TE OGH 1988/2/9 2Ob55/87

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Veröffentlicht am 09.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef P***, Tischler, Wien 6., Liniengasse 48/9, vertreten durch Dr.Raimund Mittag, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) C*** Versicherungs-AG, Wien 1., Börsegasse 14, und 2.) Werner B***, Fleischhauermeister, Kalksburg, Kirchenplatz 3, beide vertreten durch Dr.Johannes Nino Haerdtl, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 69.156,15 s.A., Rente (S 144.000,--) und Feststellung (S 30.000,--), infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2.Juli 1986, GZ 17 R 146/86-73, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 13.November 1985, GZ 24 Cg 765/84-62, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1.) den

B e s c h l u ß

gefaßt:

Spruch

Die Revision der Beklagten wird - soweit sie den Feststellungsausspruch ihrer Haftung zu 25 % bekämpft zurückgewiesen;

2.) zu Recht erkannt:

Im übrigen wird beiden Revisionen nicht Folge gegeben. Der Kläger ist schuldig, den Beklagten an Kosten des Revisionsverfahrens S 6.319,63 (darin an Barauslagen S 1.280,-- und an Umsatzsteuer S 452,87) binnen 14 Tagen je zur Hälfte zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23.Februar 1982 ereignete sich in Wien 23., Ketzergasse, auf der Höhe der Häuser 290 bis 292 ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Fußgänger und der Zweitbeklagte als Lenker des bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten PKWs W 764.650 beteiligt waren. Der Kläger machte Schadenersatzansprüche von S 85.756,15 s.A. geltend, begehrte eine monatliche Rente von S 4.000,-- ab 1. Dezember 1982 und stellte ein Feststellungsbegehren mit der Behauptung, das Alleinverschulden am Unfall treffe den Zweitbeklagten.

Im ersten Rechtsgang sprach das Erstgericht dem Kläger S 42.878,07 s.A. und eine monatliche Rente von S 1.100,-- ab 1. Dezember 1982 zu. Es stellte die Solidarhaftung der Beklagten für die künftigen Schäden des Klägers unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50 % fest und wies das Leistungsmehrbegehren ab. Dieses Urteil erwuchs im Feststellungsausspruch über die Haftung der beklagten Parteien für künftige Schäden unter Berücksichtigung eines Verschuldens des Zweitbeklagten von 25 % und im Zuspruch von S 16.600,-- s.A. in Rechtskraft (siehe AS 187). Das Berufungsgericht hob das im übrigen von beiden Streitteilen angefochtene Ersturteil im Umfang der Anfechtung ohne Rechtskraftvorbehalt auf und trug dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung auf. Im zweiten Rechtsgang sprach das Erstgericht dem Kläger weitere S 250,-- s.A. und eine monatliche Rente von S 1.175,-- ab 1.Juli 1983 zu. Es wies das Leistungs-, Renten- und Feststellungsmehrbegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht, der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es ließ den Zuspruch von S 250,-- als unbekämpft unberührt, bestätigte die Abweisung von S 68.906,15 s.A. und änderte den Ausspruch über die Rente dahin ab, daß es dem Kläger eine solche von S 1.000,-- ab 1.Juli 1983 zuerkannte und das Rentenmehrbegehren abwies. Die Abweisung eines Feststellungsmehrbegehrens von 75 % wurde inhaltlich bestätigt (S. 8 des Berufungsurteiles).

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers und der Beklagten (siehe hiezu die Erledigungen ON 88 über den Wiedereinsetzungsantrag und den Beschluß des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 8/87). Der Kläger stützt sich auf die Revisionsgründe des § 503 Abs. 1 Z 2 und 4 ZPO und beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Die Beklagten ziehen ebenfalls die Revisionsgründe nach § 503 Abs. 1 Z 2 und 4 ZPO heran und beantragen die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß das Klagebegehren - ausgenommen im Zuspruch von S 250,-- - abgewiesen werde.

In den Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

1.) Die Revision der Beklagten ist insoweit als unzulässig zurückzuweisen, als sie die Abweisung des bereits in Rechtskraft erwachsenen Feststellungsausspruches der Haftung der Beklagten zu 25 % beantragt. Das erstgerichtliche Urteil des ersten Rechtsganges wurde im Feststellungsausspruch zu 25 % von den Beklagten nicht bekämpft (AS 100) und demgemäß auch vom Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes (AS 187) nicht berührt. Auf die Rechtskraft dieses Ausspruches hat der Oberste Gerichtshof schon im Beschluß vom 10. Februar 1987, 2 Ob 8/87, hingewiesen.

2.) Im übrigen sind die Revisionen beider Parteien nicht berechtigt:

Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen in den hier noch relevanten Anfechtungspunkten von folgenden Feststellungen aus:

Auf der Fahrbahn der Ketzergasse befand sich leichter Schneematsch. Auf den Rändern lag Schnee. Der rechte Fahrbahnrand war verparkt. Der Abstand zwischen der Seitenwand der parkenden Autos und der gegenüberliegenden Gehsteigkante betrug 6,5 m. Der Kläger war als Montagetischler der Firma G*** unterwegs. Er hatte den firmeneigenen Pritschenwagen auf dem rechten Fahrbahnrand der Ketzergasse geparkt und war damit beschäftigt, Möbelteile, die auf dem Pritschenwagen geladen waren, abzuladen. Der Kläger stand seitlich neben der Fluchtlinie des Fahrzeuges. Er nahm eine Kastentüre und wollte damit die Fahrbahn überqueren. Er nahm das Möbelstück auf die linke Schuler, machte dann eine Wendung nach rechts, sodaß er in die Richtung des sich nähernden PKW des Zweitbeklagten blickte. Durch das Schultern des Brettes war dem Kläger die Sicht auf das Fahrzeug des Zweitbeklagten genommen. Er blockierte die Durchfahrtsmöglichkeit in einer Breite von 1,5 m. Der Zweitbeklagte näherte sich mit seinem PKW mit ca. 50 km/h. Er sah den Kläger schon von weitem und nahm auch wahr, wie er sich das Möbelstück auf die Schultern legte. Er hupte den Kläger kurz an, worauf dieser in seiner Bewegung kurz innehielt, dann aber die Überquerung fortsetzte. Etwa in der Fahrbahnmitte erfolgte die Kollision. Die Kontaktstelle auf dem PKW befand sich ca. 5 bis 10 cm links der Frontseite. 2,2 Sekunden vor der Kollision war der Zweitbeklagte 30,4 m, 1,8 Sekunden vorher 24,8 m entfernt. Der Auffälligkeitszeitspanne von 2,2 bzw. 1,8 Sekunden steht die Abwehrzeit von 1,7 Sekunden gegenüber.

Zur Zeit des Unfalles war der Kläger, geboren 1935, bei der Firma G*** tätig. Er befand sich gerade in der Probezeit. Vorher hatte er von 1973 bis 30.Jänner 1982 bei der Firma K*** gearbeitet, wo er aufgrund der allgemeinen Umsatzrestriktionen gekündigt wurde. Der Kläger war bei der Firma K*** als Montagetischler tätig gewesen und hatte zuletzt monatlich S 14.949,-- netto verdient. Auch bei der Firma G*** war der Kläger als Montagetischler tätig, verdiente aber bis zu seinem Unfall - weil er sich in der Probezeit befand - nur S 8.500,-- netto. Nach dem Unfall wurde der Kläger gekündigt. Er bezog in der Folge Krankengeld bzw. Arbeitslosenunterstützung. Erst am 17.Jänner 1983 wurde der Kläger wieder bei der Firma G*** eingestellt.

In der Zeit nach dem Unfall erhielt der Kläger das im erstgerichtlichen Urteil detailliert ausgewiesene Krankengeld und Arbeitslosengeld. Außerdem erhielt er eine dort ziffernmäßig ausgewiesene Gesamtvergütung, sodaß dem Kläger zwischen 20. April 1982 und 30.Juni 1983 Leistungen von S 92.262,69 zukamen. Sein Gesamteinkommen seit dem Unfall aus dem wiederaufgenommenen Arbeitsverdienst und den Sozialleistungen betrug bis 30.Juni 1983 S 172.576,12; ohne den Unfall hätte er bis 20.Juni 1983 S 237.750,-- verdient. Sein Verdienstentgang betrug daher rund S 65.000,--. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß das Verschulden der Beteiligten im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des überaus unvorsichtigen Klägers zu teilen sei. Den Zweitbeklagten treffe deshalb ein Verschulden von 25 %, weil er, den äußerst widrigen Fahrbahnverhältnissen nicht Rechnung tragend, zu schnell gefahren sei. Da die Leistungen des Sozialversicherungsträgers höher seien als der um die Verschuldensquote von 3/4 verkürzte Verdienstentgang von S 16.250,-- (S 65.000,-- : 4 = S 16.250,--), gebühre bis zum 30. November 1982 kein Verdienstentgang. Das Rentenbegehren sei erst ab 1.Juli 1983 mit monatlich S 1.175,-- berechtigt. Auch das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß der Zweitbeklagte unter den widrigen Fahrbahnverhältnissen nicht mit der Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h fahren hätte dürfen. Das überwiegende Verschulden treffe aber den Kläger, der trotz des herannahenden Fahrzeuges versuchte, die Fahrbahn zu überqueren, obwohl dessen Bremsmöglichkeit durch die schneebedeckte Fahrbahn verringert war. Außerdem habe er sich durch die Art, wie er das Brett trug, der Möglichkeit begeben, den PKW des Zweitbeklagten während der Überquerung zu beobachten. Vom Unfall bis zum 30. Juni 1983 habe der Kläger selbst unter der Annahme des für ihn höchstmöglichen Verdienstes einen Verdienstentgang von höchstens S 176.614,57 erlitten. Davon gebührten ihm aufgrund der Verschuldensteilung 25 %, was S 44.153,64 ergebe. Er habe aber in dieser Zeit S 23.850,16 an Krankengeld und S 45.320,80 an Gesamtvergütung der AUVA erhalten, sodaß er keinen Anspruch auf Zuerkennung des Verdienstentgangsbetrages habe. Für den Rentenanspruch ab 1.Juli 1983 sei von der Einkommenseinbuße von monatlich S 4.000,--, wie sie der Kläger selbst unterstellte, auszugehen, was unter Berücksichtigung des 75 %igen Eigenverschuldens S 1.000,-- monatlich ergebe.

a) Zur Revision des Klägers:

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens rügt der Kläger ua, daß das Berufungsgericht sich mit seiner ausführlichen Rekonstruktion des Unfallsablaufes nicht entsprechend auseinandergesetzt und einfach die erstgerichtlichen Feststellungen übernommen habe. Damit bekämpft der Kläger aber im Grunde die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, was im Revisionsverfahren nicht zulässig ist. Im übrigen ist hiezu auf § 510 Abs. 3 ZPO zu verweisen.

Die Rechtsrüge baut der Kläger darauf auf, daß dem Zweitbeklagten auch eine unrichtige Reaktion vorzuwerfen sei, weil er in der zum Unfall führenden Situation nach links ausgelenkt habe. Dem hat schon das Erstgericht sinngemäß entgegnet, daß der Zweitbeklagte im zuge seiner Annäherung zunächst nicht damit zu rechnen brauchte, daß der Kläger ohne jeglichen Sichtkontakt auf den sich nähernden PKW die Fahrbahnüberquerung fortsetzen werde. Im übrigen haben beide Vorinstanzen eine ins Gewicht fallende Reaktionsverspätung des Zweitbeklagten zutreffend verneint. Der vom Kläger eingenommene Standpunkt, daß sein Verschulden minimal gewesen und zu vernachlässigen sei, ist daher nicht richtig. Unter dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung bekämpft der Kläger auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß über die von ihm geltend gemachte Verdienstentgangsrente von monatlich S 4.000,-- nicht hinausgegangen werden kann. Damit erhebt er in Wirklichkeit eine Verfahrensrüge, die außerdem nicht stichhältig ist:

Nach ständiger Rechtsprechung darf im Falle der Teileinklagung eines Schadens ohne Einräumung eines Mitverschuldens dann, wenn der Anteil des Schadens unter Berücksichtigung eines festgestellten Mitverschuldens zu ermitteln ist, über das Klagebegehren nicht hinausgegangen werden; eine entgegen diesem Grundsatz vorgenommene Bemessung des Ersatzbetrages verstieße gegen § 405 ZPO (ZVR 1983/42; 8 Ob 195/80 uza). Dies hat das Berufungsgericht richtig erkannt. Damit erweisen sich aber auch die weiteren Ausführungen des Revisionswerbers zur Bemessung der Verdienstentgangsrente als irrelevant.

Seiner Revision war somit der Erfolg zu versagen.

b) Zur Revision der Beklagten:

Als Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens rügen die Beklagten, daß der Verdienstentgang des Klägers schon in erster Instanz nicht erschöpfend erörtert worden sei. Das Verfahren vor dem Berufungsgericht sei mit den gleichen Mängeln behaftet wie jenes des Erstgerichtes. Es hätten die ergänzend beantragten Beweisaufnahmen erfolgen sollen. Dem ist zu erwidern, daß nach ständiger Rechtsprechung Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneinte, nicht nach § 503 Abs. 1 Z 2 ZPO geltend gemacht werden können. Im übrigen ist auf § 510 Abs. 3 ZPO zu verweisen.

Mit der Behauptung, daß der Kontakt auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Zweitbeklagten nicht zu vermeiden gewesen wäre, bekämpfen die Beklagten in ihrer Rechtsrüge das von den Vorinstanzen übereinstimmend mit 1/4 ausgemessene Verschulden des Zweitbeklagten am Unfall. Es ist jedoch ständige Rechtsprechung, daß die für das Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nur bei optimalen Verhältnissen ausgeschöpft werden darf (ZVR 1982/307 uza). Solche lagen aber nicht vor; im Gegenteil, auf den Fahrbahnrändern lag Schnee und auf der Fahrbahn selbst Schneematsch, sodaß nur bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 37,1 km/h eine Bremsmöglichkeit bestand, wie sie bei trockener Fahrbahn einer Geschwindigkeit von 50 km/h entsprach. Der Zweitbeklagte hat daher gegen § 20 StVO als Schutzgesetz verstoßen. Er konnte nicht beweisen, daß die gleichen Unfallsfolgen auch bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit eingetreten wären; im Gegenteil, ausdrücklich wurde festgestellt, daß die Unfallsfolgen - wäre er nur 37,1 km/h schnell gefahren - geringer gewesen wären.

Auch seiner Revision kann daher kein Erfolg beschieden sein. Der Kostenausspruch beruht auf §§ 43 Abs. 1, 50 ZPO.

Anmerkung

E13163

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00055.87.0209.000

Dokumentnummer

JJT_19880209_OGH0002_0020OB00055_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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