TE OGH 1987/11/6 15Os148/87

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Veröffentlicht am 06.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.November 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Harald M*** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 23.Juli 1987, GZ 4 Vr 1517/87-13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, des Angeklagten und seines gesetzlichen Vertreters Hubert M*** sowie des Verteidigers Dr. Witt zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Harald M*** wird von der Anklage, er habe am 6.April 1987 in Gaisfeld Jürgen W*** durch einen Faustschlag vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, und zwar eine Refraktur des linken Schlüsselbeines, zur Folge gehabt habe, wodurch er das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB begangen habe, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der zur Tatzeit etwas weniger als fünfzehn Jahre alt gewesene (Haupt-) Schüler Harald M*** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, wobei ihm das Erstgericht in teilweiser Abweichung von dem im Spruch wiedergegebenen Anklagevorwurf lediglich eine vorsätzliche Mißhandlung und eine solcherart fahrlässige Herbeiführung der schweren Verletzung des Tatopfers anlastete.

Nach den hier wesentlichen Urteilsfeststellungen boxte der Angeklagte während einer Bahnfahrt den um etwa 1 1/2 Jahre jüngeren (Mittel-) Schüler Jürgen W***, der ihn hänselte, zwar ohne Verletzungs-, wohl aber mit Mißhandlungsvorsatz zunächst einige Male gegen den Körper, wobei der Mißhandelte in einem Zugabteil saß und er selbst vor ihm stand; schließlich versetzte er dem Genannten mit der Faust oder mit der flachen Hand einen mittelkräftigen Schlag gegen den Bereich des linken Schlüsselbeines, welches hiedurch, jedoch nur deshalb, weil ein dem Angeklagten nicht bekannt gewesener vorausgegangener Bruch dieses Knochens noch nicht ganz ausgeheilt war, neuerlich brach, nachdem W*** infolge des Schlages mit dem Rücken gegen die Wand des Abteils geprallt war.

Das Jugendschöffengericht vertrat die Ansicht, der Angeklagte hätte bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt einerseits erkennen können, daß sich das Tatopfer "beim Führen des Schlages durch ihn irgendwie abducken hätte können, um beabsichtigtermaßen dem Gefahrenbereich zu entgehen, dadurch aber erst recht in den Gefahrenbereich gelangen hätte können, und sich durch den Schlag am Körper verletzen konnte", und er hätte anderseits auch voraussehen können, daß W*** "auf Grund des gegen ihn geführten Schlages gegen einen festen Gegenstand im Bahnabteil fallen und sich hiebei zumindest leichte Verletzungen zuziehen hätte können"; daraus leitete es ab, daß "der Eintritt von auch nur leichten Verletzungen" als Folge der vorsätzlichen Mißhandlung des Genannten beim Aufbringen der nötigen Sorgfalt für ihn sehr wohl vorhersehbar gewesen sei, so daß er dessen schwere Verletzung fahrlässig herbeigeführt habe.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch kommt Berechtigung zu.

Gewiß indiziert eine vorsätzliche Mißhandlung in der Regel auch schon einen objektiven Sorgfaltsverstoß des Täters in bezug auf eine daraus entstehende Verletzung des Opfers (vgl SSt 47/1 ua); beim Eintritt schwerer - gleichwie überschwerer - (Verletzungs-) Folgen ist jedoch diese Schlußfolgerung nicht zwingend. Denn diesfalls erstreckt sich das Erfordernis einer - für die Zurechnung der Verletzungsfolge als fahrlässig herbeigeführt (§ 7 Abs. 2 StGB) vorauszusetzenden - objektiven Sorgfaltswidrigkeit des Täters speziell auch auf den schweren oder überschweren Grad der Verletzung: bei ener in Ansehung der qualifizierenden Tatfolge atypischen Ungefährlichkeit der Begehungsweise liegt diese Prämisse nicht vor (vgl Burgstaller im WK § 84 Rz 31, § 85 Rz 28, § 7 Rz 20, § 6 Rz 35 f.; EvBl 1979/118, 10 Os 11/87, 10 Os 146/85 ua). Ein qualifizierender Taterfolg ist nämlich dem Täter grundsätzlich nur dann als fahrlässig herbeigeführt zuzurechnen, wenn er für ihn - aus der ex-ante-Sicht eines seinen Verkehrskreisen angehörenden und mit seinem Sonderwissen ausgestatteten sachkundigen Beobachters - nach den Erfahrungen des täglichen Lebens voraussehbar, also der Tathandlung adäquat war und dementsprechend im Rahmen des von ihm eingegangenen Gefahrenrisikos lag (vgl EvBl 1980/40, SSt 49/51, 47/58, RZ 1976/52, SSt 46/67 ua); nur im Rahmen einer derart spezifischen objektiven Sorgfaltswidrigkeit in bezug auf § 84 Abs. 1 StGB, also einer objektiven Vorhersehbarkeit des Eintritts einer schweren Verletzung als Folge des konkreten Tatverhaltens, ist demnach die rechtliche Konsequenz aktuell, daß es auf die Vorhersehbarkeit des tatsächlichen Kausalverlaufs nicht ankommt (vgl EvBl 1983/145, SSt 53/43, 50/22, 10 Os 146/85 ua).

Die (gewiß zutreffende) Urteilsannahme, daß für den Angeklagten eine zumindest leichte Verletzung des Opfers als Folge seiner Tathandlungen vorhersehbar war, reicht demnach nicht dazu aus, ihm die in concreto schwere Verletzung des Jürgen W*** gemäß § 7 Abs. 2 StGB als fahrlässig herbeigeführt zuzurechnen; der Eintritt einer schweren Verletzung welcher Art immer aber war im konkreten Fall als Folge seines Tatverhaltens nach allen Erfahrungen des täglichen Lebens nicht zu erwarten, weil es außer dem - mangels eines Sonderwissens des Täters hievon (oder speziell darauf hinweisender besonderer Umstände) in die insoweit gebotenen Überlegungen nicht einzubeziehenden - Fall einer ungewöhnlichen körperlichen Beschaffenheit des Opfers (hier: in Form eines Zustands nach einem noch nicht vollständig ausgeheilten Schlüsselbeinbruch) nach allgemeiner Lebenserfahrung so gut wie ausgeschlossen ist, daß ein bloß mittelkräftiger Schlag mit der unbewaffneten Hand oder Faust gegen den Brust- oder Schulterbereich eines auf einer stabilen Bank sitzenden Vierzehnjährigen zu einer über eine leichte Verletzung des solcherart Mißhandelten hinausgehenden Beeinträchtigung von dessen körperlicher Integrität zu führen geeignet sein könnte.

Da mithin dem Beschwerdeführer die schwere Verletzung des Jürgen W*** nicht als eine fahrlässig herbeigeführte Folge seiner Tat anzulasten ist, letztere eine andere Verletzung des Genannten nicht nach sich zog und ein Versuch des Vergehens nach § 83 Abs. 2 StGB nicht in Betracht kommt, weil dieser Tatbestand die - mit dem Vorsatz-Erfordernis beim Versuch (§ 15 Abs. 1 StGB) unvereinbare - bloß fahrlässige Herbeiführung einer Körperverletzung voraussetzt (vgl ÖJZ-LSK 1978/21 ua), ist durch das inkriminierte Tatverhalten lediglich das Vergehen der Beleidigung nach § 115 Abs. 1 dritter Fall StGB verwirklicht worden, in Ansehung dessen ein zur Verfolgung erforderliches Verlangen des Verletzten (§ 117 Abs. 1 StGB) nicht vorlag (Z 9 lit c).

In Stattgebung der insoweit (der Sache nach) berechtigten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher sogleich ein Freispruch zu fällen, ohne daß es einer Erörterung des übrigen Beschwerdevorbringens bedarf.

Anmerkung

E12238

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0150OS00148.87.1106.000

Dokumentnummer

JJT_19871106_OGH0002_0150OS00148_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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