TE OGH 1987/9/16 9ObA74/87 (9ObA75/87)

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Veröffentlicht am 16.09.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Pipin Henzl und Ferdinand Rodinger als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidungen verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. Monika G***, Angestellte, Melk, Rathausplatz 4,

2. Erika R***, Angestellte, Aggsbach, Schönbühel 55, beide vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. prot. Firma Karl Z***, Metallwarenfabriken, Wieselburg, Scheibbserstraße 17, 2. M*** G*** MBH,

Wieselburg, Scheibbserstraße 17, beide vertreten durch Dr. Herbert Hofbauer und Dr. Peter Krömer, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen je S 7.200,-- brutto sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31.März 1987, GZ 31 Ra 9/87-19, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Amstetten vom 2.Juni 1986, GZ Cr 3/86-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, den Klägerinnen die mit S 2.603,37 (darin S 236,67 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin war im Werk B*** der Erstbeklagten einer Kommanditgesellschaft, seit 17.Juli 1981 als Lohnverrechnerin angestellt. Die Zweitklägerin trat am 27.Juli 1955 bei der Erstbeklagten als Lehrling ein und war dann ebenfalls im Werk B*** als Angestelllte beschäftigt. Im Zuge eines Ausgleichsverfahrens wurden beide Klägerinnen zum 30.September 1981 gekündigt. Da aber das Unternehmen fortgeführt werden sollte, schloß der Ausgleichsverwalter mit den Klägerinnen vorerst befristete Dienstverträge vom 1.Oktober bis 31.Dezember 1981, die in der Folge bis 31.März 1982 verlängert wurden und schließlich wieder in unbefristete Dienstverträge übergingen. Das Werk B*** wurde stillgelegt und beide Klägerinnen wurden in das Werk W*** überstellt. Das Ausgleichsverfahren wurde aufgehoben und die Zweitbeklagte, deren Geschäftsführer Konsul Dr. M*** ist, trat als persönlich haftende Gesellschafterin in die Erstbeklagte ein. Mit den vorliegenden Klagen verlangen die Klägerinnen je S 7.200,-- an der Höhe nach unbestrittenen Treueprämie für die Zeit von September 1983 bis März 1986. Den aus dem Werk B*** übernommenen Angestellten seien die Vordienstzeiten angerechnet worden. Auf Grund einer Betriebsvereinbarung hätten sich die Beklagten zur Zahlung der Prämien verpflichtet und diese tatsächlich schon dreimal ausgezahlt.

Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen. Eine Betriebsvereinbarung, die inzwischen schon aufgekündigt worden sei, habe nur für das Werk B*** bestanden. Überdies sei mit den Klägerinnen, nachdem sie abgefertigt worden seien, an der Betriebsstätte W*** ein neues Dienstverhältnis begründet worden, so daß sie mangels fünfjähriger Beschäftigungsdauer die Voraussetzungen für eine Prämiengewährung nicht erfüllten. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß hinsichtlich des Werkes B*** zwar keine Betriebsvereinbarung bestanden habe, wohl aber eine schriftliche Zusage der Unternehmensleitung, weshalb die Verpflichtung zur Zahlung von Treueprämien deshalb und auch auf Grund der jahrelangen Leistung Inhalt der Arbeitsverträge geworden sei. Der Geschäftsführer der Zweitbeklagten Dr. M*** habe ausdrücklich erklärt, daß alle Beschäftigten mit allen Rechten und Pflichten übernommen werden. Da die Treueprämien auch in der Folge durch eineinhalb Jahre noch dreimal ausgezahlt worden seien, sei die Erstbeklagte in die seinerzeitige Zusage der Unternehmensleitung stillschweigend eingetreten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es hielt folgenden im Berufungsverfahren ergänzten Sachverhalt für wesentlich:

Zwischen dem Angestelltenbetriebsrat des Werkes W*** und der Erstbeklagten wurde am 22.März 1976 eine schriftliche Betriebsvereinbarung abgeschlossen, nach der sich die Erstbeklagte verpflichtete, jedem Angestellten des Werks W*** nach einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren eine Treueprämie von monatlich S 200,-- in zwei Halbjahresraten zu je S 1.200,-- zu zahlen. Für das Werk B*** gab es keinen Betriebsrat. Da aber auch die dort Beschäftigten gleich behandelt werden sollten, schloß die Erstbeklagte mit dem Betriebsleiter des Werkes B*** am 23.März 1976 eine ebenfalls als Betriebsvereinbarung bezeichnete schriftliche Übereinkunft gleichen Inhalts. Diese Treueprämien wurden den Angestellten regelmäßig ausgezahlt.

Auf Grund der Kündigung durch den Ausgleichsverwalter erhielten die Klägerinnen ihr bis zum 30.September 1981 fällig gewordenes Entgelt einschließlich der Abfertigung vom Insolvenzentgeltsicherungsfonds. Der Geschäftsführer der Zweitbeklagten, Dr. M***, erklärte nach Übernahme der Erstbeklagten durch die Zweitbeklagte in einer Betriebsversammlung in Wieselburg im Februar oder März 1982, daß er sämtliche bisherigen Betriebsangehörigen mit allen bisherigen Rechten und Pflichten übernehme und weiterbeschäftige. Zum Abschluß neuer schriftlicher Arbeitsverträge kam es nicht. Im März 1982, sohin schon nach erfolgter Betriebsübernahme wurden die Treueprämien pünktlich ausgezahlt. Nach einem am 1.Oktober 1982 unter Verwendung von Formularblättern verfaßten Zusatz zum Dienstzettel der Erstklägerin wurde der Beginn des Anspruches auf Abfertigung mit 1.Oktober 1981 festgelegt, für den Urlaubsanspruch jedoch die Zeit ihrer Beschäftigung im Werk B*** einbezogen.

Der Prokurist Othmar S***, der die laufenden Geschäfte der Erstbeklagten führt und regelmäßig als Vertreter der Unternehmensleitung auftritt, ersuchte im Verlaufe des Jahres 1982 den Angestelltenbetriebsrat, die im September 1982 fällig werdenden Treueprämien vorläufig zu stunden. Ohne daß es zu einer ausdrücklichen Vereinbarung gekommen wäre, zeigte sich der Angestelltenbetriebsrat damit einverstanden. Mit einem an den Angestelltenbetriebsrat gerichteten Schreiben vom 28.Dezember 1982 kündigte der Prokurist Othmar S*** im Auftrag der Erstbeklagten die bestehenden Betriebsvereinbarungen mit Ausnahme einer die wöchentliche Arbeitszeit regelnden Betriebsvereinbarung unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten auf. Über Aufforderung des Angestelltenbetriebsrats zahlte die Erstbeklagte die im September 1982 und März 1983 fällig gewordenen Treueprämien vorbehaltslos auch an die Klägerinnen aus. Seither wurden keine Prämien mehr geleistet.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung von Treueprämien zulässiger Inhalt einer Betriebsvereinbarung im Sinne des § 97 Abs 1 Z 15 ArbVG sein könne. Für die Beschäftigten des Werkes W*** der Erstbeklagten habe daher eine gültige Betriebsvereinbarung vorgelegen, deren Wirksamkeit gemäß § 31 Abs 4 ArbVG durch die Veräußerung des Betriebes nicht berührt worden sei und die auf die durch sie erfaßten Arbeitsverhältnisse gemäß § 32 Abs 3 ArbVG noch so lange anzuwenden sei, bis eine neue Betriebsvereinbarung oder eine Einzelvereinbarung mit den betroffenen Arbeitnehmer abgeschlossen worden sei.

Mit den Klägerinnen seien am 1.Oktober 1981 neue Arbeitsverhältnisse abgeschlossen worden, doch könnten diese nicht losgelöst von den vorher bestandenen Arbeitsverhältnissen betrachtet werden. Es seien zwar ihre Abfertigungsansprüche bis zu diesem Zeitpunkt befriedigt worden, doch sei etwa für den Urlaubsanspruch die Dauer der Beschäftigung im Werk B*** angerechnet worden. Weiters habe die Erstbeklagte durch die Auszahlung der im März 1982, September 1982 und März 1983 fälligen Treueprämien eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß sie hinsichtlich dieser Verpflichtung von einer Fortwirkung des Arbeitsverhältnisses ausgehe. Durch diese Vorgangsweise habe die Erstbeklagte klargestellt, daß sich die Erklärung des Geschäftsführers der Zweitbeklagten Dr. M*** vom März 1982, die Arbeitsverhältnisse würden mit allen Rechten und Pflichten übernommen, sich auch auf die Anrechnung der Vordienstzeiten in bezug auf die Treueprämien beziehen sollte. Obwohl für das Werk B*** keine Betriebsvereinbarung zustande gekommen sei, habe doch eine entsprechende Zusage der Betriebsleitung bestanden und die Treueprämien seien jahrelang ausgezahlt und von den Klägerinnen entgegengenommen worden. Gehe man von der erwähnten Fortwirkung der früheren Arbeitsverhältnisse und der dreimaligen Auszahlung der Treueprämien aus, hätten die Klägerinnen auch ohne eine wirksame Betriebsvereinbarung einen Anspruch auf den Bezug der Treueprämien schon auf Grund ihrer Einzelverträge auch für die Zukunft erworben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung der Klagebegehren abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerinnen beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagten vertreten weiterhin im wesentlichen die Ansicht, daß im Werk W*** der Erstbeklagten keine zulässige, sondern nur eine sogenannte "freie" Betriebsvereinbarung zustande gekommen sei, weil es sich bei den geltend gemachten Treueprämien nicht um einmalige, sondern um regelmäßig wiederkehrende Zuwendungen mit Entgeltcharakter gehandelt habe, deren Regelung dem Kollektivvertrag vorbehalten sein müsse. Als Grundlage für die Ergänzung der Arbeitsverträge der Klägerinnen im Sinne des § 863 ABGB reiche andererseits eine nur dreimal gewährte Zuwendung nicht hin, zumal sich die Einrechnung der Vordienstzeiten hinsichtlich des Urlaubsanspruches schon auf § 3 Abs 1 UrlG gründe.

Nach den maßgeblichen Feststellungen erfolgte die Überstellung der Klägerinnen in das Werk W*** der Beklagten, für welches eine Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Treueprämien abgeschlossen worden war, noch zu einem Zeitpunkt als diese Betriebsvereinbarung nicht aufgekündigt war. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Vereinbarung vom 22.März 1976 als Betriebsvereinbarung im Sinne des § 29 ArbVG

(§ 97 Abs 1 Z 15 ArbVG) anzusehen ist (Cerny in FS Strasser 503; Arb. 10.039), da auch Vereinbarungen über unzulässige Regelungsgegenstände, die als Betriebsvereinbarung nichtig sind, nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts Bedeutung erlangen (Strasser in Floretta-Strasser, Kommentar zum ArbVG 169; Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser Arbeitsrecht2 II 322). Für die bürgerlich-rechtliche Beurteilung solcher Vereinbarungen kann der dem einzelnen Arbeitnehmer bekanntgegebene und von ihm stillschweigend zur Kenntnis genommene Inhalt ebenso wie der tatsächlich beachtete Inhalt insofern bedeutsam werden, als er die Grundlage für einzelvertragliche Ergänzungen gemäß § 863 ABGB abgeben kann (Arb. 9.972 mwH). Gibt nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch die Gesamtheit der Arbeitnehmer durch ihr Verhalten eindeutig zu erkennen, daß sie sich an die Bestimmungen einer unzulässigen Betriebsvereinbarung halten wollen, dann besteht kein Grund, an ihrer schlüssigen Unterwerfung unter die dort getroffene Vereinbarung und damit an einer entsprechenden Ergänzung der Einzelarbeitsverträge zu zweifeln (Arb. 8.802, 9.832 ua). Auf Seiten der Erstbeklagten, die nach wie vor Arbeitgeberin der Klägerinnen war, lag ein ausdrücklich erklärter Bindungswille vor und beide Teile sind unbestritten von der Gültigkeit und Verbindlichkeit der Absprache als Betriebsvereinbarung ausgegangen. Es kann daher im Weg objektiver Vertragsergänzung erschlossen werden, daß sie, wenn ihnen die allfällige Unwirksamkeit der vermeintlichen Norm bewußt gewesen wäre, den Vertrag zu den tatsächlich gepflogenen Bedingungen fortgesetzt hätten (Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser aaO 325 unter Berufung auf Rummel in ZAS 1981, 55 f). Auf langjährige Übung kommt es dann nicht an (Rummel aaO; 14 Ob A 47/87).

Der weitere Einwand der Beklagten, die Klägerinnen hätten auf Grund des Neubeginns ihrer Arbeitsverhältnisse mit 1.Oktober 1981 die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Treueprämien nicht erfüllt, übersieht, daß der Geschäftsführer der Zweitbeklagten Dr. M*** nach der Betriebsübernahme die ausdrückliche Erklärung abgegeben hatte, daß er die Betriebsangehörigen "mit allen bisherigen Rechten und Pflichten übernehme". Diese Formulierung ist ident mit dem Begriff der "Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses" und bedeutet, daß die beim früheren Arbeitgeber zugebrachte Dienstzeit für alle nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu berechnenden Ansprüche zu berücksichtigen ist (Martinek-Schwarz AngG6 474). Da die Erstbeklagte lediglich hinsichtlich der Abfertigung einen Vorbehalt machte, durften die Klägerinnen mit Recht annehmen, es werde ihnen hinsichtlich aller übrigen dienstzeitabhängigen Ansprüche die bei der Erstbeklagten vor der Kündigung verbrachten Arbeitszeiten angerechnet (Martinek-Schwarz aaO 451; 10.139 ua). Dieses objektive Erklärungsverhalten des Arbeitgebers wurde im vorliegenden Fall noch dadurch verstärkt, daß die Erstbeklagte der auf die Vereinbarung vom 22.März 1976 zurückgehenden Verpflichtung zur Zahlung von Treueprämien zu den Fälligkeitsterminen März 1982, September 1982 und März 1983 vorbehaltlos nachgekommen ist. Das Berufungsgericht hat daher richtig erkannt, daß beide Teile diesbezüglich von einer Fortwirkung des früheren Arbeitsverhältnisses ausgegangen sind und daß den Klägerinnen für ihren Anspruch auf Treueprämie die Vordienstzeiten anzurechnen sind. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.

Anmerkung

E12158

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBA00074.87.0916.000

Dokumentnummer

JJT_19870916_OGH0002_009OBA00074_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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