TE OGH 1988/3/23 2Ob22/88

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Veröffentlicht am 23.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Siegfried K***, Invalidenpensionist, 4222 St.Georgen, Luftenberg 115, vertreten durch Dr. Gottfried Lindner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Klaus G***, Maurer,

4614 Marchtrenk, Raiffeisenstraße 15, und 2.) W*** A*** Versicherungs-AG, 1010 Wien, Opernring 3-5, beide vertreten durch Dr. Gerhard Hoyer, Rechtsanwalt in Wels, wegen (restlich) S 867.416,97 s.A. und Feststellung (Streitwert S 40.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 9. Dezember 1987, GZ 3 R 261/87-19, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 10. Juli 1987, GZ 7 Cg 156/86-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 11.218,51 (darin keine Barauslagen und S 1.019,86 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 25. Dezember 1985 gegen 22.30 Uhr verschuldete der Erstbeklagte in Lobenstein als Lenker des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs der Marke Golf mit dem Kennzeichen O-734.292 im alkoholisierten Zustand (Blutalkoholkonzentration 1,03 Promille) einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger insbesondere durch eine Zersplitterung des fünften Halswirbels schwer verletzt wurde. Der Erstbeklagte wurde deshalb wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 zweiter Fall (§ 81 Z 2) StGB rechtskräftig verurteilt.

Der Kläger begehrte den Zuspruch des Klagsbetrages, welcher sich aus S 1 Million Schmerzengeld und S 2.250,90 Pflegegebühren, vermindert um Teilzahlungen von insgesamt S 134.833,93, zusammensetzt und demnach S 867.416,97 beträgt. Ferner begehrte der Kläger die urteilsmäßige Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden des Klägers aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall, wobei die Haftung der Zweitbeklagten nach Maßgabe der für das Beklagtenfahrzeug zum Unfallszeitpunkt bestandenen Haftpflichtversicherungsverhältnisses seine Begrenzung zu finden habe.

Die Beklagten anerkannten dem Grunde nach einen Verschuldensanteil des Erstbeklagten von zwei Dritteln und darauf aufbauend betraglich S 134.833,93. Im übrigen beantragten sie die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, den Kläger treffe zumindest ein Mitverschulden von einem Drittel, weil er sich in der Person des Erstbeklagten einem für ihn erkennbar alkoholbeeinträchtigten Kraftwagenlenker anvertraut habe. Kläger und Erstbeklagte hätten am 25. Dezember 1985 die Zeit von etwa 17.30 Uhr bis zum Unfall gemeinsam verbracht und der Erstbeklagte habe während dieser Zeit zumindest vier Achtel Wein und einen Schluck Bier getrunken. Dem Kläger hätte daher unbedingt die Alkoholbeeinträchtigung des Erstbeklagten auffallen müssen. Das begehrte Schmerzengeld sei bei weitem überhöht. Die geltend gemachten Pflegegebühren wurden der Höhe nach anerkannt. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 867.416,97 s.A. statt und stellte fest, daß die Beklagten dem Kläger zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall ersatzpflichtig seien, die Zweitbeklagte jedoch nur im Rahmen des Versicherungsvertrages betreffend das Fahrzeug VW Golf L Kombi O-734.292. Das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren S 200.000,-- s.A. wies es ab. Das Erstgericht ging hiebei von folgenden, für das Revisionsverfahren noch wesentlichen Feststellungen aus:

Am 25. Dezember 1985, um etwa 17.00 Uhr, fuhr der Erstbeklagte mit dem seinem Vater (bzw. dessen Firma) gehörigen PKW der Marke VW Golf mit Kennzeichen O-734.292 zu seinem gleichfalls in Marchtrenk wohnhaften Schulfreund Thomas Christian ALT. Beide beschlossen, zwei weitere Schulfreunde, nämlich den Kläger und den gleichfalls in Luftenberg wohnhaften Karl S*** aufzusuchen. Zum Zeitpunkt des Antrittes dieser Fahrt war der Erstbeklagte nicht alkoholbeeinträchtigt. Der Erstbeklagte und Thomas Christian ALT erreichten etwa gegen 18.00 Uhr Luftenberg. Nachdem der Kläger dazugekommen war, fuhren sie zu dritt zu Karl S***, welcher ebenfalls zur Mitfahrt eingeladen wurde. Zu viert beschlossen sie dann, die in Zwettl an der Rodl wohnhafte, allen vier bekannte HTL-Schülerin Edith H*** aufzusuchen. Um etwa 19.00 Uhr bis 19.30 Uhr trafen sie in Zwettl an der Rodl ein. Im Elternhaus der Edith H*** befanden sich deren Eltern und drei weitere Bekannte. Edith H*** bewirtete sämtliche Gäste, unter anderem die vier Schulkollegen, mit alkoholischen Getränken, insbesondere mit Wein. Der Erstbeklagte konsumierte hiebei zwei Achtelliter Rotwein und zwei Achtelliter Weißwein. Der Kläger trank annähernd die gleiche Menge wie der Erstbeklagte. Etwa nach einer Stunde beschlossen sämtliche Beteiligte gemeinsam, das Gasthaus Sonnenhof (Kitzmüller) in Zwettl aufzusuchen. Der Antritt der Fahrt dorthin erfolgte zwischen 20.30 Uhr und 21.00 Uhr. Im Gasthof Sonnenhof hielten sich die Schulfreunde etwa eine Stunde auf. Hiebei aß der Erstbeklagte "Berner Würstel" und trank aus dem Glas des Klägers mindestens einen Schluck Bier. Um etwa 22.00 Uhr beschloß man gemeinsam, einen weiteren Schulfreund, nämlich Franz L***, in Oberneukirchen aufzusuchen. Bei Antritt der Fahrt saß Thomas Christian ALT vorne auf dem Beifahrersitz und im Fond saßen ganz links Karl S***, in der Mitte Edith H*** und rechts der Kläger. Bei Antritt dieser (Unfallsfahrt) war keinem der Mitfahrer aufgefallen, daß der Erstbeklagte einen alkoholisierten Eindruck erweckte oder nicht fahrtüchtig wäre. Keiner der Beteiligten zweifelte daher an der Fahrtüchtigkeit des Erstbeklagten. Auch dieser fühlte sich voll fahrtüchtig. Der Erstbeklagte lenkte den PKW in die Ortsmitte von Oberneukirchen und von dort wieder ortsauswärts, zumal Franz L*** etwas außerhalb wohnte. Allerdings verfehlte der Erstbeklagte die richtige Ausfahrt von Oberneukirchen. Nach einigen Kilometern wurde er von Edith H*** darauf aufmerksam gemacht. Der Erstbeklagte beabsichtigte, bei der nächsten passenden Möglichkeit umzukehren. In der Ortschaft Lobenstein, auf dem sogenannten Güterweg Flamberg, nächst dem Haus Nr. 10, in einer leicht abschüssigen unübersichtlichen Rechtskurve, kam der vom Erstbeklagten gelenkte Kraftwagen mit einer Geschwindigkeit von etwa 65 km/h zu weit in Richtung des linken Fahrbahnrandes und geriet auf das Bankett. Der Erstbeklagte verlor die Kontrolle über das Fahrzeug, welches sodann über den linken Fahrbahnrand hinaus auf eine mit etwa 5 % abfallende Böschung gelangte und sich dort dreimal überschlug. Dabei wurde der Kläger aus dem Fahrzeug geschleudert und insbesondere an der Halswirbelsäule schwer verletzt. Zum Unfallszeitpunkt bestand beim Erstbeklagten eine Blutalkoholkonzentration von 1,03 Promille. Diese Alkoholisierung war für den Kläger bei Antritt der Fahrt und auch in der Folge nicht erkennbar. Allerdings wußte der Kläger, daß der gut 90 kg schwere Erstbeklagte Stunden zuvor insgesamt vier Achtelliter Wein und zuletzt mindestens einen Schluck Bier getrunken hatte. In rechtlicher Beziehung verneinte das Erstgericht eine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Alkoholisierung des Erstbeklagten seitens des Klägers und ging dem Grunde nach vom Alleinverschulden des Erstbeklagten aus. Der Höhe nach erachtete es ein Schmerzengeld von S 800.000,-- insgesamt als angemessen.

Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, einschließlich des in Geld bestehenden Teiles S 300.000,-- übersteigt; es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes, soweit damit dem Kläger ein S 400.000,-- s.A. übersteigender Betrag zugesprochen und die Haftung für die künftigen Unfallschäden des Klägers im Ausmaß von mehr als zwei Dritteln festgestellt wurde, richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne des Zuspruches von insgesamt nur S 400.000,-- s.A. an den Kläger, Feststellung der Haftung der Beklagten für die künftigen Unfallschäden des Klägers im Ausmaß von nur zwei Dritteln und Abweisung des Leistungs- und Feststellungsmehrbegehrens.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

In der Rechtsrüge führen die Beklagten aus, nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes sei der Erstbeklagte zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes nicht alkoholbeeinträchtigt gewesen, habe im Unfallszeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 1,03 %o aufgewiesen, der Kläger sei die gesamte Zeit, in der der Erstbeklagte Alkohol zu sich genommen habe, in dessen Gesellschaft gewesen, so daß dem Kläger die vom Erstbeklagten genossenen Alkoholmengen durchaus bekannt gewesen seien. Bereits die vom Erstbeklagten konsumierten Alkoholmengen, die mit vier Achtel Wein und zumindest einem Schluck Bier festgestellt worden seien, seien bereits ausreichend gewesen, um eine Alkoholisierung und Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Erstbeklagten herbeizuführen. Zumindest aber hätte der Kläger ernste Bedenken bezüglich der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Erstbeklagten haben müssen, da ihm die genossene Alkoholmenge bekannt gewesen sei.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß die bloße Kenntnis des Fahrgastes, daß der Lenker des ihn befördernden Kraftfahrzeuges überhaupt Alkohol zu sich genommen hat, zur Annahme eines Mitverschuldens nicht ausreicht. Den Fahrgast, der sich einem infolge Alkoholgenusses fahruntüchtigen Lenker anvertraut und bei einem von diesem verschuldeten Unfall Schaden erleidet, trifft nur dann ein Mitverschulden, wenn er von der die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholisierung Kenntnis hatte oder aus den Umständen Kenntnis haben mußte. Dabei kann sich die Erkennbarkeit einer derartigen Alkoholisierung für den Fahrgast entweder aus dem wahrnehmbaren Verhalten des Lenkers oder daraus ergeben, daß ihm die vom Lenker genossene Alkoholmenge bekannt war. Es ist nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen, ob der Fahrgast bei Berücksichtigung der Erfahrungen des täglichen Lebens damit rechnen mußte, daß sich der Lenker durch den Alkoholgenuß in einem seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Zustand befinde. Zweifel darüber, ob diese Annahme gerechtfertigt gewesen wäre, gehen zu Lasten des Haftpflichtigen, den die Beweislast für das Mitverschulden des Fahrgastes trifft (ZVR 1968/37; ZVR 1969/294; ZVR 1970/33; ZVR 1976/10; ZVR 1978/134, 170; ZVR 1981/52 uva).

Werden diese Grundsätze auf den festgestellten Sachverhalt angewendet, ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß der Kläger, dem zwar die vom Erstbeklagten genossene Alkoholmenge von einem halben Liter Wein etwa zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30 sowie einem Schluck Bier etwa zwischen 21 und 22 Uhr bekannt war, der aber ebenso wie die übrigen Mitfahrer keinerlei Alkoholbeeinträchtigung des Klägers vor oder während der Unfallsfahrt wahrzunehmen vermochte, unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere auch des Körpergewichtes des Erstbeklagten von etwa 90 kg, bei Anwendung der gehörigen Aufmerksamkeit noch nicht damit rechnen mußte, daß sich der Lenker in einem seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Zustand der Alkoholisierung befinde, zumal diesbezügliche Zweifel zu Lasten des Haftpflichtigen gehen. Entgegen der Ansicht der Revision ist daher in der Auffassung, daß den für ein Mitverschulden des Klägers beweispflichtigen Beklagten der Beweis, der Kläger hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen müssen, daß beim Erstbeklagten durch den Alkoholgenuß ein ihn in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigender Zustand bestehe, nicht gelungen ist, keine unrichtige rechtliche Beurteilung zu erblicken.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E13742

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00022.88.0323.000

Dokumentnummer

JJT_19880323_OGH0002_0020OB00022_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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