TE OGH 1987/12/15 10ObS62/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.12.1987
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Joklik und Dr. Klenner in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut H***, Metallarbeiter, 1030 Wien, Gänsbachergasse 3/16, vertreten durch Dr. Wilfried Lefford, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A*** (Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Kurt Scheffenegger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. April 1987, GZ 32 Rs 33/87-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien, vom 3. November 1986, GZ 7 b C 334/85-40 (nunmehr 7 b Cgs 334/85 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die mit S 2.829,75 (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 12. September 1985 lehnte die Beklagte den Antrag des am 29. Juli 1938 geborenen Klägers auf Invaliditätspension vom 1. Juli 1985 ab, weil der Kläger nicht invalid im Sinne des § 255 ASVG sei.

In der dagegen am 11. November 1985 erhobenen Klage behauptete der Kläger ua., den seit März 1976 überwiegend ausgeübten Beruf eines Drehers nicht mehr ausüben zu können. Seinen bis dahin ausgeübten erlernten Beruf als Stahlbauschlosser habe er wegen einer Augenbehinderung aufgeben müssen. Er begehrte daher, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm eine Invaliditätspension ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte im wesentlichen fest:

Der seit wenigen Wochen nach seiner Geburt einäugige Kläger erlernte von September 1952 bis August 1955 das Schlossergewerbe und machte auch die Gesellenprüfung. Während der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag gelegenen 55 Beitragsmonate arbeitete er mehr als 34 Monate im erlernten Beruf als Schlosser, konnte aber wegen seiner Einäugigkeit seit 1978 vom Arbeitsamt nicht mehr vermittelt werden. Vom 22. April bis 14. Juli 1985 arbeitete er als Dreher. Der Kläger kann seit der Antragstellung leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen mit den üblichen Unterbrechungen leisten, die kein beidäugiges Sehen, kein andauerndes Anheben und Tragen von Lasten, kein Arbeiten über Kopfhöhe, keine extreme Exkursion des Kopfes, kein Besteigen von Leitern und Gerüsten und keine Feinstmanipulationen verlangen. Diese Leistungsfähigkeit würde - abgesehen von dem aus berufskundlicher Sicht unbedingt erforderlichen beidäugigen Sehen - z.B. noch für die Tätigkeiten eines Stahlbauschlossers im Rahmen der industriellen Fertigung von Konstruktionsteilen, im Rahmen der Teilefertigung für Antriebs- und Vortriebsmaschinen und im Rahmen der Fertigung von Schaltkästen und Schaltpulten ausreichen. Sowohl für den Beruf des Stahlbauschlossers als auch des Drehers ist beidäugiges und somit räumliches Sehen Voraussetzung, weil das etwa für das Einpassen von Konstruktionsteilen, das Anreißen von Teilen und für die Kontrolle von Schweißarbeiten notwendig ist. Bei Einstellungsarbeiten ist auf hundertstel Millimeter Rücksicht zu nehmen. Einäugige finden auf dem Arbeitsmarkt als Schlosser oder Dreher nur bei besonderem Entgegenkommen und einer über der Norm liegenden sozialen Einstellung des Dienstgebers Anstellung.

Daraus zog das Erstgericht den rechtlichen Schluß, daß der überwiegend im erlernten Schlosserberuf tätig gewesene Kläger invalid im Sinne des § 255 (Abs 1) ASVG sei. Daß er schon seit Kindheit einäugig sei und als Einäugiger den Stahlbauschlosserberuf erlernt und ausgeübt habe, sei als subjektives Element unbeachtlich. Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil durch Abweisung des Klagebegehrens ab. Gehe man davon aus, daß der Kläger wegen seiner Einäugigkeit für den Beruf eines Schlossers von Anfang an ungeeignet gewesen sei und dies auch heute das wesentliche Hindernis für die Ausübung der erlernten Tätigkeit darstelle, dann sei er nicht invalid im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG. Das in dieser Gesetzesstelle verwendete Wort "herabgesunken" sei so auszulegen, daß der Anspruch auf Invaliditätspension eine Verschlechterung der für die Arbeitsfähigkeit maßgeblichen Umstände gegenüber einem früheren Zustand voraussetze. Diese Bedingung sei nur erfüllt, wenn jemand, der ursprünglich in der Lage gewesen sei, eine erlernte oder angelernte Tätigkeit auszuüben, infolge einer negativen Veränderung im körperlichen oder geistigen Bereich außerstande gesetzt werde, einer geregelten Beschäftigung in diesem Beruf nachzugehen, der er früher nachgehen hätte können. Da der Kläger zur Ausübung des Berufes eines Stahlbauschlossers nie in der Lage gewesen sei, könne der Eintritt des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht danach beurteilt werden, ob er zur Ausübung dieses Berufes noch in der Lage sei. Die Invalidität des Klägers sei daher nicht nach § 255 Abs 1 ASVG, sondern nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle zu beurteilen und zu verneinen, weil er noch als Tagportier und unqualifizierter Fertigungsprüfer tätig sein könne. Dagegen richtet sich die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit, mangelhafter Sachverhaltsfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit (§ 503 Abs 1 Z 3 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Mit seinen Ausführungen über seine Krankenstände versucht der Revisionswerber unzulässigerweise, die vom Erstgericht aufgrund der Gutachten der ärztlichen Sachverständigen getroffenen Feststellungen über seinen körperlichen und geistigen Zustand und seine Arbeitsfähigkeit seit dem Stichtag zu bekämpfen. Aus den erwähnten Gutachten ergibt sich wohl, daß die Arbeitsfähigkeit seit der Antragstellung eingeschränkt ist, es fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt dafür, daß mit so häufigen und langdauernden Krankenständen gerechnet werden müßte, welche die restliche Arbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt praktisch unverwertbar machen würden. Auch die Rechtsrüge ist nicht begründet.

Aus den im § 255 ASVG formulierten Invaliditätsbegriffen: "wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes ... herabgesunken ist" (Abs 1 und 5) bzw. "wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine (diese) Tätigkeit wenigstens ein (bestimmtes Mindest-)Entgelt zu erwerben" (Abs 3 und 4) ergibt sich, daß die Voraussetzungen dieser Gesetzesstellen, bei denen es um einen Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit geht, nur dann vorliegen, wenn sich der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn der Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert hat. Ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand kann daher bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalles führen (so auch E 6. Oktober 1987, 10 Ob S 44/87).

Daraus folgt, daß die schon wenige Wochen nach der Geburt des Klägers durch Verlust des rechten Auges eingetretene und im wesentlichen unveränderte Beeinträchtigung der Sehfähigkeit - aus dem wiederholt ergänzten Gutachten des Sachverständigen für Augenheilkunde ergibt sich, daß die jahrzehntelange Gewöhnung an die Einäugigkeit durch die hinzugekommene, aber durch Brille praktisch auf normales Sehvermögen kompensierbare Alterssichtigkeit des linken Auges nicht beeinträchtigt ist - bei der Beurteilung, ob der Kläger invalid geworden ist, nicht berücksichtigt werden darf. Sieht man aber von seiner Einäugigkeit ab, dann reicht die Arbeitsfähigkeit des Klägers für die weitere Ausübung des Schlosserberufes, den er - soweit es ihm als Einäugigem möglich war - erlernt und überwiegend ausgeübt hat, aus, weshalb er nicht als invalid im Sinne des § 255 ASVG gilt.

Soweit die Rechtsrüge nicht von der festgestellten Arbeitsfähigkeit und dem festgestellten Gesundheitszustand ausgeht, ist sie nicht gesetzgemäß ausgeführt.

Die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz über die Verfahrenskosten kann als Entscheidung über den Kostenpunkt auch in einer Sozialrechtssache nicht angefochten werden (§ 528 Abs 1 Z 2 ZPO), so daß auf die diesbezüglichen Rechtsmittelausführungen nicht sachlich einzugehen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b und Abs 2 ASGG.

Anmerkung

E12666

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:010OBS00062.87.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19871215_OGH0002_010OBS00062_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten