TE OGH 1988/3/10 8Ob523/88

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Veröffentlicht am 10.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Huber, Dr. Petrag und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang H***, Beamter, 8490 Bad Radkersburg, Altneudörfl 54, vertreten durch Dr. Kurt Hanusch, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei S*** T***, vertreten durch den Bürgermeister Robert P***, dieser vertreten durch Dr. Robert Plaß, Rechtsanwalt in Leoben, wegen S 15.792,-- s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 10. Dezember 1987, GZ R 669/87-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom 3. Juni 1987, GZ 6 C 1074/86-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat dem Kläger die mit S 2.719,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 247,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

In der auf Schadenersatz in Höhe von S 15.792,-- gerichteten Klage wird vorgebracht, am 11. März 1986 um 19.50 Uhr sei im Bereiche des Hauses Trofaiach, Hauptstraße 93 das Halteseil der Straßenbeleuchtung der beklagten Partei unmittelbar vor dem herannahenden PKW des Klägers auf die Fahrbahn gestürzt und habe das Fahrzeug derart beschädigt, daß ein Reparaturkostenaufwand in der vorgenannten Höhe erforderlich geworden sei.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung mit der Begründung, das Halteseil der Beleuchtungsanlage sei am Unfallstag wegen einer vom Hause Trofaiach, Hauptstraße 112 abgegangenen Dachlawine gerissen. Da sich die gesamte Anlage vor diesem Ereignis in einem einwandfreien Zustand befunden habe fehle es an einem Verschulden der Organe der beklagten Partei; es liege ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis vor, für welches die beklagte Partei keine Haftung treffe.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, daß eines der mehreren Seile, welche den Straßenbeleuchtungskörper vor dem Hause Trofaiach, Hauptstraße 112 tragen, und zwar jenes, das an dem von der Straße durch ein Wiesengrundstück getrenntem Haus befestigt war, durch eine vom Hausdach abgegangene Schneelawine gerissen war. Der sich mit seinem PKW auf der Hauptstraße mit einer Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h in Fahrbahnmitte nähernde Kläger verspürte am Fahrzeug plötzlich einen Ruck, hielt an und sah, daß das vorgenannte Seil herunterhing und der PKW mit dem rechten Vorderrad auf dieses aufgefahren war, wodurch sich das Seil gespannt und Beschädigungen der Stoßstange, der Motorhaube und des Daches seines Fahrzeuges verursacht hatte. Zwischen dem Haus und der Straße lagen "am Boden" Eis und Schnee, welche vom Dachlawinenabgang stammten. Die Halteseile der Beleuchtungskörper werden jeweils im Zuge von Reparaturarbeiten z. B. anläßlich der Auswechslung von Lampen, von den Organen der beklagten Partei kontrolliert. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Riß des Halteseiles und das Herabfallen desselben sei auf ein Ereignis zurückzuführen, welches der beklagten Partei nicht zugerechnet werden könne und für welches sie kein Verschulden treffe. Demgemäß müsse aber ihre Haftung für den Schaden des Klägers verneint werden.

Das Berufungsgericht nahm eine teilweise Beweiswiederholung vor und stellte ergänzend fest, daß nach dem Abgang der Dachlawine "der Boden mit Schnee und Eis in einer Höhe von ca. 5 cm bedeckt war."

Die im Rahmen der erstgerichtlichen Beweiswürdigung vertretene Ansicht, der Seilriß beruhe weder auf einem Materialfehler noch auf einer mangelhaften Wartung noch handle es sich dabei um eine "Alterserscheinung", könne vom Berufungsgericht nicht geteilt werden, weil das Verfahren hiefür keine ausreichenden Anhaltspunkte biete. In rechtlicher Hinsicht sei den Berufungsausführungen darin zu folgen, daß der Klagsanspruch in der Bestimmung des § 1319 ABGB seine Deckung finde. Bei dem am Hause Trofaiach, Hauptstraße 112 für die Straßenbeleuchtung befestigten Halteseil handle es sich um ein Werk im Sinne der vorgenannten Gesetzesstelle. Darauf, daß die beklagte Partei nicht Eigentümerin bzw. Besitzerin des Hauses sei, komme es nach dieser Norm nicht an, weil der hierin verwendete Begriff des Besitzers nicht jenem des § 309 ABGB entspreche, sondern lediglich eine Beziehung zum Gebäude oder Werk voraussetze, welche die Möglichkeit gebe, der Gefahr durch Vorkehrungen zu begegnen. Diese Voraussetzungen würden von der beklagten Partei hinsichtlich der Beleuchtungsanlage, die sich in ihrem Eigentum bzw. Besitz befinde, erfüllt, sodaß sie grundsätzlich nach § 1319 ABGB hafte. Hinsichtlich dieser Haftung müsse der Kläger den Schaden, dessen Verursachung durch Einsturz oder Ablösen von Gebäudeteilen oder eines anderen auf dem Grundstück aufgeführten Werkes, den Besitz der beklagten Partei und die mangelhafte Beschaffenheit als Schadensursache beweisen. Auch letzteren Beweis habe der Kläger hier aber erbracht, weil sich die Mangelhaftigkeit des Seiles prima facie aus dessen Reißen ergebe, zumal eine Dachlawine, welche zur Anhäufung von Eis und Schnee in einer Höhe von bloß 5 cm führe, kein ungewöhnliches Ereignis sei. Die ernsthafte Möglichkeit, daß die Dachlawine ein mängelfreies Seil zum Reißen gebracht habe, könne hier also nicht zugrundegelegt werden, zumindest aber sei der prima facie Beweis nicht entkräftet, daß die Sache doch mangelhaft gewesen sei. Demnach sei von der Mangelhaftigkeit des Werkes als Ursache des Reißens auszugehen und es träte eine Beweislastumkehr dahin ein, daß der beklagten Partei der Beweis obliege, die nach den gegebenen Umständen und der Verkehrsauffassung vernünftigerweise von ihr zu erwartenden Vorkehrungen getroffen zu haben. In der bloßen Kontrolle der Halteseile anläßlich allgemeiner Reparaturarbeiten, wie Auswechslung von Lampen, könne aber im Hinblick darauf, daß sich die Straßenbeleuchtung über einer stark frequentierten Straße befinde, nicht die Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt erblickt werden. Die beklagte Partei hätte vielmehr ihr auch zumutbare regelmäßige Überprüfungen der Halteseile durchführen müssen, zumal einer Stadtgemeinde gegenüber der Allgemeinheit eine besondere Verantwortung zukomme. Demgemäß erweise sich die Berufung berechtigt und es sei dem Klagebegehren stattzugeben. Im Hinblick auf die vorliegendenfalls zu lösenden Rechtsfragen sprach das Berufungsgericht aus, daß die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.

In ihrer auf den Anfechtungsgrund des § 502 Abs 1 Z 4 ZPO gestützten, die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles oder die Aufhebung der unterinstanzlichen Urteile und die Rückverweisung der Rechtssache an eine der Unterinstanzen anstrebenden Revision erklärt die beklagte Partei, sie gestehe zwar zu, Besitzerin der ein Werk im Sinne des § 1319 ABGB darstellenden Straßenbeleuchtung zu sein, doch könne dieses Werk entgegen der berufungsgerichtlichen Ansicht keinesfalls als mangelhaft beurteilt werden. Nach der vom Berufungsgericht übernommenen erstgerichtlichen Feststellung sei das Halteseil "durch eine vom Haus 112 abgehende Dachlawine gerissen". Somit stehe fest, daß es zum Reißen des Seiles nicht infolge einer mangelhaften Beschaffenheit sondern durch ein von außen wirkendes Ereignis gekommen sei. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes erschienen mit sich selbst in Widerspruch, da im Sinne der erstgerichtlichen Feststellung einerseits davon ausgegangen werde, daß zur Unfallszeit auf sämtlichen Dächern sehr viel Schnee gelegen sei, weil ein strenger Winter geherrscht habe, andererseits aber zugrundegelegt werde, durch den Dachlawinenabgang sei es lediglich zu einer Anhäufung von Eis und Schnee in Höhe von 5 cm gekommen. Der berufungsgerichtliche Hinweis auf diese geringe Schneeanhäufung übersehe weiters, daß die Anhäufung nach der Zeugenaussage H*** auf der Straße und dem Gehsteig vorhanden gewesen sei, zwischen dem Hause und der Straße aber noch ein Wiesengrundstück liege, sodaß die Dachlawine nicht direkt auf die Straße gefallen sei. Grundsätzlich widerspreche es auch jeglicher Erfahrung, daß eine Dachlawine ein Halteseil zum Reißen bringe. Somit handle es sich um ein ganz außergewöhnliches Ereignis. Im übrigen mangle es auch an der Haftungsvoraussetzung der Nichtanwendung gehöriger Sorgfalt. Auch eine noch so sorgfältige Kontrolle des Halteseiles hätte nämlich nicht verhindern können, daß es durch eine Dachlawine zum Reißen gebracht würde. Im Sinne des § 1319 ABGB seien nur Vorkehrungen erforderlich, welche vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehrs erwartet werden könnten. Eine Kontrolle der Halteseile anläßlich der Durchführung von Reparaturen entspreche dieser Verkehrsauffassung. Somit habe die beklagte Partei auch die von § 1319 ABGB geforderte Sorgfalt angewendet. Von einer besonderen Verantwortung einer Stadtgemeinde gegenüber der Allgemeinheit könne nicht die Rede sein. Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, jedoch nicht gerechtfertigt.

Daß das Klagsvorbringen vom Berufungsgericht zutreffend der Haftungsbestimmung des § 1319 ABGB unterstellt wurde, wird von der Revisionswerberin selbst zugestanden und ebenso, daß sie die Besitzerin dieses in einem Seil bestehenden herabgestürzten Werkes ist. Ihrer Ansicht, das Seil sei infolge eines von außen wirkenden Ereignisses gerissen, für welches sie keine Haftung treffe und sie habe durch entsprechende laufende Überprüfung des Seiles auch die erforderliche Sorgfalt angewendet, kann nicht gefolgt werden. Nach den Feststellungen ist das Halteseil zwar durch die abgehende Dachlawine und somit ein von außen kommendes Ereignis gerissen. Damit ist aber nicht gesagt, daß keine Haftung nach § 1319 ABGB eintreten kann. Schon Ehrenzweig (II/1, 681; vgl. Koziol Haftpflichtrecht2 II 398) verweist unter Bezugnahme auf den Bericht der Herrenhauskommission zur dritten Teilnovelle zum ABGB darauf, daß ein Herabstürzen zufolge Witterungseinflüssen die Anwendung des § 1319 ABGB nicht ausschließt. In dem Fall, als ein Sturm Schornsteine umwirft, sei daher zu untersuchen, ob er jene Stärke überschritten hat, mit der bei Bauführungen gerechnet werden muß. Auch in der Judikatur zu der dem § 1319 ABGB entsprechenden Bestimmung des § 836 BGB wird zugrundegelegt, daß die mangelhafte Beschaffenheit des Werkes nicht die alleinige Ursache für dessen Herabstürzen sein müsse, sondern z. B. Witterungseinflüsse hinzukommen könnten. Bei gewöhnlichen Witterungseinflüssen, mit deren Einwirkung auf das Werk erfahrungsgemäß, wenn auch selten, z. B. mit Sturmböen, zu rechnen sei, spreche gerade die Ablösung des Teiles für die Mangelhaftigkeit des Werkes. Eine gegenteilige Beurteilung sei nur bei außergewöhnlichen Naturereignissen gerechtfertigt (Palandt BGB47 Anm. 5 zu § 836; Zeuner in Soergel BGB11 4 Rz 14 zu § 836; Schäfer in Staudinger BGB12 II Rz 42 zu § 836).

Der Abgang einer Dachlawine in einem schneereichen Winter stellt keine außergewöhnliche Naturereignung sondern ein äußeres Ereignis dar, mit welchem bei der Anlage eines die Straßenbeleuchtung tragenden Halteseiles an einem Haus selbstverständlich zu rechnen ist. Es muß daher einerseits von vornherein auf eine entsprechende, auf die Art des Gebäudes und des Daches Bedacht nehmende Dimensionierung des Seiles oder die Anbringung von dieses gegen Dachlawinen schützenden Vorrichtungen geachtet werden und andererseits sodann eine regelmäßige Kontrolle des Erhaltungszustandes dieser Anlage erfolgen, sodaß ein Reißen des Seiles durch eine Dachlawine jedenfalls hintangehalten wird. Diese besonders hohe Anforderung an die Sorgfaltspflicht ist bei allen Gebäuden oder Werken erforderlich, die von einer Vielzahl von Menschen betreten werden, die in den Straßenraum hineinragen oder die ihrer Art nach besonders anfällig für Witterungseinflüsse sind (Mertens in Münchner Kommentar zum BGB Rz 20 zu § 836). Die beiden letztgenannten Voraussetzungen liegen auch hier vor. Da das Seil durch die abgehende Dachlawine zum Reißen gebracht wurde, ist im Sinne der berufungsgerichtlichen tatsächlichen Annahme von seiner am Zweck gemessenen Mangelhaftigkeit auszugehen (vgl. Reischauer in Rummel ABGB Rz 16 zu § 1319; RGR-Kommentar zum BGB11 II/2 Anm 6 zu § 836). Die beklagte Partei hat somit ihrer Sicherungspflicht nicht entsprochen. Ob die Dachlawine nur zum Teil auf die Straße fiel, ist demgemäß unerheblich. Daß sie von einer außerordentlichen, nicht vorhersehbaren Beschaffenheit gewesen sei - ein schneereicher Winter ist nichts Außergewöhnliches - hat die beklagte Partei selbst nicht behauptet. Schließlich kann auch der Umstand, daß die Liegenschaftseigentümer gemäß § 93 Abs 2 StVO für die Entfernung von Schnee- und Eisbildungen von den Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude zu sorgen haben, den Besitzer eines an einem solchen Gebäude befestigten Werkes grundsätzlich nicht von seiner Haftung nach § 1319 ABGB befreien. Diese Bestimmung normiert ausdrücklich, daß er "alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt" anzuwenden hat; er ist daher auch selbst zu allen oben angeführten Vorkehrungen verpflichtet.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E14009

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00523.88.0310.000

Dokumentnummer

JJT_19880310_OGH0002_0080OB00523_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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