TE OGH 1987/8/25 2Ob36/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.08.1987
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Huber und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Wiebke B***, geboren am 27. Februar 1978, Schülerin, vertreten durch den Vater Werner B***, Angestellter, beide D-6223 Kelkheim, Schöne Aussicht 18, BRD, vertreten durch Dr. Utho Hosp, Dr. Wolfgang Weis, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei S*** S*** Gesellschaft mbH & Co. KG, 5562 Obertauern, vertreten durch Dr. August Wippel, Dr. Andreas Wippel, Rechtsanwälte in Neunkirchen, wegen S 400.000,-- s.A. und Feststellung (S 60.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16. Februar 1987, GZ. 1 R 278/86-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 28. Juli 1986, GZ. 7 Cg 261/85-11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 14.739,45 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 1.339,95) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 27.2.1978 geborene Klägerin benützte gemeinsam mit ihrer Mutter gegen Entgelt am 1.1.1984 einen Doppelsessel der S***-S*** in Obertauern, welche die Beklagte betreibt. Am Ende einer Fahrt verließ die Klägerin den Sessel nicht rechtzeitig, fuhr mit dem Sessellift über die Abfahrtsrampe hinaus und stürzte ab, wodurch sie sich Verletzungen zuzog. Aufgrund dieses Schadensereignisses begehrte die Klägerin von der Beklagten ein Schmerzengeld von S 400.000,-- s.A. und beantragte die Feststellung der Haftung für alle künftigen Schäden aus dem Unfall. Der Sicherheitsbügel habe sich beim Aussteigen nicht ganz öffnen lassen, so daß die Klägerin nicht aus dem Sessel habe gleiten können. Der Aussteigehelfer habe sich nicht bei der Ausstiegstelle befunden und sei zu spät hinter dem Sessel nachgelaufen. Er habe vergeblich versucht, sie aus dem Sessel herauszuziehen. Auch habe der Aussteigehelfer den Lift nicht sofort abgestellt. Die Beklagte sei daher ihren vertraglichen Verpflichtungen aus dem Beförderungsvertrag nicht nachgekommen. Sie hafte auch für den Fehler in der Beschaffenheit der Liftanlage, weil der Sicherheitsbügel geklemmt habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ein Klemmen des Sicherheitsbügels sei technisch ausgeschlossen und könnte nur höchstens durch ein Fehlverhalten der Liftbenützerin eingetreten sein. Die Klägerin habe es unterlassen, ihre Behinderung dem Stationswärter anzuzeigen. Als er wahrgenommen habe, daß sie zu spät aussteige, habe er ihr sofort geholfen. Ein früheres Abstellen des Liftes sei mangels Erkennbarkeit einer Gefahr nicht möglich und wäre darnach nicht mehr zielführend gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es traf nachstehende Feststellungen:

Die Klägerin benützte in der Wintersaison 1983/84 zum ersten Mal die S*** S***. Sie hatte in den Jahren davor einen Skikindergarten und einen, möglicherweise zwei Kinderskikurse besucht und auch schon selbständig Sessellifte benützt. Bei der Fahrt am 1.1.1984 saß die Mutter der Klägerin auf dem linken, sie selbst auf dem rechten Sessel. Diese Sitze sind mit Sicherheitsbügel zu verschließen. Die Klägerin und ihre Mutter hatten die Skier angeschnallt und hielten die Skistöcke in der Hand. Die Mutter war vorher noch nie gemeinsam mit der Tochter auf einem Sessellift gefahren. Sie gab bei der Talstation keinen Bescheid, daß sie allenfalls beim Aussteigen an der Bergstation eine Hilfe für das Kind benötigte. Als sich die beiden der Aussteigestelle näherten, versuchte die Mutter zunächst den Sicherheitsbügel am Sitz der Klägerin zu öffnen. Sie konnte den Bügel nicht gleich öffnen, schließlich gelang es ihr aber doch, ihn hoch zu heben und dann seitlich nach hinten zu bringen. Der Stationswart der Bergstation, Engelbert G***, befand sich zunächst bei der Hütte der Liftstation, das ist auf der in Fahrtrichtung des Liftes gesehen linken Seite. Die Sessel nähern sich in relativ steiler Anfahrt der vor diesem Lifthäuschen befindlichen Rampe, die dort etwa 8 m waagrecht verläuft und dann schräg in die Abfahrtsrampe übergeht. Beiderseits ist die Rampe von einem Holzgeländer begleitet, wobei sich am Übergang vom waagrechten zum schräg nach unten verlaufenden Teil dieses Geländers die Abschaltevorrichtung für den Lift, allerdings nur auf der Seite des Lifthäuschens, befindet. Engelbert G*** wechselte beim Herankommen der Klägerin auf ihre Seite, worauf auch die Mutter den Sicherheitsbügel ihres Sitzes öffnete. Infolge des kindlichen Alters und der Kleinwüchsigkeit der Klägerin erreichte sie bei normaler Sitzposition mit den Skilaufflächen die Bodenoberfläche nicht. Vielmehr mußte sie zu diesem Zweck auf dem Sitz vorrutschen und sich zu Boden gleiten lassen. Engelbert G*** wollte sie dabei unterstützen, indem er sie aufforderte, ihm die Hand zu geben und vom Sessel herunterzuspringen. Während die Mutter des Mädchens am Beginn der Abfahrtsrampe ihren Sessel verließ und die Rampe hinunterfuhr, glitt die Klägerin selbst nicht ausreichend von ihrem Sitz herunter bzw. hielt sich an ihm noch fest, so daß es auch Engelbert G*** nicht möglich war, sie vom Sitz zu befreien. Sie fuhr vielmehr über die Abfahrtsrampe hinaus, wo sie dann hinunterstürzte und den Skiauslauf hinausrutschte. Erst dann stellte Engelbert G*** den Lift ab.

Es war nicht zu klären, ob die Klägerin tatsächlich bereits mit den Skiern zur Gänze auf dem Boden war und wieder zurückgriff oder ob sie sich nicht ausreichend nach vorne zu rutschen traute, so daß sie dadurch mit den Skiern noch keinen Bodenkontakt hatte und deshalb den Sessel nicht auslassen wollte.

§ 52 der Betriebsvorschrift für die Doppelsesselbahn S*** lautet:

"Gelingt einem Fahrgast das rechtzeitige Aussteigen nicht, so ist die Seilbahn stillzusetzen. Sollte zum Erreichen des Notaussteigeplatzes das Weiterfahren durch die Station notwendig sein, so ist dies nur mit verringerter Fahrgeschwindigkeit zulässig."

Die Klägerin erlitt durch den Absturz einen schweren Oberschenkelbruch am Übergang vom proximalen zum oberen Drittel. Hinsichtlich des Heilungsverlaufes und der Verletzungsfolgen traf das Erstgericht die auf AS 89 bis 93 wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß den Stationswart Engelbert G*** zwar kein Verschulden treffe, die Beklagte sich aber von ihrer Haftung für Schäden, die durch den Unfall beim Betrieb der Seilbahn eingetreten sind, nur befreien könne, wenn ihr der Entlastungsbeweis gemäß § 9 Abs 2 EKHG gelinge. Diesen Beweis habe sie nicht erbracht, weil sie nicht alle Vorkehrungen getroffen habe, um Unfälle dieser Art hintanzuhalten. So hätte bei einer weiteren Abschaltevorrichtung auf der anderen Seite des Liftes Engelbert G*** den Lift abstellen können, ohne daß die Klägerin über die Abfahrtsrampe hinausgeschwebt wäre. Ein Verschulden der noch nicht einmal sechsjährigen Klägerin sei nicht zu erkennen, ein Mitverschulden ihrer Eltern könne ihr nicht angelastet werden. Angesichts der Schmerzperioden sei das begehrte Schmerzengeld angemessen. Da Dauer- und Spätfolgen nicht auszuschließen seien, sei auch das Feststellungsbegehren gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge; es änderte das erstgerichtliche Urteil allerdings lediglich dahin ab, daß es den Feststellungsausspruch auf die Haftung der Beklagten bis zu den Höchstbeträgen nach § 15 EKHG beschränkte; im übrigen bestätigte es die erstgerichtliche Entscheidung. Auf der Grundlage der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen erachtete auch das Gericht zweiter Instanz die grundsätzliche Haftung der Beklagten nach dem EKHG als gegeben. Alle ungeklärt gebliebenen Einzelheiten des Unfallsherganges gingen zu Lasten der Beklagten. Diese habe es daher zu verantworten, daß es dem Stationswart nicht gelang, der Klägerin beim Aussteigen derart behilflich zu sein, daß sie gefahrlos aus dem Sessel schlüpfen konnte. Außerdem wären die Folgen für die Klägerin bei einem sofortigen Abstellen des Liftes durch den Liftwart mit Sicherheit geringer gewesen. Auf das Fehlen einer zweiten Abschaltvorrichtung komme es mit Rücksicht darauf, daß die Beklagte nicht beweisen konnte, daß der Liftwart jede gebotene Sorgfalt eingehalten hat, nicht mehr an.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2, 3 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachten Anfechtungsgründe nach § 503 Abs 1 Z 2 und 3 ZPO liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO); auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt:

Wie schon das Berufungsgericht ausführte, ist nach den Bestimmungen des hier relevanten EKHG demjenigen der Schaden zu ersetzen, der durch einen Unfall beim Betrieb einer Eisenbahn oder, wie hier, eines Sesselliftes verletzt wird (§ 2 Anm.1 MGA EKHG4). Ein Unfall beim Betrieb liegt dann vor, wenn ein unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder mit bestimmten Betriebseinrichtungen besteht (Koziol Haftpflichtrecht II2 518; ZVR 1981/220 uza). Dies war hier der Fall. Die Haftung der Beklagten wäre nur dann ausgeschlossen, wenn ihr der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 EKHG gelingt, sie also beweisen kann, daß der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn sowohl der Betriebsunternehmer wie auch die mit seinem Willen beim Betrieb tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben. Hiebei ist die Nichteinhaltung "jeder gebotenen Sorgfalt" nicht mit Verschulden gleichzusetzen. Während ein Verschulden erst dann gegeben ist, wenn der gewöhnliche Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit nicht eingehalten wurde, tritt nach § 9 EKHG die Haftungsbefreiung nur dann ein, wenn jede gebotene Sorgfalt eingehalten wurde. Darunter ist grundsätzlich die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt zu verstehen (SZ 57/27; ZVR 1987/11 uza). Als Maßstab ist die Sorgfalt eines sachkundigen und besonders umsichtigen Fachmannes heranzuziehen, wobei an diese Sorgfaltspflicht strengste Anforderungen zu stellen sind. Die erhöhte Sorgfaltspflicht setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß von vornherein das Entstehen einer Gefahrenlage vermieden wird (ZVR 1984/240 ua). Bei der Erbringung des Entlastungsbeweises hat der Halter zu beweisen, daß ein unabwendbares Ereignis vorliegt. Jede nicht aufklärbare Ungewißheit über wesentliche Einzelheiten geht daher zu seinen Lasten (ZVR 1983/306; ZVR 1984/22 uza).

Richtig erkannte das Berufungsgericht, daß dem Stationswart der Beklagten im Sinne der dargestellten ständigen Judikatur anzulasten ist, nicht jede nach den Umständen des Falles erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben. Es wäre seine Aufgabe gewesen, der Klägerin eine tatsächlich wirksame und nicht bloß versuchte Aussteigehilfe zu bieten. Dies hat er jedoch nicht getan. Im Sinne der dargestellten Judikatur geht es zu Lasten der Beklagten, daß offenblieb, wieso er die Klägerin nicht von dem Sessel lösen konnte. Es reicht für den von der Beklagten zu erbringenden Entlastungsbeweis nicht aus, die Ungeschicklichkeit des Liftwartes damit zu entschuldigen, daß auch eine solche des noch nicht sechs Jahre alten Mädchens vorlag; ist es doch allgemein bekannt, daß kleine Kinder, wenn sie sich in Gefahr fühlen, sich an Sachen oder Personen festklammern. Ein solches Verhalten der von weitem als kleines Kind erkennbaren Klägerin liegt nicht außerhalb eines gewöhnlichen Geschehensablaufes und wäre - bei Anwendung der vom Gesetz geforderten besonderen Sorgfalt - vom Liftwart entsprechend in Rechnung zu stellen gewesen. Notfalls hätte er daher die Geschwindigkeit des Liftes sogleich vermindern oder den Lift sogar vorübergehend anhalten müssen. Dies hat er jedoch erst getan, "als die Klägerin bereits vom Lift stürzte und den Auslauf hinunterrutschte". Das Verhalten des Stationswartes erwies sich demnach nicht als sachgerecht und sorgfältig genug, um dem Unfall der Klägerin wirksam vorzubeugen. Dies reicht im Sinne der ständigen Judikatur und mit Rücksicht darauf, daß ungeklärt gebliebene Einzelheiten des Unfallablaufes zu Lasten des Sesselliftunternehmers gehen, aus, die Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin nach den Bestimmungen des EKHG zu begründen.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E11735

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00036.87.0825.000

Dokumentnummer

JJT_19870825_OGH0002_0020OB00036_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten