TE OGH 1988/3/29 11Os21/88

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Veröffentlicht am 29.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.März 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schumacher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Manfred S*** wegen des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach dem § 206 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 2. Dezember 1987, GZ 18 Vr 869/87-14, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Gemäß dem § 362 Abs. 1 Z 1 StPO wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zugunsten des Angeklagten verfügt und das angefochtene Urteil aufgehoben.

Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 9.Juli 1968 geborene, derzeit beschäftigungslose Manfred S*** des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach dem § 206 Abs. 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 StGB (Punkt 2 des Urteilssatzes) schuldig erkannt. Darnach hat er in der Zeit vom 29.Dezember 1986 bis 3.Jänner 1987 in St.Valentin

1. mit der am 11.Dezember 1977 geborenen, sohin unmündigen Isabell R*** den außerehelichen Beischlaf unternommen und

2. dieselbe unmündige Person auch auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er sie mehrmals am Geschlechtsteil abtastete und "mit seinem Glied in den After des 'Kindes' einzudringen versuchte".

Beide Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit einer nominell auf die Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, worin er (lediglich) behauptet, das angefochtene Urteil sei in der Frage, ob sein Geschlechtsteil und jener der unmündigen Isabell R*** im Zeitpunkt der Beischlafs- bzw Unzuchtshandlungen entblößt waren, "undeutlich und unvollständig" bzw es lägen hier Feststellungsmängel vor. Auf dieses Beschwerdevorbringen einzugehen, erübrigt sich jedoch aus nachstehenden Erwägungen:

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte, ein Halbbruder der Mutter der Isabell R***, in dessen Elternhaus dieses Kind gemeinsam mit ihrer etwa zwei Jahre jüngeren Schwester Andrea R*** während des eingangs angeführten Zeitraumes zu Gast war, stellte in der Hauptverhandlung ebenso wie bei seinen vorangegangenen Vernehmungen am 27.Jänner 1987 vor der Gendarmerie (S 25 d.A) und am 30. April 1987 im Vorverfahren (S 47-49 d.A) die ihm angelasteten sexuellen Verfehlungen entschieden in Abrede. Das Gericht, auf welches der Angeklagte aus nicht näher angeführten Gründen einen "unsicheren und schuldbewußten" Eindruck machte, erachtete die stets leugnende Verantwortung des Angeklagten durch die der Gendarmerieanzeige angeschlossenen, in Form eines im Beisein der Sozialarbeiterin Maria R*** aufgenommenen Aktenvermerkes (S 35-37 d.A) festgehaltenen Angaben der Isabell R*** für widerlegt. Es gründete damit seine Überzeugung von der Schuld des bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten auf belastende Angaben der von der Tat betroffenen Minderjährigen, von denen es allerdings nicht direkt, sondern ausschließlich durch eine Mittelsperson, nämlich die namentlich erwähnte Sozialarbeiterin, Kenntnis nehmen konnte. Nun ist nicht zu übersehen, daß nur diese Mittelsperson im Rahmen des in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisverfahrens zum Anklagevorwurf als Zeugin vernommen wurde und dabei unter anderem aussagte, anläßlich der Befragung des Mädchens den Eindruck gewonnen zu haben, daß es seinen "Phantasien nachgesponnen" habe, bzw daß "die Phantasie mit ihm etwas durchgegangen" sei (S 72 d.A). An anderer Stelle brachte die Zeugin Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Mädchens zum Ausdruck (S 71 d.A). Schließlich deponierte Maria R*** noch, Isabell R*** habe "stolz erzählt", was

vorgefallen sei, habe erklärt, sie sei in den Angeklagten verliebt und habe "das so weitererzählt, wie man es im Fernsehen oder in einem Film sieht" (S 72 d.A).

Alle diese Angaben, die an sich geeignet wären, als gegen die Richtigkeit der von Isabell R*** gegebenen Darstellung der Tat sprechend gewertet zu werden, wurden im Urteil nicht erörtert. Da die (allein belastenden) Angaben des angeblichen Tatopfers dem Gericht nur indirekt zugänglich gemacht wurden, kommt auch solchen Verfahrensergebnissen - mögen sie auch nur subjektive Eindrücke der Mittelsperson wiedergeben - erhebliche Bedeutung zu. Im vorliegenden Fall ist überdies zu bedenken, daß eine andere Person (Gerhard S***) wegen ebensolcher und zur selben Zeit an dieser Unmündigen begangener Unzuchtshandlungen bereits rechtskräftig verurteilt wurde (Landesgericht St.Pölten vom 22. April 1987, GZ 18 Vr 216/87-7). Es wäre daher auch denkbar, daß die Minderjährige ihre Erlebnisse mit jenem Gerhard S*** auf den Angeklagten, dem ihre besondere Zuneigung gilt, überträgt, und zwar insbesondere dann, wenn sie sich ihrer Erlebnisse tatsächlich rühmen hätte wollen (siehe: "stolz erzählt").

All dies ist geeignet, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil in der Schuldfrage zugrunde gelegten Tatsachen zu erwecken, zumal der bekämpften Entscheidung nicht zu entnehmen ist, daß die Tatrichter die dargelegten Verfahrensergebnisse und die daran zu knüpfenden Überlegungen bei der Würdigung der Beweise entsprechend berücksichtigt hätten.

Mithin war bereits bei der vorläufigen Beratung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß dem § 362 Abs. 1 Z 1 StPO die außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu verfügen. Dadurch tritt die Sache in den Stand der Voruntersuchung zurück.

Mit seinen durch die Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Rechtsmitteln war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E13887

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0110OS00021.88.0329.000

Dokumentnummer

JJT_19880329_OGH0002_0110OS00021_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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