TE OGH 1987/11/10 2Ob58/87 (2Ob59/87)

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Veröffentlicht am 10.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Anna T***, Hausfrau, Sonnleiten 1, 5261 Uttendorf, vertreten durch Dr. Kurt Eckmair, Dr. Reinhard Neureiter, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei I*** I*** U***- UND

S***-A***, Tegetthoffstraße 7, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Johann Subarsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und S 606.859,32 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. Mai 1987, GZ. 18 R 36/87-49, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 25. November 1986, GZ. 29 Cg 717/85-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat der beklagten Partei die mit S 16.641,90 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.512,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21. Juni 1983 ereignete sich auf der Sonnleitner Bundesstraße im Gemeindegebiet von Helpfau-Uttendorf ein Verkehrsunfall, und zwar kam es bei Tageslicht zu einer Kollision, als die Klägerin mit ihrem Motorfahrrad nach links in einen Ortsweg einbog, während sie von Helmut H***, der einen bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW lenkte, überholt wurde. Hiebei erlitt die Klägerin schwere Verletzungen. Helmut H*** wurde in dem gegen ihn wegen dieses Unfalles eingeleiteten Strafverfahren freigesprochen. Die Klägerin begehrt zu 29 Cg 717/85 des Erstgerichtes die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Schäden aus dem Unfall und in dem damit verbundenen Rechtsstreit 29 Cg 754/86 einen Schadenersatzbetrag von S 606.859,32 sA. Sie brachte vor, sie habe den linken Blinker betätigt und, nachdem sie sich überzeugt habe, daß ein Abbiegevorgang möglich sei, zur Straßenmitte gelenkt. Den Lenker des PKWs treffe das Alleinverschulden, weil er eine absolut und relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und auf das Einbiegemanöver der Klägerin verspätet reagiert habe. Das Klagebegehren werde auch auf die Gefährdungshaftung des EKHG gestützt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aus seinen Feststellungen ist folgendes hervorzuheben:

Die Fahrbahn, deren Mitte durch eine Leitlinie gekennzeichnet ist, weist eine Breite von 4,85 m auf und war zur Zeit des Unfalles taufeucht. Die Klägerin hielt mit dem Motorfahrrad einen Seitenabstand von 50 bis 75 cm zum rechten Fahrbahnrand ein. Der in der selben Richtung fahrende Helmut H*** hatte Sicht auf 300 m, betätigte, da kein Gegenverkehr herrschte, den linken Blinker, betätigte die Lichthupe und schickte sich an, das Motorfahrrad zu überholen. Als er bereits im Überholen begriffen war, bemerkte er, daß die Klägerin die linke Hand "herausstreckte", nach links rückwärts blickte und in einem nach links lenkte und einbog. Helmut H*** konnte die Kollision nicht mehr vermeiden. Die Bremsausgangsgeschwindigkeit des PKWs betrug mindestens 93 km/h. Daß sie mehr als 100 km/h betragen hätte, konnte nicht festgestellt werden.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, der Klägerin sei der von ihr zu erbringende Beweis eines Verschuldens des PKW-Lenkers nicht gelungen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zu 29 Cg 717/85 S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und führte zur Rechtsfrage aus, besondere Umstände, die das Ausschöpfen der nach § 20 Abs 2 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nicht erlaubt hätten, seien nicht vorgelegen. Der PKW-Lenker habe bei der gegebenen Straßenbreite und Sicht das vor ihm fahrende Motorfahrrad mit einem ausreichenden Seitenabstand überholen können. Es habe für ihn keine Veranlassung bestanden, zusätzlich zur Betätigung der Lichthupe auch ein akustisches Signal zu geben. Daß die Verkehrssituation in irgend einer Weise unklar gewesen wäre und es Anhaltspunkte gegeben hätte, daß die Klägerin nach links in Richtung Ortsweg einbiegen werde, habe die Klägerin nicht vorgebracht. Auch eine verspätete Reaktion des PKW-Lenkers habe das Erstgericht nicht festgestellt. Demgegenüber sei die Klägerin eingebogen, ohne sich ausreichend zu vergewissern, ob dies gefahrlos möglich sein werde. Das eindeutige Verschulden der Klägerin und der Mangel jeglichen Beweises von Tatsachen, aus denen ein Verschulden des PKW-Lenkers abgeleitet werden könnte, schließe auch jeden Ausgleichsanspruch im Sinne des § 11 EKHG aus.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt Abänderung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise stellt die Klägerin einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Soweit die Klägerin rügt, alle Beweisergebnisse seien zu ihrem Nachteil gewürdigt worden, handelt es sich um eine in dritter Instanz unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung. Auf diese Ausführungen ist daher nicht einzugehen.

Für ein Verschulden der Beklagten trifft die Beweislast die Klägerin, weshalb im Rahmen der Verschuldenshaftung nicht aufklärbare Umstände zu ihren Lasten gehen. Aus diesem Grund kann nur von einer Geschwindigkeit des PKWs von 93 km/h ausgegangen werden. In der Einhaltung dieser Geschwindigkeit kann aber kein Verschulden erblickt werden. Die Fahrbahn war lediglich taufeucht, aber nicht naß, es herrschte kein Gegenverkehr und der Lenker des PKWs hatte Sicht auf 300 m. Für eine witterungsbedingte Sichtbehinderung besteht kein Anhaltspunkt. Der Umstand, daß Helmut H*** während des Überholvorganges die linke Fahrbahnhälfte benützen mußte, hat auf die Zulässigkeit der eingehaltenen Geschwindigkeit keinerlei Einfluß. Die Geschwindigkeit von 93 km/h kann auch nicht deshalb als schuldhaft überhöht angesehen werden, weil die Klägerin am rechten Fahrbahnrand mit dem Motorfahrrad fuhr. Der Überholvorgang konnte nämlich mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand durchgeführt werden und Helmut H*** durfte gemäß § 3 StVO darauf vertrauen, daß sich die Klägerin vorschriftsmäßig verhalten werde. Schließlich kann auch die Durchführung des Überholmanövers auf einer Kreuzung nicht zur Annahme eines Verschuldens des PKW-Lenkers führen. Ein Überholverbot im Sinne des § 16 Abs 2 lit c StVO bestand nicht. Dies gibt auch die Revisionswerberin zu, sie meint aber, diese Vorschrift lasse erkennen, daß das Überholen von Fahrzeugen auf Kreuzungen eine besondere Gefahrensituation schaffe, die darauf zurückzuführen sei, daß im Kreuzungsbereich eine unvorhergesehene Reaktion eines Verkehrsteilnehmers auftreten könne. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach ständiger Rechtsprechung diese Bestimmung nicht dem Schutz des Linksabbiegers, sondern dem des von rechts kommenden Querverkehrs dient (ZVR 1976/347, ZVR 1979/62, ZVR 1981/28, ZVR 1983/327 ua). Von einem Verschulden des Helmut H*** kann aus diesen Gründen nicht ausgegangen werden.

Im Rahmen der Haftung nach den Vorschriften des EKHG gehen Unklarheiten zwar zu Lasten der Beklagten, doch kommt ein Ausgleichsanspruch im Sinne des § 11 EKHG wegen des schwerwiegenden Verschuldens der Klägerin (Verstoß gegen die Vorschriften über das Linkseinbiegen) nicht in Betracht.

Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E12761

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00058.87.1110.000

Dokumentnummer

JJT_19871110_OGH0002_0020OB00058_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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