TE OGH 1987/12/21 13Os165/87

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Veröffentlicht am 21.12.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Dezember 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Mitterhöfer als Schriftführers in der Strafsache gegen Ing. Helmut O*** wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs. 1 StGB. über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 18. September 1986, AZ. 26 Bs 386/86, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Ersten Generalanwalts Dr. Nurscher, des Angeklagten Ing. Helmut O*** und des Verteidigers Dr. Pucher zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Ing. Helmut O*** wurde vom Kreisgericht Krems an der Donau zu 10 E Vr 283/82 des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt, weil er am 22. März 1982 vor dem gleichen Gericht im Verfahren 10 E Vr 278/81 als Zeuge falsch ausgesagt hat, indem er deponierte: "Es war ausgemacht, die" - gemeint: Firma L*** - "machen das zu einem Pauschalpreis von 60.000 S".

Ing. Helmut O*** hatte Josef L*** im Sommer 1974

ersucht, ein Anbot für die Errichtung eines Brunnens zu erstellen. Dieses lautete auf 100.000 S. Nach Verhandlungen gewährte L*** einen Nachlaß von 10.000 S. Ing. O*** vermerkte auf dem Anbot: "Pauschale ohne Mehrwertsteuer vereinbart, S 60.000 fertiger Brunnen", ohne daß dies tatsächlich vereinbart worden wäre. Im Verfahren 4 Cg 246/75 des Kreisgerichts Krems an der Donau, in welchem L*** seine Forderung einklagte, wurde Helmut O*** jun. als Zeuge vernommen; dieser behauptete die Vereinbarung eines Gesamtpreises und wurde deshalb im Verfahren 10 E Vr 278/81 des Kreisgerichts Krems an der Donau des Vergehens nach § 288 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt; das Oberlandesgericht Wien bestätigte den Schuldspruch (27 Bs 558/82). Im Verfahren 10 E Vr 278/81 wurde Ing. O*** als Zeuge vernommen und legte die eingangs wiedergegebene Zeugenaussage ab. Josef L*** konnte im verfahrensgegenständlichen Strafverfahren (10 E Vr 283/82) nicht als Zeuge einvernommen werden, weil er in den Jahren 1979, 1985 und 1986 insgesamt drei Infarkte erlitten hatte und jede geringste Aufregung ein hohes Rückfallsrisiko bedeute. Gemäß § 252 Abs. 1 Z. 1 StPO. wurde aber die im Verfahren 10 E Vr 278/81 des Kreisgerichts Krems an der Donau abgelegte Aussage L*** in der Hauptverhandlung (10 E Vr 283/82) verlesen; dies zwar gegen den Widerspruch des Beschuldigten, der aber insoweit eine Entscheidung des Gerichtshofs nicht beantragt hat.

Der Angeklagte Ing. O*** hat gegen den Schuldspruch Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld erhoben, welcher das Oberlandesgericht Wien (26 Bs 386/86) nicht Folge gab.

Unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 4 StPO. rügte er die Abweisung mehrerer Beweisanträge. Das Berufungsgericht verwarf die Verfahrensrüge. Die Einwände zum Nichtigkeitsgrund der Z. 5 erachtete es als unbegründet, die Ausführung der Rechtsrüge (Z. 9 lit. a) wurde als prozeßordnungswidrig angesehen.

Mit der Schuldberufung rügte der Angeklagte zunächst, daß das Ersturteil keine Ausführungen zur subjektiven Tatseite enthielte. Auf diesen Einwand ging der Gerichtshof zweiter Instanz zwar nicht ein, er ist aber unbegründet (S. 159 Abs. 3 des Ersturteils) und nicht Gegenstand der Beschwerde des Generalprokurators. Die restliche Schuldberufung enthält neues Vorbringen, dem das Oberlandesgericht keine Berechtigung zuerkannte. Im einzelnen wurde behauptet:

a) L*** fahre mit einem Personenkraftwagen Rover zur Jagd, er fahre auch privat wiederholt mit einem Mercedes nach Ungarn und Jugoslawien, obwohl er angeblich geschont werden müsse; im Mai 1985 sei er noch auf diverse Baustellen gekommen, er sei sehr wohl vernehmungsfähig und habe ähnliche Geschäftsabschlüsse wiederholt getätigt. Als Beweismittel wurden angeboten der Inhalt der Akten 6 St 1433/86 der Staatsanwaltschaft Krems, die Zeugenaussagen des Rechtsanwalts Dr. S*** aus Perg sowie der Amtsärzte Dr. K*** und Dr. H***, Perg;

b) der Angeklagte habe beim Landesgericht Linz ein Schadenersatzverfahren gegen L*** "eingeleitet". Zum Beweis hiezu wurde die Beischaffung der Akten 10 Cg 189/86 des Landesgerichts Linz beantragt;

c) L*** hinterlasse keinen kranken Eindruck und sei bis Mai 1985 voll im Betrieb tätig gewesen. Als Beweis hiezu wurden die Zeugen A***, K***, M***, F***, G***,

H***, K*** und L*** geführt;

d) L*** habe entsprechende Geschäftspraktiken ähnlicher Natur wie mit der Firma des Angeklagten abgewickelt. Als Beweis wurden verschiedene Zivilakten des Bezirksgerichts Perg, des Kreisgerichts Steyr, des Bezirksgerichts Wels sowie des Bezirksgerichts Linz aus den Jahren 1976 bis 1980 beantragt. Das Berufungsgericht hat zur vom Erstgericht angenommenen Vernehmungs(un)fähigkeit L*** dem Berufungswerber

entgegnet, daß dieser die zwischenzeitigen Infarkte, die der Zeuge erlitten hatte, übersehe, sodaß dessen Lebensverhältnisse im Sommer 1985 nicht mehr relevant seien. Dazu komme die Auskunft Dris. H*** vom 12. September 1986, nach welcher auch derzeit keine wesentliche Änderung des gefährdeten Gesundheitszustands des Zeugen eingetreten sei.

Auch die Akten 6 St 1433/86 der Staatsanwaltschaft Krems und 10 Cg 189/86 des Landesgerichts Linz ließen keine Änderung der Beweisgrundlage zugunsten des Angeklagten erwarten, weil sie zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt anhängig gemacht worden seien und keine neuen Gesichtspunkte für die Schuldfrage erkennen ließen. Hinsichtlich der beizuschaffenden Akten hat der Gerichtshof zweiter Instanz eine stichprobenweise Überprüfung der in der Berufungsschrift angeführten Zivilakten vorgenommen und daraus nicht den geringsten Hinweis für die Richtigkeit des beantragten Beweisthemas gefunden; solcherart wurde auch dieser Beweisantrag abgelehnt.

Die Generalprokuratur vermeint, das Urteil des Oberlandesgerichts stehe mit dem Gesetz nicht im Einklang und führt in der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde insbesondere aus:

"Durch die Ablehnung der von der Verteidigung zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Josef L*** angebotenen Beweise sind nämlich Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt worden, die der Sicherung der Verteidigung dienen sollten. Denn diese Beweisanträge liefen, kurz zusammengefaßt, darauf hinaus, die mangelnde Verläßlichkeit der Aussagen des Zeugen Josef L*** über die bei Vertragsabschluß angeblich

getroffene Vereinbarung eines Pauschalpreises unter Beweis zu stellen. Derartige Beweisaufnahmen auf breitester Grundlage (und damit die Nutzung angebotener Erkenntnisquellen, aus denen sich zur Frage des Beweiswertes eines für den Angeklagten nachteiligen Verfahrensergebnisses Sachdienliches gewinnen läßt) sind angesichts des Prinzips der Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. §§ 3, 232 Abs. 2, 254 StPO.) bei einer die Verfassungsnorm des Art. 6 MRK., insbesondere die Erfordernisse eines fairen Verfahrens beachtenden Auslegung der Prozeßgesetze zur Gewährleistung einer umfassenden und effektiven Verteidigung namentlich stets dann notwendig und unverzichtbar, wenn es dem Angeklagten aus zwingenden Gründen verwehrt bleibt - wie hier z.B. wegen Krankheit des (einzigen) Belastungszeugen -, einen ihn entlastenden Beweis unmittelbar vor dem erkennenden Gericht zu führen. Die verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Regelungen zur Garantierung und Sicherung eines fairen Prozesses nach Art. 6 Abs. 1 MRK. erfordert unter gebührender Berücksichtigung der in Art. 6 Abs. 3 MRK. umschriebenen Grundsätze eine größtmögliche Beachtung all jener Beweisanträge, die sinnvoll und durchführbar angeboten werden, um die Schuld oder die Unschuld des Angeklagten zu erweisen (siehe dazu 11 Os 24, 25/87 = RZ. 1987/62). Im vorliegenden Verfahren hätte der Umstand, daß der Belastungszeuge Josef L*** vor dem erkennenden Gericht nicht vernommen werden konnte (und sich auch einer gerichtsärztlichen Untersuchung entzogen hat), jedenfalls für das Berufungsgericht Anlaß geben müssen, die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen besonders genau zu überprüfen und alle darauf abzielenden - auch in der Berufungsschrift

neuerlich - angebotenen Beweise durchzuführen, um solcherart dem Fairnessgebot des Art. 6 MRK. zu entsprechen.

Rechtliche Beurteilung

Dem Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht unterlief daher infolge der ungerechtfertigten Verweigerung weiterer Beweisaufnahmen (§ 3 StPO.) die nachstehend bezeichnete Gesetzesverletzung, die dazu führte, daß dem Angeklagten - zu dessen Nachteil - ein dem Art. 6 MRK. genügendes faires Verfahren verwehrt wurde."

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Nach dem Wortlaut der Beschwerde erblickt diese lediglich in der Nichtdurchführung der in der Schuldberufung angebotenen neuen Beweise eine Gesetzesverletzung, nicht in der Erledigung der Verfahrensrüge, denn diesfalls müßte auch die Nichtdurchführung der im erstinstanzlichen Verfahren angebotenen Beweise durch den Einzelrichter als eine Gesetzesverletzung angesehen werden; die Beschwerde macht aber lediglich eine Gesetzesverletzung im Urteil des Berufungsgerichts geltend. Dazu kommt, daß die Beschwerde lediglich "die Ablehnung der von der Verteidigung zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen L*** angebotenen Beweise" releviert, abgelehnt hat der Gerichtshof zweiter Instanz aber nur die in der Schuldberufung beantragten Beweisaufnahmen, indem er dieser Berufung den Erfolg versagte. In Erledigung der Verfahrensrüge wurden keine angebotenen Beweise abgelehnt, sondern die Einwände gegen die Nichtdurchführung beantragter Beweise durch das Erstgericht als nicht stichhältig angesehen. Der Vollständigkeit halber sei jedoch hiezu vermerkt, daß der Oberste Gerichtshof in der Erledigung der den Grund des § 281 Abs. 1 Z. 4 StPO. relevierenden Nichtigkeitsberufung eine Gesetzesverletzung nicht erblicken kann. Dem Wortlaut und Sinngehalt der Schuldberufung nach wird in diesem Rechtsmittel nichts vorgebracht, was ersichtlich auf die Unglaubwürdigkeit der Aussagen des Zeugen L*** sen. abzielt. Daß dieser im Mai 1985 gearbeitet habe und auf Baustellen gefahren sei, daß er (zu nicht genannten Zeiten) mit einem Personenkraftwagen zur Jagd nach Ungarn und Jugoslawien gefahren sei, daß er im Mai 1985 auf diversen Baustellen gearbeitet habe, daß gegen ihn ein Schadenersatzverfahren "eingeleitet" worden sei, daß er keinen kranken Eindruck hinterlassen und daß er entsprechende Geschäftspraktiken ähnlicher Natur abgewickelt habe, zielt insgesamt nicht darauf ab, daß die den Angeklagten belastenden Angaben L*** falsch oder auch nur unverläßlich wären. Der Berufung ist an keiner einzigen Stelle eine derartige Behauptung zu entnehmen. Daß das Oberlandesgericht sich aber mit der Behauptung in der Schuldberufung, L*** habe "ähnliche Geschäftsabschlüsse wiederholt getätigt" (was damit gemeint ist, kann dahingestellt bleiben), nicht auseinandersetzte, wird von der Beschwerde als Gesetzesverletzung nicht aufgegriffen.

In dem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das Berufungsgericht entgegen der in der Beschwerde geäußerten Ansicht keineswegs gegen Art. 6 Abs. 1 und 3 MRK. verstoßen hat. Auf Grund der vom Obersten Gerichtshof in jüngster Zeit entwickelten Rechtsprechung (11 Os 24, 25/87 und 14 Os 81/87 = Rz. 1987, Seiten 227 bis 230; 13 Os 40/87; 15 Os 160/87), von der abzugehen kein Anlaß besteht, erfordern die Vorschriften über die materielle Wahrheitsfindung gerade dann, wenn ein Belastungszeuge in der Hauptverhandlung nicht einvernommen werden kann, daß Beweisanträge, die geeignet sein können, die Richtigkeit der verlesenen Aussage des nicht in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen in Zweifel zu ziehen, auf breitester Basis durchzuführen sind. Indessen wurde weder von der angeführten Rechtsprechung noch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Frage gestellt, daß die Gerichte jeden Beweisantrag auf seine Erheblichkeit prüfen können (vgl. EuGRZ. 1987 S. 147 ff.).

Vorliegend hat sich das Erstgericht jahrelang bemüht, den Belastungszeugen stellig zu machen, es ist dabei den von der Verteidigung vorgebrachten Argumenten weitgehend nachgegangen. Wenn sodann der Gerichtshof zweiter Instanz den im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Beweisanträgen in Erledigung der Nichtigkeitsberufung die Relevanz und den in der Schuldberufung angebotenen Beweismitteln die Stichhaltigkeit absprach, ist es seiner im § 473 Abs. 2 StPO. normierten Überprüfungspflicht nachgekommen, es hat dabei aber in keiner Weise die im Art. 6 Abs. 1 und 3 lit. d MRK. normierten Rechte des Angeklagten verletzt. Nach der Lage des Falls war das Oberlandesgericht nicht gehalten, weitere Beweise durchzuführen oder durchführen zu lassen, weil solche, die geeignet wären, die Beweiskraft der Anklagegrundlagen, insbesondere der verlesenen Aussage des Zeugen L*** abzuschwächen oder gar zu widerlegen, weder angeboten noch indiziert waren.

Die Beschwerde mußte daher verworfen werden.

Anmerkung

E16129

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0130OS00165.87.1221.000

Dokumentnummer

JJT_19871221_OGH0002_0130OS00165_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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