TE OGH 1988/2/10 1Ob717/87

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Veröffentlicht am 10.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eugen S***, geboren am 18.März 1946 in Wien, Angesteller, Wien 11., Simmeringer Hauptstraße 34/1/18, vertreten durch Dr. Christine Wolf, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Heidemarie S***-M***, geboren 24.Mai 1951, Haushalt, Wien 23., Schellenseegasse 13-15/9, vertreten durch Dr. Johann Fontanesi, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 1.September 1987, GZ 11 R 120/87-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 13.Februar 1987, GZ 30 Cg 279/84-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision des Klägers wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers zu entfallen hat. Die Kosten aller Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Der Ehe entstammen drei Kinder, die am 5.3.1981 geborene Katja und die am 7.2.1983 geborenen Zwillinge Michaela und Daniela. Der Kläger hat weiters für ein 1974 geborenes Kind aus erster Ehe zu sorgen. Die eheliche Gemeinschaft ist seit dem 21.7.1982 aufgehoben. Der Kläger brachte am 26.2.1982 die auf das Verschulden der Beklagten gestützte Scheidungsklage ein. Im Frühjahr 1982 versöhnten sich die Streitteile, es trat Ruhen des Verfahrens ein. Das Verfahren wurde nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft am 18.4.1983 fortgesetzt. Der Kläger erblickt das Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung der Ehe darin, daß sie ihn vor der Geburt der Zwillinge wiederholt aus der Wohnung gewiesen und beschimpft habe. Die Beklagte habe überhöhte finanzielle Anforderungen gestellt, sie habe dem Kläger vorgeworfen, er sei ein Trottel und zu nichts zu gebrauchen.

Die Beklagte wendete ein, sie treffe an der Zerrüttung der Ehe kein Verschulden. Der Kläger habe vor der Geburt der Zwillinge die Ehegemeinschaft verlassen; er habe sich um Damenbekanntschaften bemüht und weder für sie noch die Kinder ausreichend Unterhalt geleistet.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem beiderseitigen Verschulden der Streitteile, das Verschulden des Klägers überwiege. Es stellte fest, schon vor Einbringung der Klage sei es in finanziellen Belangen zu Streitigkeiten gekommen, da der Kläger zu wenig zum Wirtschaftsgeld beigetragen habe. In diesem Zusammenhang sei es auch zu beiderseitigen Tätlichkeiten gekommen. Da die Beklagte damals noch berufstätig gewesen sei, sollte das erste Kind je nach der Diensteinteilung abwechselnd von beiden Streitteilen betreut werden. Der Kläger habe sich aber daran nicht gehalten, so daß die Beklagte Verwandte und Bekannte um die Betreuung des Kindes habe ersuchen müssen. Ungeachtet der angespannten finanziellen Lage habe die Beklagte vom Kläger die Beschaffung einer größeren Wohnung oder eines kleinen Hauses verlangt, da ihr ihre Eigentumswohnung mit 54 m2 zu klein gewesen sei. Die Beklagte habe hoch hinaus wollen und sich unbedingt ein Haus mit einem Garten gewünscht. Darüber sei es zu Debatten gekommen. Die Beklagte habe dem Kläger vorgeworfen, daß er zu blöd sei, eine größere Wohnung oder ein Haus zu beschaffen. Der Kläger habe zwar in der Folge als Versicherungsvertreter einen Nebenverdienst ausgeübt, der ihn zeitlich in Anspruch genommen habe, er habe aber nicht viel dazuverdienen können. Der Kläger habe im Haushalt mitgeholfen, die Beklagte habe daran aber oft etwas auszusetzen gehabt. Nach einer Versöhnung im Frühjahr 1982 sei die Ehe durch etwa vier Wochen glücklich verlaufen. Dann sei es wieder zu Streitigkeiten wegen der Wohnungsfrage und der finanziellen Lage gekommen. Am 21.7.1982 hätten die Streitteile für abends Gäste eingeladen. Der Kläger sei an jenem Tage zu Hause gewesen, er habe sich im Haushalt betätigt, die Beklagte sei in der Arbeit gewesen. Nach ihrer Heimkehr habe sie genörgelt, daß der Kläger nicht ordentlich aufgeräumt und das vorgesehene einfache Essen nicht entsprechend für das Auge hergerichtet habe. Im Zusammenhang damit habe die Beklagte gemeint, man könne dem Kläger nichts anvertrauen, er mache nichts ordentlich. Hierüber sei der Kläger, der sonst stets die Vorwürfe der Beklagten schweigend eingesteckt habe, in Aufregung geraten und habe, als die Beklagte ihn aus der Küche gewiesen habe, gemeint, sie solle sich alles selber machen. Die Beklagte habe daraufhin den Kläger beschimpft, ihn am Hemd gerissen und aus Zorn auf ihn eingeschlagen. Da sich der Kläger bemüht habe, entsprechend den telefonischen Anweisungen der Beklagten alles richtig zu machen und noch an der Arbeit gewesen sei, als sie heimgekommen sei, sei er über ihr Verhalten sehr verärgert gewesen. Er habe einen Schlüsselbund gegen einen Biedermeierschrank geworfen. Darauf sei es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Der Kläger habe die Beklagte am Hals genommen und ihr gesagt, sie werde ihm überhaupt nichts mehr sagen. Die Beklagte habe sich losgerissen, sie habe telefonisch die Polizei herbeirufen wollen. Darauf habe der Kläger das Telefonkabel aus der Wand gerissen und der Beklagten einen Schlag gegen den Nacken gegeben, durch den sie ohnmächtig geworden sei. Der Kläger habe sie auf ein Bett gelegt, er habe ihr ein nasses Tuch auf die Stirn gelegt. Darauf sei sie wieder zu sich gekommen. Die Beklagte habe den Kläger aufgefordert, aus der Wohnung zu verschwinden und ihr den Schlüssel zu übergeben. Dem sei der Kläger nachgekommen. Am selben Abend habe die Beklagte noch Strafanzeige gegen den Kläger erstattet. Der Kläger sei mit Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 16.11.1982, 14 U 3483/82, von dem wider ihn nach § 83 Abs 1 StGB gestellten Strafantrag gemäß § 259 Abs 1 Z 4 StPO freigesprochen worden. Nach diesem Zeitpunkt habe weder der Kläger versucht, die häusliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, noch habe ihn die Beklagte dazu aufgefordert. Nach dem Auszug des Klägers habe die Beklagte auf Grund von Notizen auf Inseraten feststellen können, daß der Kläger Frauenbekanntschaften gesucht habe. Nach der Trennung habe die Beklagte vom Kläger wiederholt Unterhalt gefordert, ihm Vorhalte gemacht und ihn beschimpft. Der Kläger habe insbesondere für die Zwillinge keinen Unterhalt geleistet, so daß die Beklagte gerichtliche Hilfe habe in Anspruch nehmen müssen. In der Zwischenzeit sei sie auf die Hilfe von Verwandten und Bekannten angewiesen gewesen.

Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, die vom Kläger gesetzten Tätlichkeiten, Beschimpfungen und Verletzungen seiner Unterhaltspflichten stellten schwere Eheverfehlungen nach § 49 EheG dar. Aber auch die Beklagte habe Eheverfehlungen begangen. Sie habe die Leistungen des Klägers für den Haushalt herabgesetzt, an ihm herumgenörgelt, ihn beschimpft und zum Verlassen der ehelichen Wohnung aufgefordert. Das Verschulden des Klägers an der Herbeiführung der Zerrüttung überwiege aber eindeutig. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Selbst unter Berücksichtigung der verziehenen Eheverfehlungen müsse bis zum Vorfall vom 21.7.1982 das beiderseitige Gesamtverhalten als etwa gleich schwer beurteilt werden. Auch beim Vorfall vom 21.7.1982, der den Beginn der endgültigen Zerrüttung der Ehe eingeleitet habe, könne ein überwiegendes Verschulden eines der Streitteile nicht festgestellt werden. Nach dem Auszug des Klägers habe sich aber die Situation dadurch geändert, daß der Kläger für die Beklagte und die Kinder nur völlig unzureichend Unterhalt geleistet habe, so daß das Erstgericht zu Recht das überwiegende Verschulden des Klägers angenommen habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Kläger ist teilweise berechtigt.

Nach § 60 Abs 2 und 3 EheG ist das überwiegende Verschulden eines Teiles dann auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als das des anderen. Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg 48.834, 46.243, 43.691 uva), so daß es subtiler Abwägungen nicht bedarf (Schwind, Eherecht2 251); das Verschulden des anderen Ehegatten muß fast völlig in den Hintergrund treten (EFSlg 48.832, 46.242, 43.692 uva; Pichler in Rummel, ABGB, Rz. 2 zu § 60 EheG). Für die beiderseitige Verschuldensabwägung ist das Gesamtverhalten beider Ehegatten maßgebend (EFSlg 48.815, 46.230, 46.231, 43.684); zu berücksichtigen ist, wer den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet hat (EFSlg 48.821, 46.234, 43.679); die Ursächlichkeit der Verfehlungen für den Eintritt der unheilbaren Zerrüttung ist von ausschlaggebender Bedeutung (EFSlg 43.680, 43.677, 41.271 ua). Ist durch das beiden Teilen etwa gleich zurechenbare Verhalten bereits die unheilbare Zerrüttung der Ehe eingetreten, dann spielen Eheverfehlungen, die im Zeitraum nach dem Eintritt der völligen Zerrüttung der Ehe fallen, bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle mehr (EFSlg 48.830, 48.829, 46.237, 43.688 uva). Dies ist hier der Fall. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes wurde durch den Vorfall vom 21.7.1982 nicht die endgültige Zerrüttung der Ehe eingeleitet, sondern es war nach diesem Vorfall eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten. Am 21.7.1982 kam es aus an und für sich nichtigem Anlaß zu einer wörtlichen Auseinandersetzung zwischen den Streitteilen, die in Tätlichkeiten gipfelte. Die Beklagte hat damals nicht nur eine Strafanzeige gegen den Kläger erstattet, sie hat ihn auch aufgefordert, aus der Wohnung zu verschwinden und ihr die Wohnungsschlüssel zu übergeben. Sie gab damit eindeutig zu erkennen, daß sie eine endgültige Aufhebung der Lebensgemeinschaft wünscht. Keiner der Streitteile hat nach diesem Zeitpunkt auch nur versucht, die Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen und eine Versöhnung herbeizuführen. Selbst die Beklagte hält ab 21.7.1982 die Ehe für zerrüttet (S 100 dA). Trat aber bis zum 21.7.1982, wie das Berufungsgericht richtig beurteilte, ein Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile nicht augenscheinlich hervor, so können die nach der Zerrüttung der Ehe durch Unterhaltsverletzungen gesetzten weiteren Eheverfehlungen des Klägers für die Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle mehr spielen und nicht zur Beurteilung führen, das überwiegende Verschulden am Scheitern der Ehe sei dem Kläger anzulasten. Ein Eingehen auf die Revisionsgründe nach § 503 Abs 1 Z 2 und 3 ZPO, die sich ausschließlich auf die Frage der Unterhaltsverletzungen des Klägers beziehen, erübrigt sich daher.

In Abänderung der Urteile der Vorinstanzen hat der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers zu entfallen. Die Entscheidung über die Prozeßkosten und die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 43 Abs 1 ZPO bzw. §§ 41, 43 Abs 1, 50 ZPO.

Anmerkung

E13110

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00717.87.0210.000

Dokumentnummer

JJT_19880210_OGH0002_0010OB00717_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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