TE OGH 1987/12/2 9ObS23/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.12.1987
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Jürgen Mühlhauser als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ludwig B***, Angestellter, Gablitz, Hauptstraße 35 a, vertreten durch Dr. Heinz Wechsler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U*** (Landesstelle Wien),

Wien 20., Adalbert-Stifter-Straße 65, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Mai 1987, GZ 32 Rs 63/87-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien vom 7. November 1986, GZ 9 C 130/86-8 (9 Cgs 130/86 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23. Mai 1984 gewährte die beklagte Partei dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 10. August 1982 eine Dauerrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente. Diese Rentenleistung wurde mit Bescheid vom 28. Mai 1986 mit Wirkung ab 1. August 1986 entzogen.

Das Erstgericht wies das auf Weitergewährung der Rente über den 31. Juli 1986 hinaus gerichtete Begehren des Klägers ab, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehenden Sachverhalt zugrundelegte:

Der Kläger erlitt am 10. August 1982 einen Bruch der Elle des rechten Arms mit Verrenkung des Speichenköpfchens und Bruch des radialen Teiles des Oberarmkondyls. Nach operativer Behandlung erfolgte eine ideale knöcherne Heilung. Funktionell ist die Streckung des Ellbogengelenks mäßig, die Beugung minimal eingeschränkt, endgradig auch die Supination des Unterarms. Die grobe Kraft ist um eine Spur reduziert. Gegenüber dem Gewährungsbefund vom 3. Mai 1984 ist die Verdickung der körpernahen Hälfte des Unterarms geschwunden, die Konturen des Ellbogengelenks sind nicht mehr verstrichen. Das Einwärtsdrehen des Unterarms ist jetzt frei, (sie war damals endlagig eingeschränkt); die Excursionsbreite des Ellbogengelenkes hat in beiden Richtungen je 5 Grad zugenommen. Die damals vorhandene Abschwächung der Muskulatur um 5 mm zum Nachteil rechts ist nunmehr ausgeglichen; Gewöhnung und Anpassung sind eingetreten. Diese Besserungsmomente sind in ihrer Gesamtheit wesentlich. Die verbliebenen Restbehinderungen bedingen - bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt - eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. bezogen auf den 1. August 1986. Daraus folgerte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht, daß die Voraussetzungen für die Entziehungen der Rentenleistung erfüllt seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Da im Zustand des Klägers eine wesentliche Besserung eingetreten sei und die nunmehr vorliegende Minderung der Erwerbsfähigkeit nur mehr 10 v.H. betrage, sei das Erstgericht zutreffend zu einer klageabweisenden Entscheidung gelangt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 510

(3) ZPO).

Der Rechtsauffassung des Revisionswerbers, es wäre erforderlich gewesen, die Auswirkungen der Behinderung auf den vom Kläger erlernten und ausgeübten Beruf zu erheben und die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit berufsbezogen zu ermitteln, kann nicht zugestimmt werden. Die Begriffe "Erwerbsfähigkeit eines Versicherten und ihre Minderung", deren Feststellung in der Unfallversicherung Voraussetzung für die Bemessung der Rentenleistung ist, werden in den einschlägigen Vorschriften (insbesonders § 203 ff ASVG) nicht definiert; ebenso finden sich im Gesetz Regeln, wie die Minderung der Erwerbsfähigkeit festzustellen ist.

Die bisherige Judikatur des Oberlandesgerichtes Wien vertrat den Standpunkt, daß die Unfallversicherung keine Berufsversicherung sei (SVSlg. 27.244, 27.245 ua), ein Ergebnis, dem Schrammel (ZAS 1984, 84 ff, insbesonders 90 f) beigetreten ist. Einen abweichenden Standpunkt hat Tomandl (JBl 1977, 169 ff, insbesonders 171 f) vertreten. Unter Hinweis auf die im Verhältnis zu anderen Sparten besonders günstigen Regelungen der Unfallversicherung vertritt er die Auffassung, daß die allseits sichtbare Privilegierung der Unfallopfer im krassen Gegensatz zur Annahme stehe, daß das Gesetz ausgerechnet in der Verweisungsfrage engherzig sei. Die Anknüpfung der Unfallversicherung an die Pensionsversicherung zur Ermittlung des Begriffes der Erwerbsfähigkeit sei systemgerecht und daher geboten. Demgemäß müsse in der Unfallversicherung ein gestufter Begriff der Erwerbsfähigkeit Anwendung finden; jüngere Selbständige müßten sich auf alle selbständigen und unselbständigen Arbeiten verweisen lassen, deren Ausübung ihnen billigerweise im Hinblick auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zugemutet werden können; für ungelernte Arbeiter gelte das gleiche mit der Einschränkung, daß sie nur auf unselbständige Arbeiten verwiesen werden könnten; gelernte und angelernte Arbeiter, Angestellte und ältere Selbständige genössen dagegen Berufsschutz und könnten nur auf solche Berufe verwiesen werden, die eine ähnliche Ausbildung und gleichartige Fähigkeiten voraussetzen.

Dieser Auffassung vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen.

Der Schluß, daß das Wort "Erwerbsfähigkeit" im Sinn des § 203 ASVG gleichsam ein Oberbegriff sei, der eine Verweisung auf Bestimmungen enthalte, die für die verschiedenen Gruppen von Versicherten die Voraussetzungen für Pensionsansprüche wegen geminderter Arbeitsfähigkeit anordne, läßt sich aus dem Gesetz nicht ableiten. Die Unfallversicherung und die Pensionsversicherung erfüllen verschiedene Aufgaben. Während die im Rahmen der Unfallversicherung erbrachten Geldleistungen - mögen sie auch langfristig zu leisten sein - Entschädigungscharakter haben (§ 172 Abs 1 ASVG), liegt der Zweck der Pensionsversicherung in der Versorgung. Dies zeigt auch die Tatsache, daß als Geldleistungen aus der Unfallversicherung auch schon Rentenleistungen im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente vorgesehen sind, sohin Leistungen, die zur Versorgung keineswegs hinreichen, während in den Bestimmungen über die Pensionsversicherung - insbesonders im Ausgleichszulagenrecht - der Versorgungscharakter dieses Versicherungszweiges zutage tritt. Durch § 235 Abs 3 ASVG werden Arbeitsunfälle für den Bereich der Pensionsversicherung durch Entfall der für die Invaliditätspension und Erwerbsunfähigkeitspension bestehenden allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen privilegiert. Auch ohne Erfüllung der Wartezeit stehen in diesen Fällen Pensionsleistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu, wobei der Berufsschutz voll zum Tragen kommt. Aus der Tatsache, daß neben Leistungen aus der Unfallversicherung unter begünstigenden Voraussetzungen unter Umständen auch Leistungen aus der Pensionsversicherung vorgesehen sind, läßt sich nicht ableiten, daß die Bestimmungen über die besonderen Anspruchsvoraussetzungen bei Pensionsleistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit auf die Unfallversicherung übertragbar sind.

Das geltende Unfallversicherungsrecht ist im wesentlichen auf die RVO zurückzuführen, die vor Inkrafttreten des ASVG die Rechtsquelle dieses Bereiches war. Der Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit fand sich bereits in den vor der RVO in Österreich in Geltung gestandenen Gesetzen zu einem Zeitpunkt, als der Berufsschutz in der Pensionsversicherung noch kaum vertreten war. Die RVO verwendete die Begriffe "voll erwerbsunfähig" und "teilweise erwerbsunfähig". Diese wurden von der Judikatur vor Inkrafttreten des ASVG immer dahin ausgelgt, daß eine berufsbezogene Prüfung nicht stattzufinden habe. Grundlegend war die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes VwSlgNF 1074 A, wonach zur Ermittlung des Begriffes der Erwerbsfähigkeit die Bestimmung des § 1254 RVO (sie entsprach inhaltlich dem § 255 Abs 3 ASVG in der heute geltenden Fassung) analog anzuwenden sei und zwar auch bei Arbeitsunfällen von Angestellten, die zu diesem Zeitpunkt gemäß § 27 AngGVersG Berufsschutz genossen (siehe dazu auch Tomandl aaO, 170, Schrammel aaO, 90). In gleicher Weise ist das Bundessozialgericht bei damals gleicher Rechtslage wie vor Inkrafttreten des ASVG in Österreich in seiner Entscheidung vom 4. August 1955 (BSG Bd 1 S. 174) in Fortsetzung der Entscheidungspraxis des Reichsversicherungsamtes zum Ergebnis gelangt, daß in der Unfallversicherung der Grad der durch die Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nach dem Umfang der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu beurteilen sei, wobei nur zur Vermeidung unbilliger Härten Ausbildung und bisheriger Beruf des Verletzten angemessen zu berücksichtigen seien (in diesem Sinn auch Wander, Die Sozialversicherung 1963, 342, FN 17).

Auf die Bestimmung des § 1254 RVO wurde in der oben zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes nur zur Definition des Begriffes des allgemeinen Arbeitsmarktes zurückgegriffen, ohne daß damit eine analoge Anwendung von weiteren Bestimmungen der Pensionsversicherung, insbesonders der Bestimmungen über den Berufsschutz (§ 27 AngVersG), für zulässig erachtet wurde. Es kann davon ausgegangen werden, daß diese Judikatur dem Gesetzgeber des ASVG bekannt war. Trotzdem wird in den Gesetzesmaterialien zum ASVG (599 BlgNR VII, 62, 66 der Erl. Bem. ausgeführt, daß wesentliche Änderungen in diesem Bereich nicht für erforderlich gehalten werden; die Voraussetzungen für den Rentenanspruch sollten unverändert bleiben. Die RVO verwendete im § 559 a die Begriffe "voll erwerbsunfähig" und "teilweise erwerbsunfähig". Das ASVG kehrte wohl zu dem bereits vor Inkrafttreten der RVO im österreichischen Unfallversicherungsrecht verwendeten Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit zurück, der von der Judikatur im gleichen Sinn verstanden worden war. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß mit der neuerlichen Einführung des aus dem alten österreichischen Recht stammenden Begriffes in das ASVG eine Änderung des Begriffsinhaltes beabsichtigt worden wäre; es handelt sich um identische Begriffe, wie sich insbesonders in dem bereits erwähnten Inhalt der Gesetzesmaterialien dokumentiert, in denen der Gesetzgeber zum Ausdruck bringt, daß er in diesem Bereich die Beibehaltung der zuvor bestandenen Rechtslage beabsichtigte.

Auch in späteren Novellen zum ASVG, mit denen der schrittweise Ausbau des Berufsschutzes erfolgte (insbesonders in der 9., 35. und 39. ASVG-Novelle) wird in den Gesetzesmaterialien immer nur auf den Bereich der Pensionsversicherung Bezug genommen, ohne daß sich ein Hinweis des Gesetzgebers darauf findet, daß mit diesen Änderungen der Voraussetzungen für die Pensionsleistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit auch Änderungen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallvericherung herbeigeführt werden sollten. Die Ansicht, daß analog zu den für die Pensionsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit geschaffenen Bestimmungen auch die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung berufsbezogen zu prüfen sei, ist daher verfehlt. Die Bestimmungen über den Berufsschutz haben im Bereich der Unfallversicherung sohin nicht zur Anwendung zu kommen.

Die Erwerbsfähigkeit eines Menschen im Sinn des § 203 ASVG ist seine Fähigkeit, unter Ausnützung der Arbeitsgelegenheiten, die sich nach seinen gesamten Kenntnissen sowie körperlichen und geistigen Fähigkeiten auf dem ganzen Gebiet des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist abstrakt zu prüfen. Die durch die Gegenüberstellung der Durchschnittsverdienste in den Arbeitsmöglichkeiten, die dem Versicherten bis zum Eintritt des Versicherungsfalles offen standen, mit den Durchschnittsverdiensten in den ihm im Hinblick auf die Unfallfolgen verbleibenden Arbeitsmöglichkeiten ermittelte Veränderung bringt den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit in Prozenten zum Ausdruck (so auch Funk DRdA 1963 293 ff, insbesonders 294; Prähauser SoSi 1971, 332 ff, insbesonders 334). Tomandl (aaO, 173) bejaht grundsätzlich diese abstrakte Schadensberechnung, will sie jedoch nur zur Ermittlung der Restarbeitsfähigkeit nach dem Unfall angewendet wissen und postuliert für die Feststellung des Ausgangswertes (Erwerbsfähigkeit vor dem Schadensereignis) eine konkrete Einkommensfeststellung. Er vertritt die Ansicht, daß sich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit aus der Gegenüberstellung der konkreten Verdienstsumme vor dem Unfall mit den im Hinblick auf die Unfallfolgen abstrakt zu ermittelten Verdiensten ergebe. Ein Vergleich ist allerdings nur zwischen zwei gleichen Größen möglich. Die abstrakte Erwerbsfähigkeit eines Menschen vor der Schädigung kann nicht an seiner momentanen konkreten Einkommenshöhe gemessen werden. Der Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit reicht vielmehr weiter und umschreibt die Fähigkeit eines Menschen, sich auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens einen Verdienst zu verschaffen. Für die Ermittlung der Erwerbsfähigkeit vor und nach dem Unfall sind daher dieselben Grundsätze anzuwenden und es ist in beiden Fällen eine abstrakte Betrachtungsweise anzulegen. Die Tatsache, daß ein Verletzter vor dem schädigenden Ereignis einen über dem Durchschnittsverdienst liegenden Verdienst erzielte, findet in der Höhe der Bemessungsgrundlage und damit im betraglichen Ausmaß der Rente seinen Niederschlag. Über seine Erwerbsfähigkeit im Sinn des Gesetzes gibt diese Größe allein keine Auskunft. Die frühere Beschäftigungsart ist allerdings nicht völlig außer acht zu lassen. Zur Vermeidung von unbilligen Härten im Einzelfall ist auf die Ausbildung und bisherige berufliche Stellung angemessen Rücksicht zu nehmen. Dieser Grundsatz entspricht auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (etwa Wander aaO), wonach der bisherige Beruf des Unfallverletzten zur Vermeidung unbilliger Härten zu berücksichtigen sei.

Grundlage für die Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit bildet dabei regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen. Dabei hat sich die Fragestellung an den ärztlichen Gutachter auch über seine Meinung nach dem Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erstrecken. Dem Gericht bleibt dann die Aufgabe, aufgrund des Befundes, der Beurteilung und der Antworten auf die an den Sachverständigen gestellten Fragen nachzuprüfen, ob diese Schätzung und dieses Ergebnis zutreffen kann oder ob dabei wichtige Gesichtspunkte nicht berücksichtigt wurden und ein Abweichen von dieser ärztlichen Schätzung daher richtig und begründet ist (BSG vom 29. November 1956, Bd 4 S. 147). Tomandl (aaO 169) wendet dagegen ein, daß die sogenannte medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit mit einer Minderung der Erwerbschancen so gut wie gar nichts zu tun habe, sondern nur den Versuch bedeute, den Grad der Versehrtheit, also der allgemeinen Beeinträchtigung eines Menschen durch den Ausfall bestimmter Körperfunktionen, anzugeben. Dem ist entgegenzuhalten, daß die in Jahrzehnten entwickelten und angewendeten Richtlinien über die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Unfallverletzten, wie sie etwa in den Tabellen von Liniger-Molineus,

Der Rentenmann, nunmehr Mollowitz10, Der Unfallmann; für Österreich Krösl-Zrubecky, Die Unfallrente3) enthalten sind, Grundlage und Ausgangspunkt der Schätzung sein müssen (Wander, Die Sozialversicherung 1963, 340 ff insbesonders 343). Der Einwand, daß damit bloß der Grad der Versehrtheit beurteilt und über die Erwerbsfähigkeit keine Aussage getroffen werde, trifft nicht zu, weil die Richtlinien die Verhältnisse auf dem Gebiet des Erwerbslebens berücksichtigen. Bei ihrer Erstellung wird jeweils der Veränderung der Umwelt und damit des allgemeinen Arbeitsmarktes Rechnung getragen (Krösl-Zrubecky, Die Unfallrente3 V, VI). Die Verhältnisse des allgemeinen Arbeitsmarktes werden darin berücksichtigt, so daß den veränderten Anforderungen an den arbeitenden Menschen Rechnung getragen wird (Krösl-Zrubecky aaO, 7 f). Auch Mehrtens in Mollowitz, der Unfallmann10, 39, weist darauf hin, daß die Rentenbegutachtung im Kern Funktionsbegutachtung ist, die jedoch unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu erfolgen habe. Die Richtlinien nehmen daher auf die Verhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, der grundsätzlich das Verweisungsfeld auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung bildet, Bedacht. Die medizinische Einschätzung, die sich dieser Richtlinien bedient, berücksichtigt auf diese Weise auch die Auswirkung einer Unfallverletzung auf die Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die ärztliche Einschätzung, die unter Berücksichtigung dieser Komponenten erfolgt, bildet aber nicht die alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung. Zu prüfen bleibt, ob im Hinblick auf die besondere Situation im Einzelfall die Ausbildung und die bisherigen Berufe des Unfallverletzten zur Vermeidung unbilliger Härten angemessen zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung, ob ein derartiger Härtefall vorliegt, der ein Abweichen von der ärztlichen Einschätzung geboten erscheinen läßt, und in welchem Umfang dem bei Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit Rechnung getragen werden muß, ist Gegenstand der rechtlichen Beurteilung.

Nach den Klagsbehauptungen übt der Kläger den von ihm erlernten Beruf eines Radio- und Fernsehtechnikers weiterhin aus. Allein dieser Umstand spricht dagegen, daß ein Härtefall vorliegt, der ein Abgehen von der medizinischen Einschätzung rechtfertigen würde. Weitere Erhebungen über berufsspezifische Fragen erübrigen sich daher.

Ausgehend davon, daß zufolge einer Besserung der Unfallsfolgen die Minderung der Erwerbsfähigkeit beim Kläger nunmehr 10 v.H. beträgt, ergibt sich, daß die Voraussetzungen für die Entziehung der Rentenleistung vorliegen.

Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 2 Z 1 lit b. ASGG; Umstände, die einen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht noch sind solche Gründe aus dem Akt ersichtlich.

Anmerkung

E12892

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:009OBS00023.87.1202.000

Dokumentnummer

JJT_19871202_OGH0002_009OBS00023_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten