TE OGH 1988/2/10 9ObA204/87

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Veröffentlicht am 10.02.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Theodor Zeh und Franz Breit als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johann P***, Einzelhandelskaufmann, Viktring, Treibhausgasse 6, vertreten durch Dr.Hans Primus, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei V***-A*** Stahlhandel AG, Zweigniederlassung Klagenfurt, Klagenfurt, Südring 252, vertreten durch Dr.Wilhelm Watzke, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 80.412 S brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeitsund Sozialrechtssachen vom 10.September 1987, GZ 7 Ra 1065/87-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Klagenfurt vom 20.Februar 1986, GZ 1 Cr 82/85-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.243,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (385,80 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1.August 1975 bis 31. Juli 1978 als Einzelhandelslehrling und anschließend als Angestellter beschäftigt. Sein Gehalt betrug zuletzt 11.060 S brutto. Das Dienstverhältnis endete am 4.April 1985 durch Entlassung. Der Kläger begehrt 80.412 S brutto samt Anhang an Kündigungsentschädigung, Abfertigung und Urlaubsentschädigung. Er habe den Lagerleiter Johann R*** gebeten, einen Rasenkamm mitnehmen und in der nächsten Woche bezahlen zu dürfen. Außerdem sei er mit dem Rasenkamm am Geschäftsführer Adolf K*** vorbeigegangen, wodurch dieser ebenfalls vom Kauf Kenntnis erlangt habe. Der Kläger sei daher ungerechtfertigt entlassen worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehens. Der Kläger habe sich bei der Entnahme eines Rasenkammes im Wert von 139 S über innerbetriebliche Vorschriften hinweggesetzt. Wolle ein Arbeitnehmer der Beklagten für den Eigenbedarf Waren verbilligt beziehen, dann müsse er den Kaufwunsch von einem Verkäufer der zuständigen Abteilung auf einem Bogen erfassen lassen. Der Bogen sei dann vom Leiter der Niederlassung abzuzeichnen. Am 29.März 1985 habe der Kläger im dritten Stock, wo er sonst nichts zu tun gehabt habe, einen Rasenkamm entnommen und den Eindruck vermittelt, er gehe mit der Ware ins Erdgeschoß, um sie dort zu bezahlen. Dies habe der Kläger jedoch nicht getan. Er habe den zuständigen Abteilungsleiter passiert, ohne auf den Rasenkamm hinzuweisen. Auch am folgenden Samstag und Montag habe er die Ware nicht bezahlt. Er sei daher vom Dienst suspendiert und nach Rückkehr des Leiters der Niederlassung am Mittwoch, dem 3.April 1985, entlassen worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Am Freitag, dem 29.März 1985, kurz vor Mittag brachte der Kläger Kommissionsbögen in den 3. Stock der Niederlassung der Beklagten. Dort kam er mit dem Lagerhalter Johann R*** ins Gespräch und sagte ihm, daß er einen Rasenkamm brauche; er wolle ein solches Gerät zur Ansicht mitnehmen und es nächste Woche bezahlen. Der Kläger nahm einen Rasenkamm aus der Stellage und war der Meinung, Johann R*** werde die Ware notieren. Sodann ging er in die Verkaufsabteilung in das Parterre, wo er den Abteilungsleiter Adolf K*** antraf, der ihn noch zur Betreuung eines Kunden einteilte. Anschließend verließ der Kläger den Betrieb und nahm den Rasenkamm in einem zerrissenen Plastiksack mit. Adolf K*** bemerkte infolge der im Plastiksack enthaltenen Löcher die Mitnahme des Rasenkammes und wunderte sich, weil er den Kläger zuvor im Verkaufslokal, wo dieser den Rasenkamm hätte kaufen müssen, nicht gesehen hatte; er ging sofort zur Kassierin und erfuhr, daß der Kläger den Rasenkamm nicht bezahlt hatte. Der Kläger wollte den Rasenkamm zurückbringen, wenn er seinen verlorenen Rasenkamm wiederfinden sollte. Da dies nicht der Fall war, nahm er den neuen Rasenkamm in Verwendung. Am Montag, dem 1. April 1985, trat der Kläger den Dienst wieder an. Adolf K*** wartete den ganzen Tag darauf, ob der Kläger den Kaufpreis zahle. Gegen Arbeitsschluß fragte er den Kläger, ob er am Freitag nicht einen Fehler gemacht habe. Der Kläger wußte zunächst nicht, worum es ging. Die Frage, ob er einen Rasenkamm mitgenommen habe, bejahte der Kläger und erklärte, er habe Johann R*** davon in Kenntnis gesetzt. Adolf K*** versprach dem Kläger, am nächsten Tag mit Johann R*** zu reden; sollte dieser seine Angaben bestätigen, wäre die Angelegenheit geklärt. Am Dienstag früh trat der Kläger den Dienst wieder an, meldete sich bei Adolf K*** und fragte, ob er den Rasenkamm bezahlen könne. Adolf K*** antwortete, die Sache sei schon weitergegangen, er werde noch davon hören. Als der Kläger daraufhin dem Prokuristen W*** den Sachverhalt erzählte, erklärte ihm dieser, daß er davon schon Kenntnis habe. Um 14.00 Uhr wurde der Kläger zu einer Besprechung bestellt, an der der Prokurist W***, Direktorstellvertreter Ludwig T*** und Betriebsratsvorsitzender Albert E*** teilnahmen. Dem Kläger wurde vorgehalten, einen Rasenkamm - ohne Bezahlung mitgenommen zu haben. Da Johann R*** dienstfrei hatte, konnte niemand die Angaben des Klägers bestätigen. Der Kläger schlug vor, im 3. Stock nachzuschauen, ob Johann R*** eine Aufzeichnung hinterlassen habe. Ludwig T*** sprach aber die Suspendierung des Klägers aus und bestellte ihn für Donnerstag früh zu sich. Anschließend suchten Ludwig T*** und Adolf K*** im

3. Stock nach allfälligen Aufzeichnungen, fanden aber nichts. Am 3. April 1985 trat Dr. Johann A***, der Direktor der Zweigniederlassung, - nach einer Abwesenheit vom 27.März bis 2. April 1985 - den Dienst wieder an und kündigte kurz darauf in Gegenwart des Betriebsratsvorsitzenden Albert E*** die Entlassung des Klägers an. Albert E*** widersprach der Entlassung nicht. Nur Dr.Johann A*** war berechtigt, Entlassungen vorzunehmen. Als der Kläger am Donnerstag, am 4.April 1985, wie bestellt, um 6.15 Uhr im Betrieb erschien, sprach Dr.A*** ihm gegenüber die Entlasssung aus. Nach der in der Verkaufsordnung der Beklagten für verbilligte Verkäufe von Waren im Wert unter 1.000 S an Betriebsangehörige getroffenen Regelung hätte sich der Kläger entweder an den Abteilungsleiter Adolf K*** oder an einen Verkäufer in der Verkaufsabteilung im Parterre wenden müssen. In der Mitteilung der Beklagten 1/82 war mit Wirkung vom 1.Jänner 1982 für die Dauer eines Kalenderjahres festgelegt worden, daß der Verkauf von Waren an Betriebsangehörige nur gegen Barzahlung oder wertgleiche Zahlungsstellung erfolgen dürfe. Eine Abgabe auf Kredit sei unzulässig. Es bestand aber die Möglichkeit, Waren zur Ansicht mitzunehmen; davon wurde oft Gebrauch gemacht. Etwa eine Woche vor dem gegenständlichen Vorfall fand eine Versammlung statt, in der Direktor Dr.Johann A*** erklärte, "Einkäufe zum Nulltarif" würden mit sofortiger Entlassung geahndet. Auch der Kläger nahm an dieser Versammlung teil.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß lediglich der "Einkauf zum Nulltarif" und damit der Diebstahl mit sofortiger Entlassung bedroht gewesen sei. Dem Kläger, der in Übereinstimmung mit der im Betrieb geduldeten Übung eine Ware zur Ansicht mitgenommen habe und der Meinung gewesen sei, der Lagerhalter Johann R*** werde darüber Aufzeichnungen machen, sei aber nicht ein Diebstahl, sondern nur die Nichteinhaltung von internen Vorschriften vorzuwerfen. Im Hinblick auf die achtjährige Tätigkeit des Klägers im Betrieb der Beklagten könne die einmalige Übertretung einer bestehenden Entnahmeordnung weder als Vertrauensunwürdigkeit noch als beharrliche Weigerung, Anweisungen des Arbeitgebers zu beachten, gewertet werden. Darüber hinaus sei die Entlassung nicht unverzüglich ausgesprochen worden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und übernahm die darin getroffenen Feststellungen. Es vertrat ebenso wie das Erstgericht die Rechtsauffassung, daß die einmalige Übertretung der Entnahmeordnung durch den Kläger eine Entlassung nicht rechtfertige; ein schuldhaftes Zögern mit der Entlassung sei der Beklagten allerdings nicht vorzuwerfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Auch die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, wonach das inkriminierte Verhalten des Klägers seine Entlassung nicht rechtfertige, ist zutreffend. Der Entlassungsgrund der Untreue (§ 27 Z 1 erster Fall AngG), der ein bewußtes Verhalten des Arbeitnehmers gegen die Interessen des Arbeitgebers voraussetzt (Kuderna Entlassungsrecht 85; Arb. 8.725 ua; Martinek-Schwarz AngG6 598) liegt nicht vor, weil der Kläger nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen nicht einen Diebstahl begangen, sondern lediglich interne Vorschriften der Beklagten für den Verkauf an Mitarbeiter fahrlässig nicht beachtet hat, ohne die Warenentnahme zu verschleiern. Auch der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 letzter Fall AngG liegt nicht vor. Unter diesen Tatbestand fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen läßt, weil er befürchten muß, daß der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde. Entscheidend ist, ob das Gesamtverhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise, also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen, als so schwerwiegend angesehen werden muß, daß das Vertrauen des Arbeitgebers so weit erschüttert wird, daß ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst während der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (siehe Kuderna aaO 88 f;

Martinek-Schwarz aa0 604; Arb. 9.631, 9.862 ua). Daraus folgt, daß nicht jede die Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigende Ordnungswidrigkeit die Entlassung rechtfertigt.

Ordnungswidrigkeiten, bei deren Begehung dem Arbeitgeber nach objektiver Beurteilung eine weitere Zusammenarbeit für die Zeit der Kündigungsfrist noch zugemutet werden kann, bilden keinen Entlassungsgrund (Arb. 9.015; JBl 1977, 654; 4 Ob 15/81). Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ist kein Merkmal, das zu den einzelnen Entlassungstatbeständen hinzutreten muß, sondern eines, das diesen Tatbeständen schon begrifflich innewohnt. Ihr Vorliegen ist daher bei Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit eines Entlassungsgrundes (das ist der für die Begründung der Entlassung herangezogene Sachverhalt) immer zu untersuchen (Kuderna aa0 35; EvBl 1976/128). Das ist insbesondere dort von Bedeutung, wo sich das Gesetz zur Umschreibung der Entlastungstatbestände unbestimmter Begriffe bedient oder der Auflösungstatbestand so weit gefaßt ist, daß er erst von geringfügigen Ordnungswidrigkeiten und Interessenverletzungen abgegrenzt werden muß (siehe Kuderna aa0 37; Arb. 9.255, 9.431). Zieht man in Betracht, daß der Kläger den Rasenkamm im Wert von 139 S in Gegenwart des Lagerhalters Johann R*** aus dem Regal mit der Erklärung entnahm, er nehme ihn zur Ansicht mit und werde ihn in der nächsten Woche bezahlen, und weiters, daß der Kläger darauf vertraute, Johann R*** werde die Warenentnahme notieren, dann hat der Kläger dadurch, daß er sich über die für verbilligte Verkäufe von Waren mit einem Wert von weniger als 1.000 S an Mitarbeiter in der Verkaufsordnung der Beklagten enthaltene Vorschrift hinwegsetzte, sich an einen Verkäufer in der Verkaufsabteilung oder den Abteilungsleiter zu wenden, die Interessen der Beklagten nicht so schwer verletzt, daß ihr eine Zusammenarbeit auch nur für die Zeit der Kündigungsfrist nicht weiter zugemutet werden könnte, zumal der Kläger die Warenentnahme auch gegenüber dem zur Kontrolle berufenen Abteilungsleiter Adolf K*** nicht verheimlicht hat und von diesem trotz Kenntnis der unterbliebenen Zahlung über die näheren Umstände nicht einmal befragt wurde.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E13385

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00204.87.0210.000

Dokumentnummer

JJT_19880210_OGH0002_009OBA00204_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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