TE OGH 1987/10/29 7Ob686/87

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Veröffentlicht am 29.10.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte M***, Verkäuferin, Wien 3., Juchgasse 9/5, vertreten durch Dr. Kurt Schneider und Dr. Rudolf Riedl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Wilhelm M***, Elektroinstallateur, Wien 3., Juchgasse 9/5, vertreten durch Dr. Heinz Barazon und Dr. Brigitte Birnbaum, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24. April 1987, GZ. 13 R 12/87-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Oktober 1986, GZ. 53 Cg 30/86-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision der klagenden Partei Folge gegeben und das angefochtene Urteil in seinem Verschuldensausspruch dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes, wonach das Verschulden den Beklagten Wilhelm M*** allein trifft, wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.294,70 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 617,70 an Umsatzsteuer und S 1.500,-- an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 19.7.1963 die Ehe geschlossen. Der Ehe entstammen die am 15.1.1964 geborene Monika und die am 13.3.1974 geborene Andrea.

Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten, weil dieser sie gefährlich bedroht und die Ehe unheilbar zerrüttet habe.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Für den Fall der Scheidung der Ehe begehrt er den Ausspruch eines Mitverschuldens der Klägerin. Die Klägerin habe im Februar 1985 gegen seinen Willen eine Berufstätigkeit aufgenommen. Sie verbringe einen Teil ihrer Freizeit ohne den Beklagten. In den Semesterferien 1985 sei die Beklagte nur mit der Tochter Andrea auf Schiurlaub gefahren und habe dem Beklagten gesagt, mit ihm wolle sie nicht auf Urlaub fahren, weil er ihr zu fad sei.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Es traf folgende Feststellungen:

Der Beklagte betrachtete die Klägerin als eine Art Besitz und vertrat die Ansicht, daß sich die Klägerin unbedingt und absolut nach seinen Lebensvorstellungen zu orientieren habe. Es lag ihm viel an einem ereignisarmen Familienleben. Die Streitteile hatten kaum Verkehr mit Freunden. Bekannte und Freunde der Klägerin wurden vom Beklagten mit Geringschätzung behandelt. War dem Beklagten etwas an der Klägerin nicht recht, bestrafte er sie häufig mit tagelangem Schweigen. Mit den Eltern der Klägerin hatte der Beklagte bis zum Frühjahr 1985 fast keinen Kontakt. Dies besserte sich in der Folge nur deshalb, weil die Klägerin damals erklärte, unter dieser Voraussetzung von einer Scheidungsklage abzusehen.

Die Klägerin erhielt vom Beklagten nur "auf Anfrage" Geld für ihre persönlichen Bedürfnisse. Um das Familienbudget aufzubessern, verrichtete die Klägerin, die von Beruf Schneiderin ist, zu Hause Näharbeiten. Dies war dem Beklagten nicht recht, weil die Klägerin dadurch - in der Ehewohnung - Kontakt mit Kunden hatte. Bis vor etwa fünf Jahren gab die Klägerin das mit diesen Arbeiten verdiente Geld dem Beklagten. Seither verwendet sie es für sich, um sich ein wenig Freiraum zu verschaffen.

Als die Tochter Monika etwa 17 Jahre alt war, glaubte der Beklagte einmal, sie habe sich in Abwesenheit ihrer Eltern mit einem Freund in der Wohnung aufgehalten. Er nahm ihr daraufhin Wohnungs- und Haustorschlüssel ab, so daß sie die Wohnung nur verlassen und betreten konnte, wenn ein Elternteil zu Hause war. Dem auch hiedurch gespannten Familienleben trachtete Monika dadurch zu entfliehen, daß sie sich in ihrem Zimmer abkapselte und im März 1983 aus der Wohnung ihrer Eltern auszog.

1980 begann die Klägerin - das erste Mal mit Zustimmung des Beklagten - jährlich eine Woche mit Andrea auf Schiurlaub zu fahren. Diese Urlaube wurden von der Mutter der Klägerin, die die Klägerin ebenso wie ein mit den Parteien bekanntes Ehepaar begleitete, finanziert. Dem Beklagten, der selbst nicht Schi fährt, waren die Schiurlaube der Klägerin nicht recht. Er betrachtete sie, ohne Grund hiefür zu haben, als "Hurerei" und erklärte im März oder April 1985 gegenüber der Klägerin und deren Mutter, er wolle diese Urlaube nicht mehr haben, weil das ganze eine "Hurerei" sei. Als der Beklagte Ende Jänner 1986 sah, daß die Klägerin dennoch die Sachen zur Abreise für einen Schiurlaub gepackt hatte, rief er am 29.1.1986 deswegen die Mutter der Klägerin an, bezeichnete das Packen als Provokation und erklärte schließlich: "Wenn meine Frau tatsächlich auf Schiurlaub fährt, haue ich ihr mit dem Hammer eine auf den Schädel!" Er betonte auch, daß die Klägerin - seiner Meinung nach - gar nicht wegen des Schifahrens wegfahre, und daß "das Ganze eine Hurerei" sei. Die Klägerin erhielt von diesem Gespräch noch am gleichen Tag Kenntnis. Am Morgen des 30.1.1986 kam es zwischen den Parteien wegen des von der Klägerin vorbereiteten Schiurlaubes zu einem Streit. Die Klägerin bestand darauf, den Urlaub mit ihrer Tochter anzutreten. Der Beklagte erklärte, er werde "zum Mexikoplatz" fahren, um sich eine Waffe zu kaufen. Er klopfte der Klägerin auf die Schulter und sagte: "Na, Brigitte, da müssen halt wir zwei dran glauben!" Die Klägerin fürchtete sich wegen der Drohungen vor dem Beklagten und erstattete Anzeige. Es wurde ein Strafverfahren wegen Verdachts der gefährlichen Drohung eingeleitet, der Beklagte wurde am 30.1.1986 um 15 Uhr in Haft genommen. Bei der Hauptverhandlung vom 14.2.1986 zog die Klägerin die Ermächtigung zur Strafverfolgung zurück, so daß ein Freispruch des Beklagten erfolgte. Am 31.1.1986 fuhr die Klägerin ungeachtet des vorherigen Streites auf Urlaub. Sie hatte sich vor dem Urlaub gegenüber dem Beklagten geäußert, er möge nicht mitfahren, weil er ihr zu fad sei. Sie würden sich nur gegenseitig anstarren und nichts unternehmen. Seit den Vorfällen vom 29. und 30.1.1986 gibt es zwischen den Parteien keine ehelichen Beziehungen mehr. Die Klägerin erfüllt zwar weiterhin ihre sonstigen familiären Pflichten. Sie verbringt ihre Freizeit jedoch nicht mehr mit dem Beklagten und lebt auf sich selbst zurückgezogen.

Im März 1985 nahm die Klägerin eine Teilzeitbeschäftigung als Verkäuferin - von jeweils 14,30 Uhr bis 18,30 Uhr - an. Sie hat die Aufnahme einer Berufstätigkeit mit dem Beklagten vorher nicht abgesprochen, sondern ihm hievon nur schriftlich - auf einem Zettel - Mitteilung gemacht, weil zwischen den Parteien zu jener Zeit "gerade wieder eine Schweigephase" bestand. Der Beklagte war mit der Berufstätigkeit der Klägerin - die Klägerin hatte sich bis dahin nur ihrer Familie gewidmet - nicht einverstanden. Die Klägerin wollte Abstand vom Familienalltag und eine größere finanzielle Unabhängigkeit gewinnen.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Beklagte habe durch die Drohung Ende Jänner 1986 eine schwere Eheverfehlung begangen. Dazu komme die Einengung nahezu jeden Freiraumes der Klägerin durch den Beklagten. In dem Bestreben, sich in dieser Situation einen der Erholung vom kaum erträglichen Ehealltag dienenden Freiraum zu schaffen, könne unter diesen Umständen kein Mitverschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe gesehen werden.

Das Berufungsgericht änderte den Verschuldensausspruch dahin, daß das Verschulden beide Teile treffe, wobei jenes des Beklagten überwiege. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Drohungen des Beklagten eine schwere Eheverfehlung darstellten. Die Klägerin treffe jedoch ein Mitverschulden an der Zerrüttung der Ehe, weil sie eine Teilzeitbeschäftigung angenommen habe, ohne zuvor mit dem Beklagten darüber zu sprechen. In dem Umstand, daß die Klägerin mit der Tochter der Streitteile auf Schiurlaub gefahren sei, könne dagegen unter Berücksichtigung des weiter festgestellten Sachverhalts ein Mitverschulden nicht erblickt werden. Die Klägerin habe damit nur einen mühsam erworbenen Freiraum verteidigen wollen. Die Eheverfehlung der Klägerin trete gegenüber den Verfehlungen des Beklagten fast völlig in den Hintergrund. Es sei deshalb auszusprechen gewesen, daß das Verschulden des Beklagten überwiege. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird von beiden Parteien bekämpft.

Der Beklagte macht als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die Entscheidung der zweiten Instanz dahin abzuändern, daß die Klage abgewiesen, in eventu, daß die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin geschieden werde. Die Klägerin ficht den Verschuldensausspruch aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und Aktenwidrigkeit an und beantragt die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes. Die Klägerin beantragt, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben. Der Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Nur die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt allerdings nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

Zwischen den Parteien bestand Ende Jänner 1986 ein bereits seit Jahren gespanntes Verhältnis, das seine Ursache einerseits in dem absoluten Herrschaftsanspruch des Beklagten, der das Zusammenleben seiner Familie ausschließlich nach seinen eigenen engen Vorstellungen gestalten und Einflüsse anderer Personen sowie Abwechslung vom Alltag so weit wie möglich ausschalten wollte, andererseits in dem Bestreben der Klägerin hatte, sich einen gewissen Freiraum dadurch durch schaffen, daß sie seit 1980 mit ihrer Tochter Andrea einmal jährlich auf Schiurlaub fuhr - womit der Beklagte nur anfangs einverstanden gewesen war - und im März 1985 eine Teilzeitbeschäftigung aufnahm, ohne mit dem Beklagten zuvor darüber zu sprechen. Der Beklagte hat am 29.1.1986 gegenüber der Mutter der Klägerin angekündigt, er haue der Klägerin "mit dem Hammer eine auf den Schädel", wenn sie abermals auf Schiurlaub fahren sollte, und sich in dem Streit am 30.1.1986 gegenüber der Klägerin geäußert, er kaufe sich nun eine Waffe, und weiter: "Da müssen halt wir zwei dran glauben". Darin kann - da nicht festgestellt wurde, daß der Beklagte auch schon früher ähnliche Äußerungen gemacht habe und diese nichts anderes bezwecken sollten, als Verärgerung zum Ausdruck zu bringen - nicht etwa nur eine bloße Unmutsäußerung gesehen werden. Der Beklagte hat damit vielmehr der Klägerin zumindest mit Mißhandlungen, nach dem Hinweis auf den beabsichtigten Kauf einer Waffe und der Äußerung "wir müssen dran glauben" aber auch mit gefährlicheren Angriffen gedroht. Es ist verständlich, daß sich die Klägerin vor dem Beklagten aus diesem Grund gefürchtet hat. Drohungen dieser Art aber sind schwere Eheverfehlungen und ein Verstoß gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung (Schwind in Klang2 I/1, 775; EFSlg. 41.188, EFSlg. 29.520). Es ist auch begreiflich, daß die Klägerin nach diesem Vorfall die schon zuvor für sie nur mehr schwer zu ertragende Ehe als unheilbar zerrüttet angesehen hat. Daß die Klägerin die "Angelegenheit" nur aufgebauscht habe, um eine Handhabe zur Trennung zu haben, kann den Feststellungen nicht entnommen werden.

Die Ehegatten sollen ihre eheliche Lebensgemeinschaft, besonders die Haushaltsführung und die Erwerbstätigkeit, unter Rücksichtnahme aufeinander und auf das Wohl der Kinder einvernehmlich gestalten (§ 91 ABGB). Die Verletzung des Einvernehmlichkeitsgebotes steht grundsätzlich unter Scheidungssanktion (Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 7 zu § 91 ABGB). Die gebotene Rücksichtnahme aufeinander ist jedoch nach gesellschaftlichen Wertungen zu beurteilen (Pichler aaO Rdz 5). Danach aber kann es keinesfalls als eine Eheverfehlung der Frau angesehen werden, wenn der Mann die zu ihrem Glück erforderliche Persönlichkeitsentfaltung durch berufliche oder außerberufliche Ausübung ihrer Talente, Kenntnisse und Anlagen unmöglich macht, soferne die Frau durch diese Tätigkeit in der Erfüllung der ehelichen Pflichten nicht wesentlich behindert ist (Schwind aaO 779).

Mit Recht hat es deshalb das Berufungsgericht nicht als eine Eheverfehlung der Klägerin gewertet, daß sie, nachdem sie schon einmal mit Zustimmung des Beklagten einen einwöchigen Schiurlaub mit ihrer Tochter verbracht hatte, auf einen derartigen Urlaub auch in den folgenden Jahren fuhr, obwohl der Beklagte dann damit nicht mehr einverstanden und zuletzt ausdrücklich dagegen war. Es darf der Klägerin - die im übrigen ihren ehelichen Verpflichtungen, insbesondere ihrer Pflicht zur Haushaltsführung, in jeder Hinsicht nachgekommen ist und sich dem der heutigen rechtlichen und gesellschaftlichen Anschauung von der Ehe als einer partnerschaftlichen Beziehung klar widerstreitenden Herrschaftsanspruch des Beklagten fast vollständig unterworfen hat - nicht vorgeworfen werden, daß sie diesen einmal erworbenen Freiraum auch gegen den Willen des Beklagten in Anspruch genommen hat. Entbehrten doch die Gründe, die der Beklagte für sein ablehnendes Verhalten anführt ("Hurerei"), jeder sachlichen Berechtigung, so daß der Beklagte keine Ursache hatte, gegen einen Schiurlaub der Klägerin zu sein, zumal er selbst gar nicht auf diesen Urlaub mitfahren wollte.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes stellt es aber auch keine Eheverfehlung der Klägerin dar, daß sie im März 1985 ohne Zustimmung des Beklagten eine Teilzeitbeschäftigung aufgenommen hat. Daß die Klägerin dieser Beschäftigung wegen ihre ehelichen Verpflichtungen in irgendeiner Weise vernachlässigt hätte, ist nicht hervorgekommen. Der Beklagte hatte umso weniger einen Anlaß, mit einer Berufstätigkeit der Klägerin nicht einverstanden zu sein, als die finanziellen Verhältnisse der Parteien auch nach seiner eigenen Ansicht eher beengt waren (vgl. hiezu EFSlg. 48.751 sowie Schwind aaO). Die Klägerin hat daher bei Aufnahme ihrer Berufstätigkeit die gebotene Rücksichtnahme auf den Beklagten nicht verletzt. Es erweist sich deshalb die Revision des Beklagten als unberechtigt, während der Revision der Klägerin Folge zu geben und der Verschuldensausspruch des Erstgerichtes wiederherzustellen war. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E12596

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00686.87.1029.000

Dokumentnummer

JJT_19871029_OGH0002_0070OB00686_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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