TE OGH 1987/7/2 6Ob616/87

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Veröffentlicht am 02.07.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Zehetner und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitta A***, geboren am 8. September 1939 in Wien, Angestellte, c/o Stefanits, 1030 Wien, Marxergasse 39/6, vertreten durch Dr. Helfried Rustler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Adalbert A***, geboren am 25. August 1932 in Wien, Angestellter, 1170 Wien, Kalvarienberggasse 13, vertreten durch Dr. Viktor Wolczik und Dr. Alexander Knotek, Rechtsanwälte in Baden, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 3. März 1987, GZ. 11 R 15/87-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 8. September 1986, GZ. 34 Cg 53/86-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 308,85 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 25. Mai 1961 vor dem Standesamt Wien-Landstraße die beiderseits erste Ehe geschlossen. Ihr entstammen vier Kinder, und zwar der am 14. Mai 1962 geborene Sohn Adalbert, die am 3. Oktober 1964 geborene Tochter Brigitta, der am 26. November 1966 geborene Sohn Andreas und die am 7. Mai 1968 geborene Tochter Eva. Beide Streitteile sind österreichische Staatsbürger; ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz hatten sie in Wien. Auf Grund der als zugestanden anzusehenden wechselseitigen tatsächlichen Behauptungen (§ 267 ZPO) ist die Klägerin am 15. August 1985 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Anläßlich eines gemeinsamen Spanien-Urlaubes wurden beide Streitteile bei einem Autobusunfall am 20. Juni 1984 verletzt. Der Beklagte erlitt einen dreifachen Rippenbruch und befand sich zwei Wochen im Spital, und zwar gemeinsam mit der Klägerin im selben Zimmer. Die Klägerin hatte sich wesentlich schwerere Verletzungen zugezogen, unter anderem mehrere schwere Brüche (Trümmerbrüche) an Gliedmaßen, eine Serienrippenfraktur, Quetsch- und Schnittwunden und eine Herzerschütterung. Infolge des Unfalles mußte ihr auch die Milz entfernt werden. Ihr Spitalsaufenthalt dauerte wesentlich länger. Sie wurde erst im Jänner 1985 entlassen und verbrachte dann die Monate Februar und März zu Hause, mußte aber im April 1985 zur Mark-Nagelentfernung wieder das Spital aufsuchen, wo sie bis ca. Mitte Juni 1985 verblieb, da ihr unfallsbedingt im Mai auch noch die Galle entfernt worden war.

Die Klägerin begehrte mit der am 6. März 1986 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Sie brachte vor, der Beklagte habe sich schon seit Jahren ihr gegenüber mehr oder weniger gewalttätig verhalten, habe sie geschlagen und schwer beschimpft. Er habe dieses feindselige, grobe und gewalttätige Verhalten auch nach der Rückkehr der Klägerin aus dem Spital fortgesetzt. Dieses Verhalten sei für sie nunmehr erst recht unzumutbar geworden, weil sie noch immer an den Unfallsfolgen leide, wegen der sie mit 30 % als dauerinvalid eingestuft worden sei. Die Klägerin habe nach wie vor arge Beschimpfungen erdulden müssen. Andererseits habe sich der Beklagte dann häufig geweigert, mit ihr zu reden. Aus Furcht vor dieser Behandlung sei sie zu ihren Eltern gezogen, wohin ihr aus Angst vor dem Beklagten auch die beiden Töchter gefolgt seien. Die Ehe sei aus dem Verschulden des Beklagten unheilbar zerrüttet.

Der Beklagte bestritt die ihm zur Last gelegten Eheverfehlungen. Er behauptete, die Klägerin habe ihr Scheidungsrecht verwirkt, weil sie grundlos und gegen den Willen des Beklagten aus der ehelichen Wohnung ausgezogen sei. Der Beklagte habe vorher stets eine anständige Begegnung mit der Klägerin und den Kindern gesucht, doch sei dieses Bestreben nicht entsprechend beantwortet worden. Es sei vielmehr so gewesen, daß immer dann, wenn er einen Raum betreten habe, in dem sich die Klägerin mit den Kindern unterhalten habe, diese Unterhaltung sofort eingestellt worden sei. Der Beklagte stellte in der Folge einen Mitschuldantrag (ON 5, AS 30). Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Streitteile. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

"Der Beklagte beschimpft die Klägerin und die beiden Töchter seit Jahren mit Ausdrücken wie "Ihr könnt nur fressen", "Du kalte Hundeschnauze", "Ihr seid zu blöd, daß ihr ein Loch im Arsch habt" und ähnlichen Schimpfworten". Im Jahre 1983 erlitt der Beklagte einen schweren Herzinfarkt, infolgedessen er impotent wurde. Er war acht Monate im Krankenstand, sechs Wochen bei einer Nachbehandlung in Hochegg und sodann zur Erholung im Garten seiner Schwiegereltern. Dadurch trat offensichtlich eine gewisse Entfremdung zwischen den Streitteilen ein. Wenn sich der Beklagte nach seiner Genesung zum Tisch setzte, wo sich die Klägerin mit den Töchtern unterhielt, verstummte das Gespräch plötzlich. Auch sonst wurde der Beklagte vom Familienleben ausgeschlossen. Als er den Wunsch äußerte, mit der Klägerin und den Töchtern gemeinsam die Weihnachtseinkäufe 1983 zu machen, sagte ihm die Klägerin: "Du würdest mich nur stören". Auch sonst sprach die Klägerin zeitweise nicht mit dem Beklagten und beantwortete nicht die von ihm aufgeworfenen Fragen. In solchen Fällen hat der Beklagte die Klägerin einige Male bei den Schultern gepackt und etwas lauter gefragt, warum sie nicht mit ihm spreche. Da er die Klägerin einmal in der Küche in eine Ecke drängte und dabei fragte, warum sie nichts von ihm wissen wolle, fürchtete sie sich und zog aus der ehelichen Wohnung aus.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß beide Streitteile Eheverfehlungen gesetzt hätten, die zur unheilbaren Ehezerrüttung geführt hätten. Der Beklagte, der "die Klägerin mehrmals, fast täglich, beschimpft" habe, habe sich eine schwere Eheverfehlung zuschulden kommen lassen. Dem stehe gleichwertig gegenüber, daß die Klägerin teilweise mit dem Beklagten nicht gesprochen und versucht habe, ihn vom Familienleben auszuschließen. Als Folge davon habe der Beklagte die Klägerin entweder am Bett niedergedrückt oder an den Schultern gepackt und gebeutelt, was wiederum den Auszug der Klägerin nach sich gezogen habe. Da ein erheblich schwereres Verschulden eines Teiles an der Zerrüttung der Ehe nicht feststellbar gewesen sei, sei die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden zu scheiden gewesen. Der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung und meinte: Danach sei aber das Recht der Klägerin auf Scheidung der Ehe gemäß § 49 Satz 2 EheG nicht verwirkt, weil der Beklagte sie durch Jahre hindurch beschimpft und Grobheiten begangen habe, die ihm als schwere Eheverfehlungen anzulasten seien. Als die Klägerin noch gesund und die Kinder noch kleiner gewesen seien, habe sie dies offensichtlich nicht als so belastend empfunden. Nunmehr habe sie dies aber nicht mehr wie früher dulden wollen und der Beklagte hätte sie nicht weiterhin so behandeln dürfen. Die Klägerin habe ihrerseits eine schwere Eheverfehlung begangen, weil sie den Beklagten nach dessen Erkrankung als "lästig" empfunden, ihn vom Familienleben ausgeschlossen und eine Aussprache darüber verweigert habe. Wenn der Beklagte daraufhin die inzwischen selbst gesundheitlich stark angegriffene Klägerin grob und leicht gewalttätig behandelt habe, so sei dies eher als eine entschuldbare Reaktionshandlung anzusehen. Schließlich habe die Klägerin einseitig ihren Ehewillen aufgegeben, indem sie die eheliche Gemeinschaft aufgehoben habe. Dies stelle zwar eine erheblich ins Gewicht fallende Eheverfehlung dar, lasse aber ihr Scheidungsbegehren im Hinblick auf das Verhalten des Beklagten noch nicht als sittlich ungerechtfertigt erscheinen. Auch die aufgrund seines Mitschuldantrages erforderliche Verschuldensabwägung im Wege einer Gesamtschau ergebe kein erheblich überwiegendes Verschulden der Klägerin, zumal der Beklagte durch seine Beschimpfungen und Grobheiten mit der Zerrüttung der Ehe begonnen habe, welche von der Klägerin durch ihr plötzlich abweisendes familienfeindliches Verhalten vertieft worden und durch die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft schließlich unheilbar geworden sei.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Abs. 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung des Urteiles im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung, hilfsweise auf Urteilsaufhebung. Die Klägerin stellt in ihrer Revisionsbeantwortung den Antrag, dem Rechtsmittel des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Mit seiner Mängelrüge versucht der Beklagte, angebliche Verfahrensmängel erster Instanz aufzuzeigen, die schon das Berufungsgericht nicht für gegeben erachtete. Solche Mängel können aber auch im Scheidungsstreit nicht mehr mit Revision gerügt werden, weil nach § 460 Z 4 ZPO in der Fassung des Bundesgesetzes vom 11. November 1983 über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechts, BGBl. Nr. 566, nur mehr im Verfahren über die Nichtigkeit oder Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe die Offizialmaxime besteht (1 Ob 669, 670/85, 6 Ob 503/86, 1 Ob 538/86). Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht der Beklagte weiters Feststellungsmängel geltend, die nur auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes beruhen könnten und deren Vorwurf von ihm auch in der Rechtsrüge wiederholt wird. Was die Verbringung von Gegenständen aus der Ehewohnung anlangt, liegt ein Feststellungsmangel schon deshalb nicht vor, weil die vom Beklagten am 10. Juni 1986 behauptete Tatsache, daß bestimmte Gegenstände mit Zustimmung der Klägerin ab 1. April 1986 aus der ehelichen Wohnung weggekommen seien, von dieser als richtig zugestanden worden ist (ON 5, AS 21). Im übrigen kommt dieser Tatsache, da sie sich erst nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe ereignet hat, bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Bedeutung zu.

Soweit der Revisionswerber im übrigen Feststellungen darüber vermißt, wann er zuletzt die Klägerin beschimpft habe, so setzt er sich damit über die klaren Ausführungen des Berufungsgerichtes hinweg, welches die erstgerichtlichen Feststellungen, wonach der Beklagte die Klägerin seit Jahren beschimpft (und nicht: beschimpfte oder beschimpft hat), unmißverständlich dahin verstanden und aufrecht erhalten hat, daß diese Beschimpfungen auch nach der Erkrankung des Beklagten und später dann nach dem Unfall der Klägerin in den wenigen Monaten, die sie nicht im Spital, sondern zu Hause verbrachte, bis zuletzt, nämlich ihrem Auszug am 15. August 1985, stattgefunden haben.

Wenn der Beklagte schließlich vermeint, die Vorinstanzen hätten bei richtiger rechtlicher Beurteilung des Sachverhaltes zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß das Scheidungsbegehren der Klägerin aufgrund der Verwirkungsklausel des § 49 zweiter Satz EheG nicht zu Recht bestehe, weil die Klägerin mehrere schwerwiegende Eheverfehlungen gesetzt, insbesondere die eheliche Gemeinschaft eigenmächtig aufgehoben und den Beklagten böswillig verlassen habe, und dies im Vergleich zu seinen Eheverfehlungen ungleich schwerer wiege, so verkennt er das Wesen der Verwirkung des Rechtes auf Ehescheidung. An der sittlichen Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens wegen eigenen ehewidrigen Verhaltens mangelt es nämlich nur dann, wenn dem beklagten Ehegatten zwar eine schwere Eheverfehlung zur Last liegt, die zur Zerrüttung der Ehe führte oder dazu beitrug, diese Verfehlung jedoch erst durch schuldhaftes Verhalten des klagenden Teiles hervorgerufen wurde oder ein Zusammenhang zwischen der Verfehlung des Beklagten mit dem Verhalten des klagenden Teiles besteht und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe das Scheidungsbegehren wegen dieses Zusammenhanges als nicht zulässig erkannt werden kann, oder selbst ohne Zusammenhang der beiderseitigen Eheverfehlungen die Verfehlungen des klagenden Teiles unverhältnismäßig schwerer wiegen (EFSlg. 43.639, 48.772 uva.). Nach den Ergebnissen des Verfahrens kann aber weder gesagt werden, daß die beharrlichen und gröblichen Beschimpfungen der Klägerin durch den Beklagten, für die kein Grund ersichtlich ist und die bereits jahrelang stattgefunden haben und bis zuletzt fortgesetzt worden sind, weshalb sie eine schwere Eheverfehlung darstellen (EFSlg. 33.905, 38.698, 43.613 ua.), erst durch ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin hervorgerufen worden oder im Zusammenhang mit Verfehlungen der Klägerin gestanden wären, oder daß die Verfehlungen der Klägerin tatsächlich unverhältnismäßig schwerer wiegen als jene des Beklagten. Daß die Klägerin den Beklagten nach seiner Rekonvaleszenz vom Familienleben ausgeschlossen und mit ihm zeitweise überhaupt nicht gesprochen hat, ist ihr von den Vorinstanzen ohnedies bereits als schwere Eheverfehlung angelastet worden, wiewohl auch zu berücksichtigen ist, daß durch die lange Dauer zunächst der Abwesenheit des Beklagten und dann der Spitalsaufenthalte der Klägerin der Entfremdungsprozeß zwischen den Streitteilen nicht unerheblich beeinflußt worden ist. Wenn der Beklagte die Klägerin in diesem Zusammenhang festgestelltermaßen einige Male bei den Schultern gepackt und sie etwas lauter gefragt hat, warum sie nicht mit ihm spreche, so ist dieses Verhalten vom Berufungsgericht zutreffend als eine eher entschuldbare Reaktionshandlung auf das beharrliche Schweigen der Klägerin gewertet worden. Daß die Klägerin schließlich bei unveränderter Sachlage ihren Ehewillen einseitig aufgegeben und die Ehewohnung am 15. August 1985 verlassen hat, ist ihr von den Vorinstanzen gleichfalls mit Recht als Eheverfehlung angelastet worden, wenngleich zu diesem Zeitpunkt die Zerrüttung der Ehe schon weit fortgeschritten war und von der Klägerin auch als solche empfunden wurde. Stellt man demnach das als erwiesen angenommene Fehlverhalten der Klägerin jenem des Beklagten gegenüber, so zeigt sich, daß die Schuld der Klägerin keineswegs erheblich schwerer wiegt als jene des Beklagten, weil dieser es war, der durch die jahrelangen grundlosen und gröblichen Beschimpfungen mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht hat. Gemäß § 60 Abs. 3 EheG ist aber der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten nur dann zulässig, wenn die Schuld des einen Gatten erheblich schwerer ist als die des anderen und diese neben dem eindeutigen Verschulden des einen Teiles fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg. 38.787, 43.692, 48.832 uva.). Da dies hier nicht der Fall ist, entsprechen die Entscheidungen der Vorinstanzen der Sach- und Rechtslage. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E11421

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00616.87.0702.000

Dokumentnummer

JJT_19870702_OGH0002_0060OB00616_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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