TE OGH 1987/4/7 5Ob29/86

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Veröffentlicht am 07.04.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler, Dr.Jensik, Dr.Zehetner und Dr.Klinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** G*** W***- UND S*** reg. Genossenschaft

mbH, Lindengasse 55, 1070 Wien, vertreten durch Dr. Rudolf Fuchs, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Walter V***, Beamter, Valeriestraße 11/2/23, 2500 Baden, vertreten durch Dr. Gerd Hartung, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 30.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 22. Oktober 1985, GZ 45 R 577/85-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 30. April 1985, GZ 6 C 487/83-14, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der beiden Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung in die erste Instanz zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende G*** W***- UND S*** hat

mit dem Nutzungsvertrag vom 25.Juli 1967 dem beklagten Genossenschaftsmitglied die in ihrer Wohnungsanlage in der Gallitzinstraße 77 im 16. Wiener Gemeindebezirk gelegene Wohnung Nr. 4 im 1. Stock der 4. Stiege zur Nutzung überlassen. Mit der vorliegenden Klage begehrte sie die Verurteilung des Beklagten zur Unterlassung der Aussetzung von Pflanzen welcher Art immer auf den Grünflächen und auf den mit Pflanzen bewachsenen Flächen der angeführten Wohnungsanlage. Zur Begründung ihres Begehrens brachte sie im wesentlichen vor, daß der Beklagte ungeachtet eines bestehenden Verbotes der eigenmächtigen Bepflanzung der Grünflächen der Wohnungsanlage durch die nutzungsberechtigten Wohnungsinhaber zum Jahreswechsel 1982/1983 rund um die 4.Stiege der Anlage Bäume und Sträucher gepflanzt und diese Gewächse nach ihrer Entfernung durch die Hausverwaltung neuerlich ausgesetzt habe. Der Beklagte hat die Abweisung des Klagebegehrens beantragt und im wesentlichen eingewendet, es stehe ihm ebenso wie den anderen nutzungsberechtigten Wohnungsinhabern das Recht zum Aussetzen von Pflanzen auf den Grünflächen der Wohnungsanlage zu; die klagende Genossenschaft behandle ihn ungleich, weil sie die Pflanzungen anderer Genossenschaftsmitglieder geduldet habe und weiterhin dulde und nur gegen ihn mit Unterlassungsklage vorgehe, nachdem er, um weiteren Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, ohnedies die ausgesetzten Gewächse (eine kleine Fichte, eine Berberitze und zwei Contoneaster) bereits entfernt habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren Folge.

Das vom Beklagten angerufene Gericht zweiter Instanz bestätigte das Urteil der ersten Instanz, bemaß den Wert des Streitgegenstandes als über 60.000 S, nicht aber über 300.000 S liegend, und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof mit der Begründung zu, daß die Frage der Gleichbehandlung einzelner Genossenschaftsmitglieder durch die Genossenschaft für die Rechtsentwicklung und -sicherheit von erheblicher Bedeutung sei.

In der Sache selbst führte das Berufungsgericht zu den anstehenden Rechtsfragen im wesentlichen aus:

Der klagenden Genossenschaft stehe als Liegenschaftseigentümerin gemäß § 366 ABGB das Recht zu, jeden anderen vom Besitz der Grünflächen auf dieser Liegenschaft auszuschließen und damit jederzeit die Entfernung darauf gepflanzter Bäume oder Sträucher zu begehren. Ob sie diesen Anspruch gegen einen oder mehrere nutzungsberechtigte Genossenschaftsmitglieder geltend mache, bleibe ihr überlassen. Es sei daher unerheblich, ob die Klägerin auch von anderen Nutzungsberechtigten die Entfernung von ausgesetzten Gewächsen begehrt hat oder nicht, weil der Beklagte daraus für sich keine Recht ableiten könne. Der auf dem Eigentumsrecht der Klägerin beruhende Entfernungs- und Unterlassungsanspruch bestehe unabhängig davon, ob sich andere Nutzungsberechtigte durch derartige Pflanzungen beschwert erachten oder ob der Hausbesorger durch diese Gewächse beim Rasenmähen behindert ist oder nicht. Die für den Unterlassungsanspruch geforderte Wiederholungsgefahr sei gegeben, weil der Beklagte die vom Hausbesorger entfernten Gewächse wieder ausgesetzt und im übrigen im Verfahren erster Instanz den Rechtsstandpunkt verfochten habe, er sei ebenso wie die übrigen Wohnungsnutzungsberechtigten zu Anpflanzungen auf den Grünflächen der Wohnungsanlage berechtigt.

Der Beklagte bekämpft diese Entscheidung der zweiten Instanz mit Revision. Er stellt den Hauptantrag in Abänderung dieser Entscheidung das Klagebegehren abzuweisen, und begehrt hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung "an die Unterinstanzen" zurückzuverweisen.

Die Klägerin begehrt, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat - die Frage der Gleichbehandlung von wohnungsnutzungsberechtigten Genossenschaftsmitgliedern durch die Wohnungsgenossenschaft bisher in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes noch nicht zur Entscheidung stand und in Anbetracht der großen Bedeutung des genossenschaftlichen Wohnungswesens für die Rechtsfortentwicklung und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO hat.

Die Revision ist auch berechtigt.

Im Gebot der Gleichbehandlung der Genossenschaftsmitglieder durch die Genossenschaft findet das Treuegebot der Genossenschaft gegenüber ihren Mitgliedern fraglos die bedeutendste Konkretisierung (Müller, Kommentar zum Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Rz 34 zu § 18). Dieses Gebot bindet alle Organe der Genossenschaft, insbesondere den Vorstand (aaO Rz 35 zu § 18), und gilt nicht nur in bezug auf den Inhalt der Mitgliedschaft, sondern auch für den Geschäftsverkehr der Genossenschaft mit ihren Mitgliedern (Meyer/Meulenbergh/ Beuthien, Gen.Ges. 12 , Rz 37 zu § 18 mwN), denn gerade in diesen Beziehungen erbringt schließlich die Genossenschaft ihre Förderleistungen. Mitgliedschafts- und Geschäftsbeziehungen lassen sich demnach vom Gebot der Gleichbehandlung her nicht trennen (am zuletzt aO Rz 37 zu § 18). Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Genossenschaftsrecht ist auch in Österreich allgemein anerkannt (Kastner, Grundriß 4 , 353 mwN in FN 12). Er muß bei der Überlassung von Genossenschaftswohnungen durch die Genossenschaft an Genossenschaftsmitglieder, gleichviel ob - wie hier - durch Nutzungsverträge oder durch Mietverträge, besondere Beachtung finden (Müller aaO Rz 34 zu § 18 mwN; Meyer/Meulenbergh/Beuthien aaO Rz 37 zu § 18 mwN) und etwa auch bei der Ausgestaltung der Hausordnung berücksichtigt werden (Müller aaO Rz 83 zu Anh. § 1). Ohne einen zwingenden und sachlich gerechtfertigten Grund darf deshalb nicht einem Genossenschaftsmitglied eine bestimmte Art der Nutzung der Genossenschaftswohnung oder der Gemeinschaftsanlagen - wie etwa Grünflächen uä - untersagt werden, die einem oder mehreren anderen Genossenschaftsmitgliedern ausdrücklich oder auch nur stillschweigend gestattet wird. Gerade dies behauptete aber der Beklagte bezüglich der Bepflanzung von Grünflächen der Wohnungsanlage mit vereinzelten Gewächsen (Bäumchen und Sträuchern), aber die Vorinstanzen haben dieser beachtlichen Einwendung keine rechtliche Bedeutung beigemessen und die von ihm angebotenen Beweise als unerheblich abgelehnt. Sie haben dabei nicht erkannt, daß das Verbot der klagenden Genossenschaft, sollte es den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt haben, unwirksam wäre und daß dann der Beklagte Anspruch darauf hat, so gestellt zu werden, wie die von der klagenden Genossenschaft bevorzugt behandelten Genossenschaftsmitglieder gestellt worden sind (BGH in NJW 1960, 2142, bes. 2143). Das Erstgericht hat immerhin gemeint, die ungleiche Behandlung des Beklagten durch die Organe der klagenden Genossenschaft sei gerechtfertigt, weil - nach Aussage eines Zeugen und nach den im Akt erliegenden Fotos - die von ihm ausgesetzten Gewächse eine Belästigung, Behinderung (beim Grasmähen) oder Störung des Gesamtbildes der Anlage bewirkt hätten; konkret führte es allerdings im Rahmen seiner Tatsachenfeststellungen als ausschlaggebenden Grund für das Verbot gegenüber dem Beklagten nur an, daß die von ihm angepflanzten Gewächse den Hausbesorger beim Mähen behindert hätten und die Zwergfichte nach Meinung des Hausbesorgers nicht in die Anlage gepaßt habe (Seite 5 des Urteils = Seite 61 der Akten). Ob diese Meinungen des Hausbesorgers auch tatsächlich zwingende Rechtfertigungsgründe darstellen, vom Gleichheitsgebot in bezug auf das beklagte Genossenschaftsmitglied in so krasser Weise abzugehen und gegen ihn sogar deshalb mit Klage vorzugehen, kann wohl auf diese Weise nicht festgestellt werden. Eine gewisse Behinderung stellt schließlich jedes Gewächs beim Rasenmähen dar, wenn es vor Beschädigung durch den Rasenmäher bewahrt werden soll. Inwieweit eine derartige Behinderung diesfalls für den rasenmähenden Hausbesorger unzumutbar sein soll, ist nach der Aktenlage in keiner Weise ersichtlich. Was aber die angebliche Beeinträchtigung (Störung) des Gesamtbildes der Anlage durch die Pflanzungen des Beklagten betrifft, so kann dies wohl nicht durch bloße Zeugenaussagen oder durch die in den Akten erliegenden Fotos ausreichend dargelegt werden, dazu wäre doch ein Lokalaugenschein und allenfalls auch das Gutachten eines Gartenarchitekten erforderlich, zumal die in Frage stehenden Bepflanzungen in eine ausreichende Beziehung zur übrigen gärtnerischen Gestaltung der Grünanlage gesetzt werden müssen, um einen etwaigen Stilbruch mit ästhetisch unerträglicher Wirkung beurteilen zu können. Gänzlich substanzlos ist überdies das Urteil des Erstgerichtes, die vom Beklagten ausgesetzten Gewächse stellten eine "Belästigung" dar. Solange die aufgezeigten Mängel in der Sachverhaltsfrage nicht geklärt sind, ist auch der Rechtsstreit in Anwendung der dargelegten Rechtsgrundsätze nicht entscheidungsreif. Aus diesem Grunde muß in Stattgebung der Revision des Beklagten die Rechtssache unter Aufhebung der Urteile der beiden Vorinstanzen in die erster Instanz zurückverwiesen werden.

Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E10968

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0050OB00029.86.0407.000

Dokumentnummer

JJT_19870407_OGH0002_0050OB00029_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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