TE OGH 1987/10/21 14Os147/87

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Veröffentlicht am 21.10.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Oktober 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Thoma als Schriftführer, in der Strafsache gegen Erwin K*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 2. Juli 1987, GZ 28 Vr 4.596/86-43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Über die Berufung wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Erwin K*** (zu I) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB und (zu II) des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 15. und 16.November 1986 in Meran

I) die am 27.August 1977 geborene Marina R***, somit

eine unmündige Person, zumindest zweimal (und zwar abends beim Duschen und nachts im Bett) auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er sie am Geschlechtsteil abgriff und ihr dabei mit einem Finger an die Scheide fuhr;

II) durch die zu Punkt I) angeführte Tat sein minderjähriges Kind Marina R*** zur Unzucht mißbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 1, 3, 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt. Mit dem (nominell aus der Z 1 abgeleiteten) Einwand, die prozeßordnungsgemäße Beeidigung der Schöffen sei "für den Verteidiger nicht überprüfbar", weil im Hauptverhandlungsprotokoll das Aktenzeichen jenes Verfahrens nicht angeführt ist, zu dem die (frühere) Beeidigung erfolgt sei, wird weder der bezeichnete noch der sachlich in Betracht kommende Nichtigkeitsgrund (Z 3 iVm § 240 a StPO) gesetzmäßig dargetan; mangelt es doch an der bestimmten Beschwerdebehauptung, daß zur Hauptverhandlung Schöffen herangezogen wurden, die weder bei Beginn derselben noch sonst vorher im Laufe des Kalenderjahres beeidet worden sind. Der Vorwurf der mangelhaften Protokollierung einer Beeidigung in einem früheren Verfahren steht ebensowenig unter Nichtigkeitssanktion wie selbst die gänzliche Unterlassung der Beurkundung eines solchen Vorganges (§ 240 a Abs 3 StPO).

Im übrigen ergibt sich aus den vom Erstgericht - ersichtlich aus Anlaß dieses Beschwerdeeinwandes - angeschlossenen Fotokopien von Hauptverhandlungsprotokollteilen und aus dem Beeidigungsbuch, daß der Schöffe Ernst H*** am 8.Mai 1987 zu AZ 24 Vr 669/86, und der Schöffe Mag. Klaus Z*** am 6.Februar 1987 zu AZ 24 Vr 3.697/86 je des Landesgerichtes Innsbruck beeidet worden ist. Der weiteren Verfahrensrüge (Z 3 iVm § 250 StPO) zuwider wurde der Angeklagte von der in seiner Abwesenheit (S 277) abgelegten Aussage der Zeugin Marina R*** nach seiner Wiedereinführung in Kenntnis gesetzt. Die dies beurkundende handschriftliche Ergänzung des Hauptverhandlungsprotokolls (S 281) entspricht nach dem insoweit abweislichen Beschluß (ON 53) über den Protokollsberichtigungsantrag des Beschwerdeführers dem tatsächlichen Verhandlungsablauf.

Ein behaupteter Verfahrensmangel (Z 4) ist aber dem Erstgericht auch nicht dadurch unterlaufen, daß es vom Angeklagten gestellte Anträge (S 291, 293) auf Vernehmung mehrerer Zeugen abgewiesen hat. Insoweit durch die Aussage des Untersuchungsrichters Dr. U*** geklärt werden sollte, ob Marina R*** bei der von ihm durchgeführten Befragung im Vorverfahren "von sich aus ohne Suggestion die Umstände so geschildert hat, wie dies aus dem Protokoll (ON 32) ersichtlich ist", woraus nach der in der Begründung des Beweisantrages zum Ausdruck gebrachten Ansicht des Angeklagten Schlüsse dahin zu ziehen gewesen wären, daß Marina R*** "offensichtlich Gehörtes und Erlebtes verbindet und nicht imstande ist, situationsbezogene Differenzierungen vorzunehmen", hat das Erstgericht nach dem Inhalt seines abweislichen Zwischenerkenntnisses (S 292) ohnedies - auf Grund des persönlichen Eindrucks von der unmündigen Zeugin in der Hauptverhandlung - als erwiesen angenommen, daß sie nicht in der Lage ist, von sich aus (spontan) eine zusammenhängende und eingehende Schilderung des Sachverhalts zu geben (vgl. US 12 Mitte). Allerdings hat der Schöffensenat daraus - und dies kann als Ergebnis der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht bekämpft werden - "nach sorgfältiger Abwägung aller zur Verfügung stehenden (indirekten) Beweismittel" (US 10) in bezug auf die Glaubwürdigkeit des Kindes andere, dem Verteidigungsstandpunkt des Angeklagten zuwiderlaufende Konsequenzen gezogen.

Gleiches gilt auch bezüglich der beantragten Vernehmung der Zeugin Hilde K***; denn auch die durch deren Aussage zu beweisende Tatsache, daß Marina R*** - ihren Angaben im Vorververfahren zuwider (S 237/238) - auch noch nach den verfahrensgegenständlichen Vorfällen telefonischen Kontakt zum Angeklagten suchte, nahm das Erstgericht als erwiesen an (S 293), maß jedoch für seine Beweiswürdigung diesem Umstand - in Übereinstimmung mit dem Gutachten der Sachverständigen Univ.Prof. DDr. N***-V*** - weder an sich noch mit Bezug auf die insoweit objektiv gegebene Unrichtigkeit der kindlichen Zeugenaussage eine entscheidende Bedeutung bei (US 11/12, 15/16).

Soweit in der Beschwerde aber noch auf andere (angebliche) objektive Tatsachenwidrigkeiten in der Aussage der Marina R*** mit der Behauptung hingewiesen wird, daß daraus auf eine durch die angebotene Zeugin zu beweisende Beeinflussung des Kindes durch deren Mutter geschlossen werden könnte, ist der Beschwerdeführer zur Verfahrensrüge nicht legitimiert; denn mit dieser Argumentation wurde der Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin Hilde K*** in erster Instanz nicht begründet. Auch den von der Zeugin Anita E*** zu bekundenden Umstand, daß Marina R*** noch am 20.Dezember 1986 (an welchem Tag sie ihrer Mutter von den gegenständlichen Vorfällen Mitteilung machte - S 282) vom Angeklagten gekaufte Kleidungsstücke (gemeint:

einen anläßlich der Meran-Reise, bei der es zu den unzüchtigen Betastungen gekommen sein soll, zum Geschenk gemachten Mantel) getragen hat, unterstellte das Erstgericht als möglich bzw. richtig (S 294) und war demnach nicht gehalten, darüber noch Beweise aufzunehmen.

Wenn der Beschwerdeführer dagegen mit der Begründung remonstriert, daß sich Marina R*** "offensichtlich" erst nach dem Gespräch mit ihrer Mutter - wie diese behauptet (S 17) - von all den Dingen (u.a. von dem erwähnten Mantel), die sie mit ihrem Vater verbinden, distanziert hat (S 293) und er ersichtlich auch daraus eine Einflußnahme der Mutter auf das Kind ableiten will, macht er abermals keinen Verfahrensmangel geltend, sondern bekämpft nur neuerlich die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes, das aus den unter Beweis gestellten und ohnedies als erwiesen angenommenen Tatsachen eben zu anderen, logisch und empirisch einwandfreien Schlußfolgerungen gekommen ist (US 15/16). Soweit der Beschwerdeführer schließlich behauptet, durch die Aussage der Zeugin Anita E*** hätte sich auch herausgestellt, daß Marina R*** suggestibel ist und ihre Angaben daher nicht verläßlich genug erscheinen, fehlt es ihm nicht nur - mangels darauf abzielender Antragstellung - an der Beschwerdelegitimation; ein solcher Antrag könnte auch deshalb gar nicht zur Grundlage einer Verfahrensrüge gemacht werden, weil Gegenstand einer Zeugenaussage im allgemeinen nur Tatsachen, nicht aber Wertungen betreffend die Glaubwürdigkeit anderer Zeugen sind.

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider bedurfte die zur subjektiven Tatseite getroffene Feststellung (US 7, 8, 17/18) angesichts der Art der konstatierten objektiven - und insoweit nicht

bemängelten - Tathandlungen (US 7 ganz unten, 8 ganz oben) keiner besonderen Begründung. Da sich das Erstgericht in diesem Punkte gar nicht auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Klaus J*** gestützt hat, war es auch entbehrlich, auf die angeblichen Mängel dieser Expertise einzugehen.

Unberechtigt ist aber auch das weitere Beschwerdevorbringen unter diesem Nichtigkeitsgrund, das Erstgericht hätte seine Auffassung, daß durch objektive Unwahrheiten in bezug auf "Bagatellereignisse" die Glaubwürdigkeit der Marina R*** nicht beeinträchtigt wird (US 12, 15), nur zum Scheine begründet, weil es keine Kriterien für die Abgrenzung zwischen Bagatellereignissen und für das Kind wichtigen Ereignissen dargelegt habe. Diesem Einwand zuwider stützt sich das Erstgericht hiebei ausdrücklich auf das Gutachten der Sachverständigen DDr. N***-V*** in der Hauptverhandlung, in dem deutlich zwischen "Banalitäten, die das Kind gar nicht so in seiner Erinnerung festnagelt, und Dingen, die ihm Eindruck machen, auf denen es beharrt und die es loswerden möchte" (US 12 iVm S 286) unterschieden wird und unter Anführung von Beispielen (S 287) sehr wohl die maßgeblichen Unterscheidungskriterien dargetan werden. Deshalb sind auch die Einwendungen gegen das (schriftliche) Gutachten selbst, dem der Beschwerdeführer mangels Erläuterung der darin (in bezug auf eine notwendige Differenzierung in der Beurteilung der Aufrichtigkeit des Mädchens) verwendeten Begriffe des "sachlichen" und "affektiven" Bereichs (S 197, 205) zum Vorwurf macht, daß es nicht nachvollziehbar sei, nicht stichhältig. Abgesehen von der eben wiedergegebenen Erläuterung des schriftlichen Gutachtens in der Hauptverhandlung läßt schon dieses keinen Zweifel darüber offen, daß unter "affektivem Bereich" jene Belange zu verstehen sind, in welchen auf Grund einer besonderen Interessenlage die eigenen Wünsche dem Wahrheitsanspruch gelegentlich vorangestellt werden (S 197). Davon also, daß sich das Schöffengericht insoweit auf ein nicht nachvollziehbares Gutachten gestützt und sein Urteil somit mangelhaft begründet hätte, kann überhaupt keine Rede sein. In Wahrheit verfällt der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen bloß in den im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen Versuch, die tatrichterliche Würdigung des Beweiswertes der kinderpsychologischen Expertise in Zweifel zu ziehen, ohne einen formellen Begründungsmangel aufzuzeigen.

Damit, daß Marina R*** bei ihrer allerersten

(polizeilichen) Einvernahme am 23.Dezember 1986 nicht ausdrücklich von Berührungen in der Nacht gesprochen hat, mußte sich das Erstgericht nicht auseinandersetzen, weil dieser Aussage immerhin Andeutungen unzüchtiger Angriffe auch in der "Nacht" (S 8 Mitte) zu entnehmen sind, somit ein erörterungsbedürftiger Widerspruch zu den folgenden Aussagen des Kindes nicht ersichtlich ist. Weshalb dessen Angaben beim Untersuchungsrichter, nicht mehr zu wissen, ob es bei der nächtlichen Berührung die Pyjamahose noch anhatte (S 235 unten), zu erörtern gewesen wäre, kann der Beschwerde nicht entnommen werden. Aktenwidrig ist schließlich die Behauptung, die Sachverständige DDr. N***-V*** hätte von einer Möglichkeit gesprochen, daß Marina R*** an sich harmlose Berührungen in ihrer Deutung

überzieht, womit sich das Schöffengericht hätte auseinandersetzen müssen. Dem Protokollsberichtigungsbeschluß (ON 53) zufolge ist dieses Zitat unvollständig, hat doch die Sachverständige darnach hinzugefügt, daß dieses "Überziehen bei ihrer Charakterstruktur nicht so weit gehen kann, daß sie ein normales Streicheln derart fehldeuten und aufbauschen würde" (S 339 iVm S 289 oben). Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war demnach schon bei einer nichtöffentlichen Beratung als zum Teil offenbar unbegründet (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO), im übrigen aber nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt (§ 285 d Abs 1 Z 1 iVm § 285 a Z 1 und 2 StPO) sofort - kostenpflichtig (§ 390 a StPO) - zurückzuweisen. Über die Berufung des Angeklagten hingegen wird bei einem mit gesonderter Verfügung anzuberaumenden Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu entscheiden sein (§ 296 Abs 3 StPO).

Anmerkung

E12495

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0140OS00147.87.1021.000

Dokumentnummer

JJT_19871021_OGH0002_0140OS00147_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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