TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/7 2003/08/0011

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Veröffentlicht am 07.09.2005
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §25 Abs4;
AlVG 1977 §47 Abs1;
B-VG Art137;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Mag. Wolfgang Kapek, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 16. Oktober 2002, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2002-8832, betreffend Aufrechnung gemäß § 25 Abs. 4 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer schuldet dem Arbeitsmarktservice aus rechtskräftigen Rückforderungen von Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz EUR 8.392,04. Auf Grund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Juni 2000, Zl. 99/03/0324, wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen die bescheidmäßige Abweisung seines Antrages auf Notstandshilfe vom 27. Oktober 1997 teilweise Folge gegeben, eine daraus resultierende Nachzahlung in der Höhe von EUR 1.898,36 wurde zur Gänze zur Deckung der offenen Forderung des AMS einbehalten.

Mit Schreiben vom 15. April 2002 bezeichnete der Beschwerdeführer diese Vorgangsweise als unzulässig und forderte das Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Wien, auf, den Betrag auf sein Konto zu überweisen.

Mit Bescheid vom 17. Juli 2002 hat die regionale Geschäftsstelle dieses Schreiben als "Antrag auf Überweisung der am 20.12.2001 für die Zeit vom 19.10.1997 bis einschließlich 31.12.1997 zuerkannten Notstandshilfe in der Höhe von insgesamt EUR 1.898,36 (ATS 26.122,--) ... gemäß §§ 60 und 61 Bundeshaushaltsgesetz in Verbindung mit § 25 Abs. 4 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 ... abgewiesen".

Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge:

Sie vertrat in der Begründung die Auffassung, dass die Aufrechnungsbeschränkung des § 25 Abs. 4 AlVG nur der "Sicherung des laufenden Lebensunterhaltes" für den Leistungsbezieher diene, sodass Nachzahlungen dieser Aufrechnungsbeschränkung nicht unterliegen würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 25 Abs. 4 AlVG lautet:

"Rückforderungen, die gemäß Abs. 1 vorgeschrieben wurden, können auf die zu erbringenden Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mit der Maßgabe aufgerechnet werden, dass dem Leistungsbezieher die Hälfte des Leistungsbezuges frei bleiben muss; sie vermindern den Anspruch auf die zu erbringenden Leistungen, auch wenn er gepfändet ist. Die regionalen Geschäftsstellen können anlässlich der Verschreibung von Rückforderungen Ratenzahlungen gewähren, wenn auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners die Hereinbringung der Forderungen in einem Betrag nicht möglich ist. Die Höhe der Raten ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners festzusetzen."

Im Hinblick darauf, dass die Aufrechnung mit rechtskräftig festgestellten Rückforderungsansprüchen gemäß § 25 Abs. 4 erster Satz, zweiter Halbsatz AlVG "den Anspruch auf die zu erbringenden Leistungen" vermindert, ist über die Aufrechnung und das nach Aufrechnung verbleibende Ausmaß des Anspruchs gemäß § 47 Abs. 1 zweiter Satz AlVG ein Bescheid zu erlassen. Solange ein solcher Bescheid nicht erlassen ist, gleichwohl aber zugesprochene Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht bescheidgemäß ausbezahlt werden, stünde dem Anspruchsberechtigten die Klage gegen den Bund nach Art. 137 B-VG zur Verfügung (vgl. dazu u.a. VfSlg. 14.419/1996).

Es wäre daher an sich verfehlt, wenn die erstinstanzliche Behörde den Antrag des Beschwerdeführers bloss als "Antrag auf Überweisung" behandelt hätte. Der Bescheid lässt sich jedoch in Verbindung mit seiner Begründung gesetzeskonform auch so deuten, dass damit die Zulässigkeit der Aufrechnung im Sinne des § 25 Abs. 4 AlVG in der vollen Höhe der zuerkannten Notstandshilfe(nachzahlung) und die Reduzierung des Anspruchs auf "Null" ausgesprochen werden sollte.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag jedoch der Auffassung der belangten Behörde, die "Aufrechnungsbeschränkung" des § 25 Abs. 4 AlVG beziehe sich nicht auch auf Nachzahlungen, nicht zu folgen:

Zunächst spricht schon der Wortlaut der Bestimmung, der eine solche Differenzierung nicht vorsieht, gegen die Auffassung der belangten Behörde. Auch unter Gleichheitsgesichtspunkten wäre es bedenklich, wenn jener Leistungsbezieher, dem zunächst eine Leistung rechtswidrig versagt worden ist, als Folge dieses rechtswidrigen Verhaltens des AMS vor der Aufrechnung mit Gegenforderungen des AMS weniger geschützt würde als jener Leistungsbezieher, dem die Leistung gesetzesgemäß sogleich (laufend) zuerkannt wird.

Darüber hinaus treffen die Erwägungen der belangten Behörde auch nicht zu, dass die "Aufrechnungsbeschränkung" des § 25 Abs. 4 AlVG gleichsam als Begünstigung für den Arbeitslosen diesem den Unterhalt (gemeint offenbar: aber nur zeitnahe) sichern solle. Die belangte Behörde übersieht nämlich, dass im Falle einer Pfändung des dem Beschwerdeführer zustehenden Notstandshilfebezuges gemäß § 291a Abs. 1 Z. 7 EO an sich ein Betrag in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für alleinstehende Personen gemäß § 293 Abs. 1 lit. a ASVG nicht pfändbar (derzeit EUR 613,14 zuzüglich nach dem Gesetz noch hinzutretende Beträge) ist, und dass daher auch eine Aufrechnung gegen den der Lohnpfändung entzogenen Teil dieses Anspruchs gemäß § 293 Abs. 3 EO unzulässig wäre. Die Befugnis des Arbeitsmarktservice, bis zur Hälfte einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung mit einem eigenen Rückforderungsanspruch aufzurechnen, stellt daher gegenüber den sonst geltenden Aufrechnungs- und Pfändungsbeschränkungen eine Privilegierung des Arbeitsmarktservice dar. Dies wird noch dadurch untermauert, dass gemäß § 25 Abs. 4 erster Satz, zweiter Halbsatz AlVG die Aufrechnung auch dann den Anspruch auf die zu erbringende Leistung vermindert, wenn diese Leistung bereits gepfändet ist, womit dem Arbeitsmarktservice insoweit auch ein Vorrang vor anderen Gläubigern des Anspruchsberechtigten eingeräumt wird. Die Norm begünstigt daher im Vergleich zu den allgemeinen Bestimmungen der EO das Arbeitsmarktservice und steht mit dem Unterhaltsbedarf des Leistungsbeziehers in keinem unmittelbaren Zusammenhang (vgl. auch die zu § 103 Abs. 2 ASVG ergangene Entscheidung des OGH SSV-NF 7/100 = SZ 66/134).

Aus den erwähnten Gründen ist § 25 Abs. 4 AlVG - wie dies schon der Wortlaut dieser Bestimmung nahe legt - unabhängig davon anzuwenden, ob es sich um laufende Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz oder um Nachzahlungen für solche Leistungen handelt.

Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 7. September 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003080011.X00

Im RIS seit

23.11.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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