TE OGH 1987/10/21 8Ob66/87

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Veröffentlicht am 21.10.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Karl G***, Oberarzt, Landeskrankenhaus Leoben, 8700 Leoben, Vordernberger-Straße 42, vertreten durch Dr. Gerhard Delpin, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, diese vertreten durch Herbert Hillebrand und Dr. Walter Heel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 205.676,-- s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 22. April 1987, GZ 1 R 8/87-32, womit infolge Berufung der klagenden und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. Oktober 1986, GZ 6 Cg 597/84-24, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 8.145,45 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 1.920,-- und die Umsatzsteuer von S 565,95) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 22. Oktober 1983 gegen 8.30 Uhr ereignete sich auf der Autobahnbrücke Kufstein der A 12 Inntal-Autobahn in Fahrtrichtung Innsbruck ein Verkehrsunfall, bei welchem der PKW des Klägers, Marke BMW 323 i, polizeiliches Kennzeichen St 57.O41, schwer beschädigt wurde. Der Kläger wurde bei dem Unfall verletzt. Er begehrte von der Beklagten den Ersatz seines Schaden von S 205.656,-- (Reparaturkosten S 175.676,--, PKW-Wertminderung S 10.000,-- und Schmerzengeld S 20.000,--) und brachte hiezu im wesentlichen vor:

Er sei mit seinem PKW auf der trockenen Autobahn bei schönem Wetter von Salzburg in Richtung Innsbruck gefahren. Als er die Innbrücke schon zum Teil passiert hatte und auf österreichisches Staatsgebiet gekommen war, sei sein PKW ohne ersichtlichen Grund ins Schleudern geraten und sodann gegen die rechtsseitige Leitschiene geprallt. Wie sich danach herausstellte, sei der österreichische Teil der Innbrücke total vereist und nicht gestreut gewesen, was den Schleudervorgang ausgelöst habe. Aufgrund winterlicher Verhältnisse sei für die ortskundigen Organe der Beklagten vorhersehbar gewesen, daß sich auf der Brücke Eis bilden werde. Sie wären daher verpflichtet gewesen, vorsorglich die Fahrbahn zu bestreuen. In der Unterlassung zeitgerechter Streuung liege ein grobes Verschulden, für welches die Beklagte als Halterin des hier in Betracht kommenden Autobahnstückes gemäß § 1319 ABGB zu haften habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein:

Der das Unfallgeschehen auslösende Schleudervorgang habe auf deutschem Gebiet begonnen, weshalb die passive Klagslegitimation der Beklagten nicht gegeben sei. Der Unfall sei ausschließlich auf das fahrtechnische Fehlverhalten und die unvorsichtige Fahrweise des Klägers zurückzuführen, weil dieser offenbar viel zu stark beschleunigt habe. Der zuständige Streifenfahrer habe um 6 Uhr früh die gesamte Strecke abgefahren und dabei keine wie immer geartete Vereisung oder Reifbildung auf der Brücke feststellen können. Es könne daher nur kurzfristig und überraschend eine Reifbildung aufgetreten sein, welche von den Organen der Beklagten nicht zu verhindern gewesen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 101.338,-- s.A. statt und wies das Mehrbegehren von S 104.338,-- s.A. ab. Es traf im wesentlichen nachstehende Feststellungen:

Die Autobahn-Innbrücke bei Kufstein weist eine Gesamtlänge von 332,4 m auf, wovon der österreichische Anteil 147,8 m beträgt. Vor der Brücke waren - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - die Verkehrszeichen "Schleudergefahr" mit dem Zusatzzeichen "Gefahr unerwarteter Glatteisbildung" angebracht. In der Grenzbrücke ist auf deutscher Seite ein Temperaturfühler eingebaut, der die jeweiligen Belagstemperaturen wiedergibt. Auf österreichischer Seite befindet sich in einer Entfernung von ca. 2,5 m ein Frostwarngerät, welches bei plus 2o Celsius eine optische Warnung vornimmt. Die Richtungsfahrbahn Kufstein beschreibt nach der Zollgrenzstation Kiefersfelden eine leichte Rechtskurve, an welche sich die Innbrücke Kufstein anschließt. Dieses Straßenstück weist von der Grenzstation bis zum Brückenbeginn eine Länge von ca.800 m auf. Innerhalb des unmittelbaren Bereiches der Zollgrenzstation besteht eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 10 km/h.

Am Unfallstag betrug das Morgenminimum der Lufttemperatur in 2 m Höhe minus O,5o Celsius, das Minimum am Erdboden minus 5,6o Celsius. Es war niederschlagsfrei und es wehte ein schwacher Ostwind. Bis

7.45 Uhr morgens war es im Raum Kufstein dunstig. Es konnte schwache Rauhreifbildung an der Erdoberfläche beobachtet werden. Die Lufttemperaturen wurden für 7 Uhr mit minus 0,4o Celsius und die Luftfeuchtigkeit mit 93 %, für 8 Uhr mit 0o Celsius und die Luftfeuchtigkeit mit 92 %, für 9 Uhr mit plus 0,5o Celsius und die Luftfeuchtigkeit mit 90 % angegeben.

Aufgrund der herrschenden Wettersituation hatte sich vorwiegend auf dem letzten Drittel der Innbrücke - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - Rauhreif angelegt, sodaß vor allem die Überholspur und der Pannenstreifen äußerst glatt waren. Optisch war eine Rauhreif- bzw. Glatteisbildung nicht sichtbar.

Nachdem der Kläger die Grenzstation Kufstein-Kiefersfelden passiert hatte, beschleunigte er sein Fahrzeug auf trockener Fahrbahn auf ca. 80 bis 100 km/h. Als er sich auf der Innbrücke befand, sah er das Warndreieck und das auf dem Pannenstreifen am Ende der Brücke abgestellte Fahrzeug des kurz zuvor verunglückten Deutschen Gottfried Z***. Er geriet hierauf ins Schleudern. Nicht feststellbar ist, ob sein Fahrzeug als Folge einer relativ leichten oder auch als Folge einer zu starken Beschleunigung oder zu starken Gaswegnahme in eine Schleuderbewegung geriet. Das Fahrzeug des Klägers prallte sodann auf österreichischem Bundesgebiet gegen die rechtsseitige Leitschiene.

Es kann nicht festgestellt werden, daß die Schleuderspuren

bereits auf deutschem Bundesgebiet begannen.

Gemäß Art. 4 des Vertrages vom 20. April 1977

(BGBl. Nr. 388/1979) verläuft die Staatsgrenze (= Verwaltungsgrenze) im Talweg des Inn und gilt diese Festlegung auch für oberirdische und unterirdische Bauten und Anlagen jeder Art, also auch für die Innbrücke. Danach befand sich der PKW des Klägers in Unfallsendstellung bereits 67 m auf österreichischem Hoheitsgebiet. Gleichzeitig wurde zwischen den Straßenverwaltungen beider Staaten mündlich vereinbart, daß die Brückenstreuung sowohl von der jeweiligen deutschen als auch der österreichischen Autobahnmeisterei durchzuführen ist. Die Streuung wird jeweils von demjenigen vorgenommen, der früher zu streuen beginnt. Eine besondere Einteilung besteht diesbezüglich nicht. Die Notwendigkeit einer Streuung ergibt sich aus den konkreten Straßenverhältnissen und obliegt der Beobachtung des jeweiligen Streifenfahrers. Der offizielle Winterdienst beginnt auf österreichischer Seite mit 1. November eines jeden Jahres, weshalb bis zum Unfallstag noch keine Salzstreuung durchgeführt worden war. Auch die deutsche Autobahnmeisterei hatte am Unfallstag keine Salzbstreuung vorgenommen.

Am Unfallstag befuhr der Streifenfahrer Ferdinand K*** die spätere Unfallstelle (6 Uhr morgens oder 8.15 Uhr) und stellte dabei fest, daß sowohl die Überholspur als auch der Pannenstreifen reifig waren, und zwar auf beiden Fahrbahnhälften, ohne jedoch eine Streuung vorzunehmen bzw. eine solche zu veranlassen. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß den Organen der Beklagten grobes Verschulden gemäß § 1319 a ABGB anzulasten sei, weil durch die Unterlassung der Bestreuung der Innbrücke der Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich voraussehbar war. Den Kläger treffe ein Mitverschulden im Verhältnis von 1 : 1, weil er wegen des aufgestellten Gefahrenzeichens "Schleudergefahr" samt Zusatztafel "Glatteisbildung" verpflichtet war, seine Aufmerksamkeit besonders der Beschaffenheit der Fahrbahn zuzuwenden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht, jener des Klägers teilweise Folge und änderte - von einer Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 3 zu Lasten der Beklagten ausgehend - die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es dem Kläger S 152.007,-- s.A. zusprach und ein Mehrbegehren von S 53.669,-- s.A. abwies. Die Revision wurde für zulässig erklärt. Das Gericht zweiter Instanz nahm eine teilweise Beweiswiederholung vor und stellte ergänzend fest:

Ferdinand K*** trat seinen Dienst in seiner Eigenschaft als Streifenfahrer am Unfallstag um 6 Uhr an. Er fuhr zunächst von Langkampfen in Richtung Wiesing, dann von Wiesing zurück bis zur deutschen Grenze und dann weiter zurück bis Kirchbichl. Dort erhielt er über Funk vom Unfall Mitteilung. Bei seiner Fahrt zur deutschen Grenze befuhr er um ca. 8.15 Uhr die Autobahn-Innbrücke im Zuge seiner Streifenfahrt, und zwar hin und zurück. Dabei stellte er fest, daß auf beiden Fahrbahnhälften die Überholspur und der Pannenstreifen reifig waren.

Rechtlich hielt das Berufungsgericht der Beklagten entgegen, daß es nicht darauf ankomme, ob der Schleudervorgang des PKWs des Klägers auf dem zum deutschen Hoheitsgebiet gehörigen Teil oder erst auf jenem Teil der Innbrücke, der zum österreichischen Hoheitsgebiet gehört, begann. Die Straßenverwaltungen beider Staaten hätten nämlich eine Vereinbarung dahin getroffen, daß die Brückenstreuung sowohl von der deutschen als auch von der österreichischen Autobahnmeisterei durchzuführen ist. Danach hätten sie solidarisch für die Verletzung der gemeinsam übernommenen Streupflicht zu haften. Es wäre somit jedenfalls auch Sache der Organe der Beklagten gewesen, für eine frühzeitige Kontrolle und allenfalls vorbeugende Streuung an erfahrungsgemäß besonders gefährdeten Stellen, wie Brücken, zu sorgen. Wenn eine Kontrolle des Fahrbahnzustandes der Autobahnbrücke erst um 8.15 Uhr vorgenommen wurde, so sei dies bei den gegebenen Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsverhältnissen auf jeden Fall zu spät gewesen. In der Unterlassung von frühzeitigen Kontrollfahrten und allenfalls einer vorbeugenden Streuung sei daher eine grobe Fahrlässigkeit der Organe der Beklagten zu erblicken. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben oder dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte vertritt den Standpunkt, daß sie passiv nicht legitimiert sei, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, daß sich der Unfall auf österreichischem Gebiet ereignet habe. Aus der Tatsache, daß die Beklagte vertraglich die Streuung jenes Teiles der Autobahn gegenüber den Organen der Bundesrepublik Deutschland übernahm, auf der der Unfall passierte, könne noch nicht auf eine Haftung nach § 1319 a ABGB geschlossen werden. Im übrigen sei keine grobe Fahrlässigkeit der Organe der Beklagten vorgelegen. Dem ist zu erwidern:

Es ist nicht strittig, daß die erforderliche Bestreuung der Autobahn bei Schnee und Eisglätte zur "Betreuung eines Weges im Sinne des § 1319 a ABGB" gehört. Es ist auch unbestritten, daß zur Unfallszeit der Zustand des hier in Frage stehenden Autobahnteiles, und zwar insbesondere die Überholspur und der Pannenstreifen, infolge Rauhreifes äußerst glatt und daher mangelhaft war. Demnach kann ernstlich nicht in Frage gestellt werden, daß der Streifenfahrer K*** grob fahrlässig gehandelt hat, als er trotz der Wahrnehmung der festgestellten Fahrbahnglätte im Bereich der Überholspuren nichts unternahm, um den gefährlichen Zustand zu beseitigen. Es ist eine immer wieder festzustellende und jedermann bekannte Tatsache, daß die Vornahme eines Fahrmanövers unter glatteisähnlichen Fahrbahnbedingungen überaus unfallsträchtig ist; dies mußte dem Streifenfahrer der Beklagten völlig klar sein. Alle von der Beklagten angestellten Erwägungen gehen demnach daran vorbei, daß K*** die gebotene Sorgfalt eines Streifenfahrers in gravierender Weise verletzte, sodaß der Eintritt eines Schadens nicht bloß als möglich, sondern bei dem üblichen Verkehrsaufkommen auf der in Rede stehenden Autobahn geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen war (vgl. ZVR 1984/176; ZVR 1986/11 uza). Halter eines Weges im Sinne des § 1319 a ABGB ist, wer die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt und die Verfügungsmacht hat, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen (SZ 51/129; SZ 52/135;SZ 54/92 ua). Dies trifft für den österreichischen Bereich auf die Beklagte und für den deutschen Autobahnbereich auf die dortige Straßenverwaltung zu. Die Tatsache, daß im Verfahren nicht festgestellt werden konnte, ob sich der Unfall zur Gänze auf österreichischem Gebiet ereignete oder ob das Unfallsgeschehen schon auf deutschem Boden seinen Ausgang nahm, gereicht der Beklagten nicht zum Vortei:

Passierte der Unfall ganz auf österreichischem Territorium, trifft die Beklagte die Haftung als Halterin gemäß § 1319 a ABGB infolge groben Verschuldens ihres Organes. Ereignete sich der Unfall oder ein Teil desselben auf deutschem Gebiet, kommt die Feststellung zum Tragen, daß die Beklagte mit der zuständigen Straßenverwaltung der anderen Seite die Übernahme eigener Streuungsverpflichtung vereinbarte. Das hat zur Folge, daß die Beklagte nach jenen Grundsätzen zu haften hat, wie sie für einen mit den erforderlichen Arbeiten betrauten Unternehmer gelten, und zwar ohne das im § 1319 a ABGB normierte Haftungsprivileg, zu dessen ausdehnender Auslegung kein Anlaß besteht (Koziol, Haftpflichtrecht2 II 204;

Posch in ZVR 1984, 262; SZ 52/33; ZVR 1980/301, SZ 54/92;

8 Ob 66/86 ua). In beiden Fällen kann sich die Beklagte demnach von der Haftung für die Unfallsfolgen nicht exculpieren. Ihrer Revision war somit der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 5O ZPO.

Anmerkung

E12373

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00066.87.1021.000

Dokumentnummer

JJT_19871021_OGH0002_0080OB00066_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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