TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/20 2003/05/0081

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.09.2005
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde der Dr. M. Immobilienverwertungsgesellschaft m.b.H. in Wien, vertreten durch Koller & Schreiber Rechtsanwälte Partnerschaft in 1180 Wien, Aumannplatz 1/ Währinger Straße 162, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 14. Februar 2003, Zl. MA 64-BE 34/2002, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Bauangelegenheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Ein Bauauftrag des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom 11. Februar 2000, betreffend Gebrechen am Haus 1150 Wien, Mariahilfer Straße 148, wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft als Miteigentümerin an deren Abgabestelle 1190 Wien, Sieveringer Straße 187, durch Übergabe zugestellt. Mit dieser Anschrift ist die Beschwerdeführerin auch im B-Blatt des gegenständlichen Grundbuchskörpers eingetragen.

Eine Androhung der Ersatzvornahme vom 27. November 2000 war an die Beschwerdeführerin unter derselben Anschrift adressiert, wurde aber, wie aus dem Rückschein ersichtlich, an der Anschrift 1070 Wien, Zollergasse 30, zugestellt. Mit Bescheid vom 29. Jänner 2002 trug der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 25, der Beschwerdeführerin zur ungeteilten Hand mit anderen Miteigentümern die Vorauszahlung der Kosten der Ersatzvornahme auf. Als Zustelladresse war wieder die ursprüngliche Adresse angegeben; nach dem Vermerk des Zustellers auf dem Rückschein erfolgte die Hinterlegung am 25. Februar 2002 beim Postamt 1197 Wien und begann die Abholfrist am 26. Februar 2002.

Am 14. März 2002 erhob die Beschwerdeführerin Berufung, wobei sie als ihre Anschrift 1070 Wien, Zollergasse 30, angab. Darin erklärte sie, die Berufung innerhalb offener Rechtsmittelfrist zu erheben. Die Gebrechen wären behoben und die Kosten der Ersatzvornahme wären überhöht.

Die belangte Behörde richtete mit Schreiben vom 21. Juni und vom 25. Oktober 2002 einen "Vorhalt der Verspätung" an die Beschwerdeführerin; die zweiwöchige Berufungsfrist hätte am 26. Februar 2002 begonnen und am 12. März 2002 geendet. Zustelladresse war in beiden Fällen die ursprüngliche Adresse; es erfolgte jeweils eine Hinterlegung beim Postamt 1197 Wien. Beide Vorhalte blieben unbeantwortet.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2003 wies die belangte Behörde (Spruchpunkt I) die Berufung der Beschwerdeführerin als verspätet zurück; mit Spruchpunkt II wurde die Berufung eines anderen Miteigentümers als unbegründet abgewiesen. Im Ermittlungsverfahren sei kein Zustellmangel hervorgekommen und es habe sich auch nicht ergeben, dass die Berufungswerberin wegen Abwesenheit von der Abgabenstelle den Zustellvorgang nicht rechtzeitig habe wahrnehmen können. Das Rechtsmittel sei erst nach Ablauf der Berufungsfrist erhoben worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Im (insofern verbesserten) Beschwerdepunkt erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht darauf verletzt, dass eine Sachentscheidung ergehe. Weiters bringt sie in ihrer Beschwerde vor, dass über sie mit Beschluss vom 9. April 2001 das Konkursverfahren eröffnet worden sei, währenddessen eine Postsperre verfügt gewesen sei. Das Konkursverfahren sei mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 25. Jänner 2002 aufgehoben worden, dieser Beschluss sei seit 15. Februar 2002 rechtskräftig. Die Behörde erster Instanz hätte ihren Bescheid vom 30. Jänner 2002 noch an den Masseverwalter richten müssen. Die Beschwerdeführerin sei nicht an der Anschrift 1190 Wien, Sieveringer Straße 187, sondern in 1070 Wien, Zollergasse 30, situiert, sodass mangels Abgabestelle eine rechtswirksame Zustellung nicht erfolgt sei.

Mit der Beschwerde legte die Beschwerdeführerin einen Firmenbuchauszug vor, dort ist ihre Geschäftsanschrift auf Grund einer Eintragung vom 15. Februar 2001 mit Zollergasse 30, 1070 Wien, angegeben. Der weiters vorgelegte Beschluss über die Aufhebung des Konkursverfahrens enthält beide Anschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung weder den Konkurs noch den Umstand erwähnt, dass die Zustellung an der falschen Adresse erfolgt sei. Die beiden Vorhalte habe sie unbeantwortet gelassen. Dass an der falschen Adresse zugestellt worden sei, sei insofern unbeachtlich, als dieser Mangel gemäß § 7 Zustellgesetz geheilt sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 63 Abs. 5 AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen; die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides. Entscheidend für die Frage, ob hier die am 14. März 2002 per Fax an die Behörde übermittelte Berufung rechtzeitig war, ist somit das Datum der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides.

Die hier anzuwendenden Bestimmungen des Zustellgesetzes in der zuletzt durch BGBl. I Nr. 158/1998 geänderten Fassung (ZustG) lauten auszugsweise:

"Abgabestelle

§ 4. Abgabestelle im Sinne dieses Bundesgesetzes ist der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort.

Heilung von Zustellmängeln

§ 7. Unterlaufen bei der Zustellung Mängel, so gilt sie als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Schriftstück dem von der Behörde angegebenen Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

Zustellung an den Empfänger

§ 13. (1) Die Sendung ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Ist aber auf Grund einer Anordnung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes an eine andere Person als den Empfänger zuzustellen, so tritt diese an die Stelle des Empfängers.

...

Ersatzzustellung

§ 16. (1) Kann die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

(2) ...

Hinterlegung

§ 17. (1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) ..."

Nach den §§ 4, 13 Abs. 1 ZustG ist die Sendung dem Empfänger grundsätzlich an der Abgabestelle zuzustellen; als Abgabestelle kommt hier die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers in Betracht. Im Beschwerdefall steht nicht fest, ob der Ort der Zustellung vom 25. Februar 2002 eine solche Abgabestelle war; immerhin erfolgte schon anlässlich der Zustellung der Androhung der Ersatzvornahme eine Weiterleitung durch die Post, gab die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung ihre Anschrift mit 1070 Wien, Zollergasse 30, an und befindet sich dort auch die Geschäftsanschrift laut Firmenbuch. Lag an der Anschrift 1190 Wien, Sieveringer Straße 187, keine Abgabestelle vor, so bestand auch keine Voraussetzung für eine Ersatzzustellung nach § 16 ZustG oder eine Hinterlegung nach § 17 ZustG.

Die belangte Behörde beruft sich auf § 7 ZustG; tatsächlich ist der erstinstanzliche Bescheid der Beschwerdeführerin zugekommen, weil sie gegen ihn, ohne einen Zustellmangel zu behaupten, Berufung erhoben hat. Allerdings gilt nach dieser Bestimmung die Zustellung erst in dem Zeitpunkt als bewirkt, in dem das Schriftstück dem von der Behörde angegebenen Empfänger tatsächlich zugekommen ist; nach den Angaben in der Beschwerde war dies "Anfang März".

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Berufungsbehörde verpflichtet ist, dem Berufungswerber die offenkundige Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Sie hat das Risiko einer Bescheidaufhebung dann zu tragen, wenn sie von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist ausgeht, diese Feststellung dem Rechtsmittelwerber jedoch vor ihrer Entscheidung nicht vorgehalten hat (siehe das hg. Erkenntnis vom 31. März 2005, Zl. 2004/03/0084 m.w.N.). Hier erging der erforderliche Vorhalt sogar zweimal, allerdings in beiden Fällen, obwohl aus dem Akt die genannte Weiterleitung durch die Post ersichtlich war und obwohl die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung eine andere Anschrift angegeben hat, wieder an die alte Adresse 1190 Wien, Sieveringer Straße 187; der Umstand, dass der Zusteller in beiden Fällen mit Hinterlegung vorgegangen ist, begründete zwar eine Vermutung, keinesfalls aber die Gewissheit, dass sich dort noch immer eine Abgabestelle befinde.

Jedenfalls hat die belangte Behörde, obwohl ihr eine weitere Anschrift aus dem Akt bekannt war, Erhebungen dazu unterlassen, ob an der bisherigen Anschrift noch eine Abgabestelle bestand. Sollte dort keine Abgabestelle vorhanden gewesen sein, wäre der Zeitpunkt des tatsächlichen Zukommens zu klären.

Da der Sachverhalt somit in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 20. September 2005

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003050081.X00

Im RIS seit

26.10.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten