TE OGH 1987/6/4 6Ob565/87

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Veröffentlicht am 04.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingeborg T***, geboren am 8.Mai 1925 in Schönfeld, Pensionistin, Wien 7., Neubaugasse 73/3/7, vertreten durch Dr. Walter und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Rudolf T***, geboren am 27.August 1906 in Wien, Rentner, Wien 7., Neubaugasse 73/3/7, vertreten durch Dr. Richard Köhler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6.Mai 1986, GZ 12 R 80/86-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 9. Dezember 1985, GZ 53 Cg 196/85-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 308,85 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 4.August 1945 die Ehe geschlossen. Der Mann stand damals knapp vor Vollendung seines 39.Lebensjahres, die Frau war 20 Jahre alt. Der Ehe entstammt ein nun großjähriger Sohn. Beide Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Die Ehefrau erhob am 8.Oktober 1985, also mehr als 40 Jahre nach der Eheschließung, ein auf § 49 EheG gestütztes Scheidungsbegehren. Als schwere Eheverfehlungen des Mannes machte sie jahrelange Lieblosigkeit, Beschimpfungen, Drohungen und tätliche Mißhandlungen sowie als Bosheitsakte bezeichnete Unbeherrschtheiten im alkoholisierten Zustand geltend.

Der Beklagte widersetzte sich dem Scheidungsbegehren. Er gab die behaupteten Beschimpfungen zu, wollte sie aber als bloße Reaktion auf Beschimpfungen der Klägerin verstanden wissen. Er gab zu, seine Frau verschiedentlich geohrfeigt zu haben, bestritt aber, ihr Faustschläge versetzt oder ihr sonst Gewalt angetan zu haben. Er gab auch als richtig zu, durch Erbrechen Wohnungseinrichtungsgegenstände verunreinigt zu haben, behauptete aber, daß dies auf eine Medikamentenunverträglichkeit und nicht auf den behaupteten Alkoholgenuß zurückzuführen gewesen sei. Er bestritt im übrigen alle Klagebehauptungen.

Der Beklagte stellte ausdrücklich keinen Mitschuldantrag.

Das Erstgericht gab dem Scheidungsbegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Es befand die vom Beklagten ausgeführten Bemängelungen der erstrichterlichen Beweiswürdigung sowie die Mängelrüge als nicht stichhältig und legte seiner rechtlichen Beurteilung die erstrichterlichen Feststellungen zugrunde. Daraus ist hevorzuheben:

Im Jahre 1958 wurde der Beklagte mit strafgerichtlichem Erkenntnis schuldig erkannt, weil er mit einem Messer auf die Klägerin losgegangen war und sie mit dem Umbringen bedroht hatte. Im Jahre 1982 mißhandelte der Beklagte die Klägerin derart, daß bei ihr blaue Flecken im Gesicht auftraten.

Im Jahre 1984 stieß der Beklagte im Streit gegen die Klägerin die Drohung aus: "Ich krieg Dich schon, wohin ich Dich hinhaben will, und wenn ich Dich totschlagen muß".

Etwa im November 1984 versuchte der Beklagte, der Klägerin gewaltsam den Arm umzudrehen.

Der Beklagte mißhandelte die Klägerin immer wieder durch Ohrfeigen und Faustschläge, zuletzt im Jänner 1985. Die Klägerin nannte den Beklagten im Streit gelegentlich einen "Zuhälter", weil er in Wirtshäusern zu erklären pflegte, er hätte es nicht nötig, zu arbeiten, da dies seine Frau besorge. Die Klägerin hielt dem Beklagten auch gelegentlich vor, ein "Nazi" gewesen zu sein, weil er die ihm als ehemaligem Häftling eines Konzentrationslagers gewährte Opferfürsorgerente bald wieder verloren hatte.

Der Beklagte bezeichnete die Klägerin seit Jahren als Hure, Schlampen, Trottel, als deppert oder blöd. In den letzten Monaten vor der Erhebung der Scheidungsklage im Oktober 1985 waren derartige Beschimpfungen besonders arg.

Der Beklagte war bis zur ersten in diesem Rechtsstreit abgehaltenen Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 4. November 1985 fast täglich betrunken. Er beschmutzte in diesem Zustand mehrmals durch Erbrechen Einrichtungsgegenstände. Der Beklagte bemängelte des öfteren das ihm von der Klägerin vorgesetzte Essen als "Dreck", zuletzt im Oktober 1985. Etwa in diesem Monat spuckte er im Zuge einer solchen Bemängelung Essen an die Wand.

Der Beklagte hatte seinerzeit nicht regelmäßig gearbeitet. Er hat keinen Anspruch auf eine Alterspension erworben. Die Klägerin erachtet, ein eheliches Zusammenleben mit ihrem - nun 80 Jahre alten - Mann nicht mehr ertragen zu können. In rechtlicher Beurteilung dieses Sachverhaltes wertete das Berufungsgericht wie das Erstgericht das durch Beschimpfungen und Rücksichtslosigkeiten gekennzeichnete Gesamtverhalten des Beklagten in den der Klageerhebung unmittelbar vorangegangenen Monaten unter Berücksichtigung der früheren Beschimpfungen und Tätlichkeiten als eine für die nunmehr unheilbar gewordene Zerrüttung der Ehe ursächliche schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG. Der Beklagte ficht das bestätigende Berufungsurteil mit der Rüge einer mangelhaften und unrichtigen Erledigung der gegen das Urteil erster Instanz ausgeführten Bemängelungen der Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung sowie mit der Rüge unrichtiger rechtlicher Beurteilung an. Er stellt einen auf Abweisung des Scheidungsbegehrens zielenden Abänderungsantrag, hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die im ersten Punkt der Revision unter der Benennung der "unrichtigen Tatsachenfeststellung" enthaltenen Ausführungen sind der Sache nach zum Teil eine Bekämpfung der irrevisiblen Beweiswürdigung, zum Teil stellen sie die Rüge von Feststellungsmängeln dar, zu der im Zusammenhang mit der Behandlung der Rechtsrüge Stellung zu nehmen ist.

Entgegen dem Vorwurf des Revisionswerbers hat sich das Berufungsgericht mit den in der Berufung ausgeführten Bemängelungen sachlich auseinandergesetzt, die geltend gemachten Rügen aber mit einer logisch nachvollziehbaren Begründung als nicht gerechtfertigt befunden. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Daß die Verunreinigungen der Wohnung keine unvermeidbaren Folgen einer Medikamentenunverträglichkeit des Beklagten darstellten, sondern auf einen vom Beklagten beherrschbaren Alkoholkonsum zurückzuführen waren, hat das Berufungsgericht schlüssig aus der Feststellung nahezu täglicher Trunkenheit bis zum Termin der ersten Tagsatzung im anhängigen Scheidungsverfahren einerseits und dem Abgang aller zuvor stattgefundenen Unzukömmlichkeiten seither ohne erkennbaren Gedankenfehler gefolgert. Auch die Rechtsrüge ist nicht stichhältig.

Das Gesetz verpflichtet die Ehegatten unter anderem zur anständigen Begegnung. Dieser Begriff ist objektiv auszulegen. Schwere und beharrliche Verstöße gegen dieses Verhaltensgebot, in denen sich eine mangelnde Schätzung der Persönlichkeit des Ehepartners ausdrückt, stellen eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG dar und begründen unter der weiteren Voraussetzung der (Mit-)Ursächlichkeit für die Ehezerrüttung einen Scheidungsanspruch des verletzten Ehegatten. Die Beachtlichkeit eines derartigen ehewidrigen Verhaltens als selbständiger Scheidungsgrund fehlt allerdings insoweit, als ein Ehegatte die Verstöße des anderen gegen die anständige Begegnung nicht als ehezerstörend empfunden hat. Dazu sind Rückschlüsse aus der individuellen Eigenart der konkreten Ehe geboten. Der Revisionswerber vermißt nun die ausdrückliche Feststellung, daß es sich bei der Ehe der Streitteile "um eine stürmische Ehe gehandelt hat, bei der dadurch bedingt lautstarke verbale Auseinandersetzungen" vorkamen. Daraus will der Revisionswerber die Folgerung gezogen wissen, daß "bestimmte Formen von Auseinandersetzungen im gegenständlichen Fall sicherlich als milieubedingt anzusehen" seien. Die festgestellten Beleidigungen, Drohungen und Tätlichkeiten des Beklagten lassen eine seine Ehefrau geringschätzende Einstellung erkennen, die von dieser auch so empfunden werden konnte. Den Beweis,daß dies nicht der Fall gewesen sei, hat der Beklagte in erster Instanz gar nicht angetreten. Aus dem Umstand, daß die Klägerin eine im 12. oder 13.Ehejahr stattgefundene Tätlichkeit des Beklagten, derentwegen dieser auch strafgerichtlich verurteilt worden war, nicht zum Anlaß einer Scheidungsklage genommen hat, gestattet keinerlei Schlußfolgerungen darauf, wie sie mehr als 25 Jahre später objektiv ehewidriges Verhalten ihres Mannes empfinden durfte und empfunden hat. Keinesfalls hätte die Ehefrau durch ihre jahrzehntelange Nachsicht und Langmut ihren Anspruch auf Scheidung bei einer Fortsetzung und Wiederholung oder sogar Steigerung eines gleichartigen ehewidrigen Verhaltens des Ehemannes verloren, weil selbst im Falle einer ausdrücklichen Verzeihung - und daher umsomehr im Falle bloßer Abstandnahme von der Geltendmachung eines erworbenen Scheidungsanspruches - kein Verzicht auf die Geltendmachung eines Scheidungsanspruches wegen eines künftigen ehewidrigen Verhaltens angenommen werden dürfte.

Die Ehezerrüttung stützte das Berufungsgericht nicht auf das Unterbleiben körperlicher Beziehungen zwischen dem nunmehr 80-jährigen Beklagten und der Klägerin, sondern vielmehr auf den festgestellten Verlust ihrer Bereitschaft, das sie verletzende ehewidrige Gesamtverhalten des Beklagten im ehelichen Zusammenleben länger zu ertragen. Die in dieser Hinsicht gerügten Feststellungsmängel über die Ursachen der geschlechtlichen Enthaltsamkeit liegen nicht vor.

Auch die sachliche Rechtfertigung der von der Klägerin erhobenen Beschuldigung, der Beklagte sei Nationalsozialist (gewesen), bedurfte keiner Überprüfung, weil die festgestellten Beschuldigungen des Mannes in jedem Fall das Maß entschuldbarer Reaktionen überschritten und über eine etwa von der Klägerin zu verantwortende Mitschuld an der Ehezerrüttung mangels Antrages des Beklagten nicht abzusprechen war.

Das Berufungsgericht hat dem Beklagten auch das im Zustand der Alkoholbeeinträchtigung gesetzte Fehlverhalten mit Recht als schuldhafte Eheverfehlung angelastet, weil er die Folgen eines Alkoholkonsums (sei es im Zusammenhang mit einer Medikamenteneinnahme oder unabhängig von einer solchen) nach den festgestellten Vorkommnissen jedenfalls im Wiederholungsfall hätte bedenken können und müssen, sein Velangen nach Alkoholkonsum aber dennoch nicht beherrschte, obwohl ihm dies, wie sein Verhalten seit Anfang November 1985 beweist, wirksam möglich gewesen wäre. Aus der nach den konkreten Ansatzpunkten des dortigen Verfahrens in dem vom Rechtsmittelwerber zitierten revisionsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß, JBl 1976/212 beispielhaften Aufzählung von Kriterien für die Bewertung alkoholkonsumbedingter Verhaltensweisen eines Ehegatten (insbesondere im Verhältnis zu einem festgestellten schweren Alkoholmißbrauch des anderen) läßt sich keinesfalls der vom Beklagten unterstellte Umkehrschluß ziehen, daß mangels der dort hervorgehobenen Auswirkungen ein auf Alkoholbeeinträchtigung rückführbares Verhalten nicht als schwere Eheverfehlung zugerechnet werden dürfte. Darauf hat bereits das Gericht zweiter Instanz zutreffend hingewiesen.

Das Berufungsgericht hat das festgestellte Gesamtverhalten des Beklagten insgesamt ohne Rechtsirrtum als schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG gewertet.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E11173

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00565.87.0604.000

Dokumentnummer

JJT_19870604_OGH0002_0060OB00565_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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