TE OGH 1987/7/15 9ObA13/87

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Veröffentlicht am 15.07.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strinitzer und Walter Benesch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karl O***, Versicherungsangestellter, 4040 Linz, Zaubertalstraße 21, vertreten durch Dr. Bruno Binder und Dr. Helmut Blum, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei DER A***, Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Hoher Markt 10-11, vertreten durch Dr. Wolfgang Jeannüe, Dr. Julius Jeannüe und Dr. Peter Lösch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Wiederaufnahme des Rechtsstreites 3 Cr 7/85 des ehemaligen Arbeitsgerichtes Linz (Streitwert S 2,297.260,90), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Februar 1987, GZ. 12 Ra 33/87-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des ehemaligen Arbeitsgerichtes Linz vom 24. September 1986, GZ. 3 Cr 44/86-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 20.323,05 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.847,55 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 1.Oktober 1940 bei der Beklagten beschäftigt; seit 1952 ist er provisorischer, seit 1953 definitiver Leiter der Landesdirektion Linz der Beklagten. Der Kläger ist Invalider im Sinne des Invalideneinstellungsgesetzes (InvEG). Mit Schreiben vom 10.März 1978 suspendierte die Beklagte den Kläger mit sofortiger Wirkung vom Dienst; diese Suspendierung wurde vom Kläger in einem Parallelverfahren bekämpft. Mit Bescheid des Invalidenausschusses beim Landesinvalidenamt für Oberösterreich vom 8. Juli 1981 wurde der Beklagten die Zustimmung zur Kündigung des Klägers erteilt. Nach Zustellung dieses - noch nicht rechtskräftigen - Bescheides am 13.Juli 1981 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 14.Juli 1981 zum 31. März 1982 auf. Der Kläger bekämpfte den Bescheid des Invalidenausschusses; dieser Berufung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 16.Oktober 1981 nicht Folge gegeben. Der Bescheid des Landeshauptmannes ging den Parteien erst nach Ausspruch der Kündigung des Klägers zu.

Im Vorprozeß (2 Cr 294/82 bzw. 3 Cr 7/85 des Arbeitsgerichtes Linz) begehrte der Kläger die Feststellung, daß trotz des Kündigungsschreibens der Beklagten vom 14.Juli 1981 das aktive Dienstverhältnis zwischen der Beklagten als Dienstgeberin und dem Kläger als Dienstnehmer nicht rechtswirksam beendet, sondern über den 31.März 1982 hinaus in ungelöstem Zustand weiterhin aufrecht ist; ferner begehrte der Kläger an ab April 1982 weiterlaufenden Bezügen und Erfolgsvergütung netto S 1,678.535,90 sowie an Erfolgsprovision und Erfolgsprämie, Abschlußprovision und Betreuungsprovision für die Jahre 1982, 1983 und 1984 brutto S 553.725 sA. Der Kläger vertrat den Standpunkt, eine rechtswirksame Kündigung setze eine rechtskräftige Zustimmung im Sinn des InvEG voraus.

In dem über die Suspendierung des Klägers zu 2 Cr 68/81 des Erstgerichtes anhängig gewesenen Parallelverfahren sprach sodann der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 23.Oktober 1984, 4 Ob 103/83 (= RdW 1985, 220) unter Ablehnung der in Arb. 6.569 vertretenen Auffassung aus, daß im Hinblick auf die in § 64 Abs.2 AVG vorgesehene aufschiebende Wirkung einer rechtzeitig eingebrachten Berufung die Rechtskraft des nach § 8 Abs.2 InvEG notwendigen vorherigen Zustimmungsbescheides des Invalidenausschusses im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung gefordert werden müsse. Auch wenn sich die Berufung des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid nachträglich als unbegründet erwiesen habe, könne dies an der Rechtsunwirksamkeit der verfrüht ausgesprochenen Kündigung vom 14. Juli 1981 nichts mehr ändern.

Daraufhin begehrte die Beklagte mit Antrag vom 9.Jänner 1985 die nachträgliche Zustimmung des Invalidenausschusses zu ihrer schriftlichen Kündigung vom 14.Juli 1981. Der Berufung der Beklagten gegen den abweisenden Bescheid des Invalidenausschusses beim Landesinvalidenamt für Oberösterreich vom 14.März 1985 gab der Landeshauptmann mit Bescheid vom 17.Juni 1985 Folge und sprach aus, daß in Abänderung dieses Bescheides gemäß § 8 Abs.2 InvEG nachträglich die Zustimmung zu der am 14.Juli 1981 erfolgten schriftlichen Kündigung des Klägers erteilt werde.

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil vom 14.August 1985, 3 Cr 7/85-10, wies daraufhin das Erstgericht die im Vorprozeß erhobene Klage ab.

Mit Erkenntnis vom 21.Mai 1986 hob der Verwaltungsgerichtshof in Stattgebung der Beschwerde des Klägers den Bescheid des Landeshauptmannes für Oberösterreich vom 17.Juni 1985 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf; ein besonderer Ausnahmsfall im Sinne des § 8 Abs.2 zweiter Satz InvEG, der eine nachträgliche Zustimmung zu einer schon ausgesprochenen Kündigung rechtfertige, liege nicht vor.

Unter Hinweis auf die Bindung an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes sprach daraufhin der Landeshauptmann für Oberösterreich mit Bescheid vom 1.Juli 1986 aus, daß der Berufung der Beklagten keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid des Invalidenausschusses beim Landesinvalidenamt für Oberösterreich vom 14. März 1985 bezüglich Punkt 1 - mit dem dem Antrag auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung nicht stattgegeben wurde - bestätigt werde.

Mit der am 23.Juli 1986 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt der Kläger unter Hinweis auf die Aufhebung des die Grundlage des Urteils im Vorprozeß bildenden Bescheides vom 17.Juni 1985 die Wiederaufnahme des Verfahrens 3 Cr 7/85 des Erstgerichtes sowie im wiederaufgenommenen Verfahren die Stattgebung des (ausgedehnten) Feststellungs- und Leistungsbegehrens.

Das Erstgericht gab dem Wiederaufnahmsbegehren statt und hob sein im Vorprozeß gefälltes Urteil auf. Es folgte in rechtlicher Hinsicht Fasching in ZPR Rz 2058, der Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs.1 Z 5 ZPO sei auch bei nachträglicher Abänderung oder Aufhebung rechtskräftiger Vorfrageentscheidungen der Verwaltungsbehörden analog anzuwenden.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Gegenstandes der Berufungsentscheidung S 30.000 übersteige. Es pflichtete dem Erstgericht darin bei, daß im vorliegenden Fall § 530 Abs.1 Z 5 ZPO analog anzuwenden sei. Beschränke man mit Fasching die Analogie auf jene Fälle, in denen der Gesetzgeber die Vorfrageentscheidung zwingend dem Gericht abgenommen und auf die Verwaltungsbehörde übertragen habe oder in denen sich das Gericht, auch ohne gesetzliche Grundlage, an andere Vorfrageentscheidungen der Verwaltungsbehörde für gebunden erachtet habe, dann könne aus der Wiederaufnahmsmöglichkeit nicht auf eine grundsätzliche Bindung der Gerichte an Vorfrageentscheidungen durch die Verwaltungsbehörde geschlossen werden.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß dann, wenn der Gesetzgeber die Lösung einer Vorfrage den Gerichten entzogen und zwingend der Verwaltungsbehörde zugewiesen hat, die nachträgliche Änderung des Bescheides der Verwaltungsbehörde analog § 530 Abs.1 Z 5 ZPO ein Wiederaufnahmsgrund ist. Wie Fasching in ZPR Rz 2058 überzeugend darlegt, ist die bei Verneinung der Wiederaufnahmemöglichkeit bestehende Rechtsschutzlücke durch Anerkennung der Änderung des Bescheides als Klagegrund für die Oppositionsklage nicht nur systemwidrig, sondern versagt bei Feststellungs- und Rechtsgestaltungsklagen (ebenso aber auch bei Leistungsklagen, wenn der Kläger des Vorprozesses - wie im vorliegenden Fall - die Beseitigung der abweisenden Entscheidung anstrebt). Gegenstand der Entscheidung SZ 29/27 (Spruch 45 neu) war nicht etwa eine Wiederaufnahmsklage, sondern die Oppositionsklage der in einem Kündigungsstreit nach § 19 Abs.2 Z 9a MietG unterlegenen Beklagten. Diese Bestimmung sah eine Kündigung für den Fall vor, daß ein dem Bund gehöriger Mietgegenstand auf eine Art verwendet werden sollte, die in höherem Maß den Interessen der Verwaltung diente als die gegenwärtige Verwendung; ob diese Voraussetzung zutraf, entschied im Zweifel das Bundesministerium, dem die Verwaltung des Mietgegenstandes unterstand. Der im Vorprozeß zur Dartuung des Kündigungsgrundes vorgelegte Bescheid des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau wurde mit dem nach Schluß der mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben. Im Spruch 45 neu nahm der Oberste Gerichtshof zunächst auf seine Entscheidung SZ 22/139 Bezug, in der lediglich ausgesprochen worden war, daß ein nach Schluß der Verhandlung ergangenes Verwaltungserkenntnis weder eine neue Tatsache noch ein neues Beweismittel im Sinn des § 530 Abs.1 Z 7 ZPO sei; die im Vorprozeß als Beklagte in einem Kündigungsstreit unterlegene Klägerin könne daher nur eine Oppositionsklage einbringen oder eine Feststellungsklage erheben. Im Spruch 45 neu, der eine derartige Oppositionsklage der im Vorprozeß unterlegenen Beklagten zum Gegenstand hatte, leitete der Oberste Gerichtshof aus dieser Vorentscheidung generell ab, daß eine Wiederaufnahmsklage keinen Erfolg haben könne, bejahte aber - nach Einleitung der Exekution - in Analogie zu § 530 Abs.1 Z 5 ZPO die Zulässigkeit der Oppositionsklage, wobei er davon ausging, daß der Gesetzgeber jedenfalls Abhilfe gegen Titel schaffen wollte, die der wahren Rechtslage widersprechen. Diese im Spruch 45 neu grundsätzlich bejahte analoge Anwendung des § 530 Abs.1 Z 5 ZPO im Falle einer nachträglichen Aufhebung des präjudiziellen Verwaltungsbescheides führt aber dazu, jedenfalls in jenen Fällen, in denen eine Oppositionsklage keine Abhilfe schaffen könnte, wie etwa dann, wenn wie im vorliegenden Fall im Vorprozeß die - ein Feststellungs- und ein Leistungsbegehren enthaltende - Klage abgewiesen wurde, aus der analogen Heranziehung des § 530 Abs.1 Z 5 ZPO die Zulässigkeit auch einer Wiederaufnahmsklage zu erschließen. Dies haben nicht nur Fasching aaO, sondern auch schon Schima in der Festschrift zur 50-Jahr-Feier der Österreichischen ZPO, Manz 1948, 278 f, und in "Aufhebung von Verwaltungsbescheiden und rechtskräftiges Zivilurteil" JBl. 1956, 353, sowie H.Reindl in "Zur Abgrenzung der Wiederaufnahmsklage von der Oppositionsklage" in ÖJZ 1956, 539, gefordert. Abschließend sei darauf verwiesen, daß diese Auslegung auch der Bestimmung des § 69 Abs.1 lit c AVG entspricht, das als das modernere Gesetz eher den Willen des derzeitigen Gesetzgebers zum Ausdruck bringt und der gegenseitigen Bindung von Justiz und Verwaltung an die Akte der anderen Gewalt Rechnung trägt. Da sich sohin die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen als zutreffend erweist, war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E11237

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBA00013.87.0715.000

Dokumentnummer

JJT_19870715_OGH0002_009OBA00013_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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