TE OGH 1987/6/25 12Os74/87

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Veröffentlicht am 25.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Juni 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Friedrich und Dr. Hörburger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Swoboda als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr.Bernd W*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 2.März 1987, GZ 8 Vr 387/86-72, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 2.November 1940 geborene Sozialversicherungsangestellte Dr.Bernd W*** von der gegen ihn wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, sowie wegen der Vergehen der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs. 1 StGB, des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB, des Quälens eines Unmündigen nach § 92 Abs. 1 StGB und der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, in der Zeit von Oktober 1985 bis 12.Dezember 1985 in Klagenfurt seinen am 21.Oktober 1976 geborenen unmündigen Adoptivsohn Michael W*** wiederholt zur Unzucht mißbraucht zu haben, indem er ihn veranlaßte, sein erigiertes Glied in den Mund zu nehmen, daran zu lutschen und die Samenflüssigkeit zu schlucken, wobei er ihn in zwei Fällen durch Versetzen von Schlägen, mithin mit Gewalt zur Vornahme dieser Unzuchtshandlungen genötigt haben soll, ferner dadurch, daß er ihn veranlaßte (in einem Fall) ein Glas mit Urin zu trinken und (in einem anderen Fall) an seinem After zu lecken, ihm seelische Qualen zugefügt zu haben und ihn schließlich durch Androhung von Schlägen, mithin durch gefährliche Drohung, zur Unterlassung von Angaben über die genannten Vorfälle gegenüber anderen Personen genötigt zu haben.

Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer nur auf den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Anklagebehörde rügt, daß sich das Erstgericht bei Darlegung der gegen die Glaubwürdigkeit des Tatopfers sprechenden Bedenken mit einem Teil der aufgenommenen Beweise nicht oder nur unzureichend auseinandergesetzt habe. Keiner der im Rahmen der Mängelrüge erhobenen Beschwerdeeinwände schlägt jedoch durch:

Rechtliche Beurteilung

Der Freispruch des Angeklagten Dr.Bernd W*** beruht darauf, daß der Schöffensenat seine Verantwortung, die Anschuldigungen seines Adoptivsohnes gegen ihn seien frei erfunden und stellten Pseudologien des Kindes dar, als nicht zweifelsfrei widerlegbar erachtet hat. Hiebei werden in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils eine Reihe von für und gegen die Richtigkeit der Darstellung des Michael W*** sprechenden Erwägungen ins Treffen geführt, die in ihrer Gesamtheit nicht ausgereicht haben, um den Tatrichtern die volle Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu verschaffen. Bei Würdigung der Zeugenaussage des Kindes ist das Gericht, wie auch die Staatsanwaltschaft einräumt, nicht verpflichtet gewesen, alle im Verfahren hervorgekommenen Umstände, welche bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen herangezogen werden können, ausdrücklich einer Erörterung zu unterziehen; vielmehr genügt es nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, in gedrängter Form die entscheidenden Tatsachen zu bezeichnen, die als erwiesen angenommen werden und die Gründe anzugeben, die zu diesen Annahmen geführt haben. Als wesentliche Beweistatsache, die in den Urteilsgründen unerörtert geblieben sei, nennt die Staatsanwaltschaft die Zeugenaussage der Mag.Susanna W***, wonach der Angeklagte die Gewohnheit gehabt habe, öfters in der Nacht aufzustehen, sodaß sie nicht mehr darauf geachtet und weitergeschlafen habe (vgl S 35, 144 d.A). Das Erstgericht hat jedoch in diesem Zusammenhang keineswegs ausgeschlossen, daß der Angeklagte von seiner Gattin unbemerkt hätte aufstehen und in das (wenn auch nicht durch eine Tür verbundene, so doch) angrenzende Kinderzimmer - den Beschwerdeausführungen zuwider sind die räumlichen Verhältnisse in der Wohnung des Angeklagten entsprechend den Ergebnissen des Ortsaugenscheines im Urteil aktengetreu wiedergegeben (vgl S 446 f d.A) - hätte gelangen können, sondern hat es nur als schwer vorstellbar bezeichnet, daß der Angeklagte, während seine Gattin ahnungslos im Nebenzimmer schlief, Unzuchtshandlungen, welche einen gewissen Zeitraum erfordern und mit einem "unsachten Aufwecken" des Kindes, mit Geräuschen, sowie mit der akuten Gefahr der Entdeckung durch die Mutter verbunden gewesen wären, an seinem Adoptivsohn vorgenommen haben sollte (vgl S 455 d.A). Die Zeugenaussage der Flora H***, laut welcher Michael W*** einmal von ihr einer Unwahrheit überführt worden ist, wird in den Entscheidungsgründen ihrem wesentlichen Inhalt nach richtig wiedergegeben (vgl S 146, 446, 456 d.A); die von der Zeugin aus Anlaß ihrer Vernehmung im Verfahren bekundete Meinung, dem Kind nicht zuzutrauen, daß es die inkriminierten Vorfälle erdichtet habe, ist insofern unerheblich, als Gegenstand von Zeugenvernehmungen grundsätzlich nur Wahrnehmungen über Tatsachen sein können (vgl Mayerhofer-Rieder2, II/1, ENr 1 ff zu § 150 StPO). Aus diesem Grund ist auch eine Bezugnahme auf eine von Gendarmerieinspektor Ingrid D*** als Zeugin zum Ausdruck gebrachte persönliche Meinung über die (ausschließlich der Beurteilung des Gerichtes obliegende) Glaubwürdigkeit der bei der polizeilichen Vernehmung ihr gegenüber gegebenen Schilderung des Michael W*** im Urteil zu Recht unterblieben.

Die als aktenwidrig gerügte Passage, wonach Michael W*** bei allen Befragungen durch Sachverständige, sowie durch Polizei- und Gerichtspersonen "frei und ohne besonderes Drängen" von sich aus den Sachverhalt erzählt habe (vgl S 456 d.A), bezieht sich ersichtlich auf die Vernehmung des Zeugen bei der Bundespolizeidirektion Klagenfurt, bei der dieser laut Bericht vom 15.Jänner 1986 seine Angaben fließend und präzise gemacht hat (vgl S 15 d.A), auf die Gutachten der gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Prim. Dr.Otto S*** (vgl S 221, 273 d.A) und Univ.Prof. Dr.Walter S*** (vgl S 375 d.A) sowie - ungeachtet einer dabei aufgetretenen kurzfristigen Unterbrechung (vgl S 340 d.A) - auf die gerichtliche Vernehnung durch den Vorsitzenden des Schöffensenates. Daß sich der Knabe demgegenüber beim Facharzt für Kinderheilkunde Dr.Franz W*** anders verhalten hat, zunächst aufgeregt gewesen ist und sich dann erst beruhigt und die Vorfälle ausführlich geschildert hat sowie daß zuvor der fachpsychologische Sachverständige Dr.Herbert K*** eine Exploration über diese Vorfälle überhaupt nicht durchgeführt hat, ist im Urteil ausdrücklich erwähnt und vom Erstgericht mithin in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen worden (vgl S 426, 442, 457 d.A). Die Annahme, es sei (zugunsten des Angeklagten im Zweifel) nicht auszuschließen, daß Michael W*** möglicherweise von einer seinerzeitigen sexuellen Gewalttat auf seinen Cousin erfahren hat, was sein Wissen um sexuelle Perversionen verständlich machen könnte (vgl S 438, 454 d.A), stellt weder eine den Ausspruch des Gerichtes über entscheidende Tatsachen betreffende Undeutlichkeit des Urteils, noch einen Widerspruch zur Zeugenaussage des Günther W*** dar (vgl S 417 d.A).

Mit der Behauptung, es bestehe ein logischer Widerspruch, wenn das Erstgericht einerseits die detaillierten Angaben des Michael W*** mit extrem sexuellen Phantasien des Kindes in Verbindung bringe, andererseits jedoch die Genauigkeit seiner Tatschilderung als Indiz für eine allfällige Glaubwürdigkeit seiner Zeugenaussage werte, sowie mit dem Hinweis auf die Gutachten der gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Prim. Dr.Otto S*** und Univ.Prof. Dr.Walter S***, welche die Möglichkeit einer Auslösung bei Michael W*** festgestellter abnormer Verhaltensweisen durch die inkriminierten Vorfälle einräumen, zieht die Staatsanwaltschaft bloß in einer im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen und daher unbeachtlichen Weise die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes in Zweifel. Denn obwohl im Hinblick auf das Alter des Michael W*** und seine psychische Auffälligkeit begründeter Anlaß zur Beiziehung (jugend-)psychiatrischer Sachverständiger zur Frage der Aussageehrlichkeit bestanden hat (vgl ÖJZ-LSK 1979/177 ua), kommt doch die Beurteilung, ob seiner Zeugenaussage auf Grund der Gesamtheit der Beweisergebnisse und nach dem von ihm gewonnenen persönlichen Eindruck Glaubwürdigkeit beizumessen ist, ausschließlich dem erkennenden Gericht zu.

So gesehen erweist sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft aber als teils nicht gesetzmäßig ausgeführt (§ 285 d Abs. 1 Z 1, 285 a Z 2 StPO), teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO) und war daher bei einer nichtöffentlichen Sitzung zurückzuweisen.

Anmerkung

E11284

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0120OS00074.87.0625.000

Dokumentnummer

JJT_19870625_OGH0002_0120OS00074_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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