TE OGH 1987/7/23 6Ob579/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.1987
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ä*** FÜR WIEN, 1011 Wien, Weihburggasse 10-12, vertreten durch Dr. Hans Pfersmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*** Ö*** B***, 1080 Wien,

Josefstädterstraße 80, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich und Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Beseitigung und Unterlassung (Streitwert: 400.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 4. Dezember 1986, GZ 2 R 201/86-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 16. Juni 1986, GZ 51 Cg 281/84-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 14.956,65 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.185,15 S Umsatzsteuer und 1.920 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 31. Oktober 1978 fand eine Besprechung von Vertretern der österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger statt. Punkt 1. des darüber am 8. November 1978 errichteten gemeinsamen Ergebnisprotokolles lautet: "Österreichische Ärztekammer und Hauptverband schließen für die Dauer von 10 Jahren ein Übereinkommen, das einerseits festlegt, in welchen Orten und in welchem Umfang die Krankenversicherungsträger Ambulatorien errichten (erweitern) werden bzw. in welchem Ausmaß sich die Zahl der Vertragsärzte ändern soll."

Das hier angesprochene und gleichfalls am 8. November 1978 abgeschlossene Übereinkommen (im gemeinsamen Ergebnisprotokoll als "Ambulatoriumsübereinkommen" bezeichnet) hat folgenden Wortlaut:

"Vereinbarung

abgeschlossen zwischen dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger in Vollmacht und mit Zustimmung aller Träger der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der Österreichischen Ärztekammer in Vollmacht und mit Zustimmung aller Ärztekammern in den Bundesländern andererseits.

I.

Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung beabsichtigen bis 31. Dezember 1988 die Errichtung von selbständigen Ambulatorien laut beiliegender Liste in den dort genannten Orten und im angeführten Umfang.

II.

Die Ärztekammern erklären, mit der Errichtung dieser

selbständigen Ambulatorien laut Beilage einverstanden zu sein und

dagegen keine Einwendungen zu erheben.

III.

Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichten sich, bis zu dem in Z. I genannten Zeitpunkt keine anderen selbständigen Ambulatorien zu errichten, zu erwerben, zu erweitern oder zu verlegen, es sei denn, daß zwischen einem Krankenversicherungsträger und der zuständigen Ärztekammer ein anderslautendes Einvernehmen zustande kommt; ein solches Einvernehmen ist schriftlich festzuhalten. Die zwischen einzelnen Krankenversicherungsträgern und Ärztekammern bereits vor dem Wirksamkeitsbeginn dieser Vereinbarung paktierten Vorhaben werden von dieser Regelung nicht berührt.

IV.

Diese Vereinbarung wird von allen Beteiligten vorbehaltslos und unwiderruflich abgeschlossen und tritt mit der Unterfertigung in Kraft."

Nach dem übereinstimmenden Parteienvorbringen hat die Beklagte jahrzehntelang im Gebäude ihrer Hauptgeschäftsstelle in Wien 8., Wickenburggasse 8, ein Zahnambulatorium betrieben. 1984 errichtete sie ein neues Zentralgebäude in der Josefstädterstraße 80 und verlegte dorthin mit Zustimmung der Klägerin auch das Zahnambulatorium, welches am neuen Standort vier Behandlungsstühle aufweist.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin von der Beklagten, diese möge im Bereich ihrer verlegten Zahnambulanz einen der vier dort befindlichen Zahnbehandlungsstühle sofort entfernen und sohin in Ansehung eines von vier Zahnbehandlungsstühlen bis 31. Dezember 1988 von den näher bezeichneten zwei Genehmigungsbescheiden der Wiener Landesregierung keinen Gebrauch machen. Die Klägerin brachte vor, die Beklagte habe durch die Aufstellung von vier Behandlungsstühlen das eingangs dargestellte Abkommen verletzt, weil ihr Zahnambulatorium in der Wickenburggasse nur drei Behandlungsstühle gehabt habe. Damit habe die Beklagte anläßlich der Verlegung das Zahnambulatorium erweitert, weil der Kapazitätsumfang eines solchen nach einhelliger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich durch die Zahl der Behandlungsstühle bestimmt werde. Die das neue Ambulatorium betreffenden Bewilligungsbescheide enthielten zwar die Anzahl der Behandlungsstühle nicht ausdrücklich im Text, sie ergäbe sich aber aus den einen Bestandteil der Bescheide bildenden Plänen. Selbst wenn sich in der Wickenburggasse (in einem anderen Zimmer) noch ein "vierter Stuhl" befunden haben sollte, so wäre dies ohne Bedeutung, weil es sich dabei schon nach dem Vorbringen der Beklagten nicht um einen Zahnbehandlungsstuhl gehandelt habe, der zu ihrem dortigen Zahnambulatorium gehört habe. Der Klägerin seien immer nur die drei Behandlungsstühle bekannt gewesen. Die gesetzlichen Interessenvertreter der freiberuflichen Zahnbehandler hätten immer den Standpunkt vertreten, daß die Kapazität eines Zahnambulatoriums allein an Hand der Zahnbehandlungsstühle gemessen werden könne. Die in diesem Sinne ergangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes aus den Jahren 1975 und 1976 seien den am Abschluß der Ambulatoriumsvereinbarung vom 8. November 1978 Beteiligten selbstverständlich bekannt gewesen. Dies habe in der der Vereinbarung angeschlossenen Liste dadurch einen Niederschlag gefunden, daß dort die Kapazität der angeführten Zahnambulatorien allein durch die Zahl der Behandlungsstühle definiert worden sei. Die Beklagte habe in ihrem Schreiben vom 17. Mai 1984 selbst erklärt, daß ihr Zahnambulatorium in der Wickenburggasse über nur drei Behandlungsstühle verfügt habe, während es die räumlichen Verhältnisse in der Josefstädterstraße hingegen möglich machten, für alle vier Fachärzte einen eigenen Stuhl zu installieren. Die Beklagte hielt dem entgegen, daß sie keine Erweiterung ihres Zahnambulatoriums vorgenommen habe. Es habe bereits in der Wickenburggasse neben den drei Behandlungsstühlen noch einen vierten Stuhl in einem anderen Zimmer gegeben, welcher dem Chefzahnarzt nicht für zahnärztliche Behandlung, sondern für Begutachtungen von Versicherten gedient habe. Auch dieser vierte Stuhl sei im weitesten Sinn ein Zahnbehandlungsstuhl gewesen, nur in seiner Einrichtung veraltet und nicht auf den modernsten Stand gebracht. Darauf, ob die Vertreter der Klägerin von der Existenz dieses vierten Behandlungsstuhles gewußt hätten, komme es nicht an. Die Behauptung, daß die gesetzliche Standesvertretung nur die Anzahl der Zahnbehandlungsstühle wirksam kontrollieren könne, sei unrichtig. Jederzeit könne ein Vertreter der Klägerin in das Ambulatorium kommen und sich davon überzeugen, daß nur an drei Stühlen behandelt werde. Die personelle Besetzung des Zahnambulatoriums und die Betriebszeiten seien nach der Übersiedlung in die Josefstädterstraße unverändert geblieben. Da somit keine Erweiterung erfolgt sei, gehe auch das Vorbringen der Klägerin darüber, daß sich die Anzahl der Behandlungsstühle aus den den Bescheiden angeschlossenen Plänen ergebe, ins Leere. Die Beklagte, die an die Zukunft denken müsse, schließe es allerdings nicht aus, daß nach Ablauf der Geltungsdauer der Vereinbarung ein vierter Behandlungsstuhl auch für kieferorthopädische Behandlung in Verwendung genommen werde. Keinem Ambulatorium könne es im übrigen untersagt werden, sich für den Fall eines Gebrechens einen Reservestuhl anzuschaffen. Dadurch trete keine Erweiterung des Betriebsumfanges ein. Keineswegs werde der Kapazitätsumfang eines Zahnamulatoriums ausschließlich durch die Zahl der Behandlungsstühle bestimmt. Die Vereinbarung vom 8. November 1978 erwähne mit keinem Wort den "Kapazitätsumfang" eines Ambulatoriums, welshalb die angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes hier nicht anwendbar seien. Der im Übereinkommen verwendete Begriff der "Erweiterung" sei dort nicht näher definiert und daher nach § 914 ABGB auszulegen. Die Absicht der Vertragspartner, insbesondere diejenige der Ö*** Ä***, sei zweifellos dahin gegangen, im Interesse der freiberuflichen Zahnärzte die Zahl der in den Ambulatorien versorgten Behandlungsfälle möglichst gering zu halten. Dieses Ziel könne aber nur dadurch erreicht werden, wenn nicht die Zahl der aufgestellten Behandlungsstühle allein berücksichtigt werde, sondern die Gesamtheit der vorliegenden Umstände. In erster Linie werde es auf die Zahl der in den Ambulatorien zur Behandlung berufenen Zahnärzte und das Ausmaß der Dienststunden ankommen. Ansonsten hätte es der Versicherungsträger in der Hand, die Kapazität nach Belieben dadurch zu vergrößern, daß er an demselben Zahnstuhl vormittags und nachmittags verschiedene Zahnärzte behandeln lasse. Für das Begehren der Klägerin, von einem Genehmigungsbescheid keinen Gebrauch zu machen, fehle jedes Rechtsschutzinteresse, weil der Bescheid mit dem Betriebsumfang eines Ambulatoriums unmittelbar nichts zu tun habe. Da der Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 1. Februar 1980 die Anzahl der Stühle überhaupt nicht erwähne, stehe die Formulierung des Unterlassungsbegehrens mit dem Bescheidinhalt im Widerspruch.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Aus seinen Feststellungen ist über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus noch folgendes hervorzuheben:

Die Beklagte verfügte in ihrem in Wien 8., Wickenburggasse 8, betriebenen Zahnambulatorium über drei Zahnbehandlungsstühle, von denen zwei in einem Raum standen und sich der dritte in einem separaten Raum befand. Überdies war ein vierter Stuhl - ein veraltertes Modell "ohne Bohrer" - vorhanden, der sich in einer nicht einsehbaren Nische eines "verwinkelten Ganges" neben der Wartezone "im Zahnbereich" befand. Die Beklagte erwirkte zur Verlegung ihrer Räumlichkeiten - auch jener des Zahnambulatoriums - in das Gebäude Josefstädterstraße 80 bei der Wiener Landesregierung eine Errichtungsbewilligung, welche mit Bescheid vom 1. Februar 1980 erteilt wurde. Mit Bescheid vom 28. August 1984 erteilte das Amt der Wiener Landesregierung sodann die Bewilligung zur Änderung des mit Bescheid vom 1. Februar 1980 bewilligten Projektes der Anlage der privaten Krankenanstalt der Beklagten in der Betriebsform eines Mehrzweckambulatoriums mit der Bezeichnung "Ambulatorium der Versicherungsanstalt öfftentlich Bediensteter". Zugleich wurde der Beklagten die Bewilligung zum Betrieb ihrer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines Mehrzweckambulatoriums für die Teilbereiche Physikalische Medizin, Röntgendiagnostik und Nuklearmedizin, Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Innere Medizin (Gesundenuntersuchung) erteilt. Im neuen Ambulatorium in der Josefstädterstraße 80 befinden sich nunmehr vier in ihrer Ausstattung idente Zahnbehandlungsstühle jeweils in einem eigenen Raum. Die Zahl der drei Planstellen für Zahnärzte wurde gegenüber dem Ambulatorium in der Wickenburggasse nicht erhöht, ebenso unverändert blieb die Planstelle für den Chefarzt. Auch die Öffnungszeiten des Ambulatoriums haben keine Änderung erfahren. Der seit 1. April 1982 bei der Beklagten als Chefarzt tätige Dr. Winfried D*** übt seine begutachtende Tätigkeit auf dem im Zimmer 74 befindlichen Zahnbehandlungsstuhl aus. Auf diesem Stuhl werden keine Zahnbehandlungen durchgeführt. Es kommt aber fallweise vor, daß ein Patient während einer notwendig werdenden Unterbrechung der Behandlung - etwa, weil eine Füllung abtrocknen muß - auf diesem, dem Chefarzt vorbehaltenen Stuhl Platz nimmt, während der Behandlungsstuhl (gemeint offenbar: auf dem der Patient bis zur erforderlichen Unterbrechung behandelt worden war) anderweitig verwendet wird. In der Wickenburggasse hatte Dr. Winfried D*** seine Begutachtungen "auf einem gewöhnlichen Sessel" (gemeint offenbar: an Patienten, die auf einem gewöhnlichen Sessel gesessen sind) vorgenommen und den

vierten - veralteten - Stuhl nicht benutzt. Dieser ist aber von seinem Vorgänger Dr. R*** bei Begutachtungen verwendet worden. Anläßlich der Betriebsbewilligung gab der Generaldirektorstellvertreter der Beklagten, Dr. Friedrich W***, den Auftrag, daß der vierte, dem Chefarzt zur Verfügung stehende Stuhl nicht zu Behandlungen herangezogen werden dürfe. Dieser Auftrag ist vom ärztlichen Ambulatoriumsleiter Dr. Dietmar S*** weitergegeben worden. Dessen Einhaltung wird von ihm täglich kontrolliert.

Aus den einen Bestandteil des Bescheides vom 1. Februar 1980 bildenden Plänen entnahm die Klägerin, daß im neuen Ambulatorium der Beklagten Platz für vier Behandlungsstühle vorgesehen ist. Darauf wies sie mit ihrem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 18. April 1984 hin und führte aus, daß bei der Augenscheinsverhandlung am 21. März 1984 eine Erweiterung des Zahnambulatoriums festgestellt worden sei, was einen klaren Verstoß gegen das Ambulatoriumsübereinkommen vom 8. November 1978 darstelle. Es werde daher an die Beklagte das Ersuchen gestellt, den vierten Behandlungsstuhl zu entfernen und das Ambulatorium bis zum 31. Dezember 1988 nicht zu erweitern. Die Beklagte wies mit ihrem Antwortschreiben vom 17. Mai 1984 darauf hin, daß ihr Personalstand an Fachärzten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde stets - also auch in der Zeit der Unterbringung des Ambulatoriums in der Wickenburggasse 8 - vier Planstellen betragen habe, wovon eine auf die Funktion des Chefzahnarztes (derzeit Dr. Winfried D***) mit dem Wirkungsbereich für ganz Österreich entfalle. Die räumlichen Verhältnisse am nunmehrigen Standort machten es möglich, für alle vier Fachärzte einen eigenen Stuhl zu installieren. Eine Erweiterung des Personalstandes an Fachärzten sei nicht erfolgt und deren Aufgabenbereich werde sich kaum ändern. Die Anpassung von Einrichtungen an den medizinischen Fortschritt dürfe keinen Streitpunkt zwischen den Vertragspartnern bilden.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß zwar der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen habe, der Bewilligungsumfang eines Zahnambulatoriums sei nicht an der Anzahl der beschäftigten Zahnbehandler, sondern an der Zahl der Behandlungsstühle zu messen. Der Behandlungsstuhl sei das zentrale und entscheidende Behandlungsinstrument, auf das der Zahnbehandler angwiesen sei. Mit dieser Art der Abgrenzung werde am ehesten die aufsichtsbehördliche Überwachung ermöglicht, während die Zahl der verwendeten Zahnbehandler oder die Behandlungszeit viel schwieriger zu kontrollieren wären. Dieses Erkenntnis sei aber im Verlaufe eines Bewilligungsverfahrens ergangen. Wollte man es ungeachtet des Umstandes, daß im vorliegenden Fall kein verwaltungsbehördliches Bewilligungsverfahren abzuwickeln sei, zur ergänzenden Auslegung des Ambulatoriumsübereinkommens heranziehen, in dem der Begriff des "Behandlungsstuhles" nicht vorkomme, so wäre damit für die Klägerin noch nichts gewonnen. Die keine Zahnbehandlung darstellende Begutachtungstätigkeit des Chefarztes sei der Beklagten vom Gesetz zugewiesen. Danach sei der Beklagten die Abwicklung des chefärztlichen Dienstes sowohl im alten als auch im neuen Ambulatorium oblegen. Es könne ihr daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie an der mit einer Verlegung des Ambulatoriums verbundenen Modernisierung auch den chefärztlichen Dienst teilhaben lasse. Auch der Verwaltungsgerichtshof habe sich dem Erfordernis der Ausstattung von Krankenanstalten nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft nicht verschlossen. Eine dem Sozialrecht angehörende Norm wie das "Ambulatoriumsübereinkommen" könne nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß es dem zu begutachtenden Patienten zugemutet werden solle, in einem gewöhnlichen Sessel ohne Speibecken und entsprechenden Komfort Platz zu nehmen. Die Beklagte habe daher nicht gegen das Ambulatoriumsübereinkommen verstoßen und nicht ihre Kapazität erweitert, sondern lediglich im Zuge der Übersiedlung ihre Organisationsform verbessert.

Mit dem angefochtenen Urteil änderte das Gericht zweiter Instanz in Stattgebung der von der Klägerin erhobenen Berufung die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000,-- S übersteigt. Es traf die ergänzende Feststellung, daß in der Beilage zur Vereinbarung vom 8. November 1978 - auf welche im Vertrag verwiesen wird - zwar nicht das Wort "Behandlungsstuhl" verwendet, aber bei jeder der dort als geplant genannten Errichtung oder Erweiterung eines Zahnambulatoriums die Anzahl der "Stühle" erwähnt wird. So wird in einem Fall von der "Erweiterung um 1 Stuhl" (Kapfenberg), in zwei Fällen von der "Erweiterung um 2 Stühle" (Vöcklabruck und Mürzzuschlag) gesprochen. Für jedes zu errichtende Zahnambulatorium wird ebenfalls die Zahl der Stühle (1 oder 2) erwähnt.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, daß die Beantwortung der Frage, ob die Beklagte durch die Installierung von vier Behandlungsstühlen in der Josefstädterstraße ihr bisher in der Wickenburggasse betriebenes Ambulatorium im Sinne des Punktes III. der Vereinbarung vom 8. November 1978 "erweitert" habe, entscheidend davon abhänge, welche Kriterien für den Umfang eines Ambulatoriums nach der Parteiabsicht maßgebend gewesen seien. Da nicht behauptet worden sei, daß diese Frage im Zuge der Vertragsverhandlungen erörtert worden wäre,sei die Vereinbarung vom 8. November 1978 nach den Regeln des § 914 ABGB auszulegen. Danach habe am Anfang des Interpretationsvorganges die wörtliche Auslegung zu stehen. Wenn sich sodann Zweifel über den Sinn einer Willenserklärung ergäben, sei diese so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspreche. Dieser Begriff umfasse unter anderem die "Erklärungssitte", welche die Frage beantworte, was unter einem bestimmten Ausdruck zu verstehen sei. Diese "Sprachüblichkeit" entscheide darüber, wie der jeweilige Erklärungsempfänger die Erklärung hätte verstehen dürfen und mit welchem Inhalt bei Konsens der Vertrag zustande gekommen sei. Im vorliegenden Falle verbiete die Vereinbarung vom 8. November 1978 der Beklagten die "Erweiterung" ihres Ambulatoriums, wobei in der angeschlossenen Liste die aufgezählten Fälle der Erweiterung mit der Anzahl von "Stühlen" umrissen würden. Dazu komme noch, daß in der Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der (Bewilligungs-)Umfang eines Zahnambulatoriums an der Zahl der Behandlungstühle gemessen werde. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung und der ihr entsprechenden Praxis hätten beide Streitteile - ob sich nun die einzelnen, an den Vertragsgesprächen Beteiligten dessen bewußt gewesen seien oder nicht - den im Vertrag verwendeten Begriff "Erweiterung eines Ambulatoriums" als Vergrößerung des Umfanges im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, also der Vermehrung der Zahnbehandlungsstühle, verstehen müssen. Die Beklagte habe aber in diesem Sinne ihre Zahnbehandlungsstühle in der Josefstädterstraße um einen vermehrt und damit ihr Ambulatorium im Sinne der Vereinbarung vom 8. November 1978 "erweitert". Sie habe in der Wickenburggasse nur drei Zahnbehandlungsstühle zur Verfügung gehabt. Der vierte Stuhl sei gewiß kein Zahnbehandlungsstuhl in dem Sinne gewesen, den redliche Vertragsparteien in der Gegenwart dem Wort beimessen würden, da es sich dabei um ein veraltetes Modell "ohne Bohrer" gehandelt habe, welches in einer nicht einsehbaren Nische eines verwinkelten Ganges neben der Wartezone im Zahnbereich abstellt gewesen sei. Da in der Aufstellung eines vierten Zahnbehandlungsstuhles in der Josefstädterstraße keineswegs die bloße Anschaffung und Lagerung eines Reservestuhles erblickt und diese auch nicht mit dem Bedarf des Chefzahnarztes gerechtfertigt werden könne, habe die Beklagte damit den Punkt III. des Vertrages verletzt. Das Klagebegehren sei daher berechtigt. Wenn es auch zutreffen möge, daß die Klägerin mit dem Begehren auf Entfernung eines der Stühle das Auslangen hätte finden können, so sei doch nicht zu erkennen, weshalb der zweite Teil ihres Begehrens unzulässig sein sollte. Gehe man nämlich von dem - nicht substantiiert bestrittenen - Vorbringen der Klägerin aus, daß durch den Bescheid zwar nicht ausdrücklich, aber doch auf Grund der ihm zugehörigen Pläne für die Beklagte vier Behandlungsstühle bewilligt seien, dann könne nicht gesagt werden, daß dieses Begehren mit dem Bescheidinhalt im Widerspruch stehe.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweislichen Ersturteiles.

Die Klägerin stellt in der Revisionsbeantwortung den Antrag, dem Rechtsmittel der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Entscheidend für den Rechtsstreit ist die Auslegung des Punktes III. der Vereinbarung vom 8. November 1978, demzufolge sich die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung unter anderem verpflichtet haben, bis zum 31. Dezember 1988 keine selbständigen Ambulatorien .......... "zu erweitern". Die Beklagte vermeint nach wie vor, daß bei gebotener sogenannter "einfacher Auslegung" dieses Begriffes nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Kapazität ihres Ambulatoriums in der Josefstädterstraße nicht vergrößert worden sei. Da sie schon in der Wickenburggasse über vier Stühle verfügt habe, sei das Erstgericht zur durchaus begründeten Rechtsauffassung gelangt, daß durch die Verlegung des Ambulatoriums eine Erweiterung nicht eingetreten sei, zumal auch die Zahl der behandelnden Zahnärzte und die Öffnungszeiten des Ambulatoriums unverändert geblieben seien. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht eine "ergänzende Auslegung" vorgenommen und sich dabei an der verwaltungsrechtlichen Praxis orientiert, bei welcher jedoch die aufsichtsbehördliche Überwachungspflicht im Vordergrund stehe. Auch aus der Beilage zum Übereinkommen vom 8.November 1978 lasse sich nichts gewinnen, weil dort nur von "Stühlen" gesprochen, aber nicht zum Ausdruck gebracht werde, um welche Art von Stühlen es sich dabei handle, oder daß die Zahl der Stühle das einzige Kriterium für die Kapazitätsbeurteilung sein solle.

Dem kann nicht beigepflichtet werden.

Zunächst hat das Berufungsgericht keineswegs den Boden der einfachen Vertragsauslegung verlassen, weil der von ihm ermittelte Sinn immer noch im Wortlaut der auszulegenden Vertragsbestimmung eine Stütze findet. Von einer vertraglich nicht geregelten Lückenfüllung im Wege der sogenannten ergänzenden Auslegung kann daher keine Rede sein(vgl. Koziol-Welser, Grundriß7, I,86; Rummel in Rummel, ABGB, Rdz 4 und 9 zu § 914). Gemäß § 914 ABGB ist bei Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Zunächst ist daher vom Wortsinn auszugehen. Der Ausleger darf jedoch dabei nicht stehen bleiben. Er muß vielmehr den Willen der Parteien erforschen, worunter die dem Erklärungsgegner erkennbare Absicht des Erklärenden bzw. bei Konsens der erklärte Inhalt des Vertrages zu verstehen ist (Koziol-Welser, aaO, I,85; Rummel, aaO, Rdz 4 und 5; SZ 49/59; ZAS 1977/19; JBl 1982, 142 u. a.). Unter der Absicht der Parteien ist nichts anderes als der Geschäftszweck zu verstehen, den jeder der vertragschließenden Teile redlicherweise der Vereinbarung unterstellen muß. Läßt sich auf diese Weise kein eindeutiger Sinn ermitteln, so ist die Willensäußerung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Hiezu sind die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen (MietSlg 34.132/14 mwN). Auch bei der Beurteilung, was der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, kommt es entscheidend auf den Vertragszweck an. Der rechtsgeschäftliche Verkehr darf nicht dazu mißbraucht werden, einen anderen hineinzulegen, sondern soll sich ehrlich abspielen. Der Vertrag ist so auszulegen, wie er im Verkehr zwischen redlich denkenden Vertragspartnern verstanden werden darf (JBl 1985, 547 mwN).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, dann ergibt sich schon aus dem gemeinsamen Ergebnisprotokoll vom 8. November 1978, daß der Vertragszweck der dort als "Ambulatoriumsübereinkommen" bezeichneten Vereinbarung vom 8. November 1978 die Festlegung gewesen ist, in welchen Orten und in welchem Umfang die Krankenversicherungsträger in den nächsten 10 Jahren Ambulatorien errichten (erweitern) werden. Daß dabei der auch im Punkt III. der Vereinbarung vom 8. November 1978 verwendete Begriff der "Erweiterung" von bereits bestehenden Ambulatorien von den vertragschließenden Parteien in dem Sinne verwendet worden ist, wie es der damaligen Verwaltungspraxis in Österreich bei der Erteilung von Bewilligungsbescheiden nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Slg. 9.182 A) entsprach, ergibt sich schon daraus, daß in der der Vereinbarung vom 8. November 1978 beiliegenden Liste über jene selbständigen Ambulatorien, deren Errichtung die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bis 31. Dezember 1988 in den dort genannten Orten "und im angeführten Umfang" (!) gemäß Punkt I. beabsichtigten und mit deren Errichtung die Ärztekammern gemäß Punkt II. einverstanden waren, die Kapazität des jeweils zu errichtenden oder zu erweiternden Ambulatoriums ausschließlich nach der Anzahl der "Stühle" bestimmt wurde. Damit ist unmißverständlich klargestellt, daß die Vertragsparteien die "Erweiterung" eines bestehenden selbständigen Zahnambulatoriums nicht an den dort beschäftigten Zahnbehandlern oder der Behandlungszeit, sondern an der Zahl der installierten Behandlungsstühle messen wollten, weil der Behandlungsstuhl das zentrale und entscheidende Behandlungsinstrument ist, auf das der Zahnbehandler angewiesen ist. Redliche Vertragspartner konnten daher unter "Stuhl" im Sinne der erwähnten Liste niemals einen veralteten und nicht installierten Zahnbehandlungsstuhl "ohne Bohrer" verstehen, welcher überdies im Ambulatorium in der Wickenburggasse niemals für Zahnbehandlungen verwendet worden ist.

Das Berufungsgericht hat daher zutreffend erkannt, daß die Beklagte durch die Installierung eines vierten Zahnbehandlungsstuhles in der Josefstädterstraße ihr bisher mit drei Zahnbehandlungsstühlen betriebenes Zahnambulatorium "erweitert" und damit gegen die vertragliche Verpflichtung vom 8. November 1978 verstoßen hat. Darauf, ob auf diesem vierten Stuhl auch Zahnbehandlungen durchgeführt werden oder nicht, kommt es nach dem für die Vertragspartner maßgeblichen Kapazitätsbegriff eines Zahnambulatoriums nicht mehr an. Abgesehen davon, kommt es nach den Feststellungen aber sogar fallweise durchaus vor, daß Patienten bei nötigen Behandlungsunterbrechungen auf dem vierten Stuhl Platz nehmen und so auf dem dadurch frei gewordenen Behandlungsstuhl die Behandlung eines neuen Patienten begonnen werden kann. Daß die Klägerin bei dieser Sachlage die Herbeiführung des vertragsgemäßen Zustandes rechtsmißbräuchlich anstrebte, ist nicht ersichtlich. Schikane liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die Rechtsausübung ausschließlich zu dem Zweck erfolgt, den davon Betroffenen zu schädigen (Koziol-Welser, aaO, I,407; SZ 44/86, SZ 47/67, SZ 51/115; MietSlg 31.055 = EvBl 1980/44). Das Interesse an der Abwehr eines Vertragsbruches ist aber stets zu billigen. Soweit sich die Beklagte schließlich dagegen wendet, daß das Berufungsgericht auch dem Unterlassungsbegehren stattgegeben und ihr untersagt habe, von den beiden Genehmigungsbescheiden in Ansehung eines von vier Zahnbehandlungsstühlen bis 31. Dezember 1988 Gebrauch zu machen, ist ihr entgegenzuhalten, daß nach den Feststellungen die beiden Bewilligungsbescheide zwar die Anzahl der Behandlungsstühle nicht ausdrücklich im Text enthielten, diese sich aber aus den einen Bestandteil der Bescheide bildenden Plänen ergibt (S. 12 der Ausfertigung des Urteiles erster Instanz = AS 101). Das Berufungsgericht hat auch nicht das Unterlassungsbegehren für überflüssig erachtet, sondern lediglich ausgeführt, daß die Klägerin mit dem Begehren auf Entfernung eines der vier Behandlungsstühle das Auslangen hätte finden können, aber nicht müssen. Das Begehren ist nämlich durchaus zur Klarstellung geeignet, daß die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin auch von diesen Genehmigungsbescheiden insoweit nicht Gebrauch machen darf, obwohl aus den ihnen zugehörigen und einen Bestandteil der Bescheide bildenden Plänen hervorgeht, daß ihr die Aufstellung von vier Zahnbehandlungsstühlen bewilligt worden ist. Der Klägerin kann daher nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse abgesprochen werden. Der Revision des Beklagten war aus allen diesen Gründen ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E11599

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00579.87.0723.000

Dokumentnummer

JJT_19870723_OGH0002_0060OB00579_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten