TE OGH 1987/8/5 15Os107/87

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Veröffentlicht am 05.08.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.August 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kleindienst-Passweg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Engelbert U*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 29. September 1986, GZ 12 Vr 429/86-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Kassin zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Engelbert U*** wird von der Anklage, am 19.Februar 1985 in Neumarkt Helmut S*** dadurch, daß er ihm einen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte und ihn zu Boden stieß, am Körper verletzt zu haben, wobei die Tat außer einem Schädelbasisbruch, einem Nasenbeinbruch, einer Gehirnerschütterung, Rißquetschwunden am Mund und einer Lähmung der Gesichtsnerven rechts durch den Verlust des Hörvermögens des rechten Ohres für immer eine schwere Schädigung des Gehörs des Genannten zur Folge hatte, und hiedurch das Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 1, 85 Z 1 StGB begangen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Mit seiner Berufung wird er auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Engelbert U*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 (Abs. 1 und) Abs. 4 erster Fall StGB schuldig erkannt, weil er am 19. Februar 1985 in Neumarkt in Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung gegenüber einem ihm drohenden rechtswidrigen Angriff auf seine Gesundheit und körperliche Unversehrtheit dem Helmut S*** aus Bestürzung, Furcht und Schrecken einen kräftigen Stoß gegen den Körper versetzte und diesen dadurch fahrlässig an der Gesundheit schädigte, wobei die Tat an sich schwere (mit schweren Dauerfolgen verbundene) Verletzungen des Helmut S***, nämlich einen Schädelbasisbruch, einen Nasenbeinbruch, eine Gehirnerschütterung und Rißquetschwunden am Mund, sowie eine Lähmung der Gesichtsnerven rechts und den Verlust des Hörvermögens am rechten Ohr zur Folge hatte.

Nach Ansicht des Schöffengerichtes befand sich der Angeklagte zwar in einer Notwehrsituation, weil der stark alkoholisierte und in diesem Zustand aggressive Helmut S*** wegen eines vorangegangenen harmlosen Spaßes drohend auf ihn zugesprungen ("hingeflogen") war. Es meinte jedoch, der zur Abwehr dieses Angriffes bestimmte kräftige Stoß des Angeklagten, durch welchen Helmut S*** entgegen seiner Ankommrichtung nach rückwärts taumelte, über den Kühler seines PKWs stürzte und, sich dabei verdrehend, mit dem Hinterkopf auf den Boden prallte, wo er bewußtlos und schwer verletzt liegen blieb, habe das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten. Die aus den Z 5, 9 lit. a und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen den Schuldspruch ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ihm ist beizupflichten, daß nach den - oben kurz zusammengefaßt wiedergegebenen - Feststellungen des Erstgerichtes der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung schon objektiv nicht erfüllt ist, weil entgegen der Ansicht des Erstgerichtes die Reaktion auf den tätlichen Angriff S***'S den Erfordernissen maßhaltender Abwehr voll entsprach.

Ob sich jemand zum Zwecke der Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden rechtswidrigen Angriffes nur der notwendigen Verteidigung bedient und bei seinem zur Verletzung des Angreifers führenden Tatverhaltens das Maß verläßlicher und daher auch wirksamer Gegenwehr überschreitet, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalles und ex ante aus der Situation des Angegriffenen unter Beachtung objektiver Kriterien, also aus der dem Täter möglichen Perspektive zu beurteilen (vgl. ÖJZ-LSK 1981/65, 1983/18, RZ 1984/71 ua). Hiebei bestimmt sich das Maß der zulässigen Abwehr regelmäßig nach der Art und Intensität des Angriffes, nach der Gefährlichkeit des Angreifers und nach den zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mitteln (EvBl. 1979/16). Diese Grundsätze kommen auch gegenüber Angriffen Betrunkener voll zum Tragen, weil diese grundsätzlich keinen besonderen Schutz des Gesetzes genießen und ihnen gegenüber daher keine Verpflichtung zur erhöhten Rücksichtnahme besteht (ÖJZ-LSK 1982/20 ua).

Demnach war es dem Angeklagten nicht verwehrt, den Angriff S***'S durch einen kräftigen Stoß mit den Händen abzuwehren. Er war - der Argumentation des Erstgerichtes zuwider (vgl. S 235) - weder gehalten, der drohenden Attacke seines Gegners auszuweichen, noch mußte er sich damit begnügen, S*** mit den Händen abwehrend zu erfassen. Wäre es doch lebensfremd, vom Angegriffenen zu verlangen, er hätte seine Abwehrreaktion unter detaillierter Berücksichtigung aller denkbaren Folgen für den Angreifer graduell abgestuft einsetzen müssen (JBl. 1981, 444), zumal gerade bei Angriffen alkoholisierter Personen wegen deren Unberechenbarkeit grundsätzlich eine rasche und energische Vorgangsweise geboten erscheint. Wenn daher der Angeklagte dem Angreifer mit den Händen einen "kräftigen Stoß" versetzte, um dessen (zu Recht befürchteten) tätlichen Angriff abzuwehren, wobei die nicht näher feststellbare Intensität des Stoßes den Urteilsannahmen zufolge zwar über einen bloßen "Rempler" hinausging, aber nicht einmal der eines Faustschlages entsprach, hat er damit das objektive Maß notwendiger Verteidigung nicht überschritten. Schon auf der Grundlage der getroffenen Urteilsfeststellungen kommt dem Angeklagten sohin rechtfertigende Notwehr zustatten. Bereits aus diesen Erwägungen war das bekämpfte Urteil aufzuheben und - gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO sogleich in der Sache selbst erkennend - mit einem Freispruch vorzugehen. Darauf war der Angeklagte mit seiner Berufung zu verweisen.

Anmerkung

E11686

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0150OS00107.87.0805.000

Dokumentnummer

JJT_19870805_OGH0002_0150OS00107_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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