TE OGH 1988/2/9 8Ob45/87

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Veröffentlicht am 09.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz P***, Pilot, Florastraße 8/10, 2540 Bad Vöslau, vertreten durch Dr. Robert Obermann, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagten Parteien 1) Helmut S***, Angestellter, Kirchdorf 126, 8132 Pernegg, und 2) C*** V***, Börsegasse 14, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr. Ursula Schwarz, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen 604.555,45 S sA und Feststellung (300.000 S), Revisionsstreitwert 253.416,59 S, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26. Februar 1987, GZ 4 R 15/87-37, womit das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 22. Oktober 1986, GZ 8 Cg 58/86-25, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 9.969,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von 906,35 S, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte kam am 11. September 1985 um etwa 22,30 Uhr mit seinem PKW mit dem Kennzeichen St 505.838 auf der Fahrt durch den Kaltenbachgraben bei Bruck an der Mur in alkoholisiertem Zustand von der Fahrbahn ab, sodaß das Fahrzeug sich überschlagend über die Straßenböschung stürzte. Dabei wurde der im PKW mitfahrende Kläger aus dem Fahrzeug geschleudert und schwer verletzt. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des PKW des Erstbeklagten. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Verkehrsunfalles mit rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 27. Jänner 1986, 11 E Vr 2111/85-13, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Es wurde ihm zur Last gelegt, mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren zu sein, wodurch der PKW in einer Rechtskurve sich überschlagend von der Fahrbahn abkam. Ferner wurde ihm zur Last gelegt, sich vor Antritt der Fahrt fahrlässig durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt zu haben, obwohl er vorhergesehen hat, daß ihm als Kraftfahrer mit der Lenkung seines Fahrzeuges eine Tätigkeit bevorstand, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit von Menschen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet war.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt (ON 22 S 115) die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 604.555,45 S sA; ferner stellte er ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand (der Zweitbeklagten im Rahmen des den PKW des Erstbeklagten betreffenden Haftpflichtversicherungsvertrages) für alle künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß den Erstbeklagten das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil er in alkoholisiertem Zustand mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Der Kläger habe die Alkoholisierung des Erstbeklagten nicht erkennen können und sei im Unfallszeitpunkt angegurtet gewesen; der Gurt dürfte sich beim Unfall gelöst haben. Das Leistungsbegehren des Klägers umfaßt eine (restliche) Schmerzengeldforderung von 600.000 S, die der Kläger im wesentlichen damit begründete, daß die derzeit überschaubaren Verletzungsfolgen bis zu seiner Untersuchung durch den Gerichtssachverständigen (18. Juni 1986) die Bemessung des Schmerzengeldes mit 800.000 S rechtfertigten; unter Berücksichtigung einer Teilzahlung der Zweitbeklagten von 200.000 S ergebe sich ein restlicher Schmerzengeldanspruch von 600.000 S. Das Feststellungsinteresse des Klägers ist nicht strittig.

Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß den Kläger ein Mitverschulden von zumindest 50 % treffe, weil er in Kenntnis der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Erstbeklagten mit diesem mitgefahren sei. Bezüglich seines Schmerzengeldanspruches müsse sich der Kläger ein weiteres Mitverschulden von einem Drittel anrechnen lassen, weil er sich nicht angegurtet habe. Das verlangte Schmerzengeld sei im übrigen überhöht.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 253.416,60 S sA und gab dem Feststellungsbegehren des Klägers in Ansehung von 75 % seiner künftigen Unfallschäden statt; das auf Zahlung eines weiteren Betrages von 351.138,85 S sA gerichtete Leistungsmehrbegehren des Klägers und sein Feststellungsmehrbegehren wies es ab.

Das Erstgericht stellte, soweit für die im Revisionsverfahren noch zu lösenden Fragen von Bedeutung, im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Erstbeklagte holte am 11. September 1985 gegen 13 Uhr mit seinem PKW den Kläger ab und fuhr mit ihm in Richtung Rennfeld. Sie ließen das Fahrzeug auf dem Parkplatz in Frauenberg stehen und gingen zu Fuß weiter auf das Rennfeld, wo sie sich in der Zeit zwischen 14,30 und 20 Uhr im Gasthaus aufhielten. Sie blieben während dieser Zeit beisammen und tranken alkoholische Getränke. Der Erstbeklagte trank in dieser Zeit zwischen sieben und neun Flaschen Bier und aß drei bis vier belegte Brote. Für die Rückkehr zum Fahrzeug benötigten sie wegen der inzwischen eingetretenen Dunkelheit etwa 1 1/2 Stunden. Im Kaltenbachgraben kam es dann zu dem eingangs beschriebenen Unfall, bei dem der nicht angegurtete Kläger aus dem Fahrzeug geschleudert wurde. Der Erstbeklagte hatte zur Unfallszeit einen Blutalkoholwert von 1,4 bis 1,6 %o. Der Kläger erlitt bei diesem Verkehrsunfall einen Schädeldachbruch mit Hirnhaut- und Hirnblutung sowie Hirncontusion mit Halbseitenlähmung rechts, eine Verrenkung des linken Schlüsselbeines und Brustbeingelenkes, einen Bruch des linken Schulterblattes und der VII. Rippe rechts, Trümmerbrüche beider Unterarme sowie eine Teilskalpierung des Schädels mit Teilamputation des linken Ohres.

Bei der Untersuchung durch den Gerichtssachverständigen im Juni 1986 ergab sich folgender Zustand des Klägers:

Bei der operativen Behandlung der Unterarmtrümmerbrüche wurden Metallplatten eingelegt. Diese Platten sind noch nicht entfernt; die Heilung der Unterarmbrüche ist noch nicht abgeschlossen. Es kann daher diesbezüglich noch kein endgültiges Urteil über allfällige Dauerfolgen abgegeben werden. Bei der Untersuchung war der rechte Unterarm in einer Mittelstellung versteift, während am linken Unterarm lediglich eine endgradige Einschränkung der Außendrehbewegung bestand. Die abhängigen Ellbogen- und Handgelenke links waren frei beweglich; rechts bestanden erhebliche Bewegungseinschränkungen, die allerdings zum größeren Teil lähmungsbedingt waren. Von der Skalpierung des Schädels sind keine auffallenden Narbenbildungen zurückgeblieben. Lediglich das linke Ohr ist verkleinert und deformiert. Auch seitens des schweren Schädelhirntraumas mit seinen Folgen ist der Endzustand noch nicht erreicht. Es ist zwar zu einer deutlichen Besserung der Restlähmungszustände am rechten Arm und am rechten Bein gekommen, sodaß der Kläger in der Lage ist, auch ohne fremde Hilfe zu gehen und zu stehen. Allerdings ist die Standhaftigkeit noch ungenügend, da noch eine verstärkte Spastizität am rechten Fuß im Rahmen einer Teillähmung besteht. Während am rechten Bein eine Peroneuslähmung im Vordergrund steht, ist dies am rechten Arm eine Speichennervlähmung. Der rechte Arm ist noch nicht gebrauchsfähig. Entsprechend diesem Zustand der Halbseitenlähmung rechts ist die Gesamtmobilität des Klägers stark vermindert und seine Fortbewegungsmöglichkeit stark beschränkt. Eine weitere Besserung ist aber zu erwarten. Auch das psychoorganische Durchgangssyndrom hat sich erheblich gebessert. Im Zeitpunkt der Untersuchung bestand eine mäßiggradige Hirnleistungsschwäche mit geringer Verlangsamung und eingeschränkter Konzentrations- und Antriebsfähigkeit. Es werden unfallsbedingte Dauerfolgen in Form von Restlähmungszuständen an der rechten Körperseite und Einschränkung der Hirnleistung zurückbleiben, wobei auch eine Verschlechterung dieser Dauerfolgen nicht ausgeschlossen werden kann. Der Schulterblatt- und Rippenbruch sowie die Verrenkung des Schlüsselbein- und Brustbeingelenkes links sind folgenlos abgeheilt. Derzeit besteht eine unfallsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 %. Da die Heilung der einzelnen Unfallsverletzungen noch nicht abgeschlossen ist, läßt sich die unfallsbedingte Schmerzhaftigkeit nur bis zum Untersuchungszeitpunkt beurteilen. Der Kläger war mehrere Wochen hindurch bewußtlos und wies mehrere Monate lang Bewußtseinsstörungen auf. Mit dem Wiedererwachen des Bewußtseins sind zunächst erhebliche Commotionsbeschwerden in den Vordergrund getreten. In der weiteren Folge kamen dann immer wieder sich wiederholende Krampfzustände im Rahmen der spastischen Halbseitenlähmung hinzu, die sich auch jetzt noch zeitweilig bemerkbar machen. Mit der Mobilisierung traten auch Bewegungs- und Belastungsschmerzen an den Armen auf; sie treten auch derzeit noch in verminderter Form auf. Die Commotionssymptomatik wurde inzwischen von einer Reizüberempfindlichkeit des Gehirns und einer dadurch bedingten ähnlichen Schmerzsituation abgelöst. Auch die Restlähmungszustände wirken sich auf die Gelenke, insbesondere auf das Sprunggelenk, aus; durch die arthrotischen Veränderungen werden auch arthrogene Beschwerden ausgelöst. Bis zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Gerichtssachverständigen hatte der Kläger zusammengefaßt 24 Tage qualvolle Schmerzen, 40 Tage starke Schmerzen, 60 Tage mittelstarke Schmerzen und 50 Tage leichte Schmerzen zu ertragen.

Es bestehen namhafte unfallsbedingte Dauerfolgen, die für den Kläger sowohl in beruflicher als auch in persönlicher Hinsicht einschneidende Auswirkungen haben, sodaß in sehr erheblichem Maße auch psychische Alterationen aufgetreten sind.

Wenn der Kläger im Zeitpunkt des Unfalles angegurtet gewesen wäre, wären bei ihm mit Rücksicht darauf, daß sich das Fahrzeug mehrmals überschlug und rollierte, etwa dieselben Verletzungen aufgetreten, wie sie tatsächlich aufgetreten sind. Insbesondere wäre die schwere Schädelhirnverletzung trotz ordnungsgemäßen Angurtens nicht vermeidbar gewesen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesuntlichen dahin, daß den Kläger ein mit 25 % zu bewertendes Mitverschulden treffe, weil er mit dem Erstbeklagten mitgefahren sei, obwohl ihm dessen Alkoholisierung auffallen hätte müssen. Hingegen brauche er sich wegen Nichtanlegung des Sicherheitsgurtes hinsichtlich seines Schmerzengeldanspruches kein weiteres Mitverschulden anrechnen lassen, weil er auch bei Verwendung des Sicherheitsgurtes keine wesentlich geringeren Verletzungen erlitten hätte. Das Schmerzengeld des Klägers sei unter Berücksichtigung der derzeit überschaubaren Verletzungsfolgen mit 600.000 S zu bemessen.

Diese Entscheidung des Erstgerichtes wurde von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft. Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung des Klägers nicht, der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes, die es hinsichtlich des Abspruches über das Feststellungsbegehren bestätigte, bezüglich des Leistungsbegehrens dahin ab, daß es die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 178.416,59 S sA verurteilte und das auf Zahlung eines weiteren Betrages von 426.138,86 S sA gerichtete Leistungsmehrbegehren des Klägers abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, hinsichtlich des bestätigten Feststellungsbegehrens 60.000 S und insgesamt zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil 300.000 S übersteigt. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, daß den Kläger wegen der ihm anzulastenden Erkennbarkeit der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Erstbeklagten ein Eigenverschulden an den Unfallsfolgen treffe, das mit einem Viertel adäquat bemessen worden sei.

Es sei nicht zu verkennen, daß der Kläger sehr schwer verletzt worden sei und daß selbst ein Dreivierteljahr nach dem Unfallsgeschehen der Endzustand noch nicht erreicht gewesen sei. Berücksichtige man, daß durch die Unfallsfolgen die angestrebte berufliche Existenz des Klägers vernichtet worden sei, daß derzeit noch immer nicht sicher sei, ob der Kläger jemals arbeitsfähig und frei von allen körperlichen Beschwerden sein werde und daß derzeit das Schmerzgeschehen noch immer nicht abschließend beurteilt werden könne, sodaß eine Globalbemessung derzeit nicht möglich sei, erscheine ein Schmerzengeldanspruch im Umfang von 500.000 S angemessen.

Auch bei Verwendung des Sicherheitsgurtes durch den Kläger wären die eingetretenen Verletzungen nicht vermeidbar gewesen, ausgenommen die Teilskalpierung des Kopfes mit der Teilamputation des linken Ohres. Durch diese vermeidbaren Verletzungen wäre aber das Schmerzgeschehen nicht wesentlich beeinflußt worden, weshalb der Kläger sich aus diesem Titel keine Minderung seiner Schadenersatzansprüche gefallen lassen müsse.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen es aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, "daß das Klagebegehren hinsichtlich des weiteren zugesprochenen Leistungsbegehrens abgewiesen werde und die Beklagten hinsichtlich des Feststellungsbegehrens lediglich schuldig erkannt werden, dem Kläger zur ungeteilten Hand für sämtliche zukünftige Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 11. September 1985 zu 50 % zu haften, hinsichtlich der Schmerzengeldansprüche unter Abzug eines weiteren Anteiles von 25 %, die Zweitbeklagte jedoch nur im Rahmen des mit dem Erstbeklagten für den PKW St 505.838 abgeschlossenen KFZ-Haftpflichtversicherungsvertrages"; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht abgesprochen hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung versuchen die Beklagten zunächst darzutun, daß das dem Kläger wegen des Mitfahrens mit dem Erstbeklagten trotz Kenntnis von dessen Alkoholisierung anzulastende Mitverschulden mit 50 % zu bemessen sei. Dem ist zu entgegnen, daß es in erster Linie dem Lenker eines Kraftfahrzeuges, der die Verantwortung für seine Fahrgäste trägt, obliegt, selbst seine Fahrtüchtigkeit zu beurteilen und danach zu handeln. Im übrigen sind für die Verschuldensaufteilung zwischen dem alkoholbeeinträchtigten Lenker und dem in Kenntnis dieser Beeinträchtigung mitfahrenden Fahrgast letztlich die besonderen Umstände des Einzelfalles maßgebend (SZ 52/84; ZVR 1980/259 uva). Wenn es im vorliegenden Fall auch durchaus zutrifft, daß der Kläger, dem die Menge des vom Erstbeklagten genossenen Alkohols bekannt war, bei Fahrtantritt damit rechnen mußte, daß der Erstbeklagte durch den vorangegangenen Alkoholgenuß in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt war, so lag doch zwischen dem letzten Alkoholkonsum des Erstbeklagten und dem Fahrtantritt ein Zeitraum von zumindest 1 1/2 Stunden und ein Fußmarsch von etwa dieser Dauer. Unter diesen Umständen ist im Entschluß des Klägers, mit dem alkoholbeeinträchtigten Erstbeklagten mitzufahren, kein auffallend schwerwiegender Sorgfaltsverstoß in eigenen Angelegenheiten zu erblicken, sodaß mit der Ausmittlung einer Mitverschuldensquote von 25 % dem Gewicht dieses Sorgfaltsverstoßes des Klägers hinreichend Rechnung getragen ist.

Weiters führen die Beklagten in ihrer Rechtsrüge aus, daß der Schmerzengeldanspruch des Klägers um 25 % zu kürzen gewesen wäre, weil er den Sicherheitsgurt nicht verwendete.

Aus Art. III Abs 1 der 3. KFGNov. (BGBl. 1976/352) ergibt sich, daß sich der Kläger nur jenen Schmerzengeldanspruch, der sich auf Verletzungen gründet, die bei Verwendung des Sicherheitsgurtes vermieden worden wären, um die entsprechende Mitverschuldensquote kürzen lassen muß (siehe dazu Messiner, Schadensteilung bei Nichtbeachtung der Gurtenanlegepflicht in ZVR 1978, 140 f; ZVR 1980/346; ZVR 1984/322 ua). In der Regel ist bei einem Zusammentreffen von Verletzungen, die durch Anlegung des Sicherheitsgurtes teils vermieden und teils nicht vermieden hätten werden können, so vorzugehen, daß im Rahmen des Gesamtschmerzengeldes auch ein Schmerzengeld für die vermeidbaren Verletzungen bemessen und hievon nach Maßgabe der Mitverschuldensquote der Kürzungsbetrag ermittelt wird, der von dem für sämtliche Verletzungen gebührenden Schmerzengeld abzuziehen ist. Dies kommt aber dann nicht in Betracht, wenn, wie im vorliegenden Fall, annähernd die gleichen Verletzungen auch bei Verwendung des Sicherheitsgurtes aufgetreten wären. Selbst wenn man mit den Revisionsausführungen davon ausgeht, daß bei Anlegung des Sicherheitsgurtes durch den Kläger die Teilskalpierung mit der Teilamputation des linken Ohres unterblieben wäre, ist damit für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen, weil diese Verletzungen gegenüber den eingetretenen auch bei Anlegung des Sicherheitsgurtes unvermeidbaren äußerst schwerwiegenden Verletzungen (insbesondere gegenüber der schweren Schädelhirnverletzung und ihren schwerwiegenden Folgen) völlig zurücktreten (ZVR 1980/346; ZVR 1984/322 ua).

Mit Recht haben daher die Vorinstanzen eine Kürzung des Schmerzengeldanspruches des Klägers wegen Verletzung der Gurtenanlegepflicht abgelehnt.

Letztlich führen die Beklagten in ihrer Rechtsrüge aus, daß dem Kläger unter Bedachtnahme auf die derzeit überschaubaren Verletzungsfolgen nur ein Schmerzengeld von 400.000 S zustehe. Auch hier kann ihnen nicht gefolgt werden.

Das Schmerzengeld stellt grundsätzlich eine Globalabfindung für alle eingetretenen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch die Unfallsfolgen dar. Für seine Bemessung ist das Gesamtbild der Verletzungsfolgen maßgebend. Hiebei müssen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einbezogen werden. Ausgenommen von der Globalbemessung bleiben nur solche künftige Schmerzen, deren Eintritt noch nicht vorhersehbar ist oder deren Ausmaß auch nicht so weit abgeschätzt werden kann, daß eine Globalbeurteilung möglich ist. Jedoch darf auch in solchen Fällen eine ergänzende Schmerzengeldbemessung nicht dazu führen, daß der Verletzte insgesamt mehr zugesprochen bekommt als bei einer einmaligen Globalbemessung (ZVR 1970/77; 8 Ob 11/85; 8 Ob 22/87 uva). Im vorliegenden Fall waren nach diesen Grundsätzen die Voraussetzungen für eine Teilbemessung gegeben, weil die dem Kläger zugefügten Verletzungen und ihre Folgen noch nicht abschließend beurteilt werden können. Wenn das Berufungsgericht zur Abgeltung der derzeit überschaubaren Unfallsfolgen des Klägers und seiner bis einschließlich Juni 1986 erlittenen Schmerzen ein Schmerzengeld von (ungekürzt) 500.000 S für angemessen hielt, ist darin im Hinblick auf die Schwere der Verletzungen des Klägers, den komplizierten und langwierigen Heilungsverlauf, die Notwendigkeit vielfacher Operationen, die bisher festgestellten Schmerzperioden und die eingetretenen Dauerfolgen, soweit sie bisher überschaubar sind, ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen. Bei allfälligen künftigen Schmerzengeldbemessungen wird allerdings darauf Bedacht zu nehmen sein, daß der Kläger damit nicht mehr zugesprochen bekommt als bei einer einmaligen Globalbemessung.

Der Revision der Beklagten muß unter diesen Umständen ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E13624

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00045.87.0209.000

Dokumentnummer

JJT_19880209_OGH0002_0080OB00045_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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