TE OGH 1988/2/24 9ObA42/88

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Veröffentlicht am 24.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner und Margarethe Heidinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Erwin N***, Werksarbeiter, Aflenz, Jauring 72a, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei P***-W*** KG, Steirische Kettenfabriken, Kapfenberg, Mariazellerstraße 143, vertreten durch Dr. Heinz Kallan, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 2.001,-- brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Juni 1987, GZ 7 Ra 1055/87-14, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Graz vom 17. September 1986, GZ 2 Cr 150/86-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.332,32 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 121,12 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit Dezember 1967 als Arbeiter im Werk "Hansenhütte" der beklagten Partei beschäftigt. Auf dieses Arbeitsverhältnis findet der Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie (im folgenden kurz: KV) Anwendung. Der Kläger hätte am 10. Februar 1986 seine Arbeit um

5.30 Uhr aufnehmen sollen. Er fuhr zunächst mit dem Bus von seinem Wohnort bis Thörl und mußte dort seine Fahrt unterbrechen, weil ab Thörl die Straße nach Kapfenberg durch behördliche Verfügung wegen akuter Lawinengefahr gesperrt war. Der Kläger konnte - ebenso wie die übrigen Arbeitnehmer aus dem Raum Thörl-Aflenz-Thurnau - wegen der durch die Schneefälle bedingten Straßensperre und der Lawinenabgänge auch am 11. Februar 1986 nicht zu seinem Arbeitsplatz gelangen. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Belegschaft des Werkes Hansenhütte wohnt im Umkreis von 500 m um das Werk. Diese Arbeitnehmer erschienen zur Arbeit. Ein Teil arbeitete wie üblich an den Maschinen, der andere Teil wurde zum Schneeräumen eingesetzt. Abschnitt XVI KV enthält folgende die Entgeltfortzahlung bei Arbeitsverhinderung betreffende Bestimmungen:

"Andere Entgeltfälle (§ 1154 b ABGB)

Nach einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von 4 Wochen

hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Freistellung von der Arbeit unter

Fortzahlung des Verdienstes, wenn er durch folgende Fälle an der

Leistung seiner Dienste gehindert wird: 6. bis 10. ......(Diese

Punkte beinhalten Fälle der Arbeitsverhinderung wegen familiärer

Pflichten und wegen Teilnahme an Begräbnissen).

Bis zum Höchstausmaß von 40 Stunden innerhalb eines Dienstjahres

hat der Arbeitnehmer auch Anspruch auf Freistellung von der Arbeit

unter Fortzahlung des Verdienstes, wenn er durch andere wichtige,

seine Person betreffende Gründe und ohne sein Verschulden während

einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Leistung seiner Dienste

gehindert wird. Dies gilt insbesondere für nachstehende Fälle:

11. bis 15. .......(Aufzählung weiterer familiärer und

persönlicher Hinderungsgründe).

Entgeltansprüche aus Gründen, die nicht vom Arbeitnehmer zu vertreten sind (§ 1155 ABGB):

16. Wird durch Umstände, die weder in der Person des Arbeitnehmers liegen noch von ihm zu vertreten sind, die gänzliche oder teilweise Stillegung des Betriebes, einzelner Abteilungen oder einzelner Arbeitsplätze notwendig und ist der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung bereit, so hat er bis zur Höchstdauer von 21 Tagen Anspruch auf 75 % seines Lohnes (Akkord-, Prämiendurchschnittsverdienst).

17. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsleistung durch Witterungseinflüsse nicht erbracht werden kann und diese Tatsache einvernehmlich zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat festgestellt wird.

18. Der Arbeitnehmer ist jedoch verpflichtet, bei Vorliegen der Voraussetzungen der Punkte 16. und 17. bei vollem Verdienstanspruch auch andere als seinem Arbeitsvertrag entsprechende, jedoch zumutbare Arbeiten zu verrichten.

19. Bei länger andauernden Arbeitsausfällen entfällt nach 21 Tagen jede Verdienstfortzahlung durch den Arbeitgeber.

20. Ansprüche im Sinne der Punkte 16. und 17. entstehen nicht, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung durch Elementarereignisse (höhere Gewalt) unmöglich wird."

Unter Hinweis auf Abschnitt XVI Z 10 KV (Generalklausel) begehrt der Kläger die Zahlung des der Höhe nach unbestrittenen Entgeltausfalles für den 10. und 11. Februar 1986.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil das Elementarereignis, das den Kläger am Erscheinen am Arbeitsplatz gehindert habe, nicht nur ihn, sondern die Allgemeinheit betroffen habe. Dieses Ereignis habe sich auch in der Sphäre des Dienstgebers ereignet. Es seien daher die Regeln über die Unmöglichkeit der Leistung anzuwenden.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 75 % des Entgeltausfalles, das sind S 1.500,75 brutto sA, zu und wies das Mehrbegehren von S 500,25 sA ab. § 1155 ABGB stehe dem Sachverhalt wesentlich näher als § 1154 b ABGB, der ebenso wie die Bestimmungen des Abschnittes XVI Z 6 bis 15 KV durchwegs Fälle betreffe, in denen der Arbeitnehmer durch ausschließlich seine Person betreffende Gründe an der Arbeitsleistung gehindert werde. Eine Hinderung durch außergewöhnliche Schneefälle falle nicht unter diese Bestimmungen. Gemäß Abschnitt XVI Z 16 und 17 KV gebühre dem Kläger aber 75 % seines Lohnes, weil er die Arbeitsleistung wegen der Witterungseinflüsse nicht habe erbringen können. Eine einvernehmliche Feststellung dieser Tatsache durch Arbeitgeber und Betriebsrat sei entbehrlich, da die Behinderung durch die Straßensperren offenkundig gewesen sei. Ein Elementarereignis, das gemäß Abschnitt XVI Z 20 KV auch diesen Anspruch ausschließe, liege nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht, wohl aber jener des Klägers Folge, sprach diesem den eingeklagten Betrag von S 2.001,-- brutto sA zu und sprach weiters aus, daß die Revision gemäß § 46 Abs 2 Z 1 ASGG nicht zulässig sei. Gründe im Sinne des § 1154 b Abs 1 ABGB und der auf diese Vorschrift zurückgehenden Bestimmung des Abschnittes XVI (Generalklausel nach Z 10) KV seien nicht nur solche, die in der Person des Arbeitnehmers entstanden seien, sondern auch solche, die ihn angingen und ihn entweder durch ihre unmittelbare Einwirkung an der Dienstleistung hinderten oder nach Recht, Sitte oder Herkommen wichtig genug seien, um ihn davon abzuhalten. Ob der Grund nur die Person des Arbeitnehmers oder als Massenerscheinung auch zahlreiche andere Arbeitnehmer betreffe, wie zB eine Verkehrseinstellung, die es dem Arbeitnehmer unmöglich mache, an den Arbeitsort zu gelangen, sei belanglos, da das Gesetz einen derartigen Unterschied nicht mache. Nur wenn eine Naturkatastrophe ein solches Ausmaß annehme, daß sie in die Dienstnehmer- und Dienstgebersphäre gleichermaßen eingreife und somit keiner der beiden Sphären zugerechnet werden könne, hätten die Regeln über die Unmöglichkeit der Leistung Anwendung zu finden. Die außergewöhnlich ergiebigen Schneefälle und die deshalb verordneten Straßensperren hätten in die Arbeitgeber- und Arbeitnehmersphäre nicht gleichermaßen eingegriffen. Die in der Nähe des Werkes wohnenden Arbeiter seien erschienen, hätten an den Maschinen gearbeitet oder seien zum Schneeschaufeln eingeteilt worden. Die Unmöglichkeit, den Arbeitsort zu erreichen, sei der Sphäre des Arbeitnehmers zuzurechnen. Der Kläger habe daher gemäß Abschnitt XVI (Generalklausel nach Z 10) KV Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die verhältnismäßig kurze Hinderungsdauer von 2 Tagen. Der Abschnitt XVI Z 16 KV komme hingegen nicht zur Anwendung, weil der Kläger der beklagten Partei nicht zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestanden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Fragen

a) ob ein Elementarereignis, das den Arbeitnehmer hindert, (rechtzeitig) an den Arbeitsplatz zu gelangen, ein Hinderungsgrund im Sinne des § 1154 b Abs 1 Satz 2 ABGB ist, und

b) ob eine über die Dienstgebersphäre hinaus die Allgemeinheit in vergleichbarer Weise treffendes Elementarereignis die Entgeltfortzahlung des Dienstgebers nach § 1154 b ABGB ausschließt, Rechtsfragen des materiellen Rechtes von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG sind, zu denen eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt (siehe Kuderna, ASGG, § 46 Anm. 7). Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Hier wie in den anderen die Beklagte betreffenden und schon entschiedenen Fällen stellt sich die Frage, ob die Generalklausel des Abschnittes XVI Z 10 KV, die sich mit der gesetzlichen Regelung des § 1154 Abs 1 Satz 2 ABGB deckt, zur Anwendung zu kommen hat.

Wie der Oberste Gerichtshof in den bisher noch nicht

veröffentlichten Entscheidungen bereits eingehend dargelegt hat

(9 Ob A 202/87, 9 Ob A 27/88, jeweils mwH), sind "andere" wichtige

Gründe im Sinne des § 1154 b Abs 1 Satz 2 ABGB, welche die Person

des Arbeitnehmers betreffen, nicht nur solche, die in seiner Person

entstanden sind, sondern auch Gründe, die seine Person "betreffen",

also ihn angehen und ihn entweder durch ihre unmittelbare Einwirkung

an der Arbeitsleistung hindern oder nach Recht, Sitte oder Herkommen

wichtig genug erscheinen, um ihn davon abzuhalten (Krejci in Rummel,

ABGB § 1154 b Rz 10; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht 265; Rabofsky,

ABGB und Arbeitsvertragsrecht4 217). In diesem Sinne ist ein

Hinderungsgrund, der den Arbeitnehmer wegen unmittelbarer Einwirkung

faktisch daran hindert, Arbeit zu verrichten, ebenfalls als

wichtiger Grund anzuerkennen. So wurde etwa die vorübergehende

Einstellung des zum Erreichen der Arbeitsstätte erforderlichen

Massenverkehrsmittels (Arb. 4.990) oder ein Eisenbahnerstreik

(Arb. 8.097; Krejci aaO Rz 13; Martinek-Schwarz, AngG6 254) als

Hinderungsgrund im Sinne des § 1154 b Abs 1 Satz 2 ABGB gewertet.

Da es nur auf die unmittelbare Einwirkung des Ereignisses auf den

Arbeitnehmer ankommt und nicht auf das Entstehen des Ereignisses in seiner Person, ist es auch belanglos, ob ein derartiger Grund als Massenerscheinung, der auch andere Arbeitnehmer betrifft, auftritt (Krejci aaO Rz 13; 9 Ob A 202/87 mwH). Da der Kläger infolge der außergewöhnlichen Schneefälle nicht in der Lage war, seinen Arbeitsplatz zu erreichen, war er ohne sein Verschulden daran gehindert, die ihm aufgetragene Arbeitsleistung zu erbringen. Er ist daher entgegen der Ansicht der Revisionswerberin berechtigt, einen Hinderungsgrund im Sinne des § 1154 b ABGB für sich in Anspruch zu nehmen.

Wie der Oberste Gerichtshof in seinen gleichgelagerten Fälle betreffenden Entscheidungen 9 Ob A 202/87 und 9 Ob A 27/88 weiters ausführte, haben die Elementarereignisse, welche auch den Kläger dieses Rechtsstreits hinderten, den Arbeitsplatz zu erreichen, andererseits aber auch den Betrieb durch die Abwesenheit zahlreicher weiterer Arbeiter in Mitleidenschaft zogen, nicht jenes Ausmaß erreicht, daß man von einer nicht mehr der Sphäre der Arbeitsvertragsparteien zuzurechnenden ausgedehnten "höheren Gewalt" sprechen könnte. Es waren nur der Kläger sowie andere Arbeiter des Betriebes infolge der Schneefälle außerstande, zur Arbeit zu kommen. Der Betrieb selbst wurde durch dieses Elementarereignis nicht unmittelbar betroffen. Die in der Nähe wohnenden Arbeiter erschienen zur Arbeit; es war sogar möglich, an einigen Maschinen die Produktion aufzunehmen. Die übrigen Arbeiter wurden zu Schneeräumarbeiten eingesetzt. Das Werk hätte den vollen Betrieb aufnehmen können, wenn genügend Arbeiter erschienen wären. Der Mangel an erschienenen Arbeitskräften ist daher, so wie eine Stockung bei anderen Produktionsvoraussetzungen, noch der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen. Das Elementarereignis fällt noch in das betriebsspezifische Risiko des Arbeitgebers, zumal der Betrieb in einem Gebirgstal der oberen Steiermark liegt, wo im Winter erfahrungsgemäß häufig mit starken Schneefällen gerechnet werden muß. Eine dadurch verursachte vorübergehende Beeinträchtigung der Produktion ist daher als periodisch wiederkehrende Erscheinung anzusehen, die dem typischen Betriebsrisiko angehört. In solchen Fällen ist der Arbeitgeber in der Lage, von vorneherein vertretbare Regelungen über die Tragung des Entgeltrisikos zu treffen (Krejci in Rummel aaO Rz 18 zu § 1155).

Die auf § 1155 ABGB bezugnehmenden Regelungen des Abschnittes XVI Z 16 und 17 KV beziehen sich nicht auf den gegenständlichen Fall. Beide Bestimmungen setzen in Übereinstimmung mit § 1155 ABGB die Arbeitsbereitschaft (Verfügbarkeit) des Arbeitnehmers voraus. Diese Arbeitsbereitschaft war aber aus den dargelegten Gründen nicht gegeben. Da die Unterlassung der Arbeitsleistung der Sphäre des Klägers und jener der Beklagten zuzurechnen ist, kommt ein Wegfall oder eine Verminderung des Entgeltfortzahlungsanspruches im Sinne des § 1155 ABGB oder der darauf beruhenden Z 16 oder 17 KV schon aus diesen Gründen nicht in Betracht. Da die erschienenen Arbeiter an Maschinen oder bei der Schneeräumung eingesetzt wurden, muß davon ausgegangen werden, daß auch der Kläger, hätte er den Betrieb erreichen können, beschäftigt und bezahlt worden wäre. Entscheidend ist daher die Verhinderung des Klägers an der Arbeitsleistung durch einen wichtigen, seine Person betreffenden Grund und damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1154 b Abs 1 Satz 2 ABGB. Diese Voraussetzungen sind, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, erfüllt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E13382

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00042.88.0224.000

Dokumentnummer

JJT_19880224_OGH0002_009OBA00042_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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