TE OGH 1988/3/24 13Os31/88

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Veröffentlicht am 24.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. März 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Takacs als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bernhard H*** wegen des Vergehens nach § 8 MilStG. über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, daß das Verfahren vor dem Einzelrichter durchgeführt wurde, und gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 17. November 1987, GZ. 25 b E Vr 1582/87-8, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter sowie dessen darauf beruhendes Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 17. November 1987, GZ. 25 b E Vr 1582/87-8, verletzen das Jugendgerichtsgesetz 1961 im III. und VII. Hauptstück sowie im § 26. Dieses Urteil wird aufgehoben und dem Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch aufgetragen, gemäß § 485 Abs. 1 Z. 2 StPO. die Entscheidung der Ratskammer einzuholen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck erhob gegen den am 12. Mai 1970 geborenen Grundwehrdiener Bernhard H*** Strafantrag wegen des Vergehens der unerlaubten Abwesenheit nach § 8, zweiter Fall, MilStG., weil er vom 24. August 1987, 12 Uhr, bis 18. September 1987, 13,30 Uhr, seiner Truppe in Absam ferngeblieben ist und sich dadurch dem Dienst für länger als acht Tage entzogen hat. Am 6. Oktober 1987 beraumte der Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck für den 14. Oktober 1987 die Hauptverhandlung an. Bei der Vorbereitung zur Hauptverhandlung stellte der Einzelrichter fest, daß der Beschuldigte noch jugendlich ist. Er setzte die Hauptverhandlung ab und übermittelte am 13. Oktober 1987 den Akt der Staatsanwaltschaft Innsbruck unter Hinweis auf das jugendliche Alter des Beschuldigten, wobei er zutreffend die Worte "Jugendschöffensache, Anklageschrift, sodann Abtretung" in Klammern anführte. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck beantragte statt dessen sofort die Abtretung der Strafsache gemäß § 33 JGG. an das Landesgericht Feldkirch. Am 16. Oktober 1987 entsprach das Landesgericht Innsbruck diesem Antrag. Am 27. Oktober 1987 stellte die Staatsanwaltschaft Feldkirch den Antrag auf "Fortsetzung des Strafverfahrens gegen Bernhard H*** durch Anberaumung einer Hauptverhandlung".

In der am 17. November 1987 durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch wurde der unvertretene Bernhard H*** des Vergehens der unerlaubten Abwesenheit nach § 8, zweiter Fall, MilStG. schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe (§ 37 StGB.) verurteilt. Während der Beschuldigte auf Rechtsmittel verzichtete, ergriff die Staatsanwaltschaft Berufung wegen Strafe.

Rechtliche Beurteilung

Die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch und dessen Urteil vom 17. November 1987 stehen mit dem Gesetz mehrfach nicht im Einklang.

Da Bernhard H*** sowohl im Zeitpunkt der Tat als auch zur Zeit der Einleitung des Verfahrens das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, handelt es sich um eine Jugendstraftat (§ 1 Z. 3 JGG.) und um eine Jugendstrafsache (§ 1 Z. 4 JGG.). Es wären die Bestimmungen des III. und VII. Hauptstücks des Jugendgerichtsgesetzes 1961, ferner § 26 JGG. anzuwenden gewesen. Demgemäß fielen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung zufolge der Unzulässigkeit des Einzelrichterverfahrens in Jugendstrafsachen vor dem Gerichtshof erster Instanz in die Zuständigkeit des Jugendschöffensenats (VII. Hauptstück, §§ 31 Abs. 1, 32 Abs. 2 JGG.), der verpflichtet gewesen wäre, die für die Ahndung von Jugendstraftaten vorgesehenen materiellrechtlichen Sondervorschriften (III. Hauptstück, §§ 11 bis 13 JGG.) sowie neben dem zwingenden Gebot des § 26 JGG. die weiteren strafprozessualen Vorschriften für Jugendstrafsachen im VII. Hauptstück, insbesondere jene über die notwendige Verteidigung (§ 38 Abs. 1 Z. 1 JGG.) und über die Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters (§ 39 JGG.) zu beachten (siehe auch SSt. 42/51). Diese Gesetzesverletzungen könnten im Rahmen des anhängigen Berufungsverfahrens höchstens zum Teil, nämlich insofern, als man in der schlichten Übergehung des § 11 JGG. eine Nichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z. 11 StPO. erblicken will (so SSt. 20/149, EvBl. 1976/189; bestritten: vgl. EvBl. 1984 Nr. 158, 13 Os 131/81, 13 Os 140/81, 13 Os 34/85, 13 Os 136/87), von Amts wegen aufgegriffen werden (§ 477 Abs. 1 StPO.). Im übrigen wären sie amtswegig nicht wahrnehmbar (teilweise §§ 468 Abs. 1 Z. 1, 489 Abs. 1 StPO., teilweise §§ 468 Abs. 1 Z. 3, 489 Abs. 1 Ende, 281 Abs. 1 Z 1 a StPO.) und gereichen jedenfalls insgesamt dem Beschuldigten zum Nachteil (§ 292, letzter Satz, StPO.).

Auf Grund der vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde waren daher die angeführten Rechtsverletzungen festzustellen und das ergangene Urteil aufzuheben. Der Beschwerde wird allerdings nicht beigetreten, soweit sie den Antrag enthält, dem Landesgericht Feldkirch als Jugendschöffengericht die Erneuerung des Verfahrens aufzutragen. Das Jugendschöffengericht ist zur Erledigung einer Anklage, nicht jedoch eines Strafantrags zuständig. Eine Anklageschrift wurde bis jetzt nicht eingebracht, eine funktionelle Kompetenz des Jugendschöffensenats liegt daher zur Zeit nicht vor; ihm kann sonach eine Erneuerung des Verfahrens dermalen nicht aufgetragen werden. Wohl aber wurde ein an den Einzelrichter adressierter Strafantrag erhoben, für dessen Erledigung der Einzelrichter nach dem zuvor Gesagten nicht zuständig ist. Dieser wird vielmehr gemäß § 485 Abs. 1 Z. 2 StPO. die Entscheidung der Ratskammer einzuholen haben (siehe sodann § 486 Abs. 2 StPO.).

Anmerkung

E13910

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0130OS00031.88.0324.000

Dokumentnummer

JJT_19880324_OGH0002_0130OS00031_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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