TE OGH 1987/4/1 3Ob645/86

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Veröffentlicht am 01.04.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Gernot E***, Schüler, 9100 Völkermarkt, Faschinggasse 5, vertreten durch die Mutter Christine E***, Hausfrau, ebendort, diese vertreten durch Dr. Edwin Kois, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei L*** K***, vertreten durch Dr. Ulrich Polley und Dr. Helmut Sommer, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen restlicher 180.000 S und Feststellung (Gesamtstreitwert im Revisionsverfahren 230.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 12. Juni 1986, GZ 7 R 71/86-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 8. Februar 1986, GZ 27 Cg 91/84-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit S 8.495,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 772,35 Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 4. Dezember 1967 geborene Kläger wurde am 14. November 1980 in einem von der beklagten Partei betriebenen Krankenhaus am Ohr operiert. Nach der Operation trat einerseits eine Gesichtsnervenlähmung auf und andererseits entstand eine Nekrose (Gewebetod), die in der Folge zum teilweisen Verlust der rechten Ohrmuschel führte.

Der Kläger begehrte ein Schmerzengeld von S 450.000,-- und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden mit der Begründung, es habe vor der Operation keine Aufklärung über deren Risiken stattgefunden und seine Gesundheitsschädigung sei im übrigen durch Verwendung eines zuwenig stark verdünnten Injektionsmittels unmittelbar vor der Operation verursacht worden. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß eine Aufklärung stattgefunden habe, und bestritt den behaupteten Kunstfehler.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil es weder eine Verletzung der Aufklärungspflicht noch einen Kunstfehler als erwiesen annahm.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes teilweise dahin ab, daß dem Leistungsbegehren mit S 180.000,-- und dem Feststellungsbegehren zur Gänze stattgegeben wurde. Es bewertete den Streitgegenstand der Teilabänderung mit über 300.000,-- S. Das Berufungsgericht gelangte nach durchgeführter Beweiswiederholung im wesentlichen zu folgenden Tatsachenfeststellungen:

Zur Operation kam es, weil ein Hals- und Ohrenfacharzt eine Perforation des Trommelfells festgestellt hatte, die zu Ohrenschmerzen beim Kläger geführt hatte und eine Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr für das Alter befürchten ließ, und den Kläger in die Klinik der beklagten Partei wegen Verdachtes eines Cholesteatoms (Geschwulst) einwies. Die dann durchgeführte Operation (Vornahme einer Tympanoplastik) war zwar medizinisch angezeigt, aber nicht dringlich.

Weder der im Zeitpunkt der Operation dreizehn Jahre alte Kläger noch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin wurden vor der Operation über deren Risiken aufgeklärt. Insbesondere geschah dies auch nicht durch die dafür in Betracht kommenden, im Krankenhaus der beklagten Partei Dienst versehenden Ärzte, nämlich dem Aufnahmearzt, den Stationsarzt oder den Operateur. Bei der Aufnahme unterfertigte die Mutter allerdings eine schriftliche Erklärung, daß sie der Operation des Klägers zustimme und über mögliche Folgen und Nebenwirkungen informiert worden sei. Sie hatte aber den fraglichen Revers vor der Unterfertigung nicht durchgelesen. Wäre die Mutter auf die Gefahr einer Lähmung der Gesichtsnerven oder eines Gewebetods im Ohrmuschelbereich aufgeklärt worden, hätte sie der Operation nicht zugestimmt, sondern lieber eine Alterstaubheit in Kauf genommen.

Bei einer Operation der vorgenommenen Art tritt in etwa 1 % der Fälle eine Gesichtsnervenlähmung ein, weil durch die Operation selbst der Gesichtsnerv unmittelbar verletzt werden kann. Im vorliegenden Fall wurde die Gesichtslähmung freilich nicht durch den Operationsvorgang selbst verursacht (der Nervenkanal war nachher nirgends defekt), sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit führte die Einspritzung eines gefäßverengenden Mittels (Suprareninlösung) zu einem Spasmus (Krampf) bzw. einer Thrombose der Ohrenschlagader und damit zu einem Funktionsverlust des Gesichtsnerves. Weiters trat ein Absterben des Ohrmuschelgewebes ein. Daß bei der Verwendung dieses üblichen Mittels zur Gefäßverengung derartige Schäden entstehen, war bisher in Fachkreisen nicht bekannt.

Der Kläger war vom 14. November 1980 bis 5. Dezember 1980 im Krankenhaus der beklagten Partei stationär aufgenommen, begab sich aber dann zur nötigen Nachbehandlung in ein Krankenhaus in Graz, wo er vom 10. Dezember 1980 bis 4. Februar 1981 und vom 26. Februar 1981 bis 8. April 1981 stationär aufgenommen wurde, um eine operative Revision des Ohres vorzunehmen. Infolge der beiden Operationen erlitt der Kläger 4 Tage starke, 6 Tage mittelstarke und 20 Tage leichte Schmerzen. Die Gesichtsnervenlähmung hat sch nach der Zweitoperation in Graz im Jahr 1981 gebessert. Eine gut kompensierte Gesichtslähmung rechts mit teilweisem Augenlidflattern bleibt aber als Dauerfolge, ebenso wie der Verlust des oberen Teiles der rechten Ohrmuschel zurück. Eine Schulklasse mußte der Kläger als Folge dieser Gesundheitsbeeinträchtigung wiederholen. Er ist seither in seiner Sportausübung beeinträchtigt. Wenn der Kläger Berührungen empfindet, wirken diese immer noch wie bei einem abgestorben gewesenen Bereich. Bei kräftigeren Berührungen stellt sich ein stechender Schmerz ein. Der Kläger muß vorsichtig beim Hantieren mit Wasser sein, damit es nicht in den Gehörgang dringt, da er sonst Schmerzen verspürt. Er kann nicht mehr tauchen, bei Regenwetter gibt er vorbeugend einen Wattepfropfen in den Beginn des Gehörgangs. Beim Waschen muß er den Gehörgang zuhalten. Bei säuerlichen Speisen oder bei Getränken mit Kohlensäure empfindet der Kläger einen stark stechenden Schmerz im Nervenbereich der rechten Seite. Gegen Zugluft muß er das Ohr auch schützen, weil er sonst nach kurzer Zeit Schmerzen empfindet. Wegen des Ohrs mußte er nach der Entlassung in Graz keine Nachbehandlungen beim Hausarzt oder Facharzt mehr mitmachen, wohl aber eine elektrische Nachbehandlung zur Reaktivierung des Gesichtsnerves ein Jahr nach Krankenhausentlassung. Bei starken körperlichen Anstrengungen stellt sich beim Kläger nach kurzer Zeit ein Schwindelgefühl ein, zB beim schnellen Laufen. Das vergeht dann wieder nach einigen Minuten. Der Kläger muß sich dann meistens niedersetzen. Wenn er beim Turnen eine Lage mit dem Kopf nach unten einnimmt, wird ihm nach einiger Zeit ebenfalls schwarz vor den Augen, wie wenn er aus liegender Haltung plötzlich aufsteht. Am Turnunterricht nimmt er regelmäßig teil, muß aber auf seine Behinderungen Rücksicht nehmen. Wenn der Kläger anderen Leuten beim Essen saurer Speisen zuschaut, bekommt er genau dasselbe Gefühl, als wenn er sie selbst essen würde. Er muß dann wegschauen. Die Kautätigkeit nimmt der Kläger hauptsächlich mit der linken Seite vor. Bei Benützung des rechten Kiefers müßte er den Unterkiefer mit der Hand unterstützen. Das rechte Auge ist gegen Luftzug empfindlich. Beim Radfahren tränt es im Gegensatz zum linken. Wenn der Kläger das rechte Auge etwa durch Fernsehen länger anstrengt, muß er auch eine Pause einlegen oder es schließen. Auf Grund dieser Feststellungen ging das Berufungsgericht von einer Verletzung der Aufklärungspflicht aus. Daß die Schädigung des Gesichtsnerves beim Kläger nicht durch eine mechanische Einwirkung beim chirurgischen Eingriff selbst, sondern durch eine spastische Wirkung des eingespritzten gefäßverengenden Mittels verursacht worden sei, ändere nichts daran, daß die Operation an sich in 1 % der Fälle (wenn auch aus anderen Gründen), zu einer Gesichtsnervenlähmung führen könne. Eine gänzliche Unterlassung jeglicher Aufklärung sei daher nicht vertretbar. Die beklagte Partei sei schadenersatzpflichtig. Angemessen sei ein Schmerzengeld von S 180.000,--.

Die von der beklagten Partei erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachten Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit (§ 503 Abs. 1 Z 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Berufungsgerichtes ist aber auch frei von Rechtsirrtum. Zum Wesen und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht kann auf die Ausführungen der in der Revision zitierten Entscheidung SZ 55/114 verwiesen werden. Danach darf der Arzt eine Operation der vorliegenden Art - unmittelbare Lebensgefahr bestand zweifellos nicht - nur mit Einwilligung des Patienten vornehmen, wobei die Einwilligung nur dann wirksam abgegeben werden kann, wenn der Patient über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde. Ist der ärztliche Eingriff an einem Minderjährigen in urteilsfähigem Alter vorzunehmen, muß sowohl die Einwilligung des Minderjährigen als auch die Zustimmung des sorgeberechtigten gesetzlichen Vertreters eingeholt werden (dazu ausführlich Aicher in Rummel, ABGB, Rz 17 zu § 16 und SZ 57/207).

Im vorliegenden Fall erfolgte nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen keinerlei Aufklärung und es fand zwischen den im Krankenhaus der beklagten Partei zuständigen Ärzten und dem minderjährigen Patienten und seiner Mutter auch keine Gespräche darüber statt, ob etwa eine Aufklärung schon vom einweisenden Facharzt erteilt worden sei oder eine nähere Aufklärung nicht gewünscht werde. Ohne solche Gespräche zwischen dem Patienten (bzw. dem gesetzlichen Vertreter des Patienten) und dem Arzt kann dieser aber unmöglich beurteilen, inwieweit eine psychische Verunsicherung des Patienten im Interesse seines Wohles aus therapeutischen Gründen eine besonders vorsichtige Gestaltung der Aufklärung nahelegt, ob Anhaltspunkte für einen allenfalls auch konkludenten Verzicht auf weitere Aufklärung gegeben sind usw. (SZ 57/207).

Da gerade der Eintritt einer Gesichtslähmung bei Operationen dieser Art zu den typischen Risiken zählt, war bei der Aufklärung besonders auf diese Gefahr hinzuweisen. Auf eine in Prozenten auszudrückende (geringe) Wahrscheinlichkeit einer solchen Komplikation kommt es dabei nicht an (SZ 55/114, SZ 57/207). Wie vom Sachverständigen wegen der geringen Wahrscheinlichkeit gemeinte Entbehrlichkeit einer Aufklärung bezieht sich übrigens auf erwachsene Patienten.

Richtig ist allerdings, daß die bei der klagenden Partei tatsächlich eingetretene Gesichtslähmung nicht auf die bei Operationen dieser Art vorauszusehende Weise zustandekam. In den Aufklärungsgesprächen hätte also wohl auf die Gefahr einer Gesichtslähmung hingewiesen werden müssen, nicht aber darauf, daß diese außer durch eine unmittelbare Verletzung der Gesichtsnerven auch mittelbar durch die Verwendung eines Gefäßverengungsmittels eintreten könne. Das ändert aber nichts daran, daß im gegebenen Fall eine Aufklärungspflicht bestand und diese Pflicht von den Ärzten der beklagten Partei verletzt wurde, sodaß die Operation insgesamt ohne Einwilligung des Patienten und damit rechtswidrig geschah. Die beklagte Partei hat daher für die eingetretenen, geradezu typischen widrigen Folgen dieser eigenmächtig vorgenommenen Operation einzustehen, gleichgültig ob diese Folgen auf eine typische Weise bewirkt wurden. Im Falle der richtigen Aufklärung, daß der konkrete Schaden eintreten könne, wäre ja nach den Feststellungen die Zustimmung nicht erteilt worden. Die rechtswidrig unterlassene Aufklärung war also für den Eintritt des Schadens auch kausal. Der vom Berufungsgericht zugesprochene Schmerzengeldbetrag ist nicht überhöht. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Bemessung des Schmerzengeldes nicht nur auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild (also nicht tageweise oder nach bestimmten Zeitperioden) Bedacht zu nehmen, sondern es ist auch die Schwere der Verletzung und der erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen maßgebend, wobei auch als Folge der körperlichen Beschädigung eingetretene seelische Leiden einzubeziehen sind (siehe die Judikaturbeispiele bei Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 44 und 45 zu § 1325). Die durch längere Zeit bestehende Gesichtslähmung, die auch heute noch nicht ganz behoben ist, und der Verlust der Ohrmuschel stellen eine schwere Verletzung dar. Der Kläger, der mehrere Monate im Spital verbringen mußte, ein Schuljahr verlor, in der Sportausübung beeinträchtigt ist und die festgestellten sonstigen Gesundheitsstörungen laufend hinnehmen muß, erlitt auch erhebliche seelische Schmerzen, besonders im Zusammenhang mit der körperlichen Entstellung. In Anlehnung an vergleichbare Fälle ist daher ein Betrag von S 180.000,-- nicht unangemessen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 50, und 41 ZPO.

Anmerkung

E10915

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0030OB00645.86.0401.000

Dokumentnummer

JJT_19870401_OGH0002_0030OB00645_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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