TE OGH 1988/1/26 2Ob67/87

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Veröffentlicht am 26.01.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edeltraud K***, Lehrerin, 4070 Eferding, Schieferplatz 12, vertreten durch Dr. Hans-Peter Just, Rechtsanwalt in Eferding, wider die beklagte Partei Anton G***, Fleischhauermeister, 4070 Eferding, Schmidstraße 22, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wegen 91.030 S sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 22.September 1987, GZ 4 R 34/87-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 26.November 1986, GZ 7 Cg 132/85-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat dem Beklagten die mit 5.657,85 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 514,35 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kam am 25. November 1983 als Fußgängerin vor dem Hause Eferding Stadtplatz Nr. 8 zufolge Eisglätte zu Sturz und brach sich dabei das rechte Handgelenk. Sie behauptet, der Beklagte, der im vorgenannten Haus Mieter eines Geschäftes sei, habe vom Hauseigentümer gemäß § 93 Abs 5 StVO die Verpflichtung zur Gehsteigreinigung und Streuung übernommenen und dieser Verpflichtung zuwidergehandelt, weil der Gehsteig zur Unfallszeit nicht gestreut gewesen sei. Der Beklagte habe auch seine volle Haftung für den Unfall anerkannt. Ein Mitverschulden ihrerseits liege nicht vor. Somit hafte der Beklagte für die in Höhe von 91.030 S erhobenen Leistungsansprüche sowie für die allfälligen künftigen Schäden der Klägerin aus dem Unfall im Sinne des diesbezüglichen Feststellungsbegehrens.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Der Gehsteig sei am Unfallstag um 6 Uhr, 6 Uhr 30 und 7 Uhr von verläßlichen Angestellten, welchen er die Gehsteigreinigung übertragen gehabt habe, mit Salz gestreut worden, wegen der extremen Witterungssituation, insbesondere Nieselregen bei einer Temperatur von etwa 0 Grad, habe aber selbst diese intensive Streuung keine Wirkung gehabt. Ein Anerkenntnis sei nicht abgegeben worden. Das Erstgericht wies die Klage ab. Sein Urteil wurde vom Berufungsgericht bestätigt und ausgesprochen, daß die Revision zulässig sei.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erhebt die Klägerin eine auf § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht stellte fest, daß die Klägerin am 25.November 1983 etwa um 7 Uhr 30 ihre Wohnung in Eferding verließ. Es herrschte bereits seit 6 Uhr 30 Nieselregen bzw. Eisregen, der nach 7 Uhr 30 etwas abflaute, aber weiterhin andauerte. Die Außentemperatur betrug ca. -4oC. Der gefrierende Regen hatte auf den Verkehrsflächen verbreitet zu Glatteis geführt. Da aufgebrachtes Streugut durch den Regen rasch unwirksam wurde, weil sich über dem Streumaterial schnell neue Eisschichten bildeten, entstand auf den Gehsteigen häufig Glatteis. Gegen 7 Uhr 45 kam die Klägerin in den Bereich vor das Haus Stadtplatz Nr. 8. Als sie sich wenige Meter vor der Eingangstür zum Geschäftslokal des Beklagten befand, erkannte sie, daß der Gehsteig in diesem Bereich eisig war. Dennoch betrat sie diese Stelle und wich nicht auf die Fahrbahn aus, auf der kurz zuvor mit dem Streuwagen Splitt gestreut worden war. Etwa einen Meter vom Fahrbahnrand entfernt im Bereiche der Eingangstüre rutschte sie sodann aus und stürzte nach hinten. Sie trug Winterstiefel mit einer Gummisohle. Das Haus Stadtplatz Nr. 8 steht im Eigentum der Anna L***. Der Beklagte ist Mieter dieses Objektes, nach dem Inhalt des Mietvertrages obliegt ihm die ortsübliche Reinigung der Gehsteige von Schmutz und Schnee. Das Hauptgeschäft des Beklagten befindet sich in der Schmidstraße. In der Filiale am Stadtplatz sind drei Angestellte beschäftigt, welche vom Beklagten beauftragt sind, für die Streuung bzw. Räumung des Gehsteiges zu sorgen. Es hat diesbezüglich noch nie Beanstandungen dahingehend gegeben, daß nicht gestreut worden wäre oder daß jemand gestürzt sei. Am Unfallstag kam die Angestellte B*** als erste an die Arbeitsstelle. Kurz darauf gegen 6 Uhr 30 kam die Angestellte T***, welche sofort nach ihrem Eintreffen mit den Streuarbeiten begann; sie streute Salz auf den Gehsteig. Eine halbe Stunde später, also um etwa 7 Uhr wiederholte sie die Streuung. Eine weitere halbe Stunde später, etwa um 7 Uhr 30, kam die Angestellte H***, die neuerlich Salz auf den Gehsteig streute. Zu welchem Zeitpunkt bzw. aus welchem Anlaß der Beklagte vom Unfall erfahren und wann er darüber mit der Klägerin und deren Gatten gesprochen hat, konnte vom Erstgericht nicht festgestellt werden. Es kam aber jedenfalls zu einem Gespräch, wobei der Beklagte sagte, er habe ohnehin eine Versicherung, die wohl für den Schaden aufkommen würde. Eine persönliche Haftung hat er nicht anerkannt.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Beklagte habe die von ihm gemäß § 93 Abs 5 StVO vom Liegenschaftseigentümer rechtsgeschäftlich übernommenen Pflichten des § 93 Abs 1 StVO seinerseits auf seine Angestellten überbunden und hafte nur für ein allfälliges Verschulden bei der Auswahl seiner Besorgungsgehilfen nach § 1315 ABGB. Mangels Anhaltspunkte für deren Untüchtigkeit und mangels diesbezüglicher Behauptungen der Klägerin sei eine Haftung des Beklagten daher von vornherein ausgeschlossen. Darüber hinaus seien weitere als die festgestellten Salzstreuungen im Hinblick auf die extreme Witterung nicht zumutbar gewesen, so daß eine Verletzung der Schutznorm des § 93 StVO verneint werden müsse. Das Berufungsgericht hielt die Berufung der Klägerin aus rechtlichen Gründen nicht für gerechtfertigt, weshalb es auf die weiteren Berufungsgründe nicht einging. Grundsätzlich könne die Säuberungs- und Streupflicht im Sinne des § 93 Abs 5 StVO durch ein Rechtsgeschäft mit der Wirkung auf einen Dritten übertragen werden, daß eine Haftung des Liegenschaftseigentümers nur noch für ein Verschulden bei der Auswahl des Besorgungsgehilfen unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB bestehe. Wenn ein Liegenschaftseigentümer seine Pflichten nach § 93 Abs 1 StVO auf einen Unternehmer als Mieter übertrage, sei der Unternehmer unmittelbar Besorgungsgehilfe des Liegenschaftseigentümers und der Angestellte des Mieters mittelbarer Besorgungsgehilfe des Liegenschaftseigentümers. Auch im Falle, daß der unmittelbare Besorgungsgehilfe wegen des Verhaltens des mittelbaren Gehilfen belangt werde, beschränke die Judikatur die Haftung des ersteren auf jene des § 1315 ABGB. Die Bestimmung des § 93 Abs 5 StVO stehe der Verwendung von Angestellten als Erfüllungsgehilfen durch den unmittelbaren Besorgungsgehilfen des Liegenschaftseigentümers nicht entgegen. Somit hafte der Beklagte vorliegendenfalls für seine Angestellten nur unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB. Die erstgerichtliche Feststellung, daß es wegen der Gehsteigstreuung durch die Angestellten des Beklagten noch nie Beanstandungen gegeben habe, sei unbekämpft geblieben. Eine Verpflichtung zu besonderer Überwachung habe für den Beklagten nicht bestanden. Die eine Beweislast des Geschäftsherrn für die Tüchtigkeit seiner Besorgungsgehilfen bei Schädigung durch Unterlassung annehmende Rechtsprechung werde von der Lehre einhellig als unhaltbar bezeichnet. Folge man dieser Lehre, so sei zu beachten, daß die Klägerin im Verfahren erster Instanz zur Untüchtigkeit der Angestellten des Beklagten keine Behauptungen aufgestellt habe. Somit sei eine sich aus § 1315 ABGB ergebende Haftung des Beklagten für eine allfällige Verletzung der aus § 93 Abs 1 und 5 StVO resultierenden Streupflicht durch seine beauftragten Angestellten zu verneinen, so daß schon aus diesem Grund der Berufung der Klägerin gegen das zutreffende Ersturteil kein Erfolg beschieden sein könne. In der Rechtsrüge der Revision vertritt die Klägerin die Ansicht, eine weitere Übertragung der Streupflicht an einen Dritten durch denjenigen, der diese Pflicht seinerseits vom Liegenschaftseigentümer gemäß der Spezialnorm des § 93 Abs 5 StVO rechtsgeschäftlich übernommen habe, sei nicht zulässig, so daß dieser für Unterlassungen des von ihm beauftragten Dritten - oder mehrerer Dritter - gegenüber der Allgemeinheit selbst hafte und zwar unabhängig von den Voraussetzungen des § 1315 ABGB. Eine solche Pflichtenübertragung sei nämlich nicht mehr eine rechtsgeschäftliche im Sinne des § 93 Abs 5 StVO. Im übrigen habe der Verpflichtete nachzuweisen, daß er eine tüchtige Person mit der Verrichtung betraut und sie gehörig überwacht habe. Eine derartige Überwachung habe der Beklagte vorliegendenfalls gar nicht behauptet und eine solche sei auch nicht erwiesen.

In der Verfahrensrüge macht die Revisionswerberin die mangelnde Erledigung ihrer weiteren, neben der Rechtsrüge erhobenen Berufungsgründe geltend. Da das Berufungsgericht eine Behandlung dieser Berufungsausführungen aus rechtlichen Gründen für entbehrlich hielt, ist zunächst auf die Rechtsrüge der Klägerin einzugehen. Die Frage, ob derjenige, dem vom Liegenschaftseigentümer gemäß § 93 Abs 5 StVO die Pflichten nach § 93 Abs 1 StVO rechtsgeschäftlich übertragen wurden, seinerseits diese Pflichten wiederum rechtsgeschäftlich an einen Dritten weiterübertragen kann oder, wie die Revisionswerberin meint, dies nach der ratio legis der "Spezialnorm" des § 93 Abs 5 StVO unzulässig sei, ist vorliegendenfalls nicht entscheidungserheblich. Nach Lehre und Judikatur (Reischauer in Rummel ABGB Rz 7 zu § 1313 a; Koziol Haftpflichtrecht II 336 f; ZVR 1957/178; EvBl 1970/344; JBl 1972, 609; EvBl 1974/109; JBl 1975, 544; SZ 47/140; JB 50 neu) haftet der Liegenschaftseigentümer, der seine gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Pflichten des § 93 Abs 1 StVO durch einen Dritten erfüllen läßt, ohne sie diesem im Sinne des § 93 Abs 5 StVO rechtsgeschäftlich übertragen zu haben, für dessen Verschulden nicht nach § 1313 a ABGB, sondern lediglich im Rahmen des § 1315 ABGB, wie dies auch bei einer rechtsgeschäftlichen Übertragung der Fall wäre. Das gleiche muß für denjenigen gelten, dem die Pflichten des § 93 Abs 1 StVO vom Liegenschaftseigentümer gemäß § 93 Abs 5 StVO rechtsgeschäftlich übertragen wurden. Er braucht diese Pflichten ebenso wie der Liegenschaftseigentümer nicht persönlich zu erfüllen, sondern kann sich hiezu ebenfalls Dritter bedienen. Vorliegendenfalls durfte sich der Beklagte somit zur Erfüllung der Pflichten des § 93 Abs 1 StVO jedenfalls seiner Angestellten bedienen und er haftet für sie im Sinne der obigen Ausführungen der Allgemeinheit gegenüber in keinem Falle nach § 1313 a ABGB, sondern nur im Rahmen des § 1315 ABGB.

In ihrer Klage hat die Klägerin dem Beklagten wegen dessen eigenen Verschuldens zufolge Nichterfüllung seiner rechtsgeschäftlich von der Liegenschaftseigentümerin übernommenen Pflichten des § 93 Abs 1 StVO sowie wegen Anerkenntnisses (S 5 f der Klage) in Anspruch genommen. Ein Überwachungsverschulden hat sie in erster Instanz nicht geltend gemacht und der Berufung des Beklagten auf seine verläßlichen, festgestelltermaßen noch nie beanstandeten Angestellten weder den Einwand der Untüchtigkeit derselben entgegengesetzt noch ein diesbezügliches Sachvorbringen erstattet. Somit bedurfte es aber in keiner Richtung einer weiteren Beweisführung. Eine Haftung des Beklagten gemäß § 1315 ABGB bzw. wegen eines Überwachungsverschuldens ist demnach zu verneinen. Mangels Vorliegens eines haftungsbegründenden Anerkenntnisses der Klagsschuld - ein solches wird in der Berufung und in der Revision gar nicht mehr behauptet, sondern lediglich auf ein angebliches Zugeständnis des Beklagten, es sei damals nicht gestreut gewesen, verwiesen - hat das Berufungsgericht daher zu Recht die erstinstanzliche Klagsabweisung bestätigt.

Der Revision war somit, ohne daß es eines Eingehens auf ihre Verfahrensrüge bedurfte, ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E12954

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00067.87.0126.000

Dokumentnummer

JJT_19880126_OGH0002_0020OB00067_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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