TE OGH 1987/7/9 7Ob32/87

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Veröffentlicht am 09.07.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Gernot F***, Wien 23., Ketzergasse 24/2/2, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** I*** O*** L***, Direktion für

Österreich, Wien 1., Dr. Karl Lueger-Ring 10, vertreten durch Dr. Wolfgang Taussig, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 100.000,--) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 5. März 1987, GZ 2 R 224/86-9, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 16. Juni 1986, GZ 18 Cg 5/86-5, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger hat bei der beklagten Partei eine Haftpflichtversicherung für befugte technische Büros mit Versicherungsbeginn 15. Juli 1983 abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für solche Haftpflichtversicherungen (AHTB) zugrundeliegen. Danach übernimmt es der Versicherer, die Folgen von Schadenersatzverpflichtungen aus Personenschäden und sonstigen Schäden zu tragen, die dem Versicherungsnehmer aus der in der Polizze bezeichneten beruflichen Tätigkeit (dem versicherten Risiko) aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhaltes erwachsen. In diesem Rahmen übernimmt der Versicherer auch die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Abwehr einer von einem Dritten ungerechtfertigterweise behaupteten Schadenersatzverpflichtung (Art. 1 1.1.). Der Versicherungsschutz erstreckt sich auf Schadenersatzverpflichtungen aus allen Verstößen, die während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages gesetzt werden (Art. 4 1.1.). Außerdem umfaßt die Versicherung auch Schadenersatzverpflichtungen aus allen Verstößen, die im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn der Versicherung gesetzt wurden und dem Versicherungsnehmer bis zum Abschluß des Vertrages nicht bekannt geworden sind (Art. 4 1.2.). Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Nichterfüllung oder nicht rechtzeitiger Erfüllung von Verträgen (Art. 6 4.2.) und auf Schadenersatzverpflichtungen aus der Planung oder Empfehlung grundsätzlich neuer Maschinen, Anlagen, Produkte oder Verfahren sowie aus jedweder Forschungs- und/oder Entwicklungstätigkeit, sofern diese Schäden ursächlich auf die Neuentwicklung zurückzuführen sind (Art. 6 5.4.).

Der Kläger war von der Firma Georg S***, Chemische Fabrik, Gesellschaft mbH (im folgenden nur Firma S***) mit der Planung, Ausschreibung und Bauüberwachung einer Abluftrückgewinnungsanlage für einen Glasschmelzofen beauftragt. Die Anlage wurde nach den Plänen des Klägers und unter seiner Aufsicht errichtet. Die Firma S*** brachte am 2. März 1985 gegen den Kläger eine Klage auf Ersatz eines Schadens von S 1,225.045,50 s.A. gestützt auf die Behauptung ein, daß die Anlage infolge fehlerhafter Arbeit des Klägers - zu geringe Dimensionierung - unbrauchbar sei. Die Schadenersatzforderung der Firma S*** setzt sich zusammen aus dem Aufwand für die Anlage von S 606.241,--, dem Schmelzleistungsverlust während des Probebetriebes von S 155.850,-- und den Reparaturkosten für die Gitterung in den Kammern des Schmelzofens und für das Gewölbe, die durch Überhitzung verursacht worden seien, in Höhe von S 462.954,50.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Haftung der beklagten Partei aus dem Versicherungsvertrag für den Schaden, der der Firma S*** entstanden ist.

Nach dem Standpunkt der beklagten Partei handle es sich bei den gegen den Kläger geltend gemachten Schadenersatzansprüchen um solche wegen Verletzung vertraglicher Pflichten, die nach Art. 1 1.1 AHTB nicht Gegenstand der Versicherung seien. Der dem Kläger angelastete Verstoß falle nicht in den Versicherungszeitraum. Es liege überdies ein Ausschluß nach Art. 6 4.2. und nach Art. 6 5.4 AHTB vor. Dem Kläger falle grobe Fahrlässigkeit zur Last, sodaß die beklagte Partei nach § 61 VersVG leistungsfrei sei. Das Begehren sei verfehlt, weil der Kläger im Rahmen der Haftpflichtversicherung, solange seine Schadenersatzpflicht nicht durch rechtskräftiges Urteil feststehe, nicht die Schadensliquidierung, sondern nur die Schadensabwehr verlangen könne.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seiner Auffassung liege ein Ausschluß nach Art. 6 4.2. AHTB vor. Unter den Begriff der Nichterfüllung falle auch die nicht ordnungsgemäße Vertragserfüllung. Gerade aus der nicht ordnungsgemäßen Planung der Abluftrückgewinnungsanlage leite die Firma S*** ihre Schadenersatzforderung ab.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und wies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und daß das Verfahren erster Instanz erst nach eingetretener Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen ist. Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes könne unter Nichterfüllung im Sinne des Art. 6 4.2. AHTB nur die Nichterbringung der geschuldeten Leistung oder eine so mangelhafte Leistung verstanden werden, daß sie vom Besteller von vornherein abgelehnt werde. Dies ergebe sich aus den Versicherungsbedingungen in ihrer Gesamtheit und daraus, daß eine Fehlplanung den typischen Haftpflichtfall einer Berufshaftpflichtversicherung für technische Büros darstelle. Komme es daher aufgrund einer fehlerhaften Planung - wie sie hier behauptet werde - zur Errichtung eines für den Besteller unbrauchbaren Werkes, so fielen die daraus abgeleiteten Schadenersatzansprüche nicht unter die Ausschlußklausel des Art. 6 4.2. AHTB. Auf grobe Fahrlässigkeit könne sich die beklagte Partei nicht berufen, weil in der Haftpflichtversicherung nach § 152 VersVG nur die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles vom Versicherungsschutz nicht erfaßt sei. Richtig sei, daß im Deckungsprozeß vor rechtskräftiger Verurteilung des Versicherungsnehmers zum Ersatz nicht die Leistung an den Dritten verlangt werden könne. Aus dem Vorbringen des Klägers ergebe sich jedoch, daß er unbeschadet der Formulierung seines Urteilsantrages nur die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei begehre. In diesem Sinne sei eine Verdeutlichung des Klagebegehrens vorzunehmen.

Da das Erstgericht, ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht zum Ausschlußtatbestand des Art. 6 4.2. AHTB die weiteren Einwände der beklagten Partei, es handle sich bei der vom Kläger geplanten Anlage um eine Neuentwicklung im Sinne des Art. 6 5.4. AHTB und der Schadensfall habe sich vor Beginn des Versicherungsschutzes nach Art. 4 1.2. AHTB ereignet, nicht geprüft habe, sei das Verfahren in dieser Richtung ergänzungsbedürftig.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin hält an ihrer Ansicht fest, daß die Rechtsrüge in der Berufung der klagenden Partei nicht gesetzmäßig ausgeführt worden sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß den Berufungsausführungen immerhin entnommen werden kann, der Kläger lehne die Rechtsansicht des Erstgerichtes deshalb ab, weil das Erstgericht nicht zwischen Ansprüchen wegen Nichterfüllung und Schadenersatzansprüchen differenziert habe und die von der Firma S*** geltend gemachten Ansprüche jedenfalls nicht der erstgenannten Kategorie zuzuordnen seien. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß die Ablehnung der Rechtsansicht des Erstgerichtes gänzlich begründungslos geblieben sei. Beizupflichten ist dem Berufungsgericht darin, daß Mängel des vom Kläger vorformulierten Urteilsantrages unschädlich sind, wenn sich aus dem Sachvorbringen die begehrte Leistung oder Feststellung einwandfrei entnehmen läßt. In diesem Falle kann das Gericht dem Sachantrag eine klarere und deutlichere Fassung geben, auch wenn es dadurch vom Wortlaut des Begehrens abweicht, und den Urteilsspruch auch mit den zur Bestimmtheit erforderlichen Angaben ergänzen (Fasching III 646; SZ 37/28; 7 Ob 54/86 ua). Im vorliegenden Fall behauptet der Kläger den Eintritt eines ganz bestimmt bezeichneten Versicherungsfalles im Rahmen einer Haftpflichtversicherung und daß der Geschädigte bereits Ansprüche gegen ihn geltend macht, die beklagte Partei jedoch sowohl eine Befriedigung als auch eine Abwehr der erhobenen Ansprüche ablehne. Mit einem richtig als Feststellungsbegehren formulierten Antrag strebt der Kläger ersichtlich nichts anderes an als die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei, welches Begehren eine eindeutige Grundlage im Sachvorbringen hat. In diesem Sinne wird daher dem Urteilsantrag allenfalls eine deutlichere Fassung zu geben sein.

Abzulehnen ist der Standpunkt der beklagten Partei, daß die gegen den Kläger erhobenen Schadenersatzansprüche deshalb nicht unter das versicherte Risiko fallen, weil sie aus einer Vertragsverletzung abgeleitet werden. Nach dem Inhalt des Art. 1 AHTB übernimmt der Versicherer die Befriedigung oder die Abwehr von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer aus der in der Polizze bezeichneten beruflichen Tätigkeit aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen. Gesetzliche Haftpflichtbestimmungen sind alle Rechtsnormen, die unabhängig vom Willen der Beteiligten an die Verwirklichung eines unter Art. 1 AHTB fallenden Ereignisses Rechtsfolgen knüpfen. Es fallen daher nicht nur Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, sondern auch aus positiver Vertragsverletzung unter den Versicherungsschutz (vgl. Prölss-Martin, VVG23 950).

Dem Berufungsgericht ist auch in der Auslegung des Art. 6 4.2. AHTB zu folgen. Der Begriff des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung hat in der Rechtssprache eine bestimmte Bedeutung und ist daher auch in diesem Sinn auszulegen

(vgl. Prölss-Martin aaO 18). Es wird darunter im Sinne des § 921 ABGB jener Schaden verstanden, den der vertragstreue Teil durch Unterbleiben des Leistungsaustausches erleidet (HS 5328; RZ 1972, 14; Koziol-Welser7 I 223). Wer wegen Nichterfüllung Ersatz zu leisten hat, muß den Zustand herstellen, der im Vermögen des Gläubigers bei gehöriger Erfüllung bestünde (Nichterfüllungsschaden). Er hat also den Wert der geschuldeten Sache und den entgangenen Gewinn zu ersetzen

(Koziol-Welser aaO 385 f). Ein solches Schadenersatzbegehren setzt den Rücktritt vom Vertrag voraus (JBl. 1977, 543;

Koziol-Welser aaO 223; Koziol in JBl. 1979, 204; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 918). Davon zu unterscheiden sind jene Nachteile, die dem Gläubiger durch Schlechtleistung entstehen. Nur diese erfaßt nach Reischauer (aaO Rdz 1 zu § 918) auch der Tatbestand der Nichterfüllung nach § 918, und nur in diesem Sinn ist auch die von der Rekurswerberin für ihren Standpunkt zitierte Belegstelle (Rdz 1 vor § 918) zu verstehen, wonach die Nichterfüllung auch die Schlechterfüllung umfaßt.

Über den Wortlaut hinaus ist aber auch der Sinn der Regelung nach ihrem versicherungswirtschaftlichen Zweck zu beurteilen. Der beklagten Partei ist darin zuzustimmen, daß der Ausschlußbestimmung des Art. 6 4.2. AHTB ersichtlich die Erwägung zugrundeliegt, daß durch die Haftpflichtversicherung dem Versicherungsnehmer nicht jedes Unternehmerrisiko abgenommen werden soll. Nach der allgemeinen Risikoumschreibung des Art. 1 AHTB und nach dem Inhalt des Versicherungsscheines betrifft die Haftpflichtversicherung hier das Risiko des Klägers, als Inhaber eines technischen Büros wegen allfälliger Verstöße für deren Folgen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen in Anspruch genommen zu werden. Wie schon das Berufungsgericht richtig hervorgehoben hat, stellen gerade fehlerhafte Planungen vielfach jene Verstöße dar, die Haftpflichtansprüche gegen den Inhaber eines technischen Büros zur Folge haben können. Dieses Risiko abzuwälzen ist wesentlicher Zweck der Haftpflichtversicherung für technische Büros. Würde man unter Nichterfüllung im Sinne des Art. 6 4.2. AHTB auch die nicht ordnungsgemäße Vertragserfüllung verstehen, wäre die Haftpflichtversicherung eines wesentlichen Zweckes beraubt. Unter Schadenersatzansprüchen wegen Nichterfüllung nach Art. 6 4.2. AHTB fallen daher nicht Schadenersatzansprüche, bei denen Gegenstand des Ersatzes der Schaden ist, der dem Vertragspartner des Versicherungsnehmers aus einer fehlerhaften Leistung entstanden ist. Daß im vorliegenden Fall ein solches Begehren gegen den Kläger geltend gemacht wird, kann nach den von der Firma S*** erhobenen Ansprüchen und dem zu ihrer Begründung vorgetragenen Sachverhalt nicht zweifelhaft sein und wird von der Rekurswerberin auch nicht bestritten. Unerörtert bleiben kann, ob Vermögensschäden vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, weil ein diesbezüglicher Einwand in erster Instanz von der beklagten Partei nicht erhoben wurde.

Demgemäß ist dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.

Anmerkung

E12140

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00032.87.0709.000

Dokumentnummer

JJT_19870709_OGH0002_0070OB00032_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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