TE OGH 1987/11/17 10ObS125/87

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Veröffentlicht am 17.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches und Claus Bauer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Smajl K***, Waasenhammergasse 1, 8700 Leoben, vertreten durch Dr. Herwig Trnka, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr. Kurt Scheffenegger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 1987, GZ. 8 Rs 1065/87-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Steiermark in Graz vom 10. April 1986, GZ. 9 C 216/85-12 (nunmehr 21 Cgs 98/87 des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes), abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Kreisgericht Leoben als Arbeits- und Sozialgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 21. Oktober 1985 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Leistung einer Invaliditätspension ab 1.August 1985 zu verpflichten. Er sei bis 1972 - mit Unterbrechung durch den Militärdienst - als Gelegenheitsarbeiter in Jugoslawien beschäftigt gewesen. Von 1972 bis 1981 habe er mit kurzen Unterbrechungen bei Baufirmen als Hilfsarbeiter, aber auch als angelernter Maurer gearbeitet. Er könne auf Grund seines Leidenszustandes seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit oder eine ähnliche Arbeit nicht mehr verrichten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger, der nach seinen eigenen Angaben im Jahre 1972 und von 1974 bis 1975 als Hilfsarbeiter, bis 1980 als Maurer, dies alles mit Unterbrechungen, gearbeitet habe, könne noch alle Arbeiten, die kein gutes Sehen erforderten, verrichten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß der (am 13.Juni 1936 geborene) Kläger noch leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, im Freien und in geschlossenen Räumen verrichten kann. Arbeiten, welche optimale Sehschärfe und stereoskopisches Sehvermögen erfordern, können nicht verlangt werden. Arbeiten in ständig gebückter Stellung sind um ein Drittel einer Tagesarbeitszeit zu kürzen, die Anmarschwege zur Arbeitsstätte sind gewährleistet. Dem Kläger sind bisher ausgeübte einfache Hilfsarbeiten zumutbar, auch auf exponierten Arbeitsplätzen, im Akkord-, im Produktions- und Fertigungsbetrieb. Es können nur durchschnittliche Anforderungen an die praktische Intelligenz gestellt werden. Der Kläger war in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung überwiegend als Maurer beschäftigt. Darüber hinaus hat er auch Hilfsarbeiten bei der Firma P***-B*** geleistet.

Bei einem Vergleich des medizinischen Leistungskalküls mit dem Berufsbild des Maurers "bzw. des angeführten Hilfsarbeiters" ergebe sich, daß der Kläger diese Arbeiten derzeit nicht mehr leisten könne. Er sei jedoch auf die Tätigkeit eines Retouchers verweisbar, daher nicht invalide "im Sinne des Gesetzes".

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und verurteilte die beklagte Partei zur Leistung einer Invaliditätspension ab 1.August 1985. Es stehe fest, daß der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend als Maurer gearbeitet habe. Ein gelernter oder angelernter Maurer, der seinen Beruf überwiegend ausgeübt habe, dürfe nur auf jene Erwerbstätigkeiten seiner Berufsgruppe verwiesen werden, die bei ihrer Ausübung den Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs 1 und Abs 2 ASVG im Rahmen des Maurerberufes weiter gewährleisteten. Es müsse sich bei diesen anderen Erwerbstätigkeiten nicht unbedingt um qualifizierte Maurertätigkeiten handeln, soferne diese nicht üblicherweise nur von ungelernten Kräften ausgeübt würden. Die Tätigkeit eines "qualifizierten" Retouchers erfordere über den Maurerberuf hinausgehende Kenntnisse, so etwa die Beurteilung, ob die beim Aufstellen auf der Baustelle beschädigten Betonplatten noch ausgebessert werden könnten oder ausgewechselt werden müßten. Dabei sei auch eine manipulative Tätigkeit erforderlich, die eine mittelschwere körperliche Anstrengung übersteigen könne. Das bloße Verschmieren von Ausbruchstellen an Fertigteilbaustücken im Anschluß an die industrielle Produktion noch im Bereich der Produktionsstätte, ohne Kontrolle und ohne Adjustieren der Platten auf der Baustelle, bedürfe jedoch keiner Maurerfachkenntnisse, weil diese Tätigkeit ungelernten Kräften überlassen bleibe. Weil der Kläger im Rahmen des Maurerberufes nicht mehr verweisbar sei - die Verweisung auf die Tätigkeit eines Retouchers sei nicht zulässig, weil es sich dabei entweder um Hilfsarbeiten ohne besondere Maurerkenntnisse oder um die Tätigkeit eines "qualifizierten" Retouchers, die über den Maurerberuf hinausgehende Kenntnisse erfordere, handle, ein Estrichleger müsse überwiegend in gebückter Haltung arbeiten,- sei der Berufung wegen der erhobenen Rechtsrüge im Rahmen der allseitigen rechtlichen Prüfung Folge zu geben. In ihrer gegen dieses Urteil wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision führt die beklagte Partei aus, das Berufungsgericht habe seiner Entscheidung zugrundegelegt, der Kläger sei überwiegend als Maurer beschäftigt gewesen, obwohl diese Feststellung des Erstgerichtes nur auf Grund eines mangelhaften Verfahrens, nämlich nur auf Grund der Angaben in der Klage und der darauf basierenden Äußerung des berufskundlichen Sachverständigen, der Kläger sei "offenbar überwiegend als Maurer beschäftigt gewesen" zustandegekommen sei. Im erstinstanzlichen Verfahren sei in keiner Weise erörtert worden, ob der Kläger sich durch praktische Tätigkeit die qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten eines Maurers erworben habe und ob er überhaupt in den letzten 15 Jahren überwiegend als (angelernter) Maurer tätig gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

Damit macht die beklagte Partei Feststellungsmängel geltend, die dem Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO zuzuordnen sind. Gemäß § 255 Abs 2 ASVG liegt ein angelernter Beruf vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausgeübt hat, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Die Frage, ob ein angelernter Beruf vorliegt, ist keine Tat- sondern eine Rechtsfrage. Grundlage für die Lösung dieser Frage bilden detaillierte Feststellungen über die Anforderungen, die an einen gelernten Arbeiter in diesem Beruf üblicherweise gestellt werden und andererseits über die Kenntnisse und Fähigkeiten, über die der Versicherte verfügt und wie er sie erworben hat (10 Ob S 73/87). Dazu aber fehlen Feststellungen des Erstgerichtes, das lediglich die Klagsbehauptungen übernimmt - die Behauptungen in den Einwendungen der beklagten Partei weichen hievon überdies ab - gänzlich. Durch die bloße Feststellung, der Kläger sei in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung überwiegend als Maurer beschäftigt gewesen, wird daher nicht nur die rechtliche Beurteilung, ob der Kläger den Beruf eines Maurers angelernt hat, ohne jedes Feststellungssubstrat vorweggenommen, sondern auch, wiederum ohne jede Feststellung der einzelnen Beschäftigungszeiten und der jeweils ausgeübten Art der Tätigkeit (selbst der Kläger gibt zu, zeitweilig bloß Hilfsarbeiter gewesen zu sein) unterstellt, daß die Tätigkeit als (offenbar gemeint angelernter) Maurer in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung überwogen habe. Im weiteren Verfahren wird daher genau zu klären sein, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten ein gelernter Maurer üblicherweise verfügt. Dann wird der genaue Inhalt der Arbeitstätigkeit des Klägers zu erheben sein, welche Kenntnisse, die von einem gelernten Maurer zu beherrschen sind, er tatsächlich erworben hat. Dabei wird auch die Dauer der Anlernzeit zu berücksichtigen sein. Sollte sich dann ergeben, daß der Kläger die Voraussetzungen für die Annahme einer Qualifikation als angelernter Arbeiter aufweist, sind weitere Feststellungen darüber notwendig, welche Versicherungszeiten des Klägers auf eine qualifizierte Tätigkeit entfallen und welche er als bloßer Hilfsarbeiter erworben hat. Erst dann kann abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger überhaupt Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG zukommt und welche Verweisungstätigkeiten für ihn auf Grund des medizinischen Leistungskalküls noch in Frage kommen.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E12414

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00125.87.1117.000

Dokumentnummer

JJT_19871117_OGH0002_010OBS00125_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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