TE OGH 1987/6/4 6Ob591/87

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Veröffentlicht am 04.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martha W***, Hausfrau, Reichsstraße 110, 6800 Feldkirch, vertreten durch Dr. Anna Jahn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei I*** Aktiengesellschaft, Nußdorferplatz 8, 1190 Wien, vertreten durch Dr. Heimo Puschner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 274.791,30 s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 17. März 1987, GZ. 1 a R 11/87-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 28. Oktober 1986, GZ. 4 C 172/86-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Es wird der Revision Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Die Klägerin, die eine in ihrem Eigentum stehende Liegenschaft der Beklagten vermietet hat, begehrte zuletzt rückständige Wertsicherungsbeträge im Gesamtausmaß von S 274.791,30 s.A. (S. 5 des Aktes).

Die Beklagte wendete ein, die Nachforderung verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, die Klägerin habe dadurch, daß sie seit mehr als 15 Jahren die Wertsicherung nicht verrechnet habe, zum Ausdruck gebracht, die Valorisierung des Mietzinses nicht in Anspruch zu nehmen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Am 21. Oktober 1969 schlossen die Streitteile einen Bestandvertrag über eine zusammenhängende Teilfläche von 2.000 m2 des Grundstückes 4850/2 EZ 345 KG Altenstadt, der Mietzins betrug wertgesichert S 4.000 monatlich (das Erstgericht gab den Punkt IV. des Vertrages wieder, in dem die Art der Berechnung der Wertsicherung enthalten ist). Es konnte nicht festgestellt werden, daß zwischen den Streitteilen vereinbart war, die Indexberechnungen seien von der Beklagten von sich aus vorzunehmen. Die Beklagte überwies den Mietzins durch Dauerauftrag mittels eines elektronischen Überweisungsformulars (Computerformular). Im Jahre 1972 leistete sie eine Nachzahlung für 1972 in der Höhe von S 8.395 und bezahlt seit damals auch einen um S 560 erhöhten Mietzins. Seither wurde keine Änderung der Zinszahlungen mehr vorgenommen. Erstmals mit Schreiben des Klagevertreters vom 20. März 1986 wurde die Beklagte zur Zahlung von Wertsicherungsbeträgen aufgefordert. Ab Mai 1986 wird ein um die Wertsicherung erhöhter Zins bezahlt. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Klägerin habe seit 1973, also durch 13 Jahre, den von der Beklagten in gleicher Höhe überwiesenen Mietzins angenommen. Die Beklagte habe nach den Grundsätzen von Treu und Glauben annehmen können, die Klägerin habe auf die Wertsicherung zumindest für die Vergangenheit verzichtet.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß dem Klagebegehren stattgegeben wurde. Es erklärte die Revision für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, dem Ersturteil hafteten Feststellungsmängel hinsichtlich des Parteiwillens bei Vertragsabschluß sowie hinsichtlich der Höhe der Klagsforderung an, und nahm eine Beweisergänzung durch Vernehmung der Klägerin vor. Das Gericht zweiter Instanz meinte, der in der Berufungsverhandlung beantragte Zeuge sei nicht zu vernehmen gewesen, weil er in erster Instanz nicht namhaft gemacht worden sei, und traf folgende ergänzende wesentliche Feststellungen:

Die Klägerin vereinbarte bei den Vertragsverhandlungen im Jahre 1969 mit einem Herrn D***, der die Beklagte vertrat, daß die Indexsteigerungen jeweils von der Beklagten zu berechnen seien und die Beklagte jeweils den aufgewerteten Mietzins zu entrichten habe. Dieser Vereinbarung entsprechend wurde ein schriftlicher Bestandvertrag mit Datum 10. September 1969 ausgearbeitet, in dem unter Punkt V. die Verpflichtung der Beklagten enthalten war, den aufgewerteten Mietzins an die Klägerin zu bezahlen. Dieser Vertrag wurde für die Beklagte von Kommerzialrat Kurt S*** und auch von der Klägerin unterschrieben. Am 21. Oktober 1969 unterfertigte die Klägerin in beglaubigter Form einen neuen, offensichtlich zur Verbücherung bestimmten Bestandvertrag. In diesem Vertrag ist die Verpflichtung der Beklagten, jeweils den aufgewerteten Mietzins zu bezahlen, nicht mehr ausdrücklich enthalten, sondern nur mehr die Art der Berechnung der Wertsicherung. Im übrigen ist dieser Vertrag aber inhaltsgleich mit dem mit 10. September 1969 datierten. Die Abänderung wurde mit der Klägerin nicht abgesprochen. Die Klägerin verließ sich darauf, daß die Beklagte den Bestandvertrag im Sinne der getroffenen Vereinbarungen abfassen werde und auch die Aufwertungsbeträge von der Beklagten an sie ausbezahlt werden. Im Jahre 1972 leistete die Beklagte von sich aus eine Indexnachzahlung von S 8.395 und erhöhte den Mietzins um S 560. Seither wurden keine Änderungen vorgenommen. Der Mietzins wurde von der Beklagten jeweils unaufgefordert ohne Vorschreibung bezahlt. Jahresabrechnungen erfolgten nicht, da die Betriebskosten von der Beklagten direkt getragen wurden. Im Jahre 1974 vermietete die Klägerin der Beklagten ein weiteres Teilstück ihrer Liegenschaft unter Zugrundelegung der für die Vermietung des ersten Teilstückes vereinbarten Bedingungen um S 3.000. Auf Grund der (vom Berufungsgericht detailliert dargelegt) Indexberechnung ergibt sich für beide Teilflächen für die Zeit von März 1983 bis April 1986 ein Betrag von S 274.791,30. Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt dahin, nach dem Parteiwillen hätte die Beklagte die Valorisierung des Mietzinses von sich aus vorzunehmen gehabt. Diesem Umstand komme bei Beurteilung der Frage, ob in der Entgegennahme des Bestandzinses ohne Wertsicherung ein schlüssiger Verzicht auf die Nachforderung zu erblicken sei, Bedeutung zu. Ein solcher Verzicht sei nämlich nur anzunehmen, wenn im Sinne des § 863 ABGB kein vernünftiger Grund bestehe, daran zu zweifeln, und besondere Umstände darauf hinwiesen, daß er ernstlich gewollt gewesen sei. Dies wäre der Fall, wenn es dem Vermieter als Verstoß gegen Treu und Glauben zugerechnet werden müsse, daß er längere Zeit die Aufwertung nicht begehrt habe. Im vorliegenden Fall könne ein Verzicht schon deshalb nicht angenommen werden, weil die Beklagte auf Grund der mit der Klägerin getroffenen Vereinbarung verpflichtet gewesen sei, die Valorisierung von sich aus vorzunehmen, es also für das Wirksamwerden der Wertsicherungsklausel keiner gesonderten Geltendmachung durch die Klägerin bedurft habe. Da die Anpassung des Bestandzinses nach Maßgabe der eingetretenen Indexsteigerung zu den Vertragspflichten der Beklagten gehört habe, verstoße es ungeachtet der durch viele Jahre hindurch erfolgten Annahme des nicht aufgewerteten Bestandzinses nicht gegen Treu und Glauben, daß die Klägerin nunmehr auf Grund der Vertragsverletzungen der Beklagten eine entsprechende Nachzahlung begehre.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt. Die Revisionswerberin vertritt die Ansicht, der von ihr in der Berufungsverhandlung beantragte Zeuge D*** hätte vernommen werden müssen, dieser Mann sei überdies nicht befugt gewesen, die Beklagte zu vertreten. Aber selbst bei Richtigkeit der Feststellung des Berufungsgerichtes müßte im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes von einem Verzicht auf die Nachforderung ausgegangen werden.

Die Ansicht der Revisionswerberin, auch auf Grund der Feststellungen des Berufungsgerichtes sei von einem konkludenten Verzicht auf die Nachforderung auszugehen, kann nicht geteilt werden. Richtig ist, daß der Oberste Gerichtshof wiederholt einen stillschweigenden Verzicht auf eine Nachforderung von Wertsicherungsbeträgen angenommen hat, wenn der Vermieter durch Jahre hindurch den Mietzins ohne Erhöhung auf Grund einer Wertsicherung vorgeschrieben hat (MietSlg. 26.121, 35.111), und auch, wenn der Vermieter den Mietzins vom Mieter unbeanstandet entgegengenommen hat (MietSlg. 35.112). Ein schlüssiger Verzicht auf die Geltendmachung im Sinne der vereinbarten Wertsicherung erhöhter Hauptmietzinse ist aber nur dann anzunehmen, wenn das Gläubigerverhalten in seiner Gesamtheit von einem redlichen und verständigen Vertragspartner in der konkreten Lage des Schuldners nur als Schulderlaß verstanden werden könnte (MietSlg. 34.150). Wurde vereinbart, daß die Berechnung der Wertsicherungsbeträge vom Mieter vorzunehmen ist (laut Aussage der Klägerin erfolgte diese Vereinbarung, weil sich die Klägerin mit der Berechnung der Indexsteigerung nicht auskenne - S. 3 des Protokolles ON 11) und nahm der Mieter ohne Aufforderung des Vermieters drei Jahre nach Vertragsabschluß auch tatsächlich eine Neuberechnung vor, dann kann daraus, daß der Vermieter durch weitere 13 Jahre keine Bezahlung von weiteren Wertsicherungsbeträgen fordert, kein Verzicht auf eine Nachforderung abgeleitet werden. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, wäre es Vertragspflicht der Beklagten gewesen, die Wertsicherungsbeträge zu berechnen und zu bezahlen. Daß die Klägerin die Beklagte, die ihre Vertragspflicht verletze, erst nach 13 Jahren aufforderte, die noch nicht verjährten Beträge nachzuzahlen, kann nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angesehen werden. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zur Frage eines stillschweigenden Verzichtes ist daher zu billigen. Aus diesem Grunde ist auf die Mängelrüge der Beklagten einzugehen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Name "D***" in erster Instanz nie erwähnt wurde, die Beklagte konnte nicht wissen, daß aus einer mit diesem Mann geschlossenen Vereinbarung Rechtsfolgen abgeleitet werden. Dies ergab sich erst aus der in der mündlichen Berufungsverhandlung abgelegten Aussage der Klägerin. Die Notwendigkeit einer Vernehmung dieses Mannes ergab sich daher erst durch die Beweisergänzung. In einem solchen Fall steht das Neuerungsverbot einem Beweisantrag nicht entgegen (Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen IV, 168, Anm. 8; SZ 19/278; EvBl. 1972/2; 2 Ob 228/73). Da das Berufungsgericht den beantragten Zeugen nicht vernommen hat, leidet das Berufungsverfahren an einem Mangel, welcher eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache verhinderte (§ 496 Abs. 1 Z 3 ZPO). Überdies leidet das Urteil des Berufungsgerichtes an einem Feststellungsmangel, weil nicht hinreichend geklärt ist, in welcher Eigenschaft D*** aufgetreten ist. Die Feststellung, er habe die Beklagte vertreten, ist zu unbestimmt, um beurteilen zu können, ob die Beklagte an Zusagen, die dieser Mann machte, gebunden ist. Aus diesen Gründen war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E11431

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00591.87.0604.000

Dokumentnummer

JJT_19870604_OGH0002_0060OB00591_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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