtung zu lenken. Gemäß § 13 Abs 1 StVO ist - auch beim Einbiegen außerhalb eines Kreuzungsverkehrs - nach links in weitem Bogen einzubiegen. Diese Grundsätze dienen auch dem Schutz des nachfolgenden Verkehrs (8 Ob 146/78 und 2 Ob 3/86). Es ist ständige Rechtsprechung, daß der Zivilrichter, wenn die Entscheidung von dem Beweis und der Zurechnung einer strafbaren Handlung abhängt, an den Inhalt eines hierüber ergangenen rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichtes gebunden ist. Diese Bindung erstreckt sich auf alle den Schuldspruch notwendigerweise begründenden Tatsachen, d.h. auf alle vom Strafgericht festgestellten Tatumstände, die in ihrer Gesamtheit den Straftatbestand ergeben, gleichgültig, ob sie im Spruch oder in den Gründen des Strafurteils enthalten sind. Wie weit der Schadenserfolg auch aus dem Verschulden des Beschädigten eingetreten ist, hat der Zivilrichter hingegen selbständig zu entscheiden (EvBl 1983/34; 4 Ob 150/83 ua); bei der Beurteilung eines allfälligen Mitverschuldens des Beschädigten ist der Zivilrichter frei (ZVR 1981/45 uza).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, ist davon auszugehen, daß aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung dem Erstbeklagten der unzulässige Versuch anzulasten ist, das Moped trotz dessen Linksabbiegemanöver überholt, es dabei gestreift und den damit fahrenden Kläger zu Sturz gebracht zu haben. Zur Fahrweise des Klägers fehlen jegliche Feststellungen darüber, welche Fahrlinie er eingehalten hat und wo er sich befand, als der Zusammenstoß erfolgte. Das Erstgericht stellte nur fest, daß er "dann in einem Bogen nach links fuhr. Diese Feststellung reicht für eine verläßliche Beurteilung dahin, ob den Kläger - wie eingewendet wurde - ein Mitverschulden am Unfall trifft, weil er verkehrswidrig nach links abbog, nicht aus. Diese fehlenden Feststellungen können nicht mit dem Hinweis darauf ersetzt werden, daß der Schuldspruch des Erstbeklagten eine verkehrsgerechte Fahrweise des Klägers voraussetze, weil die für das Zivilgericht bindende Feststellung des Strafrichters nur das unzulässige Überholmanöver des Erstbeklagten beinhaltet, darüber aber, ob dem Kläger ebenfalls eine verkehrswidrige Fahrweise angelastet werden muß, nichts aussagt bzw. mit bindender Wirkung nichts aussagen kann.

Zutreffen ist jedoch - im Gegensatz zur weiters dargelegten Ansicht der Beklagten in der Revision - die Auffassung des Berufungsgerichtes insoweit, als es die Schmerzengeldforderung des Klägers grundsätzlich bejaht. Die Vorschädigung des Beines des Klägers kann im vorliegenden Fall nicht dazu führen, bei der Schmerzengeldbemessung einen Abstrich aus Gründen der den Beklagten vorschwebenden "überholenden Kausalität" vorzunehmen. Zur Annahme einer solchen und einer daraus resultierenden Entlastung der Beklagten wäre entscheidend, ob sich aus der krankhaften Anlage des Beines des Klägers ab einem ganz bestimmten Zeitpunkt auch ohne den Unfall mit Sicherheit dieselben nachteiligen Folgen ergeben hätten, wie sie durch den Unfall eintraten (Bydlinski, JBl 1967, 135 f; ZVR 1980/151; SZ 55/28 ua); davon kann aber im vorliegenden Fall nach den getroffenen Feststellungen nicht die Rede sein. Zutreffend verwies das Berufungsgericht darauf, daß das vorgeschädigte zweite Bein des Klägers 5 Jahre nach dem Unfall noch nicht amputiert zu werden brauchte; alle weiteren Argumente der Beklagten gehen daher an den dargelegten Grundsätzen vorbei. Gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzengeldes bestehen im übrigen aufgrund der ausgedehnten Schmerzperioden und im Hinblick darauf, daß der Verlust eines Beines für den Kläger eine äußerst gravierende Verletzungsfolge bedeutet, keine Bedenken.

Da jedoch die Frage, ob und bejahendenfalls inwieweit den Kläger im Rahmen der geltend gemachten Einwendungen ein Mitverschulden am Unfall trifft, noch nicht abschließend geklärt ist, waren die Urteile der Vorinstanzen - soweit sie nicht unangefochten blieben - aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E10805

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00085.86.0312.000

Dokumentnummer

JJT_19870312_OGH0002_0080OB00085_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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