TE OGH 1988/2/25 7Ob732/87

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Veröffentlicht am 25.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Käthe S***, Verlegerin, Wien 19., Sieveringerstraße 192, vertreten durch Dr. Karl Bollmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Friedrich F***, Rechtsanwalt, Wien 19.,

Sieveringerstraße 192, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 10. Juli 1987, GZ. 48 R 211/87-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 17. Februar 1987, GZ. 5 C 628/86-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.719,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 247,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 354 der KG Obersievering mit dem Haus Sieveringerstraße 192. Der Beklagte wohnt seit seiner Eheschließung mit der Tochter der Klägerin im Jahre 1966 mit seiner Familie in diesem Haus.

Das Erstgericht wies die gegen den Beklagten gerichtete Räumungsklage ab. Nach seinen Feststellungen wuchs die Ehefrau des Beklagten in dem Haus auf. Der Beklagte zog nach der Eheschließung dort ein. Der Grund hiefür lag darin, daß die Ehegatten über keine eigene Wohnung verfügten und die Klägerin und ihr Ehemann nicht die Mittel hatten, ihnen eine Wohnung anzuschaffen. Außerdem wollte die Klägerin ihre Tochter bei sich behalten. Es war besprochen, daß die Ehegatten völlig unentgeltlich im Haus wohnen könnten, wobei sie insbesondere die Wohnung im ersten Stock, aber auch - gemeinsam mit den Schwiegereltern des Beklagten - das Dachgeschoß, eine Bauernstube, die Waschküche und den Garten benutzten. Nach der Geburt ihrer beiden Söhne wurden diesen - da der Beklagte und seine Ehefrau über räumliche Enge klagten - Zimmer im Erdgeschoß und im Dachgeschoß von der Klägerin zur Verfügung gestellt. Auch ein Anbau, zu welchem der Beklagte einen finanziellen Beitrag leistete, wurde von ihm und seiner Ehefrau mitbenützt, insbesondere das Fotolabor, das hauptsächlich seinen eigenen Interessen diente, und die vom Beklagten finanzierte Sauna. Über die Dauer der Benützung wurde nichts abgemacht. Man ging davon aus, daß sich die Ehegatten, wenn sie die Mittel haben, eine eigene Wohnung anschaffen. Tatsächlich besichtigten sie im Laufe der Zeit auch Wohnungen, blieben jedoch bei der Klägerin wohnen, weil dies finanziell günstiger war und weil auch die Klägerin und ihr Gatte dies wünschten. Der Beklagte hatte von Anfang an Bedenken wegen der Dauer des Zusammenlebens, da er mit seinem eigenen Vater Streit gehabt hatte. Auch mit dem Ehegatten der Klägerin gab es Differenzen. Im Zuge einer Auseinandersetzung verlangte der Beklagte eine "Sicherheit" und die Klägerin unterschrieb ihm blanko ein Mietvertragsformular (Beilage 1). Darüber, wie dieses ausgefüllt werden sollte, wurde nichts besprochen. Das Formular wurde vom Beklagten auch nie ausgefüllt. Er ging davon aus, daß dies ihm und seiner Ehefrau Sicherheit vor einem Räumungsbegehren gebe.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß der Ehegatte, dem die Ehewohnung zur Befriedigung eines dringenden Wohnungsbedürfnisses diene, gegen den anderen Ehegatten Anspruch auf Erhaltung dieser Wohnmöglichkeit habe. Dies gelte nicht nur für Eigentums- oder Mietwohnungen, sondern auch für solche Wohnungen, welche aufgrund einer Leihe oder eines nicht widerrufenen Prekariums überlassen worden seien. Auch der Bittleiher könne, solange das Prekarium aufrecht sei, Rechte weitergeben. Diese Rechte gelten auch gegen den Dritten, der von diesem Sachverhalt Kenntnis habe, also auch gegen den Hauseigentümer. Es könne daher dahingestellt bleiben, aus welchem Titel der Beklagte die Wohnung mitbenütze. Die Klägerin könne, solange das Benützungsverhältnis ihrer Tochter gegenüber noch bestehe, nicht unmittelbar gegen den Beklagten mit Räumungsklage vorgehen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteigt und erklärte die Revision für zulässig. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme der Feststellungen, es sei besprochen worden, daß die Ehegatten völlig unentgeltlich im Haus wohnen könnten und daß man davon ausgegangen sei, daß sich die Ehegatten, wenn sie die Mittel hätten, einmal eine eigene Wohnung anschaffen würden. Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes sei zwischen der Klägerin und ihrer Tochter ein faktisches Wohnungsverhältnis begründet worden. Dieses verschaffe aufgrund des noch aufrechten Ehebandes dem Beklagten unabhängig vom Wohnungsbedürfnis und Unterhaltsanspruch einen Anspruch auf Benützung der Ehewohnung. Dieses Mitbenützungsrecht biete ihm auch Schutz davor, von Dritten unmittelbar auf Räumung in Anspruch genommen zu werden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Wird jemandem der Gebrauch einer Sache unentgeltlich gegen jederzeitigen Widerruf eingeräumt, sodaß der Verleiher die Sache nach Willkür zurückfordern kann, entsteht eine Bittleihe. Die freie Widerruflichkeit muß nicht ausdrücklich vereinbart worden sein. Der mangelnde Bindungswille für die Zukunft kann sich, wie der Bindungswille überhaupt, aus den Umständen ergeben (Schubert in Rummel ABGB Rdz 1 zu § 974; MietSlg. 25.106, 25.082 ua). Familienrechtliche Wohnverhältnisse können nur zwischen Angehörigen im engeren Sinn, d.h. zwischen Ehegatten und Kindern begründet werden (MietSlg. 26.070). Es mag sein, daß zwischen der Klägerin und ihrer Mutter ein familienrechtliches Wohnverhältnis bestand. Aus den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen ergibt sich aber, daß bestimmte Teile des Hauses dem Beklagten und seiner Ehefrau als Ehewohnung überlassen wurden. Ein Entgelt wurde weder bezahlt noch verlangt. Die jederzeitige Widerruflichkeit ergibt sich schon daraus, daß im allgemeinen niemand ohne entsprechendes Entgelt eine Verpflichtung eingeht, die ihn in der Ausübung seines Eigentumsrechtes beschränkt (Schubert aaO mwN). Die wesentlichen Voraussetzungen einer Bittleihe, die Unentgeltlichkeit und der jederzeitige Widerruf sind somit gegeben. Auch die Bittleihe ist jedoch ein Vertrag (Gschnitzer in Klang2 IV/1 683). Insoweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf den mangelnden Geschäftswillen beruft (AS 36, ON 7), ist ihr entgegenzuhalten, daß es für die Annahme eines Geschäftswillens genügt, daß die Parteien Rechtswirkungen hervorrufen wollen (Koziol-Welser8 I 80). Dieser Wille muß nicht ausdrücklich erklärt werden, er kann sich auch aus den Umständen ergeben. Nach den vom Berufungsgericht gleichfalls übernommenen Feststellungen über das Verlangen des Beklagten nach einer "Sicherheit" für ihn und seine Ehefrau und die Reaktion der Klägerin hierauf kann es nicht zweifelhaft sein, daß auch beabsichtigt war, rechtliche Wirkungen auszulösen (vgl. Koziol-Welser aaO). Der Umstand, daß die Klägerin ein Mietvertragsformular blanko unterfertigte, steht der Annahme eines Prekariums nicht entgegen, weil ein Mietvertrag jedenfalls nicht zustande gekommen ist, und es für die Qualifikation eines Rechtsverhältnisses auch nicht auf die von den Parteien gewählte Bezeichnung ankommt. Im vorliegenden Fall wurde zwar mit der Räumungsklage gegen den Beklagten diesem gegenüber der Widerruf des Prekariums erklärt und der dem Beklagten zugestandene Rechtsgrund für die Benützung des Hauses beseitigt. Mangels Widerrufes des Prekariums auch gegenüber der Tochter der Klägerin blieb das dieser eingeräumte Recht bestehen, von dem der Beklagte im Hinblick auf den aufrechten Bestand der Ehe einen Anspruch auf Benützung des Hauses ableiten kann. Der Ehegatte, der sein Recht zur Benützung einer Wohnung oder eines Hauses von dem dem anderen Ehegatten wenn auch nur prekaristisch eingeräumten Benützungsrecht ableiten kann, kann nicht ohne Widerruf des dem anderen Ehegatten eingeräumten Prekariums vom Wohnungsgeber auf Räumung belangt werden (MietSlg. 19.519, 18.035, 17.083, 8513; vgl. auch Schubert aaO Rz 4 und EvBl. 1956/348). Die Frage, ob dies auch bei einem bloß faktischen Wohnverhältnis gilt, ist hier nicht zu erörtern. Da ein Widerruf auch in Ansehung der Ehefrau des Beklagten nicht einmal behauptet wurde, haben die Vorinstanzen die Räumungsklage zu Recht abgewiesen. Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E14354

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00732.87.0225.000

Dokumentnummer

JJT_19880225_OGH0002_0070OB00732_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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