TE OGH 1987/11/12 6Ob579/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.1987
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Bauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Gerald K*** (früher S***), geboren 21. Mai 1972, Weerberg Nr. 50, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Schwaz als Amtsvormund, diese vertreten durch Dr. Friedrich Hohenauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Johann S***, Schlosser, Fiecht, Pax 124, vertreten durch Dr. Günter Maleczek, Rechtsanwalt in Schwaz, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 16. Jänner 1986, GZ 10 R 577/85-13, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Bezirksgerichtes Schwaz vom 26. August 1985, GZ 1 C 26/85-4, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Aus Anlaß des Rekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen sowie das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben. Die Klage wird zurückgewiesen.

Die Kosten des nichtigen Verfahrens sowie des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung:

Im Verfahren zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz begehrte der Kläger, den Beklagten als seinen Vater festzustellen und ihn zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 900 S zu verpflichten.

Der Beklagte bestritt, der Mutter des Klägers beigewohnt zu haben.

Das Erstgericht erkannte im Sinne dieses Klagebegehrens und stellte fest, der Beklagte habe mit der Mutter des Klägers in der Zeit vom 24. Juli 1971 bis 23. November 1971 regelmäßig geschlechtlich verkehrt. Der Beklagte sei aufgrund der Blut- und Erbmerkmale nicht als Vater ausgeschlossen, seine Vaterschaft sei vielmehr mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gegeben. Das Landesgericht Innsbruck änderte über Berufung des Beklagten das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es gelangte nach Beweiswiederholung zum Ergebnis, eine Feststellung, daß der Beklagte der Mutter des Klägers in der gesetzlichen Empfängsniszeit beigewohnt habe, könne nicht getroffen werden. Im Rahmen der Darstellung der Erwägungen zur Beweiswürdigung führte das Berufungsgericht dazu aus, daß auch die ermittelte Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft von 94,5 % unter einem Wahrscheinlichkeitswert von 99,9 % liege, welch letzterem Wert erst bei der Beweiswürdigung entscheidendes Gewicht beigemessen werden könnte. Eine Revision des Klägers gegen dieses Urteil blieb erfolglos (Akt C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz). Der Kläger begehrte mit der am 19. Juni 1985 eingebrachten Klage die Wiederaufnahme des Verfahrens zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz, in welchem seine Klage gegen den Beklagten wegen Feststellung der Vaterschaft und Leistung von Unterhalt abgewiesen worden war, sowie die Beseitigung der im Verfahren C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz ergangenen Urteile. Welche andere Entscheidung in der Hauptsache begehrt wird, wurde in der Klage nicht ausgeführt. Der Wiederaufnahmskläger brachte vor, im Verfahren zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz sei ein serologisches Gutachten eingeholt worden, das eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 94,5 % mit der Bewertung "Vaterschaft wahrscheinlich" ergeben habe. Am 4. Juni 1985 sei seinem gesetzlichen Vertreter (Amtsvormund) zur Kenntnis gelangt, daß im Verfahren zu 7 Cg 310/84 des Landesgerichtes Innsbruck neuerlich ein gerichtsmedizinisches Gutachten zur Vaterschaftsfrage eingeholt worden sei, das eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten von 99,95 % ("Vaterschaft praktisch erwiesen") erbracht habe. Das unterschiedliche Ergebnis erkläre sich daraus, daß es zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens im Rechtsstreit zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz, also im Jahre 1980 noch nicht möglich gewesen sei, die Untersuchungsergebnisse des HLA-Systems konkret in eine biostatische Erweiterungsberechnung mit einzubeziehen, was jedoch aufgrund wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse nunmehr möglich sei. Wäre bereits im früheren Verfahren die Möglichkeit dieser Berechnung gegeben gewesen und hätte das nach dieser Berechnung erstellte Gutachten benützt werden können, so wäre dieses Verfahren zugunsten der klagenden Partei entschieden worden. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er behauptete, die Klage zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz sei von den Rechtsmittelinstanzen deshalb abgewiesen worden, weil dem Kläger der Beweis des Geschlechtsverkehrs zwischen seiner Mutter und dem Beklagten nicht gelungen sei, weshalb vom Beklagten der Entkräftigungsbeweis gemäß § 163 Abs. 2 ABGB gar nicht zu führen gewesen sei. Es liege daher in einer neuen Untersuchungsmethode kein neues Beweismittel im Sinne des § 530 Abs. 1 Z 7 ZPO. Das Erstgericht wies das Begehren ab. Es legte seiner Entscheidung nachstehenden Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger brachte am 4. April 1978 beim Bezirksgericht Schwaz gegen den Beklagten eine Klage auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft und Leistung von Unterhalt ein. In diesem Verfahren wurde sowohl eine serologische als auch eine anthropologisch-erbbiologische Untersuchung durchgeführt. Das serologische Gutachten vom 21. April 1980 kam nach Untersuchung aller zum damaligen Zeitpunkt wissenschaftlich gesicherten Bluteigenschaften unter Einschluß des HLA-Systems zum Schluß, daß die Vaterschaft des Beklagten zum Kläger nicht auszuschließen sei, sondern für ihn vielmehr eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 94,5 % spräche. Das Erstgericht gab mit Urteil vom 6. April 1981 der Vaterschaftsklage statt. Das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht wies nach Beweiswiederholung das Klagebegehren mit Urteil vom 4. Februar 1982 mit der Begründung ab, eine Feststellung dahin, daß der Beklagte der Mutter des Klägers während der gesetzlichen Empfängsniszeit beigewohnt habe, habe nicht getroffen werden können. Diese Entscheidung wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 1. September 1982 bestätigt.

Rechtlich führte das Erstgericht hiezu aus, neue Untersuchungsmethoden zur Vaterschaftsfeststellung stellten keinen Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs. 1 Z 7 ZPO dar. Sei eine neue Methode zum Zeitpunkt des Vorprozesses noch nicht bekannt gewesen, dann hätte sie auch keine für den Wiederaufnahmskläger günstige Entscheidung herbeiführen können.

Das Landesgericht Innsbruck gab der vom Kläger gegen die Entscheidung erhobenen Berufung Folge, hob sie unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück.

Es führte aus, wohl vertrete ein Teil der Judikatur den Standpunkt, daß neue Untersuchungsmethoden der Vaterschaftsfeststellung nicht als Wiederaufnahmsgrund zu qualifizieren seien, da im Vorprozeß eine andere Entscheidung nicht hätte herbeigeführt werden können. Das Berufungsgericht halte jedoch die einem Teil der Rechtsprechung zuwiderlaufende Lehrmeinung Faschings für vertretbar und im Einklang mit der gesetzlichen Regelung des § 530 Abs. 1 Z 7 ZPO. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse könnten ein neues Beweismittel zum Nachweis einer Tatsache bilden, die bereits bei Schluß der Verhandlung im Vorprozeß vorhanden gewesen sei, wenn der Methode nach wissenschaftlichen Grundsätzen ein so verläßlicher Aussagewert zukomme, daß von ihr rechtlich erhebliche Ergebnisse erwartet werden könnten. Diese Ansicht werde auch von der Rechtsprechung teilweise vertreten. Sei durch die Möglichkeit die Ergebnisse der Untersuchung des HLA-Systems in die biostatische Berechnung der Vaterschaftswahrscheinlichkeit einzubeziehen, eine neue wissenschaftliche Methode gefunden worden, einen höheren Grad der Vaterschaftswahrscheinlichkeit zu ermitteln, als dies ohne Einbeziehung des HLA-Systems möglich gewesen sei, so sei hierin ein früher noch nicht verwendbares, weil noch nicht existentes, Beweismittel zu erblicken, das eine für den Wiederaufnahmswerber günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeiführen könnte. Die Klage im Vorprozeß sei deshalb abgewiesen worden, weil dem Kläger der Nachweis nicht gelungen sei, daß der Beklagte der Mutter des Kindes in der kritischen Zeit beigewohnt habe. Es seien seinerzeit die gegenteiligen Aussagen der Mutter, wonach eine solche Beiwohnung stattgefunden habe, und des Beklagten, der dies bestritten habe, einander gegenübergestanden. Unter anderem aufgrund der Ergebnisse der damaligen Vaterschaftswahrscheinlichkeitsberechnung, die nur eine Wahrscheinlichkeit von 94,5 % für für Vaterschaft des Beklagten ergeben habe, sei der Aussage der Mutter kein Glaube geschenkt und der Beweis der Beiwohnung als nicht erbracht angesehen worden. Hätte eine Berechnung nach wissenschaftlich gesicherten Methoden eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten von 99,95 % ergeben, so wäre eine andere, für den Kläger günstigere Beweiswürdigung und damit auch eine günstigere, nämlich klagestattgebende Entscheidung, zu erwarten gewesen. Das Erstgericht werde sohin in eine inhaltliche Überprüfung des Begehrens der Wiederaufnahmsklage einzutreten haben. Auf eine Behebung des Mangels des Begehrens werde hinzuwirken sein. Gegen diesen Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, ihn aufzuheben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

Die klagende Partei beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 532 Abs. 2 ZPO muß die Wiederaufnahmsklage beim Prozeßgericht erster Instanz, wenn aber nur eine in höherer Instanz erlassene Entscheidung von dem geltend gemachten Anfechtungsgrund betroffen wird, bei dem bezüglichen Gericht höherer Instanz angebracht werden. Bei Wiederaufnahmsklagen wegen neuer Tatsachen und Beweismittel kommt es darauf an, in welcher Instanz die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen abschließend festgestellt wurden. Das Berufungsgericht ist dann zuständig, wenn es die für die Wiederaufnahmsklage relevanten Beweisaufnahmen wiederholt oder ergänzt (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 2078) und auf dieser Grundlage die vom geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund betroffenen Feststellungen getroffen hat. Dies ist hier der Fall. Im Vorprozeß hat das Berufungsgericht nach Beweiswiederholung die Feststellung getroffen, daß die vom Kläger behauptete Beiwohnung nicht erwiesen sei, und ist damit zu einer vom Ersturteil abweichenden Feststellungsgrundlage gelangt. Gemäß § 532 Abs. 2 ZPO wäre daher die Wiederaufnahmsklage beim Berufungsgericht des Vorprozesses, sohin beim Landesgericht Innsbruck einzubringen gewesen. Bei den im § 532 ZPO enthaltenen Zuständigkeitsvorschriften für Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklagen handelt es sich um Fälle individueller Zuständigkeit. Ist die Wiederaufnahmsklage beim Berufungsgericht einzubringen, so ist damit aber nicht nur die sachliche oder örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage in erster Instanz festgelegt, sondern es ist damit auch eine wesentliche Veränderung des Instanzenzuges verbunden. Gemäß § 535 ZPO sind in diesem Falle in Ansehung der mündlichen Verhandlung, der Beweisführung und der Mitteilung der über die Klage gefällten Entscheidung an die erste Instanz, sowie in Ansehung der Anfechtbarkeit diejenigen Bestimmungen maßgebend, welche für das höhere Gericht als Rechtsmittelinstanz maßgebend wären. Die Zuständigkeitsnorm des § 532 Abs. 2 ZPO beinhaltet daher auch wesentliche Elemente der funktionellen Zuständigkeit. Das Berufungsgericht entscheidet wohl über die Wiederaufnahmsklage in erster Instanz, aus § 535 ZPO und der dort normierten Regelung des Rechtsmittelverfahrens ergibt sich jedoch, daß dem Berufungsgericht des Vorprozesses - abgeleitet vom Rechtszug des Vorprozesses - die funktionelle Stellung einer Rechtsmittelinstanz zukommt. Eine Sanierung der Unzuständigkeit des Erstgerichtes des Vorprozesses für eine bei diesem eingebrachte, gemäß § 532 Abs. 2 ZPO jedoch beim Berufungsgericht des Vorprozesses einzubringende Wiederaufnahmsklage gemäß § 104 Abs. 3 JN tritt nicht ein. Anliegen der Zivilverfahrens-Novelle 1983 in diesem Punkt war die Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung durch Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und Leerläufen infolge Unzuständigkeit (669 BlgNR XV. GP, Allgemeiner Teil, 25 und 26). Die Bestimmung wurde im Gesetz ausdrücklich auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit beschränkt, um die funktionelle Zuständigkeit davon auszuschließen (669 BlgNR XV. GP, 40, zu Art. I, Z 46). Damit ist eine Heilung einer Unzuständigkeit in Fällen nicht möglich, in denen wie bei der Wiederaufnahmsklage mit der Zuständigkeitsnorm eine unmittelbare Auswirkung auf das Rechtsmittelverfahren gegeben ist. Eine Bejahung der Heilung der Zuständigkeit auch in diesen Fällen würde zu dem vom Gesetzgeber zweifellos nicht beabsichtigten Ergebnis führen, daß mit der Heilung eine grundlegende Änderung des Instanzenzuges einträte. Anstelle des vom Gesetz vorgesehenen zweiinstanzlichen Rechtsmittelzuges stünde ein Dreiinstanzenzug zur Verfügung. Damit ginge eine Anwendung des § 104 Abs. 3 JN auf diese Fälle weit über die bloße Heilung einer Unzuständigkeit hinaus. Die in der Bestimmung des § 532 Abs. 2 ZPO beinhaltete Komponente der funktionellen Zuständigkeit steht daher einer Heilung der Unzuständigkeit gemäß § 104 Abs. 3 JN entgegen. Das Erstgericht ist zur Entscheidung über eine Wiederaufnahmsklage, die gemäß § 532 Abs. 2 ZPO beim Berufungsgericht einzubringen ist, unheilbar unzuständig.

Das Verfahren leidet daher unter dem Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z 3 ZPO, was aus Anlaß des Rekurses zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, der Entscheidung des Erstgerichtes sowie des diesen Entscheidungen vorangegangenen Verfahrens und zur Zurückweisung der Klage führen mußte (SZ 36/141).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 51 Abs. 3 ZPO. Da die unheilbare Unzuständigkeit des Erstgerichtes vom Beklagten nicht geltend gemacht wurde, sondern er sich ungeachtet des vorliegenden Nichtigkeitsgrundes in das Verfahren einließ und dieses ohne entsprechende Einrede fortführte, kann das Verschulden an der Durchführung des nichtigen Verfahrens nicht allein dem Kläger zugerechnet werden, sodaß die Kosten gegenseitig aufzuheben waren.

Anmerkung

E12346

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00579.86.1112.000

Dokumentnummer

JJT_19871112_OGH0002_0060OB00579_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten