TE OGH 1987/6/24 1Ob13/87

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Veröffentlicht am 24.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma K*** Eisen Maschinen Metalle Gesellschaft mbH, Graz, Raiffeisenstraße 61, vertreten durch Dr. Reinhard Hohenberg, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 442.327,86 samt Anhang, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. Jänner 1987, GZ 14 R 296/86-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teil-Zwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 1. September 1986, GZ 54 a Cg 1017/86-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben; die Teil-Zwischenurteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

Das Klagebegehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 442.327,86 samt 9,25 % Zinsen ab dem Klagstag zu bezahlen, wird abgewiesen. Die Entscheidung über die Prozeßkosten und die Kosten der Rechtsmittelverfahren bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei beantragte am 6. November 1978 beim Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie, ihr die Genehmigung zur Ausübung eines Werkbelieferungshändlers im Sinne des § 6 Schrottlenkungsgesetz, BGBl. 1978/275 (im folgenden: SchrottLG), zu erteilen. § 6 SchrottLG hatte damals folgenden Wortlaut:

"(1) Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat auf Antrag Schrotthändlern die Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Werkbelieferungshändlers zu erteilen, wenn

a) dies im Interesse einer ausreichenden Versorgung der inländischen Unternehmen, die Eisen oder Stahl erzeugen, notwendig ist,

b) innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung einer schriftlichen Anfrage des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie von keinem der Unternehmen, die Eisen oder Stahl erzeugen, aus Gründen der betrieblichen Sicherheit begründeter Einspruch erhoben wird, es sei denn, ein Schrotthändler hat bereits am 30. Juni 1978 die Tätigkeit eines Werkbelieferungshändlers ausgeübt, und

c) das Unternehmen des Antragstellers ständig unlegierten Eisenschrott im Ausmaß von 1/12 des jeweiligen Vorjahresabsatzes auf Lager hält.

(2) Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat vor seiner Entscheidung über den Antrag zur Frage des Vorliegens der im Abs 1 lit a genannten Voraussetzung die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und den Österreichischen Arbeiterkammertag zu hören.

(3) Die Genehmigung gemäß Abs 1 ist zu entziehen, wenn die Voraussetzungen nach Abs 1 lit b oder c durch länger als sechs Monate nicht mehr erfüllt sind. Ist der Schrotthändler nicht mehr Mitglied des Landesgremiums des Handels mit Alt- und Abfallstoffen, erlischt die Genehmigung gemäß Abs 1. Bestehen Zweifel über das Erlöschen der Genehmigung, so hat der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie von Amts wegen das Erlöschen festzustellen."

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie den Antrag der klagenden Partei mit Bescheid vom 10. August 1979, Zl. 40.572/26-IV/3/79, ab. Nach der Begründung dieses Bescheides liege zwar kein Grund vor, der klagenden Partei die Genehmigung aus den Gründen der Gefährdung der betrieblichen Sicherheit gemäß § 6 Abs 1 lit b SchrottLG zu versagen; die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und der Österreichische Arbeiterkammertag hätten sich jedoch im Zuge des Ermittlungsverfahrens dahin geäußert, daß eine solche Genehmigung an die klagende Partei nicht erteilt werden solle, weil dies im Interesse der ausreichenden Versorgung der inländischen Unternehmen, die Eisen und Stahl erzeugen, nicht notwendig sei. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie teile diese Ansicht.

Die klagende Partei erhob Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Aufgrund dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs 1 lit a SchrottLG ein. Mit Erkenntnis vom 4. Oktober 1984, G 10/84 = VfSlg. 10.197, hob der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 6 Abs 1 lit a SchrottLG als verfassungswidrig auf. Der Verfassungsgerichtshof sprach zunächst aus, das Gesetz verstoße gegen das sich aus Art. 18 B-VG ergebende Determinierungsgebot, weil es für den Fall, daß mehrere Genehmigungswerber in gleicher Weise geeignet seien, keinerlei Auswahlkriterien enthalte. Im übrigen anerkannte der Verfassungsgerichtshof, daß an sich aus mehreren Gründen ein Konkurrenzschutz der Werkbelieferungshändler im Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen und daher eine Bedarfsprüfung im Prinzip gerechtfertigt sein könne; weshalb aber eine Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Werkbelieferungshändlers nur dann erteilt werden dürfe, wenn dies im Interesse einer ausreichenden Versorgung der inländischen Unternehmen, die Eisen und Stahl erzeugen, notwendig sei, vermöge die die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes behauptende Bundesregierung nicht zu erklären. Es seien durchaus Fälle denkbar, in denen die Zulassung eines weiteren Werkbelieferungshändlers zwar nicht absolut notwendig wäre, um die ausreichende Versorgung zu gewährleisten, in denen aber keines der von der Bundesregierung zutreffend dargestellten sonstigen Ziele des Schrottlenkungsgesetzes verletzt würde, wenn dem Antrag stattgegeben werden sollte. Dadurch, daß § 6 Abs 1 lit a SchrottLG die Ausübung der Erwerbstätigkeit eines Werkbelieferungshändlers an eine Voraussetzung knüpfe, die nicht durch das öffentliche Interesse geboten und auch sonst sachlich nicht zu rechtfertigen sei, verstoße die im Gesetz vorgesehene Einschränkung gegen das durch Art. 6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung. Dieses Recht könne durch Gesetz verfassungsrechtlich einwandfrei nur eingeschränkt werden, solange dadurch nicht der Wesensgehalt dieses Grundrechtes berührt oder in einer anderen Weise gegen einen den Gesetzgeber bindenden Verfassungsgrundsatz verstoßen werde.

Die Aufhebung der Bestimmung trat mit Ablauf des 30. September 1985 in Kraft. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 1984, Zl. B 399/79, wurde der Bescheid des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 10. August 1979 aufgehoben. Die belangte Behörde habe den angefochtenen Bescheid in Anwendung des aufgehobenen § 6 Abs 1 lit a SchrottLG erlassen. Da diese bundesgesetzliche Vorschrift die alleinige Rechtsgrundlage gewesen sei, auf die die belangte Behörde ihre Entscheidung gestützt habe, wirke sich ihre Aufhebung auf das Anlaßbeschwerdeverfahren im Sinne des Art. 140 Abs 7 B-VG dahin aus, daß die beschwerdeführende Gesellschaft durch den bekämpften Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden sei.

Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes langte am 25. Jänner 1985 beim Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie ein. Am 8. Februar 1985 stellte die klagende Partei den Antrag auf Ausfertigung eines Genehmigungsbescheides. Der zuständige Referent des Bundesministeriums vertrat die Rechtsansicht, daß auf die klagende Partei die sogenannte "Ergreiferprämie" zur Anwendung komme; da seit Beendigung des Ermittlungsverfahrens keine neuen Tatsachen hervorgekommen seien, der aufgehobene Bescheid lediglich auf die Bestimmung des § 6 Abs 1 lit a SchrottLG gestützt gewesen sei und sämtliche andere Voraussetzungen vorlägen, sei nunmehr die Genehmigung zu erteilen. Nach einer im Verwaltungsakt erliegenden Stellungnahme des zuständigen Sachbearbeiters vom 28. Februar 1985 hat der Leiter der Sektion IV Sektionschef Dkfm. Gerhard M*** dem Sachbearbeiter den ihm zur Vidierung vor Abfertigung vorgelegten Akt am 18. Februar 1985 im kurzen Weg mit dem Auftrag übergeben, ohne Eile die rechtlichen Überlegungen festzuhalten, die sich bezüglich des Verhältnisses zwischen § 6 Abs 1 und § 6 Abs 3 SchrottLG in bezug auf den gegenständlichen Antrag, seine Erledigung und das Bestehen bzw. den allfälligen Wegfall der Voraussetzungen des § 6 Abs 1 lit b und c ergäben. Der Referent kam zu dem Schluß, daß das Entziehungsverfahren nicht mit dem Genehmigungsverfahren gekoppelt werden könne, da die Einleitung eines Entziehungsverfahrens nach dem klaren Gesetzestext voraussetze, daß eine Genehmigung mindestens sechs Monate vorhanden sein müsse.

Am 5. März 1985 langte beim Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie ein Fernschreiben der VÖEST-ALPINE AG ein, in dem mitgeteilt wurde, daß sich dieses Unternehmen aus Gründen der betrieblichen Sicherheit gegen die Erteilung der beantragten Genehmigung an die klagende Partei ausspreche; Lieferungen der klagenden Partei hätten wegen zu hoher Beiladung von Autositzen, Gummi etc. zurückgewiesen werden müssen. Der klagenden Partei wurde dieses Schreiben der VÖEST-ALPINE AG mitgeteilt; sie wurde zur Stellungnahme aufgefordert, das Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet.

Mit Bundesgesetz vom 13. Juni 1985, BGBl. Nr. 270, wurde das Schrottlenkungsgesetz unter anderem in seinem § 6 abgeändert. Dieses Bundesgesetz trat am 29. Juni 1985 in Kraft. Dem Ermittlungsverfahren wurde die neue Gesetzeslage zugrundegelegt, schriftliche Anfragen an die schon bestehenden Werklieferungsunternehmer im Sinne des § 6 Abs 1

lit b SchrottLG nF gerichtet und ein betriebswirtschaftliches Amtsgutachten eingeholt. Am 27. November 1985 brachte die klagende Partei gemäß Art. 132 B-VG Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein, da das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie bis zu diesem Zeitpunkt noch immer keinen Bescheid erlassen hatte. Mit Bescheid des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 5. März 1986, Zl. 40.512/12-IV/1/86, wurde der Antrag der klagenden Partei auf Erteilung der Genehmigung der Tätigkeit eines Werkbelieferungsunternehmers gemäß § 6 SchrottLG 1978 nF abgelehnt. Die klagende Partei erhob dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof, das Verfahren ist noch offen. Die klagende Partei begehrt aus dem Titel der Amtshaftung den Zuspruch des Betrages von S 442.327,86 samt Anhang an Verdienstentgang für die Zeit vom 1. März 1985 bis 30. Juni 1985 und Kostenersatz für die Erhebung der Säumnisbeschwerde sowie die Feststellung, die beklagte Partei hafte ihr in Zukunft für solche Schäden, die aus dem Titel der versäumten Ausfertigung des Genehmigungsbescheides im Verfahren 40.572/26-IV/3/79 des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie erwachsen könnten. Ein Einspruch im Sinn des § 6 Abs 1 lit b SchrottLG aF sei nicht rechtzeitig erfolgt. Der ablehnende Bescheid des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 10. August 1979 sei nur auf die Bestimmung des § 6 Abs 1 lit a SchrottLG aF gegründet gewesen. Gemäß § 87 Abs 2 VfGG wäre das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie verpflichtet gewesen, unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie habe ein neues Ermittlungsverfahren nur deshalb eingeleitet, um die Novelle zum Schrottlenkungsgesetz abzuwarten und den Istzustand aufrecht erhalten zu können. Die Verletzung der Entscheidungspflicht sei schuldhaft (vorsätzlich) erfolgt.

Die beklagte Partei wendete ein, die Vorgangsweise des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie sei nicht unvertretbar gewesen. Der Verfassungsgerichtshof habe nicht ausgesprochen, daß der klagenden Partei die Genehmigung für die Tätigkeit eines Werkbelieferungshändlers zu erteilen sei, neue Einwendungen nach § 6 Abs 1 lit b SchrottLG aF hätten berücksichtigt werden müssen, damit der klagenden Partei nicht die erteilte Genehmigung wieder hätte entzogen werden müssen. Maßgebliche Sachverhaltsänderungen seien wahrzunehmen gewesen. Eine sofortige Entscheidung hätte nicht zwangsläufig zu dem von der klagenden Partei gewünschten Erfolg führen müssen, ein Anspruch auf die Erlassung eines positiven Bescheides habe nicht bestanden. Das Erstgericht sprach mit Teil-Zwischenurteil aus, daß das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Eine Rechtsansicht sei dann rechtswidrig im Sinn des § 1 AHG, wenn sie unvertretbar sei. Unvertretbarkeit liege jedenfalls dann vor, wenn die geäußerte Rechtsansicht im äußerst vorstellbaren Sinn des Gesetzes keine Deckung mehr finde. Aus § 6 Abs 3 SchrottLG aF ergebe sich mit völliger Klarheit, daß ein Entziehungsverfahren eine Genehmigung, die vor mindestens sechs Monaten erteilt worden sei, denknotwendigerweise voraussetze. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie hätte somit ehestmöglich, d.h. im Februar 1985, wie dies der Bescheidentwurf vorgesehen habe, die Genehmigung erteilen müssen. Es hätte in der Folge allenfalls die Mitteilung der VÖEST-ALPINE AG vom 5. März 1985 bzw. die Änderung der Gesetzeslage zum Anlaß für die Einleitung eines Entziehungsverfahrens nehmen können. Die dargestellte Weisung des Sektionsleiters vom 18. Februar 1985 sei als unvertretbare Rechtsansicht und somit als rechtswidrig im Sinn des § 1 AHG zu qualifizieren. Nach nunmehr einhelliger Lehre und Rechtsprechung genüge leichte Fahrlässigkeit für die Begründung eines Amtshaftungsanspruches. Es ergebe sich jedoch mit hinlänglicher Deutlichkeit, daß dieser Verschuldensgrad überschritten worden sei. Es habe sich um eine vorsätzliche Verhaltensweise gehandelt, um eine positive Erledigung des Genehmigungsantrages hinauszuzögern. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Ein rechtswidriges und schuldhaftes Organhandeln in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger gemäß § 1 AHG zum Schadenersatz verpflichte, könne auch in einer Unterlassung bestehen, wenn eine Pflicht des Organes zum Tätigwerden bestanden habe und pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte. § 87 VfGG bezwecke den Schutz des Staatsbürgers vor ungerechtfertigten Verzögerungen seines Anliegens. Zwar sei das Wort "unverzüglich" nicht näher definiert, doch sei es jedenfalls mit dem Gebot der unverzüglichen Herstellung rechtlich unvereinbar, wenn der Leiter der Sektion dem zuständigen Sachbearbeiter den ihm vor Abfertigung zur Vidierung vorgelegten Akt mit dem Auftrag im kurzen Wege rückgemittelt habe, ohne Eile die rechtlichen Erwägungen festzuhalten, die sich bezüglich des Verhältnisses zwischen § 6 Abs 1 und § 6 Abs 3 SchrottLG in bezug auf den gegenständlichen Antrag, seine Erledigung und das Bestehen bzw. den allfälligen Wegfall der Voraussetzungen des § 6 Abs 1 lit b und c SchrottLG ergäben. Diese Weisung sei unvertretbar, weil der Sektionschef dem Amtsvortrag des Aktes eindeutig habe entnehmen können, daß die klagende Partei zum damaligen Zeitpunkt alle Voraussetzungen für die Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Werkbelieferungshändlers gemäß § 6 Abs 1 SchrottLG erfüllt habe und sich gegenüber der Sachverhaltsermittlung vom 21. März 1979 keine Neuerungen ergeben hätten, die beantragte Genehmigung somit zu erteilen gewesen sei. Nach dem klaren Wortlaut des § 6 Abs 3 SchrottLG könne das Entziehungsverfahren nicht mit der Abweisung des Antrages auf Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Werkbelieferungshändlers gekoppelt werden, weil die Einleitung eines Entziehungsverfahrens voraussetzt, daß eine Genehmigung mindestens sechs Monate vorhanden sein müsse. Das Verfahren auf Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Werkbelieferungshändlers sei somit unter der Voraussetzung zum Abschluß zu bringen gewesen, daß die Voraussetzungen des § 6 Abs 1 lit a SchrottLG nicht mehr zu prüfen gewesen seien. Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie hätte daher den positiven Bescheid spätestens Ende Februar 1985 erlassen und ausfertigen können, zumal sich damals bereits ein unterschriftsreifer Bescheidentwurf in den Akten befunden habe. Soweit die beklagte Partei den Standpunkt vertrete, daß das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie die Eingabe der VÖEST-ALPINE AG zum Anlaß weiterer zulassungsbehördlicher Ermittlungen habe nehmen dürfen, sei ihr zu erwidern, daß die VÖEST-ALPINE AG im Jahr 1979 keinen Einspruch erhoben habe. Der Grundsatz der Amtswegigkeit könne nicht bedeuten, daß die Behörde ein rechtlich eindeutig verspätetes Vorbringen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen dürfe. Dem zuständigen Sektionsleiter könne zwar vorsätzliches Handeln nicht unterstellt werden, sein Verhalten müsse aber zumindest als leicht fahrlässig qualifiziert werden. Dies reiche zur Begründung der Haftung des Rechtsträgers nach § 1 AHG aus.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Ein rechtswidriges und schuldhaftes Organhandeln in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger gemäß § 1 AHG zum Schadenersatz verpflichtet, kann auch in einer Unterlassung liegen, wenn eine Pflicht des Organs zum Tätigwerden bestand und ein pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte (SZ 55/161; SZ 54/86; SZ 52/182; EvBl 1969/93; Loebenstein-Kaniak, AHG2 129). Hat der Verfassungsgerichtshof einer nach Art. 144 B-VG erhobenen Beschwerde stattgegeben, sind die Verwaltungsbehörden gemäß § 87 Abs 2 VfGG verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Dieser Verpflichtung der Verwaltungsbehörde entspricht ein komplementäres subjektives Recht der betroffenen Partei (VfSlg. 2046/1950; Ermacora, Der Verfassungsgerichtshof 346). Es ist nun aber keineswegs so, daß die Verwaltungsbehörde unter allen Umständen verpflichtet ist, ihre Entscheidung auf der Grundlage zu treffen, die durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes entstanden war. Der Verfassungsgerichtshof hat vielmehr in seinem Erkenntnis VfSlg. 7597/1975 ausgesprochen, daß die im Sinne des § 87 Abs 2 VerfGG 1953 an die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes gebundenen Verwaltungsbehörden befugt sind, von der im Erkenntnis zum Ausdruck gebrachten Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes im Falle einer seither eingetretenen Änderung der Rechtslage abzugehen; nach Maßgabe des Inhaltes der in Betracht kommenden neuen Rechtsvorschrift sind sie hiezu sogar nicht bloß befugt, sondern verpflichtet. Der Verfassungsgerichtshof erkannte weiter, daß es auch ohne Belang sei, wenn die Verwaltungsbehörde die Möglichkeit gehabt hätte, ihren Bescheid vor dem Inkrafttreten der neuen Rechtslage zu erlassen, selbst wenn sie die Erlassung des neuen Bescheides in der Absicht verzögert hat, das Inkrafttreten der neuen Rechtslage abzuwarten; auch in einem solchen Fall liegt das Rechtswidrige im Verhalten der Behörde nur in ihrer zeitweiligen Untätigkeit, die ausschließlich mit den von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten besonderen Rechtsbehelfen gegen die Säumigkeit von Verwaltungsbehörden bekämpft werden kann, nicht aber im Inhalt ihrer späteren Entscheidung; durch deren Fällung wird nämlich das in einer absichtlichen Verzögerung liegende rechtswidrige Verhalten der Behörde insofern beendet, als sie dem Anspruch der Partei auf Bescheiderlassung entspricht. Ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es, daß eine Verletzung des § 87 Abs 2 VfGG durch Abweichen von der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes im Ersatzbescheid wiederum eine Verletzung desselben verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts wie durch den aufgehobenen Bescheid darstellt (VfSlg. 10.220/1984, 8571/1979, 8397/1978, 6869/1972, 6043/1969). Es ist damit davon auszugehen, daß der Verfassungsgerichtshof im Fall, der seinem Erkenntnis VfSlg. 7597/1975 zugrundelag, keine Verletzung des § 87 Abs 2 VfGG erblickte. Das Wort "unverzüglich" im § 87 Abs 2 VfGG ist daher nicht so eng zu verstehen, daß die Behörde gezwungen wäre, auch dann sofort auf Grund der durch die Aufhebung einer Gesetzesbestimmung entstandenen Rechtslage zu entscheiden, wenn eine neue Rechtslage auf Grund eines neuen Gesetzes in absehbarer Zeit, insbesondere innerhalb der Entscheidungspflichtfrist von sechs Monaten des § 73 Abs 1 AVG 1950, zu erwarten ist. Das gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in dem der der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechende Rechtszustand keineswegs der nach der Aufhebung des § 6 Abs 1 lit a SchrottLG entstandenen Rechtslage entsprach. Die genannte Bestimmung wurde nicht aufgehoben, weil der Verfassungsgerichtshof Schrottlenkungsbestimmungen für verfassungswidrig ansah; er beanstandete vielmehr nur, daß das Gesetz keine Auswahlkriterien für die Werkbelieferungshändler enthielt und die Einschränkung, daß neue Händler nur bei Notwendigkeit bestellt werden dürften, zu weit gehe. Der Verfassungsgerichtshof war hingegen keineswegs der Meinung, daß unter den nach seinem Erkenntnis verbliebenen Voraussetzungen jeder Schrotthändler nun zum Werkbelieferungshändler bestellt werden müsse, insbesondere auch nicht die klagende Partei. Es ging nicht um die Beseitigung einer schon ihren Intentionen nach verfassungswidrigen Bestimmung, sondern um deren Neufassung in verfassungskonformer Weise, für die der Verfassungsgerichtshof sogar Richtlinien gab. Wenn nun dem Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie, das auch für eine Gsetzesänderung federführend sein mußte, bekannt war, daß der Gesetzgeber es nicht bei der durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes entstandenen Rechtslage belassen, sondern eine im Sinne der Anschauungen des Verfassungsgerichtshofes formulierte verfassungskonforme Neufassung des Gesetzes herbeiführen wollte und diese Gesetzesänderung noch dazu innerhalb der Sechsmonatefrist des § 73 Abs 1 AVG 1950 stattfinden sollte, war es nicht nur vertretbar, sondern sogar der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechend und damit nicht rechtswidrig, die Neufassung des Gesetzes abzuwarten und auf dieser Grundlage den Ersatzbescheid zu erlassen. Damit war auch die Weisung des zuständigen Sektionschefs, wie immer er sie intern begründet haben mag, zumindest vertretbar, so daß der klagenden Partei kein Amtshaftungsanspruch zusteht.

Der Oberste Gerichtshof will nicht übersehen, daß er in seiner Entscheidung SZ 55/161 in einem Fall, in dem ebenfalls wegen einer verzögerten Bescheiderlassung die Entscheidung auf Grund einer geänderten Rechtslage getroffen werden mußte, sehr wohl einen Amtshaftungsanspruch anerkannte. In diesem Fall hatte aber die klagende Partei bereits in der Vergangenheit einen Rechtsanspruch auf Erlassung eines Bescheides in einem bestimmten Sinne erworben. Im vorliegenden Fall konnte die klagende Partei ein Recht aber nur durch einen in der Zukunft liegenden konstitutiven Akt erwerben. In einem solchen Fall ist es anerkannt, daß die Verwaltungsbehörde auch dann, wenn die Partei dadurch schlechter gestellt werden würde als nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, einen der neuen Rechtslage entsprechenden Bescheid zu erlassen hat (Ermacora aaO 348 f; vgl. auch Kopp, Der Folgenbeseitigungsanspruch, ÖJZ 1973, 291). Jedenfalls dann, wenn dieser Bescheid der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes nicht widersprach, kann daraus keine Amtshaftung abgeleitet werden.

Das Leistungsbegehren ist demnach in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 392 Abs 2, 52 Abs 2 ZPO.

Anmerkung

E11536

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0010OB00013.87.0624.000

Dokumentnummer

JJT_19870624_OGH0002_0010OB00013_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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