TE OGH 1987/11/30 10ObS76/87

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Veröffentlicht am 30.11.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Johann Reiterer und Mag. Robert Renner als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ulrike Maria J***, 2500 Baden, Josefsplatz 1, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien,

Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Erich Proksch und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Mai 1987, GZ 33 Rs 92/87-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für NÖ in Wien vom 17.Dezember 1986, GZ 1 C 98/86-6 (4 Cgs 521/87 des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht) abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß die beklagte Partei schuldig ist, der Klägerin die Waisenpension ab 1.August 1986 weiter zu gewähren.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 2.357,85 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 214,35 S Umsatzsteuer) sowie die mit 2.829,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 257,25 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wiederholte im Schuljahr 1985/86 die 8.Klasse am Sportgymnasium Wr. Neustadt, weil sie die Maturanachprüfungen am 2. und 3.9.1985 nicht bestanden hatte. Am 16.1.1986 meldete sie sich vom Besuch dieses Bundesgymnasiums ab.

Die Externistenreifeprüfungskommission des Landesschulrates für Niederösterreich am Bundesrealgymnasium Baden ließ die Klägerin mit Entscheidung vom 30.1.1986 zur Externistenreifeprüfung zu, wobei als frühestmöglicher Termin der Hauptprüfung der Haupttermin 1985/86 (Mai schriftlich und Juni 1986 mündlich) unter der Voraussetzung festgesetzt wurde, daß die Klägerin bis dahin alle vorgeschriebenen Vorprüfungen erfolgreich abgelegt habe. Die Klägerin trat zur schriftlichen Reifeprüfung beginnend am 9.5.1986 an, schloß jedoch die vier schriftlichen Klausurarbeiten nur in einem Fall positiv ab und konnte daher die Reifeprüfung nicht fortsetzen. Als Wiederholungstermin wurde der zweite Nebentermin im Feber 1987 genannt. Von der Schulabmeldung am 16.1.1986 bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz besuchte die Klägerin keine Schule, sondern bereitete sich auf die einzelnen Prüfungen "privat" (teils mit Nachhilfe) vor.

Die beklagte Partei gewährte der Klägerin mit Bescheiden vom 19.8.1985 und 30.9.1985 die Waisenpension bis 31.7.1986. Mit Bescheid vom 7.7.1986 wies die beklagte Partei den Antrag der am 3.3.1967 geborenen Klägerin auf Weitergewährung der Waisenpension über das 18.Lebensjahr hinaus ab:

Mit der am 11.7.1986 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin unter Behauptung des oben dargestellten Sachverhaltes, die beklagte Partei zu verpflichten, ihr die Waisenpension ab August 1986 weiter zu gewähren.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin die bisher gewährte Waisenpension über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus weiter zu gewähren. Es führte dazu aus, daß zur Schul- und Berufsausbildung auch ein angemessener Zeitraum der Vorbereitung zur Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen zähle. Da die Klägerin die Externistenmatura nicht über eine Maturaschule, sondern an einer öffentlichen Schule abzulegen beabsichtige und diese Vorbereitung unmittelbar dem bisherigen Schulbesuche anschließe, seien die Voraussetzungen des § 252 Abs 2 ASVG gegeben. Der Sachverhalt sei im Ergebnis nicht anders gelagert, wie bei Wiederholung einer Schulklasse.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne einer Klageabweisung ab. Die Klägerin habe sich seit der Abmeldung vom Schulbesuch mit 16.1.1986 nicht mehr in Schulausbildung befunden, sondern sich im Selbststudium ohne Eingliederung in den Schulbetrieb auf die Vorprüfungen und die Externistenmatura vorbereitet. Damit habe sich die Klägerin ab 16.1.1986 nicht mehr auf die "entsprechenden" Abschlußprüfungen des Sportgymnasiums Wr.Neustadt vorbereiten können, sodaß auch diese Bestimmung keine Grundlage für das erhobene Begehren bieten könne. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern oder aber es aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Den Ausführungen zur Mängelrüge kann allerdings nicht beigetreten werden. § 492 Abs 1 ZPO sieht die Möglichkeit eines Verzichtes auf die mündliche Berufungsverhandlung vor, wobei das Gesetz normiert, daß dann, wenn weder der Berufungswerber in der Berufungsschrift noch der Berufungsgegner in der gemäß § 468 Abs 2 ZPO zur Erstattung der Berufungsbeantwortung offenstehenden Frist die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung ausdrücklich beantragt, angenommen wird, daß die Parteien auf die Anordnung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung verzichtet haben. Daß ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung von keiner der Parteien erfolgte, wird in der Revision nicht in Zweifel gestellt. Die Klägerin vertritt jedoch die Ansicht, daß das Berufungsgericht im Hinblick auf das in der Berufungsbeantwortung erstattete Vorbringen gemäß § 492 Abs 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen; in dieser Verhandlung wäre zu prüfen gewesen, ob das von der Klägerin praktizierte Selbststudium tatsächlich zur Ablegung der Reifeprüfung geführt habe. Der von der Klägerin relevierten Frage kommt, wie unten darzustellen sein wird, entscheidende Bedeutung nicht zu, wobei es sich dabei überdies um eine Tatsache handelt, die erst nach Schluß der Verhandlung eingetreten ist. Im Hinblick darauf, daß gemäß § 492 Abs 1 ZPO von einem Verzicht auch der Klägerin auf die Durchführung der mündlichen Berufungsverhandlung auszugehen ist, bildet die Unterlassung der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung durch das Berufungsgericht keinen Verfahrensmangel. Daß aber das Berufungsgericht die oben wiedergegebenen näheren Feststellungen über den Verlauf der schulischen Ausbildung der Klägerin ohne mündliche Berufungsverhandlung aus dem Anstaltsakt nicht hätte treffen dürfen (§ 498 Abs 1 ZPO), wurde in der Revision nicht gerügt.

Der Rechtsrüge kommt Berechtigung zu.

Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien knüpfte zur Auslegung des Begriffes "Schulausbildung" an die schulgesetzlichen Normen an. Dieses Tatbestandsmerkmal sei nur erfüllt, wenn die Ausbildung in Form eines schulischen Unterrichtes iSd § 2 PrivatschulG erfolge. Danach sei erforderlich, daß "eine Mehrzahl von Schülern gemeinsam nach einem festen Lehrplan unterrichtet wird", wobei "im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemeinbildenden und berufsbildenden Kenntnissen und Fertigkeiten ein erzieherisches Ziel angestrebt wird" (ZAS 1981, 67; idS auch ZAS 1979, 230; ZAS 1979, 231 ua.). Diese Rechtsansicht wurde insbesonders von Binder (ZAS 1979, 232 ff und ZAS 1981, 70 ff) kritisiert, der die Wortfolge "Schul- oder Berufsausbildung" als ein in sich geschlossenes Begriffsgebilde sieht; die Schulausbildung stelle in aller Regel nur eine Vorstufe zur späteren Berufsausbildung dar und es sei ihr grundsätzlich neben der Berufsausbildung keine selbständige Bedeutung beizumessen. Der Begriff der Berufsausbildung sei in diesem Zusammenhang weit zu fassen und nicht auf jene Ausbildung beschränkt anzusehen, die gelegentlich der Arbeitsleistung erfolge; auch eine Ausbildung im Rahmen eines Fernkurses erfülle daher die Voraussetzungen des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG, sofern es sich um Ausbildungen handle, die die Berufsaufnahme oder den Berufswechsel vorbereiten sollen und die Arbeitskraft des Auszubildenden "überwiegend" beanspruchen. Diese Frage kann jedoch im vorliegenden Fall unerörtert bleiben. Gemäß § 252 Abs 2 Z 1 erster Satz, zweiter Halbsatz ASVG zählt zur Schul- und Berufsausbildung auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades. Eine Einschränkung dahin, daß Voraussetzung für die Qualifikation einer Zeit der Vorbereitung auf eine Abschlußprüfung der dem regelmäßigen Studiengang entsprechende Schulbesuch wäre, läßt sich aus dieser Gesetzesstelle nicht entnehmen. Eine Begrenzung besteht lediglich dahingehend, daß die Vorbereitungszeit das angemessene Ausmaß nicht überschreiten darf. Bricht ein Schüler den Schulbesuch vor Beendigung der Abschlußklasse ab und bereitet sich in der Folge im Selbststudium auf die Abschlußprüfung vor, so besteht Anspruch auf Waisenpension für einen der Vorbereitung auf diese Prüfung angemessenen Zeitraum. Die Wahrung dieser zeitlichen Komponente ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Vorbereitungszeit keinen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt als dem vorgesehenen Studiengang bei Fortsetzung des Schulbesuches entspräche.

Die Klägerin besuchte bis 16.1.1986 die 8.Klasse des Sportgymnasiums Wr.Neustadt. Dem regelmäßigen Ausbildungsgang dieser Schule entspricht der Abschluß durch die Reifeprüfung, wobei der Sommertermin 1986 in Aussicht stand. Daß die Klägerin die 8.Klasse dieser Schule nicht bis zum Ende des - im Hinblick auf den Maturatermin - verkürzten Sommersemesters 1986 besuchte, hat den Wegfall der Voraussetzungen des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG nicht bewirkt. Sie hat sich nach Ende des Schulbesuches - nachdem sie bereits am 30.1.1986 zur Externistenreifeprüfung zugelassen worden war - auf den Abschluß vorbereitet, alle vorgeschriebenen Vorprüfungen erfolgreich abgelegt und ist zur Matura zu Ende des Sommersemesters angetreten, sohin zu einem Termin, der auch bei Fortsetzung des Schulbesuches für das Antreten zur Reifeprüfung vorgesehen war. Sowohl die Zeit von der Beendigung des Schulbesuches bis zum Reifeprüfungstermin Sommer 1986 wie auch die Zeit der Vorbereitung für die Wiederholung dieser Prüfung nach Reprobierung zu dem ihr gesetzten Nebentermin im Feber 1987 ist daher als angemessener Zeitraum zur Vorbereitung für die, der davorliegenden Schulausbildung der Klägerin entsprechende Abschlußprüfung zu qualifizieren. Diese Vorbereitungszeit die im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch nicht abgelaufen war - aus den Akten ergibt sich im übrigen, daß die Klägerin die Reifeprüfung im Wiederholungstermin bestanden hat und ihr die Waisenpension auf Grund ihres Studiums an der Universität Wien ab 1.3.1987 wieder zuerkannt wurde - verlängerte die Kindeseigenschaft der Klägerin im Sinne des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG, sodaß das erhobene Begehren zu Recht besteht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG.

Anmerkung

E12675

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00076.87.1130.000

Dokumentnummer

JJT_19871130_OGH0002_010OBS00076_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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