TE OGH 1987/6/30 10ObS16/87

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Veröffentlicht am 30.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Redl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rudolf Pokorny und Karl-Siegfried Pratscher als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Johann S***, Pensionist, 4020 Linz, Liebigstraße 19, vertreten durch Dr. Ulf Gastgeb, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei O*** G*** für Arbeiter und Angestellte, 4020 Linz, Gruberstraße 77, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 850,--, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 11. Februar 1987, GZ 13 Rs 21/87-10, womit das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich vom 3. Juni 1986, GZ 3c C 2/86-5 (13 Cgs 98/87 des Landesgerichtes Linz) aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 908,16 (darin enthalten S 82,56 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ließ am 15. Dezember 1984 durch den praktischen Arzt Dr. Alfred F*** in Linz eine Gesundenuntersuchung durchführen und bezahlte den hiefür in Rechnung gestellten Betrag von S 850,-- am 17. April 1985. Am 15. Dezember 1984 bestand für Oberösterreich ein vertragsloser Zustand. Die Ärztekammer für Oberösterreich und die Beklagte haben im Oktober 1984 an alle Vertragsärzte für Gesundenuntersuchungen ein Rundschreiben versendet, in dem darauf hingewiesen wurde, daß zwischen ihnen Verhandlungen über die Durchführung von Gesundenuntersuchungen aufgenommen worden seien. Gleichzeitig wurden die Vertragsärzte darin ersucht, vorerst keine weiteren Gesundenuntersuchungen durchzuführen.

Mit der vorliegenden Klage wandte sich der Kläger gegen den seinen Kostenerstattungsantrag abweisenden Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1985 und begehrte von ihr die Zahlung des für die Gesundenuntersuchung ausgelegten Betrages von S 850,--. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß im Hinblick auf den zum Zeitpunkt der Gesundenuntersuchung des Klägers vorliegenden vertragslosen Zustand, die Beklagte nur zur Kostentragung von Gesundenuntersuchungen in ihren eigenen Einrichtungen verpflichtet gewesen sei, nicht aber zum Ersatz der Kosten von Wahlärzten.

Das Berufungsgericht hob über Berufung des Klägers das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es verneinte die vom Berufungswerber geltend gemachte Aktenwidrigkeit und übernahm die eingangs wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichtes. Die Mängel- und Feststellungsrüge betreffe keine rechtlich relevanten Punkte. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß zumindest seit 1. Jänner 1983 die Gesundenuntersuchung eine Pflichtleistung im Sinne des § 121 Abs 2 ASVG darstelle, auf die ein Rechtsanspruch des Versicherten bestehe. In der Krankenversicherung herrsche bei Inanspruchnahme von Pflichtleistungen in der Krankenbehandlung das Prinzip der freien Arztwahl. Der Versicherungsträger habe dem Versicherten die Kosten eines Wahlarztes in der Höhe des Betrages zu ersetzen, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre (§ 131 Abs 1 ASVG). Diese Kostenerstattung finde gemäß § 131 a ASVG auch bei Inanspruchnahme von ärztlicher Hilfe während eines vertragslosen Zustandes statt. Wenngleich diese beiden Bestimmungen unmittelbar nur die Versicherungsleistung der Krankenbehandlung und nicht jene der Gesundenuntersuchung beträfen, so müßten sie doch auf letztere analog angewendet werden. Gemäß § 132 b Abs 2 vorletzter Satz ASVG und dem gleichlautenden § 5 der Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Durchführung und Auswertung der Gesundenuntersuchungen kämen nämlich für deren Durchführung unter Bedachtnahme auf das Untersuchungsziel insbesondere Vertragsärzte, Einrichtungen der Vertragsärzte und sonstiger Vertragspartner sowie eigene Einrichtungen in Betracht. Daraus müsse geschlossen werden, daß der Versicherte auch im Bereich der Gesundenuntersuchung einen Wahlarzt in Anspruch nehmen könne. Für die analoge Anwendung der §§ 131 und 131 a ASVG auf die Gesundenuntersuchung spreche auch deren systematische Einordnung im Abschnitt I ("Gemeinsame Bestimmungen") des II. Teiles ("Leistungen der Krankenversicherung") des ASVG, während die Gesundenuntersuchung im Abschnitt II ("Leistungen im Besonderen") enthalten sei. Dem Kläger stehe daher ein Anspruch auf Kostenersatz für die Gesundenuntersuchung in der Höhe jenes Betrages zu, der vor Eintritt des vertragslosen Zustandes von der Beklagten bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes hiefür aufzuwenden gewesen wäre. Zur näheren Feststellung der Höhe des Anspruches sei das Ersturteil aufzuheben. Seinen Rechtskraftvorbehalt begründete das Berufungsgericht damit, daß die Voraussetzungen nach § 46 Abs 2 Z 1 ASGG gegeben seien. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne einer Bestätigung des Ersturteils.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, weil zur Frage der Erstattung von Kosten einer Gesundenuntersuchung, die während eines vertragslosen Zustandes von einem Privatarzt durchgeführt wurde, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt (§ 46 Abs 2 Z 1 ASGG). Er ist jedoch nicht berechtigt.

Die Beklagte verweist zunächst durchaus zutreffend darauf, daß die von der Krankenversicherung zu erbringende Leistung der Vorsorge für die Verhütung und Früherkennung von Krankheiten (§ 116 Abs 1 Z 1 ASVG), zu der gemäß § 117 Z 1 ASVG die Gesundenuntersuchung zählt, keine Krankenbehandlung ist, die aus dem Versicherungsfall der Krankheit (§ 117 Z 2 ASVG) gewährt wird (vgl. Tomandl, Grundriß des Sozialrechts3 83). Sie übersieht dabei jedoch, daß das Berufungsgericht keineswegs von einer solchen Annahme ausgegangen ist, weil es ansonsten nicht zu einer analogen Anwendung der unmittelbar nur die Kostenerstattung für Sachleistungen der Krankenbehandlung, im speziellen der ärztlichen Hilfe (§ 133 Abs 1 Z 1 ASVG), regelnden Bestimmungen der §§ 131 Abs 1 und 131 a ASVG auf die Gesundenuntersuchung hätte gelangen können. Diese älteren Regelungen sind erst ab 1956 nach langem Kämpfen der sogenannten ausgesperrten Ärzte in das Gesetz aufgenommen worden und haben zumindest theoretisch die Anerkennung des Prinzips der freien Arztwahl gebracht. Die Erstattung regelmäßig nur eines Teiles der Kosten hatte allerdings zur Folge, daß die Masse der Versicherten diesen umständlichen und kostspieligeren Weg gar nicht gehen wollte, was auch durchaus der Absicht des Gesetzgebers entsprach (vgl. Schäfer in RdA 1971, 193; Welser in VersRdSch 1977, 277 unter Bezugnahme auf 599 BlgNR 7. GP, 53 und 315). In diesem Sinne bestimmt auch § 135 Abs 1 ASVG, daß die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, durch Wahlärzte (§ 131 Abs 1) und durch Ärzte in eigenen hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt wird (vgl. dazu Tomandl aaO 84; Binder in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 209 f; Gehrmann-Rudolph-Teschner-Fürböck, ASVG Anm 2 zu § 131). Der erst später, nämlich durch die 29. Novelle zum ASVG, BGBl 1973/31, im Gesetz unter dem Gesichtspunkt der vorbeugenden Medizin verankerte Gedanke der Vorbeugung und Früherkennung von Krankheiten (vgl. Tomandl aaO 92; Binder aaO 192 f) ist jedenfalls eine weitere Sachleistung der Krankenversicherung, die in Form der Gesundenuntersuchung (§ 132 b ASVG) sei der 38. Novelle zum ASVG, BGBl 1982/647, als Pflichtleistung im Sinne des § 121 Abs 2 ASVG anerkannt ist (Tomandl aaO 93; Binder aaO 193; Gehrmann-Rudolph-Teschner-Fürböck aaO Anm 4 zu § 121). Dabei liegt insoferne eine Besonderheit vor, als der Gesetzgeber die Tatbestandsmerkmale des Versicherungsfalles nicht selbst konkretisiert hat, sondern diese Aufgabe dem Hauptverband überließ, der sie durch Erlassung von verbindlichen Richtlinien wahrzunehmen hat (Tomandl aaO; Binder aaO 197). Überdies ist der Eintritt des Versicherungsfalles stets vom Willen des Versicherten abhängig, dem für sich und seine Angehörigen ein Rechtsanspruch auf jährlich eine Gesundenuntersuchung eingeräumt ist (Binder aaO 193). Es fällt nun auf, daß die 29. Novelle zum ASVG bei der Einführung auch des nunmehr vorletzten Satzes des § 132 b Abs 2 ASVG ausgesprochen hat, daß für die Durchführung der Untersuchung unter Bedachtnahme auf das Untersuchungsziel "insbesondere Vertragsärzte, Einrichtungen der Vertragsärzte und sonstiger Vertragspartner sowie eigene Einrichtungen in Betracht kommen". Nach den ErlBem zur RV sollte durch die Anfügung dieses Satzes deutlicher als in dem zur Begutachtung versendeten Entwurf zum Ausdruck gebracht werden, daß für die Durchführung der Untersuchungen Vertragsärzte, Einrichtungen der Vertragsärzte (Gruppenpraxen) und sonstiger Vertragspartner (insbesondere die Ambulanzen von Krankenanstalten) sowie eigene Einrichtungen in Betracht kommen (404 BlgNR 13. GP. 85 f). Warum der Gesetzgeber dann aber das Wort "insbesondere" verwendet hat, welches jedenfalls nicht auf eine abschließende Regelung der für die Gesundenuntersuchungen in Betracht kommenden Personen oder Einrichtungen schließen läßt, bleibt ungeklärt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß auch die Literatur die Regelung der für die Gesundenuntersuchung in Betracht kommenden Personen und Einrichtungen ungeachtet des Wortes "insbesondere" ehe rdoch als abschließend anzusehen scheint (Tomandl aaO 93; Binder aaO 195). Dies mag damit in Zusammenhang stehen, daß die vom Gesetzgeber konzipierte Sachleistung der Gesundenuntersuchung von der praktischen Seite her wohl zur Voraussetzung hat, daß nur solche Maßnahmen, die den vom Hauptverband aufgestellten Richtlinien entsprechen, als Gesundenuntersuchung im Sinne des § 132 b ASVG anerkannt werden können und daß solches bei Vornahme durch andere als vertraglich gebundene Ärzte oder Einrichtungen nicht sichergestellt wäre. Auch hat gemäß § 343 a Abs 2 ASVG jeder freiberuflich tätige Arzt Anspruch auf Abschluß eines Einzelvertrages, weshalb die Frage, ob auch ein Wahlarzt für derartige Untersuchungen in Anspruch genommen werden kann, kaum Bedeutung erlangen wird.

Die Frage, ob durch die Formulierung des § 132 b Abs 2 vorletzter Satz ASVG und des im wesentlichen gleichlautenden § 5 der vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger erlassenen Richtlinien auch die Inanspruchnahme eines Wahlarztes durch den Versicherten zur Durchführung der Gesundenuntersuchung zugelassen wird, muß aber im vorliegenden Fall entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes nicht abschließend beantwortet werden, weil jedenfalls schon der von ihm gezogene Analogieschluß zu § 131 a ASVG gerechtfertigt ist. Bei einem vertragslosen Zustand kann nämlich keinerlei Sachleistung aus der Krankenversicherung mehr durch Vertragsärzte (Einrichtungen der Vertragsärzte) erbracht werden, weil deren Einzelverträge automatisch erloschen sind (Tomandl aaO 151). Dem hat der Gesetzgeber zwar ausdrücklich nur für den Fall der ärztlichen Hilfe Rechnung getragen, indem er durch § 131 a ASVG die Vorsorge der Krankenversicherung insoweit auf einen Kostenersatz beschränkte, der sich der Höhe nach an den Honorarsätzen des gerade abgelaufenen Gesamtvertrages orientiert (Selb in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 567 und 610); dafür aber, daß er bei der späteren Einführung der Gesundenuntersuchung im Falle eines vertragslosen Zustandes die Erbringung der Pflichtleistung auf die eigenen Einrichtungen des Versicherungsträgers beschränken wollte, liegt nicht der geringste Anhaltspunkt vor. Es ist daher von einer planwidrigen Unvollständigkeit, einer Gesetzeslücke, auszugehen, die im Wege der Gesetzesanalogie gefüllt werden muß (Koziol-Welser7 I 23 f mit weiteren Hinweisen in FN 47 bis 50). Die im § 131 a ASVG für den Einzeltatbestand der Inanspruchnahme von ärztlicher Hilfe durch Privatärzte während eines vertragslosen Zustandes angeordnete Rechtsfolge stimmt nach der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung durchaus mit dem ungeregelten Fall der Gesundenuntersuchung während eines vertragslosen Zustandes überein. Sie ist daher analog anzuwenden. Die Verweisung auf die Inanspruchnahme eines "Wahlarztes" kann dabei als eine solche rein technischer Natur vernachlässigt werden, weil damit offensichtlich nur zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß der Kostenersatz in der Höhe jenes Betrages gebührt, wie er vor Eintritt des vertragslosen Zustandes nach den Honorarsätzen des gerade abgelaufenen Gesamtvertrages vom Versicherungsträger aufzuwenden gewesen wäre. Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a) ASGG.

Anmerkung

E11255

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00016.87.0630.000

Dokumentnummer

JJT_19870630_OGH0002_010OBS00016_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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